PUNKROCK NÜCHTERN

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Jenny Guttmann im Interview

Punkrock und Alkohol, das gehört für viele so zusammen wie Tom und Jerry oder wie Laurel und Hardy. Wer kennt nicht die tristen Bilder recht übel runtergerockter, vollkommen betrunkener Konzertbesucher:innen? Dass dies keineswegs selbstverständlich sein muss und mensch auch ganz ohne Alkohol berauschende Konzerterlebnisse haben kann, dokumentiert das Gespräch mit Jenny Guttmann, die gerade in den Sozialen Medien ihre Interviewreihe „Punkrock Nüchtern“ begonnen hat.

Jenny, vor wenigen Wochen ist das erste Interview in deiner Reihe „Punkrock Nüchtern“ auf Instagram erschienen. Was hat dich bewogen, eine Gesprächsreihe zur Nüchternheit zu konzipieren?

Das kam aus meiner eigenen Geschichte. Ich bin seit meiner Jugend in der Punk-Szene – seit rund 25 Jahren – und habe in der Zeit bei Konzerten und anderen Anlässen sehr, sehr viel Alkohol getrunken. Ich hatte regelmäßig einen Filmriss, auch mit unangenehmen Folgen. In den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass das zu viel wurde, dass ich die Kontrolle verloren hatte. Ich hatte keine Lust, schwer abhängig zu werden; merkte, dass ich ein Problem mit Alkohol entwickelt hatte, und habe dann einen Schlussstrich gezogen und auch sonst in meinem Leben manches radikal geändert. Mittlerweile lebe ich abstinent und Punkrock macht mir immer noch großen Spaß. Ich erlebe Konzerte viel bewusster. Diese Erfahrung möchte ich gerne weitergeben, weil es doch recht viele Leute in unserer Szene gibt, die Probleme mit Alkohol haben und glauben, dass es ohne exzessives Trinken bei Konzerten nicht funktioniert. Ich möchte mit den Interviews und einer gerade an den Start gegangen Facebook-Gruppe Leuten einen Raum zum Austausch und zur Selbsthilfe bieten, denen es ähnlich geht wie mir.

Mit den Interviews reflektierst du also einen Teil deines früheren Lebens und möchtest so andere empowern, sich ihren Problemen zu stellen?
Ja, genau. Ich möchte weiter zu mir finden. Ich habe mich all die Jahre nie wirklich gefragt, wer ich bin und was mir Spaß macht, weil der Alkohol meinen Fokus verengt hatte. Achtung Ironie: Ich komme beruflich aus der Suchthilfe. Ich habe mich also gefragt, was für Methoden und Formate in Sachen Selbsthilfe gibt es eigentlich. Und weil mir der Punkrock-Faktor hierbei fehlte, bin ich zur Idee für die Interviewreihe gekommen.

Und hast du dir dann Interviewpartner:innen gesucht, die auf ähnliche Lebenserfahrungen zurückblicken und irgendwann dem Alkohol entsagt haben?
Nicht ganz. Ich suche Interviewpartner:innen, die aktuell oder prinzipiell ohne Alkohol leben, egal aus welchem Grund, egal, was vorher war. Ich will Menschen und ihre Geschichten in den Vordergrund rücken, die Punkrock ohne Alkohol genießen.

Damit kommst du offensichtlich gut an. Du hast zum Auftakt mit Kent Nielsen gesprochen. Es ist ein Interview mit LOKALMATADORE-Frontmann Fisch angekündigt und weitere sind in Vorbereitung. Deine Interviewpartner:innen haben offenkundig ein Bedürfnis, mit dir zu sprechen.
Ja, das war für mich das Erstaunliche. Ich erlebe eine große Offenheit bisher, so dass biografische Mini-Porträts entlang der Leitfrage „Punkrock nüchtern?“ entstehen. Ich veröffentliche also keine narrativen Interviews, sondern Kurzbiografien mit O-Ton-Ausschnitten. Das finde ich spannender und informativer. Beeindruckt hat mich zu Beispiel Fisch mit seiner positiven Einstellung zum Leben, die Menschen in schwierigen Phasen Mut machen kann. Der ist so total bei sich mit seinem Entschluss, keinen Alkohol mehr zu konsumieren.

Lass uns noch einmal auf den Selbsthilfe-Aspekt zurückkommen. Wie ist die Resonanz bei Instagram und Facebook? Was ist noch geplant?
Ich möchte Menschen aus der Szene von auf, vor und hinter der Bühne in einen professionell begleiteten, ergebnisoffenen Prozess miteinander in Austausch bringen und vernetzen. Die Facebook-Gruppe ist gerade an den Start gegangen. Der Anstoß dazu ging von Leser:innen des Instagram-Kanals aus. Das Feedback auf „Punkrock Nüchtern“ war schon vor der Veröffentlichung des ersten Interviews so gut, dass ich auf spannende Diskussionen in der Gruppe hoffen kann und auf weitere interessante Interviewpartner:innen. Ein Ziel der Vernetzung kann sein, dass sich abstinent Lebende zu Konzertbesuchen verabreden, um gemeinsam ohne Alkohol Spaß zu haben. Weil Instagram ein etwas sperriges Format für Fließtexte ist, überlege ich, wenn es gut läuft, die Reihe als Podcast fortzusetzen. Aber wirklich konkret ist das noch nicht.

Menschen, die sich angesprochen fühlen, können dich wie erreichen?
Schickt mir einfach eine persönliche Mitteilung auf Facebook oder Instagram. Außerdem werde ich nächstes Jahr auf dem Ruhrpott Rodeo einen Infostand haben. Aber so lange müsst ihr ja nicht warten. Mir sind alle Menschen herzlich willkommen, mitzulesen und aktiv mitzumachen.