Mal ehrlich: Wie viele Bands aus Österreich fallen einem auf Anhieb ein, die es über die Landesgrenzen hinaus zu etwas Bekanntheit gebracht haben? Außer NAKED LUNCH und PUNGENT STENCH kommt bei zehn Sekunden Bedenkzeit nur noch RED LIGHTS FLASH. Die kommen aus der Terminator-Heimatstadt Graz, waren schon mit ihrem zweiten Album „And Time Goes By“ international bekannt geworden, erschien das doch auf dem Londoner Label Household Name, und mit „Free“ gelang ihnen letztes Jahr der Sprung über den Atlantik, erklärte sich doch A-F Records, das ANTI-FLAG-Hauslabel, bereit, die Scheibe zu veröffentlichen. Eine Menge Ansatzpunkte für ein Interview also, und so saß ich mit RLF nach ihrem Auftritt im Vorprogramm von ANTI-FLAG im Biergarten des Düsseldorfer Zakk zusammen.
Für euch scheint es gerade richtig gut zu laufen, ihr seid ständig auf Tour, gerade auch mit ANTI-FLAG. Aber bis dahin hattet ihr eine lange Durststrecke.
Christian: „Ja, auf jeden Fall. Die Band gibt es seit bald zehn Jahren, in diesem Line-up spielen wir seit acht Jahren, und wir fingen da als 14-, 15-jährige Burschen in Graz an.“
Christoph: „Geplant war da gar nichts, das hat sich einfach alles Schritt für Schritt so ergeben, wir freuen uns über jedes Vorankommen, finden es großartig, dass wir hier spielen können.“
Christian: „Wir haben schon früh unser Hauptaugenmerk auf die Musik gelegt. Die meisten anderen Bands in Österreich haben ihre normalen Jobs und machen die Band nebenher, aber das wollen wir nicht. Wir haben stattdessen 20-Stunden-Jobs, verdienen wenig Geld, aber stattdessen haben wir Zeit für die Band. Man muss da auf jeden Fall Kompromisse eingehen, und es gibt auch mal finanzielle Durststrecken, aber dafür haben wir Spaß.“
Als Band aus Österreich hat man es doch doppelt schwer, oder? An Bands bekommt man hier zumindest nicht gerade viel mit, viel weniger zumindest, als man angesichts des gemeinsamen Sprachraumes vermuten könnte.
Christian: „Stimmt, in Deutschland haben wir es schon etwas schwerer. In England beispielsweise war und ist das überhaupt kein Thema, während man sich in Deutschland auch mal etwas schwer tut mit uns, vielleicht weil sich für manche Leute unser Dialekt lustig anhört. Wir sind also geographisch schon etwas gehandicapt hierzulande. Eigentlich skurril, dass es so etwas gerade in der Punk- und Hardcore-Szene geben kann, die ja eigentlich für Offenheit und Toleranz stehen will. Uns ist das aber egal, wir ziehen unser Ding durch und freuen uns, in fremden Ländern spielen zu können.“
Christoph: „Vor allem muss man sehen, dass wir eigentlich privilegiert sind, wenn man das mal mit Bands aus Osteuropa vergleicht. Die haben oft nicht mal die Möglichkeit, sich Instrumente zu kaufen, sich einen Proberaum zu leisten oder auf Tour gehen zu können. Wir sind auch keine Jammerer – wir versuchen immer alles positiv zu sehen.“
Christian: „Der Vorteil von Graz, das in der Steiermark liegt und damit an der Grenze zu Slowenien, liegt darin, dass man so auch Kontakte nach Osten hat, nach Laibach und Maribor etwa. Und wir haben auch schon in Budapest gespielt, in Polen, und demnächst sind wir auf einem Festival in Tschechien. Das ist eine schöne Erfahrung, wenn man da in kleineren Städten spielt, denn die Leute sind unglaublich enthusiastisch und gehen extrem ab.“
Seid ihr denn eine Band, die von einer örtlichen Szene gestützt wird? Was geht in Graz?
Christoph: „In Graz gibt es eine richtig gute D.I.Y.-Szene, ich habe da auch schon selber Konzerte veranstaltet, wenn auch in letzter Zeit weniger, da ich nicht mehr so viel Zeit habe. Speziell, was die D.I.Y.-Szene anbelangt, ist die Situation in Österreich recht gut. Andererseits sind wir aber auch in der glücklichen Situation, mit Muttis Booking aus Berlin zusammenzuarbeiten, die uns dadurch die Chance gegeben haben, international richtig auf Tour zu gehen. Die Musikinfrastruktur ist in Österreich sicher nicht so ausgeprägt wie in Deutschland oder England, das macht es schon schwieriger. Aber das Schöne am Punkrock ist ja, dass man sich als kontaktfreudiger Mensch auch selbst eine Tour auf die Beine stellen kann. So lief das bei uns damals mit der ersten England-Tour, da kamen uns die Kontakte zu RACIAL ABUSE zugute, die damals die größte Hardcore-Band aus Österreich waren.“
Ihr wart dann auch bald auf einem englischen Label.
Christoph: „Ja, das ergab sich im Rahmen der Tour, die wir da auf die Beine gestellt hatten. Wir spielten in irgendwelchen Pubs, auch mal nur vor fünf Leuten, aber egal. Über ein paar Ecken bekamen dann die Leute von Household Name Records unsere neuen Aufnahmen in die Hände, es hat ihnen gefallen und sie haben uns gesignt.“
Christian: „Wir haben ein positives Denken, und damit kann man auch erreichen, was man will. Und so gehen wir eben Schritt für Schritt unseren Weg.“
Was ist euer Weg?
Christian: „Mit unserer Musik was von der Welt zu sehen. Wir haben jetzt eine Spanien-Tour vor uns, nächstes Jahr geht es vielleicht nach Südafrika und Amerika, das sind wunderschöne Erlebnisse. Und so was passiert im Moment sogar von selbst, da melden sich Leute bei Muttis Booking und wollen uns einladen.“
Werner: „Uns ist der kreative Prozess als solcher sehr wichtig, also das Schreiben der Musik und der Texte, das Gestalten von Cover und Booklet, der Poster und der Website, das Drehen von Videos. Das hat viel mit Emotionen zu tun, da verschwindet irgendwann das traditionelle Denken, die allgegenwärtige Rationalität. Live your dreams, das ist es doch, was eigentlich zählt im Leben. Und wenn man seine Musik zur Hauptbeschäftigung machen kann, erfüllt das ungemein.“
Was macht ihr neben der Band noch?
Christoph: „Ich arbeite 20 Stunden in einem Jugendzentrum als Sozialarbeiter.“
Christian: „Ich arbeite 20 Stunden die Woche an der Uni. Constantin, unser Schlagzeuger, studiert Musik und macht bald seinen Abschluss.“
Christoph: „Und Werner ist bald fertig mit seinem Architektur-Studium. Werner macht auch alles, was mit Graphik zu tun hat, also Artwork, Videos, und so weiter.“
Werner: „Wir haben in solchen Angelegenheiten noch nie die Hilfe eines Außenstehenden gebraucht, das bleibt alles in unseren Händen und so sind wir auch vor Einflussnahme anderer sicher.“
Ihr habt bereits die D.I.Y.-Thematik angesprochen, aber ich habe euch auch immer als Band mit politischem Anspruch wahrgenommen.
Christoph: „Ja, wir sind ja mit politischem Punkrock aufgewachsen, und das ist auch die Szene, der wir uns zugehörig fühlen. Ich habe Sozialarbeit studiert, weil ich mit den Problemen unserer Gesellschaft konfrontiert wurde und mir überlegt habe, was ich außer Musik machen kann, was sinnvoll ist. So kam ich beispielsweise mit einem Afrikaner in Kontakt, dem wir jetzt bei unserem Album Platz geboten haben, um anderen von seinen Problemen als Asylbewerber in Österreich zu berichten. Dabei ist es uns wichtig, Probleme zwar aufzuzeigen, aber nicht zu predigen, denn das hat uns schon immer abgeschreckt. Andererseits haben wir neben politischen auch persönliche Texte, und ich würde uns sicher nicht als knallharte Politband sehen.“
Christian: „Wir wollen auf der Bühne eben auch Spaß haben, und früher sprachen wir bei Konzerten über politische Themen, haben jedoch gemerkt, dass das ist, wie Wasser in einen See zu schütten. Die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, teilen sowieso zumeist schon unsere Meinung, und man hat sowieso zu wenig Zeit, um fundiert über relevante Dinge zu sprechen. Solche ‚Fuck Bush‘-Sprüche sind uns persönlich zu populistisch. Aber das muss jede Band selbst entscheiden.“
Der Name mit „red“ darin – Zufall? Oder nur zu lange hinter einem amerikanischen Schulbus gestanden, die ja diese Aufschrift „Stop when red lights flash“ tragen?
Christian: „Haha, wir hatten einst ein Bild von einer Simpsons-Folge vor Augen, wo der Satz hinten auf einem Schulbus stand. Und da wir damals gerade auf der Suche nach einem Namen waren, kam da eins zum anderen. Eigentlich hätten wir uns auch schon längst mal eine bessere Geschichte einfallen lassen können.“
Euer aktuelles Album ist seit September 2004 raus ...
Christian: „... und wir sind immer noch zufrieden damit. Wir haben es mit unserem Freund Herwig Zamernig, Bassist von NAKED LUNCH, aufgenommen und erfreulicherweise überwiegend positive Kritiken bekommen. Der Vorteil, auf einem Label wie A-F zu sein, liegt darin, dass die Platte auch wirklich fast überall besprochen wurde. Vorher war das immer ein Glücksfall, diesmal lief das perfekt.“
Das Gleiche ist eben nicht das Gleiche, da macht es also durchaus was aus, welches Label eine Platte rausbringt. Wie ergab sich der Kontakt zu A-F?
Christoph: „Wir hatten mal mit ANTI-FLAG ein Konzert gespielt, und danach tauschten wir CDs. Etwas später haben sie sich dann bei uns gemeldet und uns als Vorband auf die Europa-Tour eingeladen. Daraus ergab sich wiederum, das nächste Album auf A-F Records zu veröffentlichen. Aber auch außerhalb der geschäftlichen Beziehungen sind wir mit den FLAGs befreundet. Zum Beispiel durfte ich sie letzten Sommer auf der US Warped Tour zwei Wochen begleiten, was für mich eine super Erfahrung und ein schöner Urlaub war. Und wir planen auch für Frühjahr 2006 eine US-Tour.“
Ihr wart ja auch mit RISE AGAINST auf Europa-Tour.
Werner: „Ja, das war auch beeindruckend und war wohl einer der bisher schönsten Zeiten, die wir mit der Band hatten. In manch anderer Hinsicht war das natürlich auch aufschlussreich. Es hat mich schon verwundert, dass so eine Band, die ich ja durchaus schätze, gleich drei Manager mit auf Tour hat, darunter einen separaten Stage- und Tourmanager. Scheinbar ist das halt so, wenn man eine gewisse Größe erreicht.“
Nun, die US-Punkszene ist eben in einem wesentlich größeren Maß professionalisiert, um nicht zu sagen kommerzialisiert, als man das hierzulande kennt.
Christoph: „Das Härteste war für mich aber, dass bei der US-Warped-Tour in Boston die US-Armee mit Rekrutierungsständen präsent war. Das war ein Riesenzirkus und ich habe es schon genossen, dabei gewesen zu sein. Aber das ist alles schon eine Gratwanderung.“
Stellt sich die Frage, wie viele Kompromisse man bereit ist einzugehen. Auch in Sachen ANTI-FLAG und deren Majordeal darf man sicher diese Frage stellen.
Christoph: „Wir wurden darauf schon mehrfach angesprochen ... Für eine Band ist es eben immer schön, wenn es vorangeht, Stufe für Stufe. Auf einem Level zu bleiben, das befriedigt nicht. Aus unserer Erfahrung kann ich sagen, dass man eben immer nach Höherem strebt. Was nun die Major-Entscheidung anbelangt, so weiß ich, dass ANTI-FLAG wirklich hinter allem stehen, was sie in ihren Texten sagen, sie engagieren sich auf vielen Gebieten, wie z. B. Military Free Zone und Underground Action Alliance. Dazu kommt, dass ich selbst auch nicht mit MINOR THREAT begonnen habe, sondern mit RAGE AGAINST THE MACHINE, kam darüber erst zu politischen Themen. Mit politischem Crustcore steigt, glaub ich, kaum jemand in Punkrock ein. Außerdem fällt es Bands, die gar nicht die Option haben, zu einem Major zu gehen, natürlich leicht über so was herzuziehen, und auch der Aspekt, dass manche Musiker eine Familie zu ernähren haben, ist natürlich von Belang. Bei RISE AGAINST ist das bei zweien so, irgendwann ist das Vagabundenleben in gewissem Maße halt vorbei. Von T-Shirt-, und Distro-Verkäufen allein kann eine Band nicht leben, da stellt sich dann irgendwann die Frage, wie man seine Existenz finanzieren kann.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #40 September/Oktober/November 2000 und H.C. Roth
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #56 September/Oktober/November 2004 und Tim Tilgner