RED TAPE PARADE

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„From thoughts to words, from words to actions?“

„Also, diese Skype-Nummer finde ich total grandios“, lacht RED TAPE PARADE-Bassist Oise selig gegen Ende unseres anderthalbstündigen Web-Telefonats. Was er dabei vielleicht nicht ahnt, ist, dass mir soeben genau derselbe Gedanke durch den Kopf geht. Denn mit welcher Flapsigkeit er sonst in manchen Situationen auch über seine Band sprechen mag, wenn ich ihm so zusehe, wie er lange ausholt, grübelt, auch mal nachfragt, ob ich ihm folgen kann, wenn es um ganz konkrete, für ihn und seine Band wichtige Fragen geht, ist diese Doppelbödigkeit plötzlich so gar nicht mehr präsent. Kein Wunder, haben wir in diesem Interview neben nahe liegenden Fragen zur zweiten LP der Bayern, „The Third Rail Of Life“ doch auch über die Angst, alleine aus einer Jugendkultur herauszuwachsen, die Bedeutsamkeit, sich anderen über Texte mitzuteilen, und eine der vielleicht größten Enttäuschungen in seinem Leben gesprochen.

Oise, welche Frage kannst du gar nicht mehr hören?

Ich kann eigentlich noch jede Frage hören. Ich bin froh, wenn Interesse an der Band besteht, und beantworte Fragen gern, da ich es ja honoriere, dass sich jemand Zeit nimmt. Aber was wir wirklich sehr oft gefragt werden, ist, wie wir über Macho-Hardcore oder Violent Dancing denken.

Aufgrund von „Less Van Damme, more Darby Crash“?

Ja, darauf wird sich oft berufen, wobei der Text nicht von mir, sondern von unserem Sänger Wauz stammt. Da könntest du mich ebenso über Meißener Porzellan befragen, das hat mit mir oder unserer Band einfach nichts zu tun. Wir sind davon ja nicht betroffen, eher würden noch besoffene Punks zu uns Schweinepogo tanzen wollen. Dieses Violent-Dancing-Ding kenne ich selbst fast nur aus irgendwelchen Medien, ich gehe nicht auf solche Konzerte. Wir ziehen auch ein anderes Publikum, diese Leute fühlen sich von uns weder ästhetisch noch textlich oder musikalisch angesprochen. Daher weiß ich immer nicht, was ich über dieses Thema sagen soll.

Angeblich seid ihr ja ein Haufen alter, uncooler Loser, für deren Musik sich niemand interessiert. Ist das nicht irgendwie albern und größtenteils Pose? Denn es gab ja immer Interesse an der Band.

Lustigerweise bist du der Dritte, der das anspricht, und auch Freunde von uns haben uns das schon gesagt, auch alle so deutlich. Natürlich sind wir eine Band mit einem relativ privilegierten Status. Es gab vom ersten Moment an Leute, die unsere Musik veröffentlichen wollten. Wir haben nie große Schwierigkeiten gehabt, Konzerte zu spielen.

Liegt das auch an deinen diversen „Szene-Aktivitäten“?

Klar, nicht nur ich, sondern wir alle waren ja schon vorher in Bands aktiv und haben Kontakte geknüpft. Das bringt dich aber nur an einen gewissen Punkt, denn hätten wir schlechte Konzerte gespielt und Scheißmusik gemacht, wäre das Interesse sofort weg gewesen. Ab da muss die Musik übernehmen, und du musst zeigen, dass du was auf dem Kasten hast. Wir kokettieren natürlich schon mit diesem Loser-Image, dabei ging es uns aber um etwas Bestimmtes: wir sind nicht die Gewinner-Typen, die nie unterzukriegen sind. Für uns ist Punk eben auch ein Sammelbecken für Leute, die nicht alles im Griff haben und immer auf der Überholspur sind. Du musst auch mal sagen dürfen: „Hey, mir geht es nicht so gut, ich habe mein Leben gerade nicht im Griff, und falle seit einem Jahr auf die Schnauze!“ Es ist nicht immer alles „posi“.

Ich erinnere mich an ein Interview mit dir, in dem du von einem STRIKE ANYWHERE-Konzert erzählt hast, auf dem es total abgegangen sei, du hättest dir aber nur gedacht, dass das zwar super sei, aber GOOD RIDDANCE das schon vor zehn Jahren gemacht hätten. Müsst ihr euch diesen Vorwurf auch gefallen lassen?

Ironischerweise halte ich deren Platte „Iron Front“ für eine der besten Hardcore-Platten der letzten Jahre, und habe die auch durch meine Arbeit als Tourmanager unglaublich schätzen gelernt, da muss ich mich also an der eigenen Nase packen. Und klar müssen wir uns das gefallen lassen. RED TAPE PARADE wurden aber auch nicht gegründet, um das Rad neu zu erfinden. Da wurde nicht groß ausgeholt, es ging darum, mal wieder ein paar gute Hardcore-Punk-Songs zu schreiben. Zu unser Verteidigung muss ich aber sagen, dass sich die Band jetzt in eine Richtung entwickelt hat, die doch wieder sehr eigen ist. Verglichen mit anderen Bands machen wir zwar stinknormalen, konventionellen Rock’n’Roll, nach einem gewissen Strickmuster, aber dafür sind wir sehr unprätentiös. Man kann uns nicht vorwerfen, etwas mit Kalkül zu machen, und durch die Art und Weise, wie wir etwas machen, sind wir doch wieder einzigartig. Das hört sich zwar billig an, aber das ist, was tief aus uns heraus kommt, wie wir sind, und alleine dadurch hat die Band ihre Berechtigung.

Eure Gastsänger haben alle eigene Texte verfasst. Eine bewusste Entscheidung?

Ja, weil wir die Sänger danach ausgesucht haben, was sie in ihren jeweiligen Bands sagen, welche Texte sie schreiben. Das war für uns ausschlaggebender als deren Stimme. Was hätte es uns gebracht, einfach nur eine Textzeile wiederholen zu lassen? Wenn wir schon die Ehre haben, mit Künstlern zusammenzuarbeiten, die wir sehr schätzen, dann wollen wir auch, dass deren Input eine Reaktion darauf ist, was wir ihnen geschickt haben. Das finde ich das Besondere daran, dass es so ein Geben und Nehmen ist, nichts Isoliertes.

Wer lag euch am meisten am Herzen?

Für Wauz war es natürlich unglaublich, dass Joey Cape auf der Platte singt, der immer sein musikalischer und textlicher Haupteinfluss war. Mir dagegen waren LAGWAGON immer relativ egal, auch wenn Joey über die Jahre, in denen ich mit ihm gearbeitet habe, ein guter Freund geworden ist. Da hat sich seine Musik für mich erst halbwegs erschlossen. Wirklich wichtig war für mich, dass wir Scott von SHOOK ONES und Patrick von END OF A YEAR auf der Platte haben. Die beiden Bands haben mich ja dazu gebracht, wieder in einer Punkband zu spielen, und ein paar Jahre später singen diese beiden auf unserer Platte. Das war ein ganz wunderbarer Moment, als das klar war, da sich da für uns der Kreis schließt. Und Matt von FUNERAL FOR A FRIEND bedeutet mir deshalb sehr viel, weil er ein unglaublich netter Mensch ist, und ich seine Stimme wahnsinnig toll finde. Er hat auch das Coverfoto geschossen, und das ist eben auch wieder so ein Kreis, der sich schließt, denn RTP, das sind nicht nur wir, sondern da sind auch unsere Freunde, die etwas dazu beitragen, ein Teil davon.

In den Linernotes geht ihr teils sehr genau auf die Bedeutung der Texte ein. Läuft man da nicht Gefahr, die Texte zu sehr auf eine Bedeutung zu reduzieren?

Unser Anspruch ist es, möglichst deutlich zu sein. Als Wauz und ich uns entschieden haben, dass wir beide die Texte schreiben, haben wir beschlossen: „Okay, wir versuchen jetzt mal ganz nach unten zu gehen, wir wühlen richtig im Dreck, und ziehen raus, was in uns vorgeht.“ Das mache ich ja aus dem Grund, weil ich kommunizieren will. Deshalb sind unsere Texte auch nicht kryptisch. Bevor du beispielsweise nicht mit Scott von SHOOK ONES persönlich über seine Texte sprichst, hast du keine Ahnung, um was es geht, weil da einfach so viele Anspielungen drin sind. Das ist eben gar nicht unser Ansatz, deshalb kann man da nicht viel zerstören. Mir ist selbst auch noch nie ein Text kaputt geredet worden.

Du hast selbst Musiker kennen gelernt, deren Verhalten teils völlig konträr zu ihren Texten und Ansprüchen war. Welches Erlebnis hat dich da am meisten enttäuscht?

Es gab einen Punkt, an dem ich für mich festgestellt habe, dass es keine Helden gibt. Als ich jung war, war ich extremer SHELTER-Fan. Anfang der Neunziger, als sie noch nicht diese Witzfiguren-Band waren, standen die in weißen Hare-Krishna-Mönchskutten auf der Bühne, was so ziemlich das Radikalste war, was man sich vorstellen konnte. Ich habe damals alles aufgesogen, was die Band gesagt hat, dachte wirklich, die werden jetzt die Welt in Brand setzen, die wollen die Welt verändern! Ich kam dann mit einem ellenlangen Fragenkatalog zu deren Konzert in München, wartete total aufgeregt mit meinem YOT-„Go Vegetarian“-Shirt auf Ray Cappo und dachte, der ist sicher total begeistert von mir, weil ich mich so bemüht habe. Aber nach nur zwei Fragen merke ich, dass genau dieser Typ, der immer über die Zerstörung des Egos, über Bescheidenheit und Demut singt, das arroganteste, egozentrischste Arschloch ist, das ich in meinem ganzen Leben kennen gelernt habe. Der mich von der ersten Minute an nicht ernst nimmt, mich von oben herab behandelt, belächelt, offen Langeweile zur Schau stellt, und obendrein die Sprachbarriere, weil da mein Englisch noch schlechter war, völlig ignoriert. Das hat mich damals so dermaßen geknickt, dass jemand, dessen Kunst und Texte ich so bewunderte, so ein Arschloch sein kann und ich schmerzlich fühlen musste, was für eine riesige Diskrepanz sein kann zwischen dem, was jemand produziert und wie jemand wirklich ist. Ab da habe ich begonnen, die Kunst völlig von der Person zu spalten. Aber nur weil die Person etwas macht, was in Widerspruch zu ihrer Kunst steht, heißt das noch nicht, dass die Musik nicht wichtig sei, und Leute anspornen kann, Gutes zu tun.

Hast du manchmal Angst davor, dich eines Tages mit der Musik, dem Touren und der Subkultur nicht mehr identifizieren zu können, und du plötzlich in der „normalen Welt“ mit leeren Händen dastehst?

YOUTH BRIGADE sangen einst: „I am not afraid of growing old/Just doing it alone“. Vor was ich echt Angst habe, ist, dass ich mir den Idealismus und die Begeisterung beibehalte, aber alle anderen nicht, und so ein trauriger Vierzigjähriger bin, der versucht mit Zwanzigjährigen Kontakt aufzunehmen, die als Einzige noch dieselben Interessen haben. Was mich noch an Punk festhalten lässt, ist aber nicht das Oberflächliche, sondern sind in erster Linie die Inhalte, die dahinter stecken, das hat ja nicht ausschließlich mit der Musik zu tun. Für mich ist Punk keine Endstation, sondern etwas, das ich ins „echte Leben“ mit hinübernehme. Ich habe auch nie versäumt, mir parallel zu dieser Subkultur ein anderes Leben aufzubauen.