Es gibt wohl wenige Leute im Filmbereich, denen man nachsagen kann, sie hätten ausschließlich im Kontext einer bestimmten Subkultur wie etwa Punk gearbeitet. Am ehesten trifft das auf Alex Cox zu, in dessen frühen Filmen sich doch ein starker Bezug zu einer bestimmten Musikszene finden lässt. Der 1952 in Lüdenscheid geborene Wolfgang Büld ist dagegen eher so ein Fall wie die Amerikanerin Penelope Spheeris, deren Interesse für Punk sich nach der Doku "The Decline Of Western Civilization" noch ein wenig in fiktiven Filmen wie "Suburbia" und "Dudes" nachvollziehen lässt, die aber dann sehr schnell vom Mainstream verschluckt wurde. Bei Büld war es in gewisser Weise ähnlich, denn nach interessanten Frühwerken Ende der 70er, Anfang der 80er, wie die echte Pionierleistung "Punk in London" und "Brennende Langeweile" sowie den Dokus "British Rock" und "Women In Rock" landete er mit Filmen wie "Gib Gas - Ich will Spaß!", "Der Formel Eins Film", "Manta, Manta" oder "Go Trabi Go 2" im kommerziellen Niemandsland - aber irgendwie muss die Butter ja aufs Brot kommen, vor allem in Deutschland. Inzwischen arbeitet Büld wieder richtig independent, veröffentlichte 2003 den seltsam pulpig über die Stränge schlagenden "Penetration Angst" (in dem ein gewisser Stephen "Roadent" Conolly übrigens in einer Nebenrolle auftaucht), dem "Lovesick: Sick Love" und 2005 "Twisted Sisters" folgten, alle mit ähnlicher Besetzung gedreht. Hier scheint der Mann mit seiner eigenen Filmproduktionsfirma Dark Black Films einer wirklich punkigen D.I.Y.-Ethik näher gekommen zu sein als jemals zuvor in seiner Karriere. Aber dazu mehr in einer der nächsten Ox-Ausgaben, denn hier soll es dem Thema dieses Specials entsprechend erst mal um seine Anfänge gehen.
Wolfgang, erzähl doch mal, wie du überhaupt ans Filmemachen gekommen bist.
Ich habe 1972 Abitur gemacht und dann wusste ich nicht direkt, was ich werden wollte. Ich wusste nur, Autor oder irgendwas mit Film und Fernsehen. Dann bin ich erst mal aus der Provinz nach Berlin gezogen und hab mich da umgeguckt und gemerkt, dass das an der Uni nichts für mich ist. Ich habe mich dann irgendwie über Wasser gehalten, was damals im Gegensatz zu heute relativ einfach war, weil es ein Überangebot an Jobs gab. Wenn man Geld brauchte, hat man ein paar Monate als Lagerarbeiter gejobbt. Dann habe ich mich an der Filmhochschule in Berlin beworben, aber da waren die Aufnahmekriterien so, dass mir das nicht gefiel. Es ging darum, die Auswirkungen der Ölkrise auf eine Arbeiterfamilie zu zeigen. Obwohl ich ja damals selbst in einer Fabrik jobbte, hatte ich zu dem Milieu keinen wirklichen Zugang. Ich hatte mir aufgrund der Ölkrise ganz billig einen Mercedes SL kaufen können, aber das war bestimmt nicht das, was die hören wollten. Dann bin ich nach München gegangen und hab da die Aufnahmeprüfung gemacht.
War die Filmhochschule damals der einzige Weg, in den Filmbereich hineinzukommen?
Ja. Die Filmhochschule in München ist und war ja eng mit der Bavaria-Film verbunden. Der Karriereweg war eigentlich, Filmhochschule und dann zusehen, dass man Regieassistent bei der Bavaria wird. Das war so der Traum, nicht meiner, aber im Allgemeinen, und war das Beste, was einem passieren konnte. Aber mir wäre es lieber gewesen, über die Praxis reinzukommen. Zuerst bin ich auch in Berlin mit einem Freund von einer Firma zur anderen gegangen. Zu der Zeit gab es in Berlin weniger Independentproduktionen als in München. Und die großen Firmen wie die von Horst Wendlandt haben sich totgelacht, als wir da hinkamen und gefragt haben, ob sie einen Job hätten, weil da sehr wenig produziert wurde. Die "Karl May"- und "Edgar Wallace"-Welle war vorbei und der etablierte alte deutsche Film war damals Anfang der 70er Jahre ziemlich am Boden. Und wahrscheinlich haben wir auch einen recht komischen Eindruck gemacht, als wir da mit unserem Glamrock-Outfit nach einem Job fragten.
Hat man damals an der Filmhochschule überhaupt viel für die Praxis mitnehmen können?
Nein. Heute ist das wohl sehr schulisch organisiert. Die haben jetzt ein riesiges technisches Equipment und ein eigenes Studio im Haus. Damals war das so eine kleine Villa in Schwabing, wo es drei Schneidetische gab, die der Bayrische Rundfunk aussortiert hatte, und das Equipment war auch hundsmiserabel. Zu den Vorlesungen ging man hin oder auch nicht. Es war größtenteils mehr so ein Hippiehaufen. Die praktische Ausbildung war eigentlich nach ungefähr sechs Wochen vorbei. Etwas gelernt hat man, wenn man seine eigenen drei Übungsfilme und bei den anderen Stundenten in unterschiedlichen Funktionen bei deren Filmen mitgemacht hat. Es gab Dozenten, die einem was über Dramaturgie erzählt haben. Einmal in den drei Jahren gab es ein Schauspielseminar, wo dann Regisseure - gewöhnlich war es Douglas Sirk - eingeflogen wurden und eine Woche lang in den Bavaria-Studios mit Theaterschauspielern Einakter von Tennessee Williams gedreht haben. Da habe ich mich gegen verwehrt, das hielt ich für sehr praxisfern, und hatte dann dafür gesorgt, dass in unserem Kurs Wolfgang Petersen, der damals gerade mit "Tatort"-Folgen anfing, das Seminar abgehalten hat.
Und wie sahen danach die tatsächlichen Job-Chancen aus?
In München gab es damals das geflügelte Wort, das Studium an der Filmhochschule sei die teuerste Taxifahrer-Ausbildung Deutschlands. Heutzutage ist es etwas anders geworden, es gibt ja auch recht viele Filmhochschulen, aber damals hat es schon ein Drittel der Leute während der Studienzeit drangegeben. Nach den ersten Übungsfilmen haben dann einige auch gemerkt, dass ihnen das Talent dazu fehlt oder die standen hilflos vor den Schauspielern und wussten nicht, was sie denen sagen sollten. Und in dem Kurs, in dem ich war, konnte man danach an einer Hand die Leute abzählen, die regelmäßig in dem Beruf gearbeitet haben. Viele sind dann beim Fernsehen als Redakteur untergekommen, viele haben sich spezialisiert, als Produktionsleiter oder Kameramann.
Dein erster richtiger Film "Punk in London" war ja gleichzeitig auch dein Abschlussfilm an der Filmhochschule ...
Ja, das war irgendwie durch Zufall entstanden. Ich war ja für die Kino-Abteilung eingeschrieben und wollte Spielfilme machen, aber hatte bei meinem zweiten Übungsfilm den Etat fürchterlich überzogen. Ich hatte ein Bavaria-Studio mit Beleuchtern angemietet, ohne dass die Filmhochschule das wusste. Und die waren dann ziemlich sauer und meinten: Wenn du jetzt noch einen Abschlussfilm machen willst, dann einen Dokumentarfilm und so weit weg von München, wie es nur geht. Und da ich mit Dokumentarfilmen gar nichts am Hut hatte, mich aber für Musik interessierte und seit ich 16 war, regelmäßig NME und Melody Maker las, war ich natürlich über Punk informiert und sagte: Okay, dann gehe ich nach London und mache da was drüber. Zuerst bin ich eine Woche mit der Produktionsleiterin zur Recherche da gewesen und dann waren wir zwei Wochen in London zum Drehen. Das Filmteam bestand aus mir, der Produktionsleiterin, Kameramann, Kameraassistent und Tonmann. Das waren alles Studenten, die nicht bezahlt wurden. Nur der Kameramann hatte Erfahrung, das war Helge Weindler, der hat von der Filmhochschule noch mal 1.000 Mark extra gekriegt. Wir haben dann den billigsten Flug genommen und in einem billigen Hotel gewohnt. Das Problem war, dass wir nur so eine kurze Zeit da waren und jeden Abend überlegen mussten, wo wir hingehen. Wir hatten an einem Abend die Möglichkeit, SIOUXSIE AND THE BANSHEES, ADVERTS oder GENERATION X zu drehen. Das Erstaunliche war, dass in England niemand auf die Idee gekommen ist. Nur jemand wie Don Letts hatte damals auf Super-8 viel im Roxy gedreht, das nannte sich dann "The Punk Rock Movie". Aus diesen frühen Tagen gibt es sehr wenig Material, deshalb werde ich ja jetzt auch noch dauernd kontaktet.
Jedenfalls sieht "Punk in London" für so eine spartanische Produktion nach wie vor erstaunlich professionell aus ...
Wir kamen ja alle vom Spielfilm und so haben wir uns bemüht, das ordentlich zu machen. Helge Weindler war, glaube ich, schon zwei Jahre vor mir an der Filmhochschule gewesen und hatte 20 oder 30 Studentenfilme gemacht und später so große Filme wie "Theo gegen den Rest der Welt". Er war dann mit Doris Dörrie verheiratet und hat deren ganzen Filme gemacht ... Nur an dem Ton sind wir gescheitert, denn der Tonmann hatte wenig Ahnung. Das war auch ein Student, der konnte gerade mal die Knöpfe vom Nagra-Tonaufnahmegerät bedienen. Und nachdem ihm am ersten Tag das passende Mikro geklaut worden war, musste er immer mit dem Richtmikro arbeiten und stand dann praktisch vor der Halle oder nur ganz hinten. Da haben wir teilweise Sachen nicht verwenden können, weil das Gespräch von den Leuten neben ihm lauter war als die Musik. Tonmäßig war das eine relative Katastrophe. Für die DVD-Veröffentlichung haben wir die Sachen dann auch noch mal neu digital bearbeitet, so weit es ging.
Was hat Punk dir eigentlich zu dieser Zeit bedeutet?
Ich war ja schon 24, als ich den Film gemacht habe. Es war nicht wie bei Leuten mit 16, 17, die da so eine Initialzündung hatten. Und viele Leute wie THE CLASH waren ja im selben Alter wie ich, die waren auch nicht mehr so jung. Für mich entwickelte sich das mehr aus einer gewissen englischen Popkultur-Tradition heraus. Ich bin mit der Musik aus dieser Zeit aufgewachsen und für mich war Glamrock eine große Sache. Danach gab es irgendwie nichts mehr Neues und man war ausgehungert nach dem nächsten großen Kick. Und dann kam Punk. Punk war für mich aber keineswegs - das haben THE CLASH ja auch in den Interviews gesagt - eine Bewegung der Arbeiterklasse, also arbeitsloser Jugendliche, die selber Musik machen, sondern eher eine mittelständische Bewegung von Leuten, die von dem Musik- und Popkulturgeschäft frustriert und gelangweilt waren, weil die Rockmusik in England extrem etabliert war. Es gab für neue Bands kaum Auftrittsmöglichkeiten und Bands wie PINK FLOYD oder BLACK SABBATH überboten sich ja an technischem Aufwand. Da war Punk die Anti-Richtung. Für mich war das ähnlich wie mit dem Neuen Deutschen Film in Deutschland, der so etabliert war, dass für Leute wie mich daneben nicht genug Luft zum Atmen war, und ich begehrte deshalb gegen die Diktatur des Neuen Deutschen Films und des guten Geschmacks auf, den er verkörpern sollte.
Aber in Deutschland hat man zu dieser Zeit noch relativ wenig von Punk mitbekommen, oder?
Man hat auch in England nicht so viel davon gemerkt. Durch die Medien dachte ich, ich komme nach London und sehe ein Punk-Paradies auf der Kings Road. Aber für die Anfangsszenen von "Punk in London" haben wir mühsam Punks zusammen gesammelt und mit Bierdosen ausgestattet durchs Bild geschickt. Man sieht ja bei den Konzerten von "Punk in London", dass die Leute sehr normal aussehen. Außer bei SEX/Seditionaries, dem Laden von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood, sah man Punks kaum im Straßenbild, nur abends bei Konzerten oder samstags auf der Kings Road, und so toll war das auch nicht. Und in Deutschland war gar nichts. 1977, kurz bevor ich los flog, hatten sich in Berlin PVC gegründet, die Leute kannte ich, das war das erste, was in Deutschland in dieser Richtung entstand. Erstaunlicherweise ist die Bravo sehr früh eingestiegen. Die englischen Musiker haben ja auch alle gesagt, dass sie die Bravo sehr schätzen. Während die englische Presse das noch weitestgehend ignorierte, hatte die Bravo schon ein Vierfarb-Doppelseiten-Poster von den SEX PISTOLS. Die Bravo stürzte sich natürlich immer auf alles, was als verkaufbar galt, um keinen Trend zu verpassen. Aber nachdem der Film fertig war, Ende 1977, Anfang 1978, hatte der Spiegel dann eine Titelgeschichte über Punk. Die wichtigste Musikzeitung damals, Sounds, hat es lange ignoriert und irgendwie abgetan. Da gab es lange Diskussionen in der Zeitung, zwischen den Leuten, die sich für Punk interessierten und Traditionalisten, die Bob Seeger und Bruce Springsteen für das einzige Wahre hielten. Und genau so war es beim Fernsehen. Als ich den Film fertig hatte, hab ich versucht, ihn beim Fernsehen unterzubringen, und Peter Rüchel vom Rockpalast hat mir gesagt, Punk wäre eine Eintagsfliege, ein schlechter Witz der Pop-Plattenindustrie, über so was würde er nichts machen.
Inwiefern war da überhaupt was von gesellschaftlicher Gegenbewegung spürbar? Oder wurde zu dieser Zeit alles durch so was wie die RAF überschattet?
Ich habe zu dieser Zeit ja in München gelebt und München hatte sowieso mit allem nichts zu tun. Mit Berlin und der Szene in Düsseldorf hatte ich etwas Kontakt, da war bedeutend mehr los. Man wurde in München zwar angepöbelt, wenn man anders aussah, aber zur Glamrockzeit ging mir das auch so. Sofort, als ich nach München zog, 1974, habe ich meine Satin- und Tiger-Sachen eingemottet, weil das ein Spießrutenlauf war, was bei Punk genauso war und in Berlin eben nicht der Fall war. Und die RAF-Zeit fiel in dieselbe Phase. Das Erstaunliche war, dass sich die englischen Punks sehr dafür interessierten. Es war dieser Revolutions-Schick, wo THE CLASH mit T-Shirts der Brigade Rosso rumliefen, was auch noch falsch geschrieben war. Das war aber eine ziemlich oberflächliche Sache. Mit den Inhalten der RAF hat sich damals kaum jemand auseinandergesetzt, das war nur ein schickes Anti-Symbol.
Wie unschuldig war Punk noch, als du "Punk in London" gedreht hast?
Ich war ja 1976 nicht da, als es wirklich anfing, und ein Jahr später, als die Sachen in den Charts waren und die Bands Verträge hatten, sahen viele Leute das bereits als Ausverkauf. Aber es hat von Anfang an auch nie eine Alternative gegeben. Gerade die SEX PISTOLS und CLASH waren die Ersten in dieser Hinsicht, McLaren wollte ja immer zu den Majors, mit der kleinkarierten Händlermentalität der Independents wollte er nichts zu tun haben. Er ist ja nur notgedrungen zu Virgin gegangen. Ich weiß von den SEX PISTOLS, dass die sich gleich den Anwalt besorgt haben, der sonst für QUEEN tätig war, um für sie die Verträge auszuhandeln. Die Musiker aus der Beat-Ära sind zum Beispiel ja noch übel über den Tisch gezogen worden. Es ist sowieso erstaunlich, dass viele Leute, die damals irgendwelche Hits hatten, heute noch davon leben können.
Wo konnte man den fertigen Film damals eigentlich sehen?
In Deutschland lief er im Kino, also in ausgewählten Kinos. Ich weiß nicht, wie viele Kopien es gab, aber er lief in allen Großstädten. Und sehr gut, bis dann Leute in Bochum das Kino zerstört haben. Der Kinobesitzer hatte gerade erst sein Kino renoviert und daraufhin ein Rundschreiben an alle Kinos geschickt und danach war der Film für Deutschland tot. Ich hab dann hinterher erfahren, dass der deutsche Schauspielernachwuchs - Ralf Richter, Uwe Fellensiek und gerüchteweise auch Herbert Grönemeyer - dafür gesorgt haben, dass das Kino zerstört wurde. Uwe Fellensiek hat mir später erzählt, dass sie da mit einem Kasten Bier hingekommen sind, aber der Kinobesitzer wollte das nicht und da haben sie mit den Bierflaschen auf die Leinwand geworfen. In England ist er mit ein paar Kopien recht gut im Kino gelaufen. Amerika wäre wegen der Musikrechte zu teuer gewesen, da gab es Angebote, aber das rechnete sich nicht.
Wie sah das eigentlich generell mit den Musikrechten aus, aufgrund der Menge an Bands und Musik im Film ist das doch sicher nicht ganz unproblematisch?
Wir haben es jetzt so gemacht, dass die Länder, die den Film kaufen, sich selber um die Musikrechte kümmern müssen. Die wissen, dass es keine Verträge gibt und müssen sich mit den Verlagen und den Künstlern auseinandersetzen. Oder es drauf ankommen lassen. Damals dachte ja niemand an Verträge und viele Bands sind uns regelrecht nachgelaufen. Manche Manager haben im Hotel auf uns gewartet, weil sie gehört hatten, dass wir einen Film drehen und wollten dabei sein, wie zum Beispiel der von CHELSEA. Damals gab es ja noch nicht MTV und VIVA, und die Chance, mit dem Zeug mal ins Fernsehen zu kommen, war natürlich verlockend.
Wie natürlich haben sich die Leute eigentlich damals vor der Kamera verhalten?
Bei "Punk in London" war das bei den Leuten eins zu eins. Wenn man die Kamera auf sie gehalten hat, haben sie zwar manchmal Mätzchen gemacht, aber die hätten sie auch so gemacht. Bei dem Interview mit Mark Perry vom Sniffin? Glue-Fanzine, wo Jimmy Pursey von SHAM 69 seinen Hintern ins Bild hält, war das eine spontane Geschichte und nicht inszeniert. Später bei "Women In Rock" war es dann schon so, dass Bands, mit denen ich eigentlich gut auskam und die ich auch privat kannte wie SIOUXSIE AND THE BANSHEES, die Punk-Antihaltung rausgekehrt haben, sobald ein Interview angesagt war. Danach war dann wieder alles nett und freundlich und man ist ein Bier trinken gegangen, das fand ich dann etwas verstörend.
Wie gut befreundet warst du denn mit all den Leuten aus der englischen Punkszene?
Mit Roadent, dem Roadie von THE CLASH und den SEX PISTOLS, der in dem Film sehr präsent ist, war und bin ich gut befreundet. Wir haben immer noch Kontakt und er hat auch nach "Brennende Langeweile" ein Jahr bei mir in München gewohnt. Und dadurch kamen Leute wie Siouxsie und andere, wenn sie auf Tour waren, in München auf Besuch zu uns, und dann lernt man sich eben besser kennen. Und mit THE CLASH und Joe Strummer haben wir uns häufiger getroffen, wenn ich in London war. Im Vorfeld wollte Bernie Rhodes, der Manager der CLASH, ja gar nicht, dass sie in dem Film mitmachen und hat mich dauernd irgendwo hinbestellt, wo sie wohnten, aber dadurch habe ich dann die Band besser kennen gelernt, und wir haben uns recht gut verstanden.
Wie hat sich dein Interesse für Punk danach weiterentwickelt?
Nachdem ich "Punk in London" gedreht hatte, habe ich noch weitere Dokumentationen gemacht. Ich habe dann, weil ich sowieso immer eine Vorliebe für England hatte, mehr als die Hälfte der Zeit in London gewohnt und mich dem dortigen Empfinden angepasst. Punk war praktisch vorbei, 1980/81 hatten sich fast alle Bands aufgelöst. THE CLASH gab es ja noch bis Mitte der 80er, aber waren ja eine ganz normale Rockband, die mehr in Amerika als in England unterwegs war. Punk als Bewegung war Anfang der 80er in England vorbei und jeder sagte: Was ist jetzt das nächste Ding? Das Interesse für Punk hat sich in Europa und Japan eher gehalten als in England, habe ich den Eindruck.
Auf jeden Fall hat Punk 1979 ja noch zu deinem ersten Spielfilm geführt.
Ich hatte ja auch gar nicht vor, weiter Dokumentarfilme zu machen, sah aber als einzige Möglichkeit, aus diesem Bereich herauszukommen, etwas Fiktives mit der Verbindung Musik und Spielfilm zu machen, da bot sich das an. Ich hatte ja durch die Dokumentation einiges in England gesehen und wusste, wie es backstage zugeht und fand das alles recht aufregend. Ich hatte dann auch einige Bands in München gesehen und die hatten mir erzählt, wie katastrophal die Deutschlandtouren bei ihnen waren, und habe 1978 schnell diese Geschichte entwickelt, die halbdokumentarisch geplant war.
Interessanterweise war "Brennende Langeweile" ja dann sogar eine Fernsehproduktion im Rahmen des "Kleinen Fernsehspiels". Wie kam es dazu?
Das "Kleine Fernsehspiel" war damals für alles, was neu war, relativ offen. Allerdings mehr im formal-experimentellen Bereich, und "Brennende Langeweile" ist ja ein normaler halbdokumentarischer Spielfilm, da war man erst gar nicht davon begeistert. Die Redakteurin war aufgeschlossen und fand das interessant, aber der Leiter des "Kleinen Fernsehspiels", Eckart Stein, war dagegen und man musste extra abwarten, dass der im Urlaub war, bis das in die Sitzung ging, um es durchzukriegen. Und die Produzentin Barbara Moorse musste das dann noch irgendwie ideologisch-theoretisch begründen. Die Ansage damals im Fernsehen war so eine halbe Entschuldigung, in der Form, dass dieser Film die Sprachlosigkeit der Nach-68er-Generation zeigt. Als er dann ausgestrahlt wurde, war Stein auch ziemlich sauer, weil er eine sehr hohe Einschaltquote hatte. Er soll dann gesagt haben, dass sie ein Eliteprogramm machen und kein Massenprogramm, und ich solle gefälligst in die Unterhaltungsabteilung gehen.
Und wie sah ansonsten die Resonanz aus?
Durchweg gut. Viele jüngere Leute haben mir nachher gesagt, dass ihre Eltern da gesehen haben, dass Punks auch nur Menschen sind und sie weniger Probleme zu Hause hatten. Für viele war das auch ein Anreiz, Punk zu werden. Die Kritiken waren sehr analytisch, wenn ich mich recht erinnere. Die Süddeutsche und das seriöse Feuilleton haben sich damit dann auch auseinandergesetzt und fanden, dass der Film ein sehr interessantes Zeitdokument sei. Nur Gong hat geschrieben: Wenn es das Wort Scheiße nicht gäbe, wäre das ein Stummfilm.
Was ist eigentlich an der Geschichte dran, dass du den Film gemacht hättest, um an Gaye Advert heranzukommen?
Nichts. Die Bassistin der ADVERTS war zwar das Pin-up-Idol der ganzen Punkgeschichte, die hatte mehr Farbseiten in der Presse als Johnny Rotten und jeder war in gewisser Weise in Gaye Advert verliebt, aber ich hatte nie Ambitionen gehabt, an sie heranzukommen. Außerdem waren sie und TV Smith ein festes Paar. Und als ich ihr während der Dreharbeiten dann sagte, dass sie jetzt alleine losgeht und mit unserem deutschen Hauptdarsteller in der Schwebebahn stecken bleibt, meinte sie: "Ich würde nie ohne TV aus dem Hotel gehen." Man musste ihr dann mühsam erklären, dass das ein Film und nicht das Leben ist.
Mit "British Rock" und "Women In Rock" bist du dann 1980 in gewisser Weise doch noch mal zu Punk und dem Thema Musik zurückgekehrt. Im Vergleich zu "Punk in London" wirken diese Dokus allerdings sehr glatt und weniger authentisch.
"British Rock" war ja eine Fernsehproduktion, die vom Bayerischen Rundfunk koproduziert worden ist. Vor "British Rock" war bei mir gerade ein Spielfilm geplatzt, und da ich dringend was machen musste, hab ich gesagt, okay, mach ich wieder was über Musik. Ich hab dann ein Konzept gemacht, darüber, was aus Punk geworden war, neue Sachen, also zum Beispiel die ganzen Ska-Geschichten, Gary Numan und die Elektronik. Dieses Konzept haben die dann beim Sender abgesegnet und uns das drehen lassen. Dass viele Sachen in dem Film glatt wirken, hängt damit zusammen, dass wir manche Bands wie POLICE und BOOMTOWN RATS nicht bekamen und Konserven von den Plattenfirmen nehmen mussten. POLICE hätten wir drehen können, aber die hatten zur Bedingung gemacht, dass es eine 24-Spur-Tonaufnahme wird und die das auf unsere Kosten selber abmischen, was mehr gekostet hätte als der gesamte Etat. Deshalb haben wir lieber das genommen, was sie uns gegeben haben. Bei den BOOMTOWN RATS war es ähnlich, wobei ich Bob Geldorf selber interviewt habe. Gary Numan und die KINKS waren auch eine Konserve. Wir hatten zwar bei "British Rock" mehr Zeit, da waren wir praktisch einen Monat in England, aber wir waren immer darauf angewiesen, wer gerade auf Tour war oder uns alternativ in seinen Übungsraum ließ. Es ist irgendwie ein Abgesang. Die besten Teile sind die, wo gesagt wird, was aus Punk geworden ist, wie bei THE CLASH und THE JAM. Der Zeit entsprechend kann er natürlich nicht diese Aufbruchstimmung wie "Punk in London" zeigen, eher eine normale Phase in der Rockgeschichte. Die Bands waren besser geworden und wir waren technisch besser ausgerüstet. "Women In Rock" war dann eine reine BR-Auftragsproduktion, wo von denen Wünsche kamen. Da waren Sachen wie Nina Hagen drin, die ich mir persönlich nicht angeguckt hätte, aber die waren Pflicht und danach hab ich auch gesagt, ich hab da keine Lust mehr zu. Dazu kam ja noch, dass ich die ganze Zeit Spielfilme machen wollte. Und wenn ich dann mal wieder Joe Strummer traf, meinte er: "Hast du endlich deinen Film gemacht? Oder filmst du immer noch andere Leute, wenn sie kreativ sind?" Für mich sind diese Dokumentationen eigentlich immer mehr ein Hobby als ein Job gewesen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #66 Juni/Juli 2006 und Thomas Kerpen