RAMONES-SPECIAL: JOHNNY RAMONE

Ein Jahr später

Im August 1996 spielten die RAMONES in Kalifornien nach 22 Jahren ihr endgültiges Abschiedskonzert. Ein Jahr später erschien auf Eagle Records mit „We’re Outta Here“ ein 32 Titel umfassender Mitschnitt des letzten Gigs, und zeitgleich kam auch ein zweistündiger Dokumentarfilm mit Bildmaterial aus allen Phasen der Band. Gründungsmitglied und Gitarrist Johnny Ramone (1948-2004) ließ sich zu diesem Anlass noch mal zu Interviews über ein abgeschlossenes Kapitel seines Lebens überreden.

Ich erreiche Johnny in seinem Weastcoast-Domizil irgendwo in Los Angeles. Ein Jahr lang habe er keine Interviews mehr gegeben, erklärt er – gute Chancen also auf einen redseligen Ex-Ramone? „Ich habe mich in all den Jahren immer bemüht, Interviews so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen, und unter diesem Aspekt habe ich das letzte Jahr echt genossen. Angesichts unserer Live-Platte habe ich mich aber noch mal überreden lassen, ein paar Interviews zu geben.“ Na, da habe ich aber Glück gehabt, und Johnny macht auch noch keinen sonderlich genervten Eindruck. Wie er die ersten Monate seines Pensionistendaseins denn verbracht habe, will ich wissen. Johnny lacht erst, meint dann, dass er tatsächlich so was wie ein Rentner sei, mit den üblichen Problemen: „Ich bin schwer damit beschäftigt nichts zu tun: Ich schwimme ein paar Bahnen in meinem Swimmingpool, hänge vor dem Fernseher und schaue Baseball und Football, treffe mich mit Freunden zum Mittagessen, verbummle irgendwie den Nachmittag und treffe mich abends wieder mit Freunden zum Lunch. Oder ich leihe mir ein paar Videos aus, mache einen Einkaufsbummel und was man noch so alles unternimmt, um sich zu beschäftigen – eigentlich kein schlechtes Leben.“ Dass aus einer Post-RAMONES-Karriere beim L.A.-Rock-Radiosender K-ROQ nichts wurde, dazu äußert sich Johnny, der eigentlich John Cummings heißt und am 8. Oktober ’48 auf Long Island geboren wurde, nicht. Na ja, Niederlagen verdrängt man eben, es sei ihm gestattet.

Zum Zurechtfinden im normalen Leben gehört wohl auch Abstinenz: Seine Gitarren hat der Ramone der ersten Stunde seit dem letzten Konzert vor 15 Monaten nur selten wieder angefasst. Johnny:„Ich habe nur ein paarmal drauf herumgeklimpert, aber irgendwie macht das keinen Spaß. Ich hatte nur Freude am Gitarrespielen, wenn ich auf einer Bühne vor unseren Fans stand. Es ist also weniger das Gitarrespielen, das mir Spaß machte, sondern das Gefühl auf der Bühne zu stehen, vor mir all die Leute. Und außerhalb des RAMONES-Kontexts was zu machen, das wäre sicher nur enttäuschend: der Enthusiasmus-Level einer RAMONES-Show lässt sich so leicht nicht wieder erreichen, und alles darunter ist für mich inakzeptabel.“

Das RAMONES-Revival, Enthusiasmus hin oder her, wird es aber trotzdem so schnell nicht geben, auch wenn Johnny auf meine dementsprechende Frage erst mal mit einem langgezogenen „Ähhhhhhh“, antwortete, um dann ein recht überzeugendes „No!“ hinterherzuschieben, und: „Das Einzige, was ich akzeptieren würde, wäre ein richtiges neues RAMONES-Album, oder eines mit guten Freunden. Aber um Gerüchten vorzubeugen: Es gibt da keine konkreten Überlegungen.“ Trotzdem stellt sich die Frage, wie tot die RAMONES denn nun sind, oder sind sie nur vorübergehend auf Eis gelegt? „Die RAMONES sind weder tot noch auf Eis gelegt“, antwortet Johnny. „Sie sind in Rente gegangen. Mein Ziel war es, die Band zwanzig Jahre zu machen und 2.000 Konzerte zu spielen. Dieses Ziel haben wir erreicht, und da machte es Sinn, für einen geordneten Rückzug zu sorgen. Es gibt nämlich meiner Meinung nach nichts Schlimmeres als eine coole Band, die ihren Zenit überschritten hat und ihren eigenen Level nicht mehr erreichen kann. Es ist aber ganz natürlich, dass jede Band diesen Punkt mal erreicht, und deshalb ist es wichtig, sich vorher zu verabschieden. Und mir persönlich gefallen diese ganzen alten Bands auch überhaupt nicht. Wenn ich nur an die ROLLING STONES denke, diese alten Männer, die da auf der Bühne stehen, da wird mir echt schlecht. Die sehen heute aus wie ihre eigenen Großväter, und was sie spielen, ähnelt den alten Stones nicht mal mehr, das ist doch absurd. Bei uns dagegen klang ,Blitzkrieg Bop‘ auch nach zwanzig Jahren noch immer genauso.“

„Unser erstes Konzert spielten wir im August ’74 in New York“, fährt Johnny fort, „und ich habe es bis zuletzt genossen, wobei das letzte Jahr beinahe mehr Spaß machte als alle davor. Verstehst du, ich habe es bis zum letzten Moment genossen und ausgekostet. Und wie ich dir eben schon erklärte, hörten wir nicht auf, weil es uns keinen Spaß mehr machte, sondern um zu verhindern, dass wir im Alter schlechter werden.“ Tja, was soll man dazu sagen? Ich brachte es jedenfalls nicht übers Herz Johnny zu gestehen, dass mich beim Hören ihres Abschieds-Live-Albums ein ähnliches Gefühl beschlich ...

Das oben erwähnte „We’re Outta Here“ ist ein Mitschnitt der Show vom 6. August ’96 – ein Termin, der seinerzeit für einige Verwirrung unter Die-hard-RAMONES-Maniacs sorgte, sollte doch bereits die Show in Buenos Aires in Argentinien im Frühjahr ’96 die letzte sein. Als dann jedoch bestätigt wurde, dass die RAMONES die Lollapalooza-Festivals mitspielen, keimte der Verdacht auf, hier sei jemand wortbrüchig geworden. Johnny: „Nein, das war ganz anders. Die Show in Buenos Aires war zwar seit längerem als Schlusspunkt geplant, aber dann, eine Woche bevor wir nach Südamerika geflogen sind, riefen mich SOUNDGARDEN an und luden uns ein, die Lollapalooza-Tour mit ihnen zu spielen. Wir dachten kurz darüber nach und nahmen die Einladung an. Am 6. August, einen Tag nach der letzten Lollapalooza-Show, spielten wir so im Palace unser wirklich allerletztes Konzert, und dessen Mitschnitt ist auf ,We’re Outta Here‘ zu hören.“

22 Jahre – das ist so ziemlich die maximale Zeit, die man in der Punk-Szene verbringen kann, lassen wir Sixties-Punk, MC5, STOOGES etc. mal außen vor. Beobachtet man über einen so langen Zeitraum Veränderungen in der Szene, an den Fans, oder sind zwanzig Jahre am RAMONES-Publikum spurlos vorbeigegangen? „Ich denke schon“, antwortet Johnny zu meinem Erstaunen. „Irgendwie hat sich über all die Jahre nicht viel verändert. Wir hatten von Anfang an sehr begeisterte Fans, und mir ist echt kein wesentlicher Unterschied zwischen den Fans von ’77 und denen von ’96 aufgefallen. Seit wir uns etabliert haben, zogen wir über all die Jahre immer die gleiche Art von Leuten an: Leute, die vor allem die RAMONES mögen, kaum andere Bands hören, ihren Musikstil gefunden hatten und, wie ich finde, damit Geschmack bewiesen. Unsere Fans waren nie ,normale‘ Leute, die sich ihre musikalische Bildung aus dem Radio holen, sondern Menschen mit einem Sinn für das Besondere, für Musik, die nicht jeder hört. Nee, also über unsere Fans konnten wir uns nie beklagen.“

Trotzdem gab es in der RAMONES-History auch einige Tiefpunkte. So schien ihnen in den späten Achtzigern erstmals etwas die Luft ausgegangen zu sein, war „Halfway To Sanity“ doch mit Sicherheit ihr untypischstes und im Verhältnis gesehen schlechtestes Album, das stilistisch in großen Teilen kaum noch was mit ihren ersten drei Alben zu tun hatte. Anfang der Neunziger hatten sich die RAMONES dann wieder aufgerappelt, und schließlich sollte ihnen auch noch die Ehrerbietung zuteil werden, die sie verdient haben. Denn waren die Achtziger definitiv kein Punkrock-Jahrzehnt, so hat sich dies gerade in den letzten paar Jahren massiv geändert und nicht nur in den USA schossen unzählige Bands aus dem Boden (ich nenne stellvertretend nur mal QUEERS, RIVERDALES, SCREECHING WEASEL, BORIS THE SPRINKLER, GROOVIE GHOULIES, VINDICTIVES, VAPIDS usw., usf.), die musikalisch und vom Outfit her keinerlei Hehl daraus machen, dass sie die RAMONES für die allein selig machende Verkörperung des Punkrock halten, ja sogar teilweise soweit gingen, RAMONES-Platten komplett nachzuspielen.

„Ich kann durchaus nachvollziehen, was du da sagst“, meint Johnny dazu. „Doch in Wirklichkeit hat bei unserem ,Comeback‘ mehr eine Rolle gespielt, dass vor ein paar Jahren größere Bands wie SOUNDGARDEN und PEARL JAM uns baten, mit ihnen auf Tour zu gehen. Zwanzig Jahre lang hatte uns keiner nach so was gefragt, und dass sie das taten, rechnen wir ihnen hoch an. Die sind in den Achtzigern mit unserer Musik aufgewachsen und fühlten sich richtig geehrt, dass wir mit ihnen tourten. Von unseren Plattenverkäufen und den Besucherzahlen her kann man aber nicht sagen, dass es so was wie einen Tiefpunkt gegeben hätte, denn es blieb mehr oder weniger immer auf einem Level. Nimm zum Beispiel Deutschland: Jedes unserer Konzerte bei euch war ausverkauft, über all die Jahre. Was anderes ist natürlich die Medienaufmerksamkeit: Da war ganz klar, dass wir in den Achtzigern in der Musikpresse so gut wie nicht existierten, während wir in den Neunzigern plötzlich wieder in waren, nicht zuletzt dank der Unterstützung von SOUNDGARDEN und PEARL JAM. Irgendwie lebte ich zwanzig Jahre lang in meiner eigenen kleinen Welt und wusste gar nicht, dass es da draußen Bands gibt, die uns so schätzen – von MOTÖRHEAD mal abgesehen.“

Kurios eigentlich, denn von der musikalischen Seite her haben PEARL JAM und SOUNDGARDEN kaum was mit den RAMONES gemeinsam, und würde man eine Umfrage unter all den Bands machen, die den RAMONES musikalisch am heftigsten nacheifern, dürften PEARL JAM und SOUNDGARDEN sicher zu den meistgehassten Bands zählen. „Da gebe ich dir absolut recht, und wenn ich RAMONES-Fan wäre, ginge es mir sicher genauso. Ich weiß also, dass unsere Fans die nicht mögen, aber wie ich schon sagte, bedeutete es mir etwas, dass diese Bands uns unterstützten und schätzen.“

Johnnys eigene musikalischen Vorlieben sind allerdings weder mit Neo-Punkbands der Neunziger noch mit sogenanntem Alternative Rock in Einklang zu bringen. Der Mann lebt im Gestern, ist Besitzer einer der größten Elvis-Plattensammlungen und hört vor allem Rock’n’Roll aus den Fünfzigern und Sechzigern auf den Oldie-Sendern. „Das ist die Musik“, erklärt Johnny, „die ich schon immer gehört habe, auch schon bevor wir die RAMONES gründeten.“

Auch wenn die RAMONES in Rente gegangen sind, so hindert das ehemalige Mitglieder doch nicht daran, wieder aufzutauchen und dabei mit dem Nachnamen Ramone zu wuchern. Gerüchteweise ist was von einer Supergroup unter anderem mit Marky und Joey Ramone namens THE REMAINS zu hören, aber auch ganz konkret und mit aktuellen Touren sind die schon vor Jahren ausgestiegenen MARKY RAMONE & THE INTRUDERS sowie der nach seinem Rap-Trip wieder zum Punk konvertierte Dee Dee Ramone mit einem neuen Album am Start und CJ hat seit einiger Zeit mit LOS GUSANOS eine neue Band. Mehr als das hier kann oder will auch Johnny nicht sagen. Der Kontakt zwischen den ehemaligen RAMONES-Mitgliedern gleicht auch mehr dem von fernen als nahen Verwandten, wie es scheint. „Es war schon schwer, sich daran zu gewöhnen, dass die ,Familie‘ nicht mehr in der Form existiert, wie das zwanzig Jahre lang der Fall war“, gesteht Johnny. „Ich komme immer noch nicht so ganz klar mit der neuen Situation, und ich kann schon nachvollziehen, warum die anderen sich in neue Projekte gestürzt haben. Ich habe mich fünf Jahre lang mental auf das Ende der Band vorbereitet, und trotzdem war es verdammt schwer. Weißt du, plötzlich ist alles anders in deinem Leben, du fragst dich, ob du jetzt nicht völlig überflüssig bist. Aber ich bin nicht der Erste, der so eine Erfahrung macht, und jemand, der sein ganzes Leben lang hinter einem Postschalter saß und plötzlich in Rente ist, dem geht es auch nicht anders.“

22 Jahre RAMONES sind jetzt also Geschichte, der RAMONES-Style allerdings hat unauslöschliche Spuren hinterlassen, die nicht nur musikalischer Art sind, sondern auch Kleidungsgeschichte geschrieben haben. Und mal ehrlich, in Zeiten uneleganter Monster-Sneakers und unmöglicher Baggypants weiß man einfach klare, zeitlose Dinge zu schätzen. Johnny: „Ich laufe immer noch so rum wie vor 23 Jahren: die gleiche Frisur, Converse All-Stars an den Füßen, Jeans, T-Shirt und Lederjacke. That’s it. Ich habe mir in den letzten dreißig Jahren nie Gedanken gemacht, was für Klamotten ich anziehen soll, es gab da nur eine Möglichkeit, und dabei bleibe ich auch.“

Bleibt zum Abschluss noch die Frage, welches der 2.000 RAMONES-Konzerte Johnny im Nachhinein ungeschehen machen möchte. Der überlegt kurz, lacht und legt los: „Oh, ich weiß ganz genau, welche unsere schlechteste Show war. Damals, nachdem Richie die Band verließ, hatten wir vor Marc noch kurze Zeit Clem Burke von BLONDIE als Drummer, und mit ihm spielten wir zwei miserable Shows. Das waren die beiden einzigen Konzerte, bei denen wir nicht das Gefühl hatten, die beste Band der Welt zu sein. Eher witzig war, was vor Jahren bei einer Show in Los Angeles passierte: Wir spielten gerade ,Surfin’ bird‘, als jemand aus dem Publikum etwas auf die Bühne warf, das wie ein Seil aussah und sich um Dee Dee herumwickelte. Wir waren erst mal überrascht, und als wir das ,Seil‘ dann genauer untersuchten, erwies es sich als eine riesige tote Möwe.“

(Dieser Text erschien erstmals 1997 im Visions-Magazin.)