Manch einer erinnert sich vielleicht noch daran, dass im Spätherbst 1998 der „Emsland-Hype“ im Ox ausgerufen wurde. Und obwohl vom Autor Stefan Moutty (einem ortsfremden Oberhausener) damals wahllos emsländische Bands mit Osnabrückern und Ibbenbürenern durcheinander gewürfelt wurden (was die jeweiligen Volksgruppen übrigens gar nicht so witzig fanden), war das für mich als eingeborenen Emsländer doch schon eine lustige und aufregende Sache. Mittlerweile sind die Jahre ins Land gezogen, ich schreibe inzwischen selber fürs Ox und es hat mich nach abgebrochenem Studium auch wieder zurück ins Emsland verschlagen. Was liegt da also näher, als mal wieder einen kurzen musikalischen Überblick über diesen nordwestdeutschen Landstrich zu wagen. Oder um das Ganze mal umfassender auszudrücken und für Gesamtdeutschland interessant zu machen: Ein Artikel aus der Provinz, für die Provinz!
Seit dem erwähnten verhängnisvollen Artikel war das Emsland abonniert auf diese ganz bestimmte Spielweise von Pop-Punk und Rock‘n‘Roll im weitesten Sinne, ähnlich wie z.B. auch Messer-, äääh, Rockcity Solingen. Die bekanntesten Vertreter waren und sind dabei mit Sicherheit die BACKWOOD CREATURES, vor allem durch ihren letztjährigen Auftritt in Stefan Raabs Sendung TV Total. Die Band mit der wohl am seltensten geupdateten Homepage Deutschlands wurde bereits 1996 unter dem legendären Namen HEINI & THE HEARTBREAKERS gegründet und hat die wichtigsten Fragen zur Bandgeschichte bereits im Ox #52 beantwortet. Es stellt sich allerdings noch die Frage, was sich bei ihnen nach ihrem TV Total Auftritt getan hat. So war z.B. immer ein Auftritt in einem Altenheim angekündigt, den die BACKWOOD CREATURES als Contest-Verlierer gegen die CELLOPHANE SUCKERS noch spielen sollten. Dazu Gitarrist Nilz: „Die Frage beantworte ich eher ungern, weil mich das ganze TV Total-Thema doch so langsam nervt. Aber es war einfach so, dass wir, als die ganze Sache 2003 zu Ende ging, auf Tour waren, und dann bei TV Total Sommerpause war. Und danach wollten die das Thema nicht noch mal aufwärmen. War uns auch ganz recht!“ Es ist also wieder Ruhe eingekehrt im BACKWOODS-Lager, und wir lernen daraus: Nicht jeder Fernsehauftritt macht gleich einen Star. Aber das ist ja vielleicht auch ganz gut so, denn mit ihren zwei prima Platten, jeder Menge Singles und vor allem ihrer erstklassigen Liveperformance, wäre es doch schade, wenn die BACKWOOD CREATURES für ein Millionpublikum verheizt worden wären. Und wenn sie demnächst wieder in einem Club bei euch um die Ecke spielen: Hingehen! Punkrockparty ist garantiert!
Als die kleinen Brüder der BACKWOOD CREATURES wurden übrigens immer die FAVORATS gehandelt, obwohl sie eher das Baby von Sänger, Gitarrist, Songwriter und QUEERS/BEACH BOYS-Fanatiker Florian waren. Nachdem es bis zum Jahr 2000 auch ganz ordentlich lief bei den FAVORATS, begann der Niedergang der Band mit dem Ausstieg von Schlagzeuger Dühni. Es konnte kein technisch adäquater Ersatz gefunden werden, Auftritte wurden rarer und gerieten zum Schluss teilweise auch noch zu totalen Desastern. Hinzu kamen noch unschöne Streitereien von Florian mit den BACKWOOD CREATURES, Stardumb Records und daraus resultierende bandinterne Querelen. Alles in allem zuviel, um es in diesem Artikel unterbringen zu können, man hätte aus dem Stoff auf jeden Fall eine erstklassige Punkrock-Seifenoper schreiben können. Wer weiß, vielleicht mach ich das ja noch mal, haha ... Es kam letztendlich, wie es kommen musste: Am Freitag, dem 13.12.2002 (was für ein Datum) traten die FAVORATS noch einmal im Gleis 22 in Münster auf. Was schief gehen konnte, ging auch schief, und schließlich verließen alle Bandmitglieder nach und nach frustriert die Bühne. Aber da die Bühne ja bekanntlich der beste Ort zum Sterben ist, war das wenigstens ein stilechter Abgang. Als Vermächtnis bleiben zwei Singles mit erstklassigem Poppunk amerikanischer Prägung auf Stardumb Records. Florian hat mittlerweile leider die Stromgitarre komplett an den Nagel gehängt, den Großteil seiner Punkrockplatten verkauft und sich seinem Lehramtsstudium gewidmet. Der Rest der FAVORATS ist aber noch immer musikalisch aktiv, wie ihr weiter unten sehen werdet.
Als die BACKWOOD CREATURES um 1998 herum begannen, gut abzugehen, gründeten sich im allernächsten Umfeld übrigens auch die BATTLEDYKES. Anfangs als reine Mädchenband, wurden bald aus spieltechnischen Gründen zwei Jungs in die Band geholt, um danach die Region mit simplem, 100% partykompatiblem Punkrock à la frühe DONNAS unsicher zu machen. Unvergessen sind dabei legendäre Liveauftritte, mit Auspeitschungen unschuldiger Zuschauer zum Song „Domina“. Ich hab da immer zugesehen, dass ich schnell wegkam, haha. Von ihrer Qualität haben die BATTLEDYKES über die Jahre kein Stück eingebüßt: immer noch simple as can be, immer noch absolute Partykanonen, und mittlerweile ist auch ein ganzer Schwung Singles auf verschiedenen Labels draußen, inklusive des (meiner Meinung nach) Superhits „Oberhausen“. Fragt sich nur, wann endlich das erste Album kommt. Und wann tritt Daniela das erste Mal im Minirock auf?
Ob es ihm mit den BATTLEDYKES manchmal zu langweilig wird, weiß ich nicht, auf jeden Fall hat deren Schlagzeuger Joe noch eine Zweitbeschäftigung: Er bedient nämlich noch das Mikrofon bei den SHELLS. Die habe ich ja auch schon in meinen Liveberichten aus den letzten Ausgaben über den grünen Klee gelobt, und da kann ich mich hier nur noch mal wiederholen: Coolster Rock‘n‘Roll, leicht garagig, fernab aller skandinavischen Dicke-Hose-Klischees, sondern eher in der Tradition (alter) ROLLING STONES, DICTATORS, REAL KIDS etc. Live hab ich die bisher auch nur gut bis sehr gut gesehen, nur haben die SHELLS leider noch keine Labelveröffentlichung zu Buche stehen. Ein erstklassiges Demo existiert aber bereits und neue Aufnahmen sind wohl auch schon in Planung bzw. bereits abgeschlossen. Wer sich dafür interessiert (auch Labels), wende sich bitte vertrauensvoll an joesbeatshack@freenet.de. Es lohnt sich!
Letzte im Emsland-Bunde sind die STARFIRE ROCKETS, die Band, in der 3/4 der letzten FAVORATS-Besetzung weiter musizieren. Wer jetzt aber mit Poppunk rechnet, liegt falsch, denn die STARFIRE ROCKETS machen Punk mit groß geschriebenem ROCK dahinter. Am Anfang hatte ich ja ehrlich gesagt immer so dieses und jenes an den ROCKETS auszusetzen, aber die letzten Auftritte gaben eigentlich keinen Grund mehr zur Beschwerde. Im Gegenteil, die waren sogar sehr gut! Es ist schon eine ganze Latte eigener Songs vorhanden, die in bester GLUECIFER-Manier losrocken und live immer noch mal durch MISFITS- und SONICS-Coverversionen komplettiert werden. Und bei letzteren Bands ist man bei mir sowieso immer auf der richtigen Seite! Ein aktuelles Demo liegt mir momentan zwar leider nicht vor, aber wer sich für die STARFIRE ROCKETS interessiert, sollte einfach mal auf deren gut gemachter Homepage vorbeigucken.
Das war also ein kleiner Querschnitt durch die emsländische Punkrockwelt 2004. Sicherlich gäbe es hier noch Dutzende anderer Bands von Rock‘n‘Roll bis Emo zu entdecken, aber wenn ich die hier alle erwähnen müsste, würde das den Rahmen des Artikels zweifellos sprengen. Außerdem finde ich Emo doof! Und es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass die meisten Mitglieder der oben erwähnten Bands mittlerweile gar nicht mehr im Emsland wohnen, sondern sich auf diverse deutsche Großstädte verteilen. Speziell Köln scheint dabei eine magische Anziehungskraft auf Emsländer zu besitzen. Die Quintessenz dieses Artikels sollte aber bleiben: Auch in der Provinz, sei es nun Emsland oder anderswo, kann man was auf die Beine stellen! Es gibt immer was zu entdecken und zu tun, und manchmal liegt das Glück direkt vor der Haustür. Man muss nicht in die nächste Großstadt fahren, um sich für 20 Euro ein Konzert von Band XY aus Timbuktu anzugucken! Gründet eure eigene Band! Spielt selber Konzerte! Oder sucht euch regionale Bands, schreibt denen eine E-Mail und macht ein Konzert mit denen! Das ist nicht schwer! Und normalerweise auch nicht teuer! Oder warum kauft ihr euch die x-te Platte zu überteuerten Importpreisen von der hippen Band Soundso aus den Staaten? Gründet selbst ein Label und bringt Platten raus! Oder macht ein Fanzine! Oder irgendwas anderes! Okay, man wird dabei nicht reich werden, aber das macht jede Menge Spaß und ist allemal besser, als sich ständig zu beschweren, dass in der Provinz nichts los ist! Also: Do it yourself und kriegt euren Arsch hoch! Ich hol‘ mir inzwischen schon mal meinen Pulitzerpreis für dieses pathetischste Schlusswort des Jahres ab, haha. Aber Recht hab‘ ich!
battledykes.de
starfirerockets.de
backwoodcreatures.de
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #57 November 2004/Januar/Februar 2005 und Bernd Fischer