Von 1983 bis 1987 saß Richie Ramone, alias Richard Reinhardt, am Schlagzeug der RAMONES und wurde zum einzigen Drummer der Band, der Songs zu deren Oeuvre beisteuerte. Später schied er angeblich im Streit aus, weil er angeblich nicht genug an den Merchandise-Erlösen der Band beteiligt war. Nachdem Richie ab 1987 fast zwanzig Jahre lang in der Versenkung verschwunden war, tourt er seit einigen Jahren wieder mit eigenen sowie ein paar RAMONES-Songs im Programm durch die Clubs. Im folgenden Gespräch erklärt er, wie sein größter Hit zustande kam, wie er das ultraschnelle RAMONES-Schlagzeugspiel seit jeher trainiert und was er von seinem Vorgänger und Nachfolger am RAMONES-Drumset, Marky, hält.
Richie, was war der erste Song der RAMONES, den du je gehört hast?
Das war „I wanna be your boyfriend“. Ich hörte ihn 1976 in einem Nachtklub in New Jersey.
Ein Erweckungserlebnis für dich?
Ehrlich gesagt nicht. Diese Musik klang zwar interessant. Anders als dieser Arena-Rock und das Disco-Zeugs, das damals überall lief. Aber das war es dann auch schon.
„I wanna be your boyfriend“ befindet sich auf dem Debütalbum der RAMONES, das vor vierzig Jahren quasi den Punk einleitete. Und dieses Album hat dich nicht sofort gepackt?
Nein. Ich habe es mir auch nicht gekauft. Ich habe tatsächlich erst 1983, als ich in die Band kam, bemerkt, was für ein großes Ding die RAMONES sind und was für unfassbar tolle Platten sie seit 1976 veröffentlicht hatten.
Wie kamst du in die Band?
Ich hing damals in Brooklyn auf einer Party der Jungs von THE CHURCH ab, die kurz zuvor im CBGB gespielt hatten. Auf Partys traf man immer dieselben Leute. Man kannte sich. Und irgendwann an diesem Abend kam der damalige RAMONES-Roadie Little Matt auf mich zu und sagte mir, dass die Band einen neuen Drummer suche. Ich meldete mich sofort für ein Vorspielen an. Die Band hatte mich fortan auf dem Schirm – und kurze Zeit später war ich plötzlich einer der RAMONES. Verrückt, oder? Ich hatte die anderen Bandmitglieder vorher nie getroffen und die RAMONES ohnehin nur einmal ganz zu Anfang ihrer Karriere live gesehen. Und auf einmal war ich in einer der größten Bands aller Zeiten! Ganz einfach so.
Das hört sich gemessen am Namen RAMONES alles völlig unspektakulär an. War das Vorspielen genauso?
Ja. Es war eben okay. Da machten sie kein großes Aufhebens drum. Ich trommelte ein wenig. Und sie sagten mir: „Komm wieder.“ Das tat ich drei- oder viermal. Dann hatte ich den Job. Es folgte der Videodreh zu „Psycho therapy“ in Los Angeles und dann stand die erste Tournee auf dem Plan.
Und wie verlief dein erster Tag in der Band?
Ich habe gar keine große Erinnerung mehr daran. Ich weiß nur noch, dass mich Joey sofort unter seine Fittiche nahm und sich um mich kümmerte. Er machte es mir einfach, als neues Mitglied dazuzukommen.
Erinnerst du dich noch an den ersten Song, den du damals im Proberaum mit der Band gespielt hast?
Ich glaube, das was „Blitzkrieg Bop“, oder etwas ähnlich Simples.
Sind das die Songs der RAMONES: simpel?
Zumindest die Arrangements. Die Geschwindigkeit allerdings nicht. Man muss extrem viel trainieren und üben, um das draufzukriegen.
Hast du einen Trick, wie du den RAMONES-Stil am besten bewältigst und durchhältst?
Ich übe die schnellen Schläge mit einem Trommelstock auf einem Kissen oder meinem Oberschenkel. Das Kissen hat den Vorteil, dass der Stock darauf nicht zurückschwingen kann und du wirklich bei jedem Schlag Kraft aufwenden musst, um ihn wieder zu heben. Und die Haut des Oberschenkels kommt der Beschaffenheit eines Trommelbezuges sehr nahe.
Hast du jemals Probleme mit deiner Hand gehabt wegen der Belastung?
Nein. Denn ich achte sehr genau darauf, mich vor einer Show entsprechend warmzumachen und einzuspielen. Würde ich das nicht tun, dann bekäme ich ganz schnell Probleme mit Gelenken und Muskeln. Als Drummer in einer Rockband bist du quasi ein professioneller Sportler. Da gibt es kaum Unterschiede zu Athleten.
Was meinst du: Warum ist das Vermächtnis der RAMONES so groß und bedeutend?
Es liegt am genialen Songwriting. Das ist zeitlos. Jeder Song klingt frisch und unverbraucht. Kein Stück, egal wie alt es ist, klingt auch alt. Außerdem ist es heutzutage absolut cool, die RAMONES zu mögen. Ich meine: Schau dich um! Wie viele Leute rennen heutzutage mit dem Logo auf dem Shirt durch die Gegend? Das ist mittlerweile die dritte Generation!
Und die meisten wissen gar nicht, was sie da tragen ...
Ach, ich glaube schon, dass die meisten das wissen. Das RAMONES-Logo ist schlichtweg das bekannteste der Musikwelt. Neben dem CBGB-Logo. Die beiden kennt fast jeder. Und fast jeder kann sich damit identifizieren.
Du selbst hast mehrere Songs für die RAMONES geschrieben. Der bekannteste ist sicherlich „Somebody put something in my drink“. Was steckt hinter diesem Stück?
Es ist eine selbst erlebte Geschichte. Ich kam damals als Teenager nach New York. Wir hatten kaum Geld. Also musste ich, wie viele andere, in Nachtklubs warten, bis jemand zum Tanzen aufstand, damit ich mir sein Glas schnappen konnte und etwas trinken konnte. Und einmal erwischte ich eben einen Drink, in den jemand LSD getan hatte, und fing an zu halluzinieren. Das war echt schlimm. Wenn du etwas einwirfst, dann rechnest du ja damit, dass irgendetwas passiert und der Trip kommt. Wenn du aber nichts davon weißt, dann denkst du: „Das ist das Ende. Ich werde sterben!“ Wie auch immer: Es ist eine Ehre für mich, diesen Song geschrieben zu haben. Er gehört zu den zwanzig besten RAMONES-Songs überhaupt.
Die Geschichte der RAMONES ist auch eine Geschichte von Streitigkeiten.
Ja. Und ich habe das alles mitgekriegt. Aber das kommt in jeder Band vor. Das ist normal. Zudem war es nicht so schlimm, wie es immer dargestellt wird in der Öffentlichkeit. Dass die Medien auf so etwas anspringen, das ist klar. Aber man darf nicht vergessen: Wenn wir auf die Bühne gingen, dann hat das keine Rolle mehr gespielt. Dann war alles, was hinter den Kulissen passierte, uninteressant. Auf der Bühne, während der Shows, waren wir eine Gemeinschaft. Für die Fans. Sie standen immer im Mittelpunkt. Und genau das hat mir eine so tolle Zeit beschert!
Eine Zeit, über die du irgendwann – wie zuletzt Marky – ein Buch schreiben wirst?
Das kann gut sein. Aber das schreibe ich erst, wenn meine Zeit als Musiker vorbei ist. Noch gibt es keine ganze Geschichte zu erzählen. Ich möchte alles erzählen und nicht nur die Jahre bei den RAMONES abhandeln.
Du bist regelmäßig auf Tour. Marky ist regelmäßig auf Tour. CJ ist regelmäßig auf Tour. Wie sieht es mal mit einem gemeinsamen Auftritt aus?
Eher nicht. Ich habe ja noch nie wirklich persönlich mit Marky gesprochen. Und CJ? Vielleicht. Das wäre möglich. Er ist ein toller Typ. Aber letztendlich haben wir ja alle unsere Projekte. Das wird also schwierig.
Was denkst du über die anderen Schlagzeuger der RAMONES, Marky und Tommy?
Was Tommy angeht: Er war zwar großartig und ein verdammt netter Kerl. Aber er war kein Drummer. Er war mehr ein Produzent und Visionär und hat als solcher diesen Sound der Band erfunden. Und Marky? Der ist ein mieser Schlagzeuger. Ihn zu ersetzen war ziemlich einfach.
Das ist ein deutliches Statement. In welcher Hinsicht bist du denn besser als er?
In jeder Hinsicht: Ich spiele besser. Ich bin umgänglicher. Ich habe noch mein eigenes, echtes Haar. Marky ist eben Marky. Ihn muss man nicht mögen.
Und was geschah an deinem letzten Tag als Drummer, als du von jetzt auf gleich, angeblich im Streit, ausgestiegen bist?
Keine Ahnung. Wir spielten auf Long Island. Und das war es dann.
Gut, belassen wir es dabei ... Was dachtest du, als die RAMONES Mitte der Neunziger Jahre ankündigten, sich aufzulösen?
Ich denke, sie mussten Schluss machen. Nachdem Dee Dee 1989 aufgehört hatte, war es nicht mehr dasselbe. Die Alben zum Schluss waren durchwachsen. Es war Zeit aufzuhören.
Fühlst du dich in irgendeiner Weise verantwortlich, das Erbe der RAMONES lebendig zu halten?
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich bin jetzt mit meiner eigenen Band unterwegs. Ich bringe eigene Platten heraus. Ich bin keine RAMONES-Kopie. Und ich werde das auch nie sein. Das Vermächtnis, das ich in von den RAMONES mitnehme und pflege, ist folgendes: Ich bleibe mir selber treu. Und ich versuche, für die Fans da zu sein. Sie geben schließlich ihr Geld dafür aus, um mich zu sehen. Denn genau das habe ich in meinen Jahren als Schlagzeuger der RAMONES gelernt: Es geht immer um diese eine Sache. Um die Fans. Alles andere muss in den Hintergrund treten.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #125 April/Mai 2016 und Frank Weiffen