Punk’n’Philo

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Punkrocksongs als Medium der Philosophie

„Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ konstatierte einst Friedrich Nietzsche. Die Musik war und ist ein Medium, um philosophische Inhalte zu transportieren. Augenscheinliche Bezüge von Punkbands zur Philosophie sind allerdings eher selten – abgesehen von der Dark-Punkband WITTGENSTEIN, deren Namenspate ein bekannter Logikphilosoph war, oder den HUMAN PUNX, deren 1992 erschienenes Album den Titel „Nietzsches Schreibmaschine“ trägt und auch die legendäre Schreibmaschine zeigt. Nietzsche gilt als einer der ersten Philosophen, der eine Schreibmaschine nutzte. Dennoch finden sich in manch Punkrock in einfachen Worten Quintessenzen großer, philosophischer Werke wieder – ohne darauf namentlich Bezug zu nehmen. Anhand von fünf Songs möchte ich dies zeigen.

Thomas Hobbes vs. SLIME


„Der Mensch ist des Menschen Wolf“ heißt es bei dem römischen Komödiendichter Titus Maccius Plautus. Der Engländer Thomas Hobbes hat diese Aussage in seinem 1651 veröffentlichen Werk „Leviathan“ aufgegriffen. Die Übersetzung eines bluttriefenden Werkes von Thukydides über den peloponnesischen Krieg sowie die eigenen Erfahrungen aus dem englischen Bürgerkrieg verfestigten bei ihm jene These und führten dazu, dass er den Naturzustand des Menschen als einen Kampf aller gegen alle konzipierte, dessen Befriedigung im Staat möglich ist, den er in Anlehnung an ein biblisches Seeungeheuer „Leviathan“ taufte. Jenen Naturzustand haben SLIME bestens in ihrem Song „Alle gegen alle“ ohne viel schmückendes Beiwerk auf den Punkt gebracht.

Max Stirner vs. TON STEINE SCHERBEN

Mit einer regelrechten Jammerorgie beginnt das Werk „Der Einzige und sein Eigentum“ des deutschen Junghegelianers Max Stirner. „Was soll nicht alles meine Sache sein! Vor allem die gute Sache, dann die Sache Gottes, die Sache der Menschheit, der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit; ferner die Sache meines Volkes, meines Fürsten, meines Vaterlandes; endlich gar die Sache des Geistes und tausend andere Sachen. Nur meine Sache soll niemals meine Sache sein. Pfui über den Egoisten, der nur an sich denkt!“ Auf hunderten von Seiten zeigt er auf, wie er sich von alledem befreit und seine Individualität bewahrt. Rio Reiser wusste dies einfacher mit den Worten „Ich will ich sein – anders kann ich nicht sein“ auf den Punkt zu bringen.

Friedrich Nietzsche vs. Nina Hagen

In der „Fröhlichen Wissenschaft“ lässt Friedrich Nietzsche seinen tollen Menschen den Tod Gottes verkünden. In seinem Hauptwerk – „Also sprach Zarathustra“ – greift er dieses Thema wieder auf. Es ist zentral für seine Philosophie und bereitet erst das Fundament für seinen Traum vom Übermenschen. So verführerisch Nietzsches Stilistik ist, wenn er dies in Worte fasst, so blieb es Nina Hagen vorbehalten, jene Botschaft ins Mikrofon zu kreischen („Auf’m Friedhof“). War bei Nietzsche noch der Marktplatz der Ort des Geschehens, ist es bei Nina Hagen direkt der Friedhof.

Theodor W. Adorno vs. NOVOTNY TV

Für den marxistischen Bildungsbürger Theodor W. Adorno, der schon dem Jazz nichts Positives abgewinnen konnte und der sich auf 12-Ton-Musik versteifte, war die Popkultur, die ihm im amerikanischen Exil begegnete, ein absoluter Graus. In dem, gemeinsam mit Max Horkheimer verfassten Werk „Dialektik der Aufklärung“ findet sich dementsprechend eine Abrechnung mit der Massenkultur, d.h. der zeitgenössischen Popkultur. In gehobener Sprache mit vielen intellektuellen Referenzen versehen, läuft dies darauf hinaus, was NOVOTNY TV in ihrem Song „Nieder mit der Popkultur!“ beschreiben.

Judith Butler vs. X-RAY SPEX

Die Aussage von Simone de Beauvoir – „Als Frau wird man nicht geboren, zur Frau wird man gemacht“ – bildete das Fundament für Judith Butlers Kampf für die Destruktion von Geschlechterkonstruktionen. Dabei scheint bei ihr die Hegel’sche Erkenntnis zu greifen, dass die Eule der Minerva ihren Flug erst in der Dämmerung beginnt. Gut zwanzig Jahre vor der Publikation von Gender Trouble hat Poly Styrene von den X-RAY SPEX jenes Unbehagen der Geschlechter in ihrem Song „Identity“ als auch in ihrem Kleidungsstil zum Ausdruck gebracht und dekonstruiert.

P.S.: Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, den ich im Oktober 2019 in der Berliner K.v.U. gehalten habe. Als Inspiration diente mir Francis Métiviers Studie „Rock’n Philo“ (J’ai lu Paris 2015).