Seit Anbeginn der deutschen Punk-Szene Ende der Siebziger Jahre war Meia über zwei Jahrzehnte im Fanzine-Geschehen aktiv. In der Tätigkeit als Fanzine-Autor konnte er zwei Leidenschaften bestens miteinander verbinden: seine Begeisterung für Musik und seinen Ambitionen als Autor. Mit seinem „Suburbia“-Fanzine schuf er das lautstarke Sprachrohr der Bonner Punk-Szene, deren Veröffentlichungen im gesamten deutschsprachigen Raum über Jahre mit großem Interesse verfolgt wurden. Als er 2002 infolge eines unerwarteten Krankheitsverlaufs sein Gehör und damit auch seinen Gleichgewichtssinn verlor, zog er sich von allen Szeneaktivitäten zurück. Ende 2013 ist nun sein erstes Buch erschienen, „Wurmterror“, das die frühere, im Suburbia veröffentlichte Fortsetzungsgeschichte „Meia, Hotte und Co. KG“ aufgreift, weiterentwickelt und in Romanform zu Ende führt. In diesem sehr persönlichen Interview stellt Meia seinen sich mit der Krankheit verändernden Bezug zum Schreiben und zur Literatur vor und gewährt Einblicke in sein Leben, in dem Musik von heute auf morgen an Bedeutung verloren hat.
Zunehmend wagen sich frühere Fanzine-Herausgeber und -Kolumnisten an eigene Buchveröffentlichungen heran. Was denkst du, wieso tun sie das?
Wer viel für Fanzines schreibt, hat einiges zu erzählen oder anderen Menschen mitzuteilen. Und wenn man selbst kein Fanzine herausbringt, ist man automatisch durch die Sachzwänge „Inhalt der Texte“ und „Umfang und Thematik derselben“ eingeengt. Wenn man eine Publikation in Eigenregie veröffentlicht, ist man nur selbstgestellten Regeln unterworfen, was eine deutliche Erleichterung ist. Außerdem denke ich mir, dass man als schreibender Mensch ein eigenes Buch als etwas Besonderes ansieht, als einen Gipfel des schreiberischen Schaffens. Und da dank der modernen Technik dieses Ziel viel einfacher zu erreichen ist als früher, nutzen verstärkt auch Schreiber aus der Punk-Szene diese Möglichkeit.
Welche Botschaften möchtest du mit „Wurmterror“ vermitteln und hast du eine bestimmte Leserschaft vor Augen, die du damit erreichen willst?
Als Anfang der Neunziger der erste Teil der Geschichte als Fortsetzungsstory im Bonner Suburbia-Fanzine erschien, wollte ich die damalige und sehr merkwürdige Denkweise der politischen Kriminalpolizei auf die Schippe nehmen. Oft vermuteten und sahen sie Terroristen, wo es keine gab. Für Menschen, die nicht der politischen Kriminalpolizei angehörten, war Terrorismus damals kein Thema. Rechten und islamistischen Terror gab es noch nicht und im linken Spektrum standen die Reste der RAF kurz vor ihrer Auflösung. Ich fand die Vorstellung, dass sogar ein wurmzüchtender Punk aufgrund unglücklicher Umstände unter Terrorismusverdacht geraten könnte, sehr lustig. Wenn ich überhaupt bestimmte Leute erreichen wollte, dann solche, die ernsthaft glaubten, dass die Polizei immer recht habe, weil die bestimmt durchweg aus total intelligenten Menschen besteht.
Welche Bücher hast du bisher am häufigsten in deinem Leben gelesen, weil sie dir am meisten gegeben haben?
Durch meine Erkrankung erlangte das Lesen für mich einen weitaus höheren Stellenwert als früher, und besonders zwei Bücher halfen mir, mit den geänderten Umständen besser zurechtzukommen. Das eine ist „Die Taube“ von Patrick Süskind. Diese Geschichte schildert eindrucksvoll, wie in der Gedankenwelt eines alleinlebenden Mannes aufgrund von Isolation und monotoner Routine eine Nebensächlichkeit – in diesem Fall eine vor der Wohnungstür sitzende Taube – zu einer existenzbedrohlichen Krise aufgeblasen wird. Und das zweite ist von Brigitte Aubert und heißt „Im Dunkel der Wälder“. Mich beeindruckt besonders, wie die Hauptprotagonistin mit ihrem schrecklichen Schicksal zurechtkommt. Denn sie und ihr Freund werden zufällige Opfer einer Bombenexplosion und als sie wieder erwacht, ist alles völlig anders: ihr Freund ist tot und sie selbst kann weder sehen, sprechen, noch sich bewegen, ist nur noch ein regungsloser, aber hörfähiger menschlicher Leib. Mich erinnert an meine eigene Realität, wie für sie der Wunsch, etwas zu schaffen, das früher eine Nichtigkeit war, zu einer gewaltigen Aufgabe anwächst.
Du sprichst damit an, dass vor einiger Zeit deinen Hörsinn fast vollständig verloren hast. Wie ging dieser lebensverändernde Einschnitt vonstatten und wie bist du damit umgegangen?
Der ganze Mist fing damit an, dass ich Ende 2002 im Alter von 39 Jahren eine Erkältung verschleppte. Was vorher oft ohne Probleme verlief, zeigte diesmal gewaltige Folgen. Von mir unbemerkt und medikamentös unbehindert schlug die Erkältung in eine bakterielle Meningitis um, diese führte dann zu einer Hirnblutung, die wiederum zwei Schlaganfälle auslöste. Eines Abends fiel ich einfach um, lag sechs Tage im Koma und wurde knapp einen Monat lang künstlich beatmet. Seitdem ist mein Gehör bis auf einen winzigen Rest verschwunden. Da beide Erkrankungen zu Gleichgewichtsstörungen führen, sind diese bei mir derartig stark ausgeprägt, dass ein Gehen nur noch mit Rollator innerhalb von Häusern halbwegs problemlos möglich ist. Also nix mehr mit Musik oder irgendwo hingehen. Was mich damals am meisten motivierte, damit irgendwie klarzukommen, war das verbliebene Funktionieren meiner Beine. Eine halbseitige Lähmung ist eine häufige Schlaganfallsfolge und zum Glück bin ich davon verschont geblieben.
Was hast du in dieser Zeit über dich selbst erfahren und inwiefern hat sich dein Leben damit verändert?
Nachdem fast alles verschwunden war, was mir früher Spaß machte, erkannte ich nach einiger Zeit, dass wenigstens die beiden Dinge noch gingen, die mir mein ganzes Leben über am meisten Spaß gemacht haben: Geschichten erzählen und Leute zum Lachen bringen. Mein Leben hat sich dennoch sehr geändert, jedenfalls in Bezug auf andere Menschen und die vielen kleinen früher als Belanglosigkeiten angesehenen Dinge im Alltag. Das ist bei der Kombination „allein leben“ plus „starke Gleichgewichtsstörungen“ plus „unfähig zu verbaler Kommunikation“ ganz normal. Ansonsten war ich über viele Tatsachen echt erstaunt, zum Beispiel, dass mir im ersten Jahr meiner Gehörlosigkeit nicht die Musik am meisten fehlte, sondern schlicht und einfach die Fähigkeit, den Wecker zu hören. Wenn etwas mal weg ist, weiß man dieses dann erst richtig zu schätzen. Außerdem ist vieles, wenn man es am eigenen Leib erlebt, ganz anders, als es früher in der Vorstellung war. Zum Beispiel hätte ich niemals gedacht, dass die langfristigen sozialen Folgen einer Gehörlosigkeit derartig extrem sind. Eigentlich hätte mich das nicht überraschen sollen, denn schon die alten Griechen sagten: „Wer blind ist, verliert den Kontakt zu den Dingen, wer aber taub ist, verliert den Kontakt zu den Menschen.“ Wie hundertprozentig wahr diese Aussage ist, erfuhr ich in den letzten zehn Jahren immer wieder.
Die Musik hatte über Jahrzehnte eine große Rolle in deinem Leben gespielt. Was hast du heute für einen Bezug zur Musik? Hast du etwas gefunden, mit dem du die Musik „substituieren“ kannst?
Zuerst war das Schreiben die wichtigste Tätigkeit für mich, um zu versuchen, mein Leben wieder etwas zu füllen. In den letzten Jahren nahm dann mein gesteigertes Interesse an Fußball immer größeren Raum in meinen Aktivitäten ein. Ich schaue viele Spiele und lese viel über Fußball, in Büchern, Zeitschriften und Internetforen. Das Interesse für Fußball ist ja nicht neu, nur der Umfang dessen ist merklich gestiegen. Schon seit frühester Jugend fasziniert mich dieser Sport, und bevor Punk in mein Leben trat,war ich sogar ein regelmäßiger Stadiongänger. Aber als Musikersatz würde ich es nur vom Zeitaufwand her bezeichnen. Musik und alles Drumherum ist ein aktives Unterfangen, mein Interesse an Fußball ein rein passives Konsumieren von Spielen und Texten. Selbst das Schreiben ist eine sehr mickrige Aktivität gegenüber allen Aktivitäten, die mit Musik zusammenhängen. Solch ein Verlust lässt sich nicht durch etwas anderes ersetzen, sondern lediglich ansatzweise übertünchen.
Wenn du an die Zeit der Bonner Kaiserplatz-Crew zurückdenkst: Was ist heute aus den Leuten geworden und welche Bedeutung hat eure frühere gemeinsame Vergangenheit noch für die Gegenwart?
Für mich war die damalige Zeit eine, die reich an wichtigen Erfahrungen war und recht extreme und auch lustige Erlebnisse beinhaltet. Ich würde sie zwar als in gewisser Weise bedeutend für mich bezeichnen, da man manche Aspekte des Lebens und der eigenen Persönlichkeit gut kennen lernt, wenn man einige Jahre oft lange Zeit am Tag an einem Ort in der Innenstadt herumsitzt und sich die Birne zuschüttet. Aber für mich persönlich würde ich diesen Lebensabschnitt auch nicht überbewerten. Es waren nur einige meiner über zwanzig Jahre währenden Zeit in der Punk-Szene. Was die meisten der Leute jetzt so machen, weiß ich kaum. Vor meiner Erkrankung bin ich manchmal dem einen oder anderen noch in Bonn begegnet, seitdem habe ich, logischerweise, niemanden mehr gesehen. Abgesehen davon, dass ich vom Tod einiger damaliger Kaiserplatz-Punks gehört habe, ist es wie mit allen Jahrzehnte zurückliegenden lockeren Zusammenschlüssen: Die Lebenswege der einzelnen Menschen gehen auseinander, man sieht und hört kaum noch etwas voneinander.
Wie geht es nach „Wurmterror“ für dich literarisch weiter und was für Projekte – auch fernab von der Schriftstellerei – möchtest du in Angriff nehmen?
In den letzten drei, vier Jahren habe ich recht wenig geschrieben, da viele andere Dinge wichtiger waren. Seit knapp einem halben Jahr bin ich jetzt mit der Erstellung einer neuen Website beschäftigt. Danach will ich auf alle Fälle wieder Kurzgeschichten schreiben, es gibt ja noch so viele Dinge, die ich erzählen möchte. Vielleicht fange ich auch mal wieder ein größeres literarisches Projekt an. Nebenbei möchte ich noch die Programmiersprache PHP lernen und mich mit meinem OCR-Programm intensiv beschäftigen, weil ich irgendwann lesbare und trotzdem kleine PDF-Dateien alter Fanzines anfertigen möchte. Also Langeweile wird bei mir niemals aufkommen, denn ich muss immer irgendetwas machen. Tatenlos in der Bude abzuhängen ist nichts für mich ...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #114 Juni/Juli 2014 und Christoph Parkinson