RAMONES

Es ist doch nicht zu fassen: jedem dahergelaufenen Fucker wird im Ox ein Podium für seine stümperhaften journalistischen Gehversuche geboten, so scheint´s mir. Aber schliesslich ist das ja hier auch fast ein Himmelfahrtskommando: Mal so eben kurz und knapp eine History über die RAMONES zu verfassen, wo schon so viele "wichtige" Leute gross und breit ihren Senf dazu abgegeben haben, und "wenn du da auch nur ein Detail falsch "rescherschierst", dann bist du zum Abschuss freigegeben auf Deutschlands Strassen", so in etwa Joachims Andeutung im Vorgespräch. Das macht dieses Vorhaben einer RAMONES-Story irgendwie zu einer teuflisch schwierigen Sache, aber egal! Fakten Fakten Fakten, hey ho let´s go.

As time goes by: im Frühjahr 1999 (End of the Century) würden die RAMONES, wenn sie denn noch existieren würden, ihr 25jähriges Bühnenjubiläum feiern. Da dies jedoch (zumindest zur Zeit) nicht mehr der Fall ist, ist diese Tatsache eigentlich ein mehr als lächerlicher Vorwand, um jetzt schon eine History zu schreiben. Immerhin gibt es neuerdings einen aktuellen Release namens "We´re outta here", der allerdings auch von zweifelhafter Bedeutung ist. Aber was soll´s, wir haben es hier schliesslich mit den göttlichen RAMONES zu tun und deshalb: it´s a dirty job and someone has to fuck it up.

Meinen eigenen chaostheoretischen Überlegungen zufolge (jaja, die Sache mit dem Schmetterling und dem Wirbelsturm), haben die RAMONES nämlich mit ihrem Frühwerk eine weltweite Kettenreaktion in Gang gesetzt, ohne die unsere heutige Musiklandschaft vermutlich ganz anders aussehen würde: und zwar vermutlich sehr viel beschissener als sie es ohnehin schon ist, mit Eurotechno und ähnlichem Dreck. Ich frage mich zum Beispiel, ob der englische Punk sich alleine mit dem Momentum des (für meine Begriffe unsäglichen) Pubrocks und ohne die Vorbilder STOOGES, NEW YORK DOLLS und eben auch den RAMONES zu einer derart erfolgreichen Bewegung in England entwickelt hätte. Die PRETENDERS-Schlampe Chrissie Hynde etwa sagte: "They were the only outside band that everyone looked up to" und meinte die RAMONES. Prima erkannt Chrissie, aber warum hast du dann trotzdem jahrelang so eine Pop-Scheisse produziert, z.B. dieses ekelhaftehafte "I got you, babe" (Sonny Bono rotiert neuerdings im Sarg)??? Na, egal...

Wenn man diesen Gedanken weiterverfolgte, müsste man auch hinter alle anderen Auswirkungen des Punkrock, von New Wave über Grunge und Alternative Rock bis hin zum Ox, und meinetwegen auch hinter die vermeintliche Liberalität der 90er und den Fall der Mauer (naja, eine etwas gewagte These) ein Fragezeichen setzen. Ist natürlich alles hypothetischer Quatsch. Deswegen finde ich auch folgenden Aspekt interessanter: Wie haben die RAMONES es nur geschafft, und wie kamen sie bloss auf die Idee, den in den 70ern mausetoten Rock´n´Roll der 50er und 60er wiederzubeleben? Die Antwort lautet ganz klar: Ich habe keine Ahnung, und vermutlich wird das auch immer das entscheidende Mysterium bleiben, welches das Werk der RAMONES so bewundernswert erscheinen lässt. Also halte ich mich besser an die Fakten und die Legende.

Beamen wir uns zunächst mal zurück ins Jahr 1974, und zwar nach Forrest Hills im Stadtteil Queens, im Osten New Yorks. Captain Kirk würde Scotty sofort den Befehl zum Zurückbeamen geben, denn in diesem typischen Wohnviertel der Mittelschicht hätte er garantiert auf Anhieb nichts zum Flachlegen oder Prügeln gefunden, es sei denn, er hätte plötzlich sein Interesse für Zahnarzthelferinnen und Schuhverkäuferinnen entdeckt. Ansonsten absolut nichts los: nur die beiden Flughäfen und ein paar Pferderennbahnen, naja, und einmal im Jahr das Tennisturnier, weshalb Queens den Ruf hat, eigentlich nicht wirklich zum Big Apple zu gehören, weil hier nicht viel abgeht, im Gegensatz zu Manhattan. Hier wohnen also unsere drei Protagonisten Jeff, Douglas und John im gleichen Apartmentblock, alle schon klar jenseits der 20 und gerade alt genug, um sich noch an die goldene Ära des Rock´n´Roll und des Bubblegum-Pop in den frühen 60ern zu erinnern, als berühmte überkandidelte Radio-DJs wie Murray The K oder Sean Donahue Songs von den BEACH BOYS, den BEATLES, den WHO, PHIL SPECTOR, HERMAN´S HERMITS, DEL SHANNON, den RONETTES und und und in den Äther schickten. Ausserdem haben sie eigentlich alle miese Jobs, ein kaputtes Elternhaus, keine Freundin und massig Neurosen und verbringen ihre Freizeit damit, Leute beim Einkaufen zu beobachten, in unterschiedlichen Bands zu spielen oder Drogenerfahrung zu sammeln.

Ermutigt durch die erstaunlichen, wilden Auftritte der NEW YORK DOLLS (die allerdings nicht über ihren Lokalstatus hinauskommen und, unter Leitung ihres Managers, einem gewissen Malcolm McLaren, kommerziell ein völliges Desaster werden), tun sie sich unter dem Namen RAMONES zusammen und aus Jeff wird Joey, aus Douglas DeeDee und aus John Johnny RAMONE, als offene Reminiszenz an die Family-Bands der Sechziger. Johnny kauft sich eine billige Mosrite-Gitarre, und so starten die ersten Proben. Nach kurzer Zeit wird Tommy, der bis dahin sowas wie der Manager der Band war, zum Drummer ernannt, um Joey das Singen zu ermöglichen. Als man die ersten Songs zusammenhat, wagt man den Sprung und tritt in kleineren Clubs wie dem Max´s Kansas City und bald auch im seit kurzem auch für andere Musik erschlossenen Bluesclub CBGB´s auf (bedeutete ursprünglich Country, BlueGrass and Blues, weshalb dann bald OMFUG - "Other Music For Uplifting Gourmandizers" - angehängt wurde). Durch die wöchentlichen Auftritte im CBGB´s haben die RAMONES am Ende des Jahres sage und schreibe 74 (!) Konzerte auf dem Buckel. Unglaublich, weil ich mir eigentlich schwer vorstellen kann, dass das Stammpublikum sich 74mal die GLEICHE Band angeguckt haben soll!? Aber soll ja wohl stimmen.

Wenn man den Augenzeugenberichten glauben will, spielten sich diese Konzerte im ersten Jahr ungefähr so ab: Die Band, komplett im Lederjacken-Jeans-Chucks-Outfits, stürmt auf die Bühne, schnappt sich die Instrumente und entfacht dann auf der Bühne einen Rock´n Roll-Orkan, der allen Anwesenden förmlich die Haare fönt. DeeDee zählte "1 2 3 4", der spindeldürre Hüne Joey beugt sich wie eine Gottesanbeterin übers Mikro und quäkt mit einem seltsamen englischen Akzent "They´re formin´ in a straight line..."; der Gitarrist mit der oft etwas katatonisch-ausdruckslosen Miene schrubbt seine Gitarre ohne Pick buchstäblich so heftig, dass der Bauch der Mosrite am Ende des Sets öfter mal blutrot statt weiss erstrahlt. Immer wieder hört man allerdings auch, dass gerade in den Anfangstagen im Publikum noch keiner so recht diesen seltsamen Sound einordnen konnte und deshalb überwiegend regungslose Starre vorherrschte. Dem einen oder anderen kam aber der Gedanke: hier ist eine frische, neue Band am Start, die sich offenbar einiges vorgenommen hat, und zwar nichts geringeres, als den Rock´n´Roll wiederzubeleben. Wie sich erst später herausstellte, war die Band dabei, mit ihrer Version von Rock´n´Roll (und nichts anderes ist ja Punkrock als schnell gespielter Rock´n Roll) eine ganz neue Sparte zu eröffnen: den Punk(rock), wobei der Begriff "Punk" freilich erst etwas später durch ein gleichnamiges Fanzine geprägt wurde.

Schon kurze Zeit später haben die RAMONES einen Ruf als Insider-Tip, und selbst in den Avantgarde-Kreisen um Andy Warhol (der selbst regelmässig RAMONES-Konzerte besucht) wird die Band bewundert, weil man der Band ein künstlerisches Konzept unterstellt, von wegen Reduktionismus und so, worüber man aber im Nachhinein geteilter Meinung sein kann. Natürlich war das auch irgendwie ein minimalistisches Statement, wenn es bei "Judy is a punk" heisst "Second verse, same as the first", aber irgendwie fand ich dieses künstlerisch-intellektuelle Vereinnahmungsgeschwafel immer peinlich und übertrieben, weil ich nicht ganz glaube, dass die Band sich selbst und ihre Aussagen als SO wichtig verstanden hat. Jedenfalls waren die RAMONES nun New Yorks angesagteste Band. Zum perfekten Glück fehlt nur noch ein Record-Deal, der dann allerdings in Gestalt des kleinen New Wave-Labels Sire auch nicht mehr lange auf sich warten lässt.

Das Ergebnis der 17tägigen Studioaufnahmen lautet schlicht und einfach "Ramones", erscheint am 23. April 1976 und haut dem Zuhörer in 29 Minuten 14 Punkrock-Granaten um die Ohren, die noch heute keine Vergleiche zu scheuen braucht . Alles in allem eine der lautesten und besten Debütscheiben in der Musikgeschichte, zweifellos. Was damals absolut ungewöhnlich und neu war: die RAMONES klangen zwar einerseits so amerikanisch wie Hot Dogs & Marshmallows, andererseits aber auch subversiv, bedrohlich und anti-sozial, in den Texten kokettierend mit höchst kontroversen Themen wie Nazi-Terminologie ("Blitzkrieg Bop", "Today your love, tomorrow the world"), Kindesmißhandlung ("Beat on the brat"), Splatter ("Chainsaw"), Psychosen und Selbstmord ("53rd and 3rd") und Drogenkonsum ("Now I wanna sniff some glue") und das alles musikalisch unter der Devise "Less is more, so keep it simple", was in Zeiten des Bombast-Rocks absolut gegen den Strom war.

Nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass man textlich meilenweit von Mainstream und Radiotauglichkeit entfernt war, verkaufte sich das Album nicht berauschend (aber immerhin verpasste man nur knapp die

Top 100 der Billboard Charts), die Kritiken hingegen schwankten zwischen "unwiderstehlich" und "wertlos", was man als Indikator nehmen könnte, dass manche Leute bereits die Grösse und den "Impact" dieser Band erkannten, andere hingegen nicht. Auf jeden Fall hatte die Platte aber den Effekt, das ziemlich viele Leute durch "Ramones" auf die Idee kamen, selbst so einen Sound zu fabrizieren und eine Band zu gründen, denn besonders technisch gut zu spielen musste man dazu ja offenbar nicht, wie "Ramones" bewies. Ausserdem gründeten die RAMONES in dieser Zeit ihr T-Shirt-Imperium, welches der Band, vor allem mit dem klassischen Adler-Logo-Shirt, gute Einnahmen bescherte, zeitweise mehr als durch Gagen.

Am vierten Juli 1976 traten die Ramones zum ersten Mal in England auf und befruchteten an diesem Tag die Keimzellen für Bands wie THE DAMNED, CLASH, SEX PISTOLS usw. Das "Konzept" behielt man auch mit der zweiten Platte "Leave Home", die im Januar 1977 erschien, bei. Mit "Leave Home" unterstrichen die RAMONES eindrucksvoll ihr Credo, dass Rock´n´Roll hauptsächlich aus den Elementen Fun & Action bestehen müsse und bewiesen zudem, dass die RAMONES mit ihrem Debüt keine Eintagsfliege waren, sondern ihre Stellung auf jeden Fall festigen wollten. Stilistisch gab es keine grösseren Unterschiede festzustellen, was nur daran liegen kann, dass die RAMONES zu Beginn ihrer "recording-career" schon ein Repertoire von etwa 30 Songs hatten, die man im Studio fast "nur" noch chronologisch einzuspielen brauchte; man könnte höchstens sagen, das "Leave Home" eine Spur poppiger als der Erstling ausfiel, festzumachen an Songs wie "Oh Oh I love her so" oder "I remember you".

Im November 1977 vollendete "Rocket to Russia" die RAMONES-Trilogie der ersten drei Alben und konnte, wie schon "Leave Home", das hohe Niveau aufrechterhalten, auf dem sich die RAMONES seit dem Debüt befanden. Wiederum wurde auf Songmaterial zurückgegriffen, das schon vor dem Debüt geschrieben worden war und man blieb dem Konzept treu. Auch an der Produktion wurde nicht viel verändert: nach wie vor wurden die Instrumente, wie bei der ersten BEATLES-Platte, auf getrennten Kanälen aufgenommen, um einen klaren, aber druckvollen Sound zu erhalten. Auch textlich blieb alles beim alten, neurologische Abnormitäten waren wieder ein beliebtes Thema ("Cretin Hop", "Teenage Lobotomy", "I wanna be well"), mit "Rockaway Beach" war man so nah an einem Radio-Hit wie noch nie zuvor, und erstmals waren auch zwei klassische Coverversionen enthalten ("Do you wanna dance?", "Surfin Bird").

Ende 1977 besuchten die RAMONES erneut die alte Welt und nahmen Kontakt mit der britischen Punkszene auf. Zeugnis von dieser ersten Europa-Tour gibt das unglaublich grandiose Livealbum "It´s Alive", welches zunächst nur in Europa erschien, aufgenommen am Silvesterabend 1977 im Rainbow in London. Man kann nur betonen, dass "It´s Alive" mit tödlicher Sicherheit zu den fünf besten Live-Platten überhaupt zählt (mir fällt sonst nur noch CHEAP TRICK "Live at Budokan" ein) , und wenn auch 99% aller Liveplatten überflüssiger Müll sind, "It´s Alive" ist DIE Liveplatte schlechthin für jeden Punkrocker. Dazu Markey Ramone: "Ja, "It´s alive" ist schon stark. Aber: es ist alles live, bis auf Joeys Gesang, den Gesang hat Joey im Studio eingesungen. Bei "Loco Live" dagegen ist wirklich absolut alles live, no overdubs."

Tja, bei "It´s Alive" war Markey ja auch noch nicht dabei, womit wir aber die Überleitung zum nächsten Album hätten: "Road to Ruin", aufgenommen im Juni 1978, markierte den ersten Umbruch der Band: im Mai spielte Tommy seinen letzten Auftritt und räumte dann seinen Platz für Markey (bis dahin: Mark Bell), der bis dahin bei RICHARD HELLS VOIDOIDS agiert hatte. Der Hintergrund: Tommy hatte sein Talent als Drummer ausgeschöpft und hatte auch wohl keine Lust mehr auf das anstrengende Musikerleben, und widmete sich wieder mehr seinem Job als Toningenieur. Der Umbruch spiegelt sich auch auf der Platte wider: erstmals prangt auf dem Cover kein Photo, sondern eine Zeichnung der Band, man war auf neues Songmaterial angewiesen und somit wurden musikalisch etwas andere Töne angeschlagen. So gibt´s zum ersten Mal gibt es einige richtige Balladen ("Needles & Pins", "Questioningly") und insgesamt ist das Erscheinungsbild noch etwas poppiger als zuvor, auch wenn die Produktion nach wie vor megafett klingt. Immerhin, mit "I wanna be sedated" und auch "I just wanna have something to do" sind immer noch mindestens zwei Topknaller auf der Platte vertreten, und insgesamt muss man die Platte, auch trotz der leichten Wandlung, als absolut essentielle RAMONES-Platte bezeichnen. Allerdings erhoben bisher freundlich gesonnene Journalisten erstmals Zweifel, ob die RAMONES jetzt von ihrem Minimalismus-Konzept abrücken würden. Dann aber drehten die vier ab Dezember ´78 den wunderbar beknackten Teenie-Kinofilm "Rock'n' Roll Highschool", ein weiteres, absolutes Highlight, das auch hier schon einpaarmal im TV lief. Dazu nochmal ein O-Ton:

Markey, ich liebe "Rock´n Roll Highschool", der kam früher manchmal im Sonntag-Vormittagsprogramm. Besonders toll find ich diese Traum-Szene, wo DeeDee unter der Dusche steht und ihr diesem Mädchen Riff Randle ein Ständchen in ihrem Jugendzimmer bringt. Was ist bei dir von den Dreharbeiten in Erinnerung geblieben?

"Tja, in diesem Jahr spielten wir insgesamt über 150 Shows, auch während der Dreharbeiten. Drogenmässig ging das nachts dann immer ganz schön heftig ab, wir warfen praktisch bis zum Umfallen alles ein, was wir kriegen konnten. Das Problem war, das die Filmleute morgens immer tierisch früh anfingen zu drehen, so dass wir meistens schon völlig kaputt am Set erschienen. Ehrlicherweise muss ich deshalb gestehen, dass ich mich an die Dreharbeiten so gut wie gar nicht mehr erinnern kann!!! Ich habe vor, bald ein Buch über meine Zeit bei den Ramones zu schreiben,und hab mir aus diesem Grund einen Typ hinzugeholt, der damals auch dabei war und mir beim Schreiben hilft, wenn ich mich nicht mehr richtig erinnern kann."

Klingt ganz schön krass. Jedenfalls, "End of the Century", das man im Mai `79 aufzunehmen begann, war vom Verlauf und vom Ergebnis her dann echt eine mittelschwere Katastrophe! Man hatte sich vorgenommen, so ungefähr die beste Platte des Jahrhunderts zu machen und, wie bei der Titanic, artete das grosse Vorhaben zu einem totalen Desaster aus. Man bekam ein riesiges Budget zur Verfügung und holte als Produzenten den legendären Phil Spector aus dem Rentner-Dasein. Hinter diesen Massnahmen stand natürlich die Hoffnung, aus den Ramones eine Band machen zu können, die Chart-Hits am laufenden Band produziert, denn landesweite Hits waren den RAMONES trotz aller Credibility noch nicht gelungen, weil sie kein Airplay im (damals eminent wichtigen) Radio bekamen. Was den Kollegen aus den Anfangstagen wie BLONDIE oder den TALKING HEADS gelang, nämlich Smash-Hits für die Ewigkeit zu produzieren, sollte den Ramones nie vergönnt sein, weil IHR Verständnis von Pop-Musik sich mit dem konventionellen nicht überschnitt und weil man, paradoxerweise, um das simplifizierte Ramone´sche Konzept von Rock´n Roll kapieren zu können, einen Sinn für "Kultiviertheit" haben muss, oder wenigstens guten Geschmack, welcher der dumpfen Masse bekanntlich abgeht.

Übersehen wurde bei "End of the Century" vor allem, dass mit DeeDee und Phil Spector zwei manische Super-Exzentriker aufeinandertrafen, die sich im Studio durch ihre Marotten gegenseitig auf die Palme brachten und sich angeblich sogar duellierten! Beim Hören der Scheibe wird man jedenfalls das Gefühl nicht los, dass hier ein gigantisches Missverständnis vorlag, was zu diesem lauen Ergebnis führte. Unterm Strich blieb übrig , daß man mit der eigentlich unglücklichen Coverversion "Baby I love you" irgendwo in Papua-Neuguinea in den Charts landete, aber ansonsten in eine tiefe Existenzkrise abzurutschen drohte. Denn vor den Türen stand u.a. die Hardcore-Bewegung, die den RAMONES in punkto Geschwindigkeit und Credibility den Rang abzulaufen drohte, auf der anderen Seite liebäugelte man mit dem Mainstream, bekam aber auch hier kein Bein auf den Boden. Nach "End of the Century" endete auch das Kritikerlob, der Band wurde unterstellt, "ihr Pulver verschossen zu haben" und zu sehr auf Verkäufe zu schielen. Hinzu kam auch fieser Streit innerhalb der Band, Joey und Jonny gerieten sich im Kampf um das "Machtvakuum", das Tommys Abgang verursacht hatte und in der Frage, wie man weitermachen sollte, gründlich in die Haare; Markey und DeeDee hatten beide ein Alkohol- bzw Heroinproblem, und in letzter Konsequenz hörten alle auf, miteinander zu reden, was einige Zeit anhalten sollte und immer wieder mal vorkam. Ähnlich wie in der Bundesliga wurde in dieser verzweifelten Situation das Management gewechselt: Danny Fields musste seinen Hut nehmen, Gary Kurfirst kam.

Gebracht hat das nicht viel, die Platte "Pleasant Dreams" von 1981 ist gekennzeichnet durch Stilunsicherheit, ausser ein paar netten Ansätzen bei "We want the airwaves", "The KKK took my baby away" und "Don´t go" (bei dem Joey tatsächlich hervorragend SINGT!), ist das nichts halbes und nichts ganzes, man experimentierte zwar viel mit einem etwas metallischerem Sound herum und machte das gar nicht mal so schlecht, aber die sehr schlappe Produktion macht das dann doch zu einer weniger gelungenen Platte.

Tja, und so ging´s dann weiter: Jahr für Jahr erschienen weitere Platten und man bewegte sich durch ein Wellental, aber man konnte nicht mehr an den relativen Erfolg und die Qualität der ersten vier Platten anknüpfen, sondern bewegten sich einfach viel zu weit im Niemandsland zwischen Punk und Mainstream. Auf "Subterranean Jungle" von 1983 hatte nur "Psycho Therapy" Ohrwurmqualität, "Too Tough To Die" von 1984, meines Erachtens nach die schlimmste Platte, ist total mit Synthies verseucht, "Animal Boy" hat mit "Somebody put something in my drink" und "Bonzo goes to Bitburg" wieder ein paar positive Aspekte, "Halfway to Sanity" ist dann wieder, ausser dem unsterblichen "I wanna live", ganz schön schlecht. Für die Tournee zu "H.t.s" wurde Markey, der 1983 wegen seiner Alkoholeskapaden rausgeflogen war, wieder zurückgeholt, weil sein Nachfolger Richie plötzlich kurz vor Tourstart vom Erdboden verschwand. Letztlich kann man sagen, dass eigentlich all diese Platten noch ein paar ordentliche Songs besitzen, in der Relation muss man jedoch sagen, dass sie weit weniger essentiell sind als die ersten drei oder vier Platten. Live erfreuten sich die RAMONES jedoch, besonders auch in Europa, in den Achtzigern steigender Beliebtheit und gaben sich auch Jahr für Jahr auf deutschen Bühnen ein Stelldichein, u.a. auf Touren mit den TOTEN HOSEN. Dazu nochmal Markey.

Campino von den TOTEN HOSEN erzählt in Interviews immer, was er für ein dicker Kumpel von euch wäre, und als er einmal fürs Fernsehen Joey interviewt hat, hat er in ekelerregenderweise rumgeschleimt, wie ich fand. Ist er wirklich so ein enger Freund von euch?

"Campino ist ein "pain in the ass", finde ich. Der tauchte oft ganz unverhofft backstage bei uns auf und nervte uns mit seiner penetranten Art. Auf unserer letzten Südamerika-Tour haben wir ja mit Iggy Pop und den HOSEN gespielt und das war ganz witzig: bei Iggy und bei uns ging das Publikum immer tierisch ab, aber bei den HOSEN haben sich die Leute echt gelangweilt, hehe."

Wieder etwas erfreulicher gestaltete sich "Brain Drain", veröffentlicht im Mai ´89. Die Synthies wurden zum erheblich zurückgeschraubt, um sich wieder auf die alten RAMONES-Stärken zu besinnen, nämlich kurze, knallige Rock´n Roll-Songs, und endlich hatte man mit "Pet Semetary", dem Theme-Song zum Stephen King-Film, mal wieder so etwas ähnliches wie einen Hit. Gleichzeitig war die Platte aber auch ein Schlusspunkt, denn im Anschluss verabschiedete sich DeeDee, der sowas wie das "Herz" der Band gewesen war und natürlich auch der Haupt-Songwriter, um in einem Anfall von Schwachsinn eine zum Scheitern verurteilte Karriere als Rapper zu starten. Durch diesen Abgang war es mehr als fraglich, ob die RAMONES überhaupt noch weitermachen würden, aber angesichts der immer noch wachsenden treuen Fanschar, die Jahr für Jahr weltweit die RAMONES live erleben wollten, entschloss man sich zum Weitermachen mit einem neuen Bassisten namens CJ, der das Durchschnittsalter in der Band um mindestens 15 Jahre senkte.

Mit CJ kam wieder etwas frischer Wind in die Band, allerdings konnte er natürlich nicht mit dem gleichen schillernden Charisma eines DeeDee aufwarten. Jedenfalls gab es mit CJ dann zur Bootleg-Bekämpfung erneut eine Liveplatte, "Loco Live", die jedoch mit "It´s Alive" in keinster Weise mithalten kann. 1992 kam überraschend wieder ein Studioalbum namens "Mondo Bizarro" auf den Markt, welches mich aber ausser mit "Poison Heart" nicht wirklich überzeugen konnte.

Mit "Acid Eaters" zollte man dann einigen Vorbildern wie den WHO Tribut, aber auch diese Platte muss man wirklich nicht unbedingt besitzen, weil wie gesagt nur Coverversionen enthalten sind, und diese nicht mal in unbedingt aufregenden Fassungen.

Schliesslich und endlich wurde mit "Adios Amigos" der Schlussstrich gezogen, was dann wohl auch gut war. Die Platte ist ganz o.k., DeeDee war auch wesentlich am Songwriting beteiligt, was der Platte wieder sehr gut tat, aber naja, der Überhammer war auch das nicht.

Markey, wie kam es zu dem Entschluss aufzuhören, und gab es wirklich soviel Streit?

"Naja, erstmal ist Joeys Stimme im Laufe der Jahre "verschlissen". Er wird immer sehr schnell heiser, und mit dem Gewicht hat Joey auch ein Problem, er hat jetzt eine richtige "Wampe"."

Wirklich? Ich fand, dass er auf der letzten Tour noch relativ schlank wirkte...

"Nein, er ist jetzt wirklich richtig fett... Johnny hat sich darüber ziemlich geärgert, und es wurde deswegen auch immer wieder mal heftig gestritten zwischen den beiden. Ich habe versucht, mich da rauszuhalten und bei CJ muss man ehrlich sagen, dass er in erster Linie als Bassist in der Band war, aber von der "Hackordnung" her eher weniger zu sagen hatte und wenig von seiner Persönlichkeit einbrachte. Der Abgang von DeeDee hat definitiv ein Loch in der Band hinterlassen, und wegen all dieser Sachen haben wir uns dann gesagt: "Lasst uns aufhören"."

Zum Schluss noch ein Hinweis auf einen Treppenwitz der Geschichte: jetzt, 22 Jahre nach der Debüt-LP der Ramones, ist Fun & Action-Punkrock "hipper" als JEMALS zuvor (siehe TURBONEGRO, HELLACOPTERS, DIRTYS etc. etc.), eben dank der Wegbereitung der RAMONES, und eben die RAMONES würden heutzutage, wenn sie, rein theoretisch natürlich, nochmal als junge Band mit an den Start gehen würden, garantiert grössere Chance im "Biz" haben als damals und mächtig abräumen (oder eben nicht, bei zynischer Betrachtungsweise).

Andererseits spiegelt das Kopieren alter Modelle wie der RAMONES für mich auch etwas den Zustand der Stagnation bzw Selbst-Wiederholung im Punkrock-Bereich wider, und im Hardcore-Bereich ist sogar fast totaler Stillstand eingetreten (oder kann sich etwa noch jemand mit Begeisterung eine aktuelle Straight-Edge- oder "Melody"-Core-Scheibe anhören?). Wenn dann im "Visions" (DAS Heft hab ich mir wirklich nur wegen der CD gekauft) die Heulsusen von PORTISHEAD als "Zukunft des Rock" benannt werden, kann man eigentlich nur hoffen, dass vielleicht noch so jemand wie die RAMONES vor 25 Jahren kommt und die Musikgeschichte positiv verändert. Oder wir müssen weiterhin RAMONES auf dem Plattenteller kreisen lassen, suits me fine. Jedenfalls besser als PORTISHEAD - oder SOCIAL DISTORTION - uargh.

So, jetzt bleibt nichts mehr zu sagen, ausser vielleicht, dass ich nicht wirklich glaube, dass es eine RAMONES-Reunion geben wird, weil ich neulich im Internet auf einer der zahlreichen Ramones-Fanpages Fotos von einer Autogrammstunde in New York gesehen habe, und da sahen die Mitglieder wirklich erbärmlich aus: Dee Dee hatte völlig graues Haar und sah aus wie ein 125-jähriger Zombie (blutleerer als Christopher Walken), Joey und Tommy waren aufgequollen, als hätte man mit Kai´s Power Goo (Kai's Power Tools(!) d. Setzer) auf ihren Gesichtern rumgespielt, und nur Marky und Johnny sahen noch halbwegs o.k. aus, weswegen ich Marky mit seinen Intruders noch am ehesten eine Zukunft als Musiker zutraue.

Und gerade kommt mir hier noch die neueste Meldung aus den USA über den Ticker, und zwar dass Joey durch fettbedingte Unfitness um ein Haar den Löffel abgegeben hätte und ein paar nette Tage in der Intensivstation verbracht hat, inzwischen aber wieder auf dem Wege der Besserung ist. Am meisten bedauerte er hinterher, dass er dadurch ein Konzert der Rolling Stones verpasst habe. Spricht alles für sich, meine ich.

Sei´s drum, shoot em in the back now. Alles wird gut, Adios Amigos.

Pipi Ramone