Welch reisserische Überschrift. Doch irgendwie muss man hier in dem Blatt ja die Leute dazu bringen, meine Artikel zu lesen. Bei soviel Text, wie ihn das Ox nun mal Ausgabe für Ausgabe beinhaltet, wird wahrscheinlich des öfteren mal der ein oder andere Bericht überblättert. Das ist eigentlich immer schade, in diesem, meinem Falle wäre es allerdings unverzeihlich, denn im folgenden wird schonungslos offengelegt, was einem alles so auf Punk-Konzerten widerfahren kann. Und dass das nicht immer nur schöne Erlebnisse sind, dürfte bereits aus der Überschrift ersichtlich werden. Da ich in meinen über ein Dutzend Jahren als Punkrocker so um die drei Millionen Konzerte besuchte, ist da mehr als nur eine Anekdote zusammengekommen, die es sich zu berichten lohnt. Im letzten Jahrhundert veröffentlichte ich rund vier Jahre lang das Stay Wild Fanzine. Alleine in dieser Funktion habe ich unzählige von Konzertveranstaltungen besucht, bei denen sich oftmals schier unglaubliche Geschichten abspielten. Nun scheint es also an der Zeit zu sein, all das noch einmal aufzuarbeiten, Revue passieren zu lassen und Bilanz zu ziehen. Ich wünsche dabei viel Unterhaltung, und glaubt mir, alles das, was ihr hier zu lesen bekommt, hat sich tatsächlich so ereignet.
Was mir bereits bei meinen allerersten Konzertbesuchen im zarten Alter von vierzehn Jahren negativ auffiel, und damals sicherlich mehr als heute, war der fast immer späte und unpünktliche Beginn. So fuhren mein damaliger Freund Irle, mit dem ich Jahre lang durch die Nächte streifte, in unseren Herbstferien mit zusammengespartem Taschengeld per Bundesbahn von Holzwickede nach Köln, weil dort die von uns damals wegen ihres ersten, großartigen Albums sehr geschätzten GOLDENEN ZITRONEN im "Luxor" aufspielen sollten. Da wir aber nun mal gerade erst vierzehn Jahre alt waren, willigten unsere Eltern nur mit der Einschränkung ein, uns in Dortmund vom letzten Zug abzuholen. Der fuhr aber leider bereits um halb zwölf. Gegen acht Uhr (offizielle Anfangszeit) tauchten wir, vom ersten Bier (es war tatsächlich Irles allererstes (!) Bier) benebelt vor dem Club auf. Dort waren zwar schon einige andere Bier trinkende Subjekte zugegen, der Konzertbeginn allerdings noch in weiter Ferne. Als dann gegen halb zehn erst einmal eine beschissene Vorband die Bühne betrat, sahen wir unseren Konzertspaß mit den GOLDENEN ZITRONEN dahinschmelzen. Im Endeffekt sahen wir noch eine klasse erste halbe Stunde, um dann in allerletzter Sekunde noch unseren Zug zu erreichen. Noch wußten wir nicht, dass diese Unpünktlichkeit für uns zur Normalität bei Konzertbesuchen werden sollte.
Aus diesem Grunde war es für uns kleine, minderjährige Nachwuchspunks immer ein riesiges Problem unterhalb der Woche ein Konzert zu besuchen, da wir ja nun einmal auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen waren, und diese nach Holzwickede nur bis zum Abend, nicht aber die ganze Nacht durch verkehrten. Wenn ich Abends mal Leute vom jeweiligen Club fragten, warum denn die Konzerte auch werktags so spät beginnen mussten, erntete ich nur Schulterzucken. Das sei halt so. In der Dortmunder "Live-Station", die sich direkt im Hauptbahnhof befindet, spielten in den 80er Jahren noch zahlreiche Punk-Bands. Obwohl dort die Veranstalter genau wussten, wann die letzten Nahverkehrszüge, auf die zahlreiche Besucher angewiesen waren, den Bahnhof verliessen, konnte man seine Uhr danach stellen, nach einer Dreiviertelstunde Auftritt der Hauptband den Laden verlassen und zum Zug spurten zu müssen. So brachte ich damals nie in Erfahrung, wie lange das Set von den TOY DOLLS, LEMONHEADS, VIBRATORS, COSMIC PSYCHOS und vielen anderen dauern würde.
Als einige Jahre später die ersten von uns ihren Führerschein machten, verschwand das Problem. Doch es tauchten neue auf. Nicht nur, dass keiner den Abend über nüchtern bleiben wollte, das Problem war, dass sich derjenige, der als Fahrer im Endeffekt auserkoren wurde, nicht immer daran hielt. So besuchten wir damals ein "Scumfuck Festival" im Duisburger "Old Daddy" an einem Dienstagabend und hatten in dem Soester Fanzinemacher Gaffer auch einen Fahrer gefunden. Doch dieser ließ sich aufgrund der guten Stimmung an dem Abend nicht davon abbringen, auch so manches Bier mit den zahlreichen befreundeten Punkrockern aus der ganzen Republik zu trinken. Kaum dass wir gegen zwei Uhr nachts vom benachbarten Parkplatz rollten, sahen wir vor uns auch schon eine rote Kelle. Pusten, Blutprobe, 1.1 Promille, bis zum Mittag erst einmal Fahrverbot. Da auf Irle und mich allerdings am nächsten Morgen die Schulbank wartete, blieb uns nichts anderes übrig, als zum Bahnhof zu stapfen und dort drei Stunden auf einer kalten Bank liegend auf den ersten Zug zu warten.
Die Gefahr der Verkehrs- und damit Alkoholkontrolle lag stets wie ein Damoklesschwert in der Luft. Als ich vor drei Jahren mit der befreundeten Hamburger Band STIMPY zu einem ihrer Konzerte nach Elmshorn vor den Toren Hamburgs fuhr, kamen wir auf dem Rückweg auch in das Vergnügen. Der Auftritt war erfolgreich erledigt, zwei der drei Musiker hatten sich zusammen mit meiner Wenigkeit ausgiebig dem Alkohol gewidmet, der dritte Stimpy mimte den Fahrer. Auf dem Rückweg fing es an zu schneien, was uns aber nicht davon abhielt, schnell noch bei der ersten Autobahntankstelle weitere Biere und eine Flasche Whiskey für die Rückfahrt zu kaufen. Der Tankstellenverkäufer konnte sich scheinbar nicht vorstellen, dass zu drei derartig betrunkenen Typen die seine Tankstelle aufsuchten, noch ein nüchterner Fahrer gehörte und benachrichtigte die Polizei. Die bremsten uns nach wenigen Kilometern mit zwei Wagen spektakulär mitten auf der Autobahn aus und ließen uns auf dem Standstreifen halten. Als unser Fahrer pusten mußte, schlug das Gerät wohl etwas aus, so dass sie ihn zur Wache zwecks Blutprobe schleppten. Damit wir drei betrunkenen Beifahrer nicht auf die Idee kamen, selber weiterzufahren, nahmen sie den Zündschlüssel gleich mit. Da saßen wir nun im Stockdunkeln auf einem Autobahnrandstreifen und um uns herum nur Felder. Ab und an rauschte ein Auto an uns vorbei und zum Glück nicht hinten drauf. Die Zeit verstrich und im Auto wurde es immer kälter. Zu unserem Glück hatten wir noch den Whiskey zur inneren und Dutzende von STIMPY T-Shirts zur äußeren Erwärmung im Auto, die wir uns nach und nach alle überzogen. Ich glaube, nur das hat uns damals vorm Erfrierungstod gerettet.
Nach über zwei Stunden kamen die Bullen mit unserem Fahrer zurück, der uns berichtete, die Blutprobe hätte einen Wert von 0,4 Promille ergeben. Doch obwohl das noch im grünen Bereich war, ließen ihn die Bullen nicht weiterfahren, sondern beschlossen aufgrund seiner, uns nicht erklärbaren, "gefährlichen Fahrweise" ein Fahrverbot bis zum nächsten Tag. Also blieb uns nichts anderes übrig, als ein Taxi mit zwei Fahrern zu bestellen, wovon der eine unseren Wagen fahren mußten. Im Endeffekt kostete uns der Spaß 150 DM. Genau diese Summe wurde zuvor in Elmshorn als Gage gezahlt.
Doch nicht nur als Alkoholkontrolleure waren die Bullen immer eine unangenehme Begleiterscheinung. Als vor vier Jahren die SWINGIN´ UTTERS aus San Francisco im "Marquee" auf St. Pauli spielten, beobachtete mein damaliger Mitbewohner Uwe, wie ein Typ vorm Laden eine Frau mehr als nur verbal belästigte. Uwe ging dazwischen und wollten den Typen vertreiben. Doch der ließ sich solange nicht beirren, bis Uwe ihm mit seinem Schlagring drohte. Der Typ verschwand dann, allerdings nur, um wenig später mit einigen Bullen von der Davidwache im Schlepptau zur Verstärkung wiederzukommen. Diese suchten nun nach einem Punk mit buntem Iro, der das Leben des Prolls, der zuvor die Frau belästigte, bedroht haben sollte und durchsuchten den Club. Uwe zogen wir eine Mütze auf und setzten ihn zwischen die SWINGIN´ UTTERS in den Backstageraum, so dass die Bullen kurz darauf erfolglos von dannen ziehen mußten. Der Typ, der sie mitgebracht hatte, traute sich anschließend nicht mehr zurück ins "Marquee" und verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Anfang der 90er Jahre rief die Hamburger Deutschpunklegende SLIME zum Reuniongig in die Hansestadt und mein Freund Justus und ich folgten dem Ruf auch aus dem weit entfernten Ruhrpott. Wir hatten noch nie so viele Punks auf einem Haufen gesehen wie an diesem Abend in und vor der "Fabrik". Das Konzert selber war dann ein absoluter Knaller und nach wie vor ein Highlight unter meinen Konzertbesuchen. Doch wie es bereits anzunehmen war, ließ auch hier die Staatsmacht ihre Muskeln spielen. Während hunderte von Punks nach dem Konzert die "Fabrik" verließen, hatten die Bullen inzwischen sämtliche Straßenzüge abgesperrt, um so die Meute besser kontrollieren zu können. Doch Punks wären keine Punks, wenn sie das einfach so mit sich geschehen lassen würden. Also wurden kurzerhand von einigen Autonomen aus Altona Straßensperren vor der "Fabrik" errichtet und diese in Brand gesetzt. Dass das den Cops nicht unbedingt gefallen würde, war uns direkt von Anfang an klar. Dass sie daraufhin aber auf alles und jeden eindroschen, der auch nur annähernd so aussah, als ob er zuvor auf dem Konzert war, schockte uns damals ungemein. Zum Glück waren soviel Punks zugegen, dass die Bullen die Lage lange Zeit nicht in den Griff bekamen und viele Punks, vor allem die jüngeren derweil durch die Seitenstraßen entkommen konnten. Justus und ich wurden noch im Altonaer Bahnhof aufgegriffen. Als wir aber ein ICE-Ticket nach Dortmund vorzeigen konnten, wurden wir gnädigerweise wieder auf freien Fuß gesetzt.
Doch nicht nur Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht drohten stets beim Besuch eines Punk-Konzertes. Von engagierten Antifa-Aktivisten wurden Naziübergriffe, meistens grundlos, drohend heraufbeschworen, anschließend eine Wache und Verteidigungstruppe zusammengestellt und dann enttäuscht festgestellt, dass sich mal wieder kein Nazi blicken ließ. Das sägte an den Nerven, denn schließlich wollte man als Antifaschist ja nicht nur Flugblätter gestalten, sondern auch mal aktiv in den Widerstand treten. Und wo wäre es besser gegangen, als bei einer Veranstaltung, wo so viele Gleichgesinnte zusammenkamen wie bei einem Konzert. Da würde man nie auf sich alleine gestellt sein. Und wenn dann leider doch mal wieder keine Nazis auftauchten, guckte man sich gerne nach potentiellen, latenten Faschisten um. Hauptsächlich waren dies Skinheads, ganz gleich wie "sharpig" und links sie auch eingestellt waren. Doch auch andere Punks wurden gerne ausgewählt, als Gegner der Bewegung herhalten zu müssen. Eines Abends besuchte ich mit meiner damaligen Freundin Ginger und LA CRY-Gitarrist Sven ein Konzert im ehemalig besetzten "No Pasaran" in der Lobuschstraße zu Altona. Auch hier machte man sich den ganzen Abend über gefasst auf etwaige Ausschreitungen mit Bullen, Nazis oder sonstigen Angreifern. Diese erschienen allerdings nicht und so entlud sich die aufgestaute Aggression aus bis heute unersichtlichen Gründen zuerst verbal, in Form von heftigsten Pöbeleien auf Ginger, dann, als wir dazukamen auch physisch auf Sven und mich. Einer weiteren Bekannten von uns wurden wenig später im Zuge dieser Ausschreitung noch mehrere Schneidezähne ausgetreten.
Doch nicht immer enttäuschten die Nazis durch Nichterscheinen. Als vor rund zehn Jahren die BECK´S PISTOLS aus Duisburg im benachbarten Düsseldorf in der damaligen "Getho Bar" spielten, erschienen neben zahlreichen Punks, linken Skins und unpolitischen Normalos und Hools auch ein circa zwölf Mann starker Nazimob. Der stellte sich hinten in die Bar und verhielt sich zunächst ruhig, erntete aber immer mehr zum Teil verächtliche, zum Teil verängstigte Blicke. Dazu trug die offene Zurschaustellung ihrer Gesinnung in Form von eindeutigen Aufnähern, T-Shirts und Abzeichen nur bei. Als die BECK´S PISTOLS, um die Situation nicht eskalieren zu lassen, ihr Set spielten, fielen die Nazis zusehends unangenehmer auf. Zuerst forderten sie lautstark alte Stücke der BODYCHECKS (der ehemaligen, in Faschokreisen sehr beliebten Band von BECK´S PISTOLS-Sänger Willi Wucher), danach machten sie sich vor der Bühne breit und rempelten jeden, der nicht zu ihnen gehörte, brutal um. Das wiederum ließen sich zuerst einige Punks aus der Kiefernstraße, später auch zahlreiche Mönchengladbacher Sharp-Skins und andere Konzertbesucher nicht gefallen. Vor der Bar sammelten sich diese, rüsteten auf und erwarteten die Nazis, die nach Konzertende den Laden ja verlassen mussten. Als dieses geschah, kam es sofort zu einer heftigen Straßenschlacht, in dessen Verlauf ein Antifaschist durch einen Messerstich schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Da ich mit dem Auto vor Ort war, fuhr ich mit meiner damaligen Freundin Sabine mehrmals von der "Getho Bar" kleine Grüppchen Punks zur S-Bahn, damit diese nicht den möglicherweise irgendwo lauernden Nazis in die Hände fielen. Am nächsten Montag sorgte diese Geschichte für großen, lokalen Presserummel und einen recht langen Auftrittsstop der BECK´S PISTOLS.
Einige Jahre später spielte die Hamburger Skinheadband SMEGMA im "Kulturbahnhof" Wattenscheid ein Konzert zusammen mit LA CRY, ebenfalls aus Hamburg. Als erstere im Laufe ihres Auftritts das Lied "Immer in die Eier" der Bremer Naziband ENDSTUFE spielten und einige, sich als "unpolitisch" ausgebende Skinheads dieses lauthals abfeierten, missfiel das vielen der anwesenden Punks und es kam zu einer heftigen Saalschlacht mit Stühlezertrümmern, Gläserwerfen und allem was dazugehört. Die Jungs von SMEGMA verstanden, derweil verzweifelt im Backstageraum sitzend, die Welt nicht mehr. Schließlich sei das Lied selber doch völlig "unpolitisch".
Als kurze Zeit später bei einem Konzert der RUHRPOTT KANAKEN im "Haus der Jugend" in Düsseldorf eine kleine Gruppe Nazis während des Liedes "Am Tag als Ian Stuart starb" lauthals "Sieg Heil!" und "SKREWDRIVER!" skandierten, passierte dagegen nichts. Die RUHRPOTT KANAKEN brachen ihren Auftritt ab, ein paar junge Punkmädchen pöbelten in Richtung des kleinen Nazihaufens und das war es. Keiner der ganzen Konzertbesucher hatte den Mumm, das Pack aus der Halle zu prügeln. Die lachten sich ins Fäustchen und verschwanden mit heiler Haut.
Zu meinem Glück kam ich bei all den Ausschreitungen stets mehr oder weniger unbeschadet nach Haus. Tränengasbrennen, blaue Flecken, Blutergüsse und Schürf- und Schnittwunden waren eher die Ausnahme. Äußerst ärgerlich war dagegen allerdings die Geschichte die meinem Freund Justus widerfuhr, als er mit Irle und mir ein Konzert der UK SUBS 1991 in der Wuppertaler "Börse" besuchte. Justus war absoluter UK SUBS-Fan und hatte seine Helden bis dahin noch nie live gesehen. Nachdem wir nach langem Fußmarsch durch strömenden Regen vom Bahnhof zur Börse dort endlich ankamen, lachte uns ein großes Schild mit der Aufschrift "Ausverkauft!" entgegen. Völlig verzweifelt wollten wir uns nach einer halben Stunde in der Kälte stehen wieder auf den Heimweg machen, als wir einige Punks durchs Fenster zur angrenzenden Bar klettern sahen, von wo aus man Zugang zum Konzertsaal hatte. Wir kletterten also flugs hinterher und waren drin. Die Vorband hatte bereits gespielt, und die UK SUBS schickten sich an, ihr Set zu beginnen. Wir drängten, glücklich doch noch reingekommen zu sein, nach vorne, und noch beim ersten Takt brach ein großer Massenpogo aus. Beim zweiten Takt bereits sah ich Justus neben mir zusammenbrechen, denn er war beim Hüpfen so dermaßen heftig umgeknickt, dass er nicht mehr auftreten konnte. Irle und ich schleppten ihn nach draussen auf eine Bank, das Konzert war für ihn gelaufen, die Enttäuschung dementsprechend groß.
Eine weitere große Enttäuschung erlebten Irle und ich bei einem Konzert, welches an meinem 19. Geburtstag stattfand. An diesem Tag spielten die RAMONES auf dem "Bizarre-Festival" bei Aachen. Nachdem wir den ganzen Tag, wie viele andere RAMONES-Fans auch, in praller Hitze für uns unerträgliche Bands über uns ergehen lassen mussten, war die Anspannung dementsprechend groß. Als endlich unsere Helden an der Reihe waren, kannte die Begeisterung keine Grenzen und das Publikum vor der Bühne tobte. Doch bereits nach knapp zehn Minuten verließen die vier New Yorker die Bühne wieder. Verdutztes Staunen machte die Runde. Nach wenigen Minuten kam einer der Veranstalter auf die Bühne, um die Fans mit den Worten zu beruhigen, sie sollten alle ein wenig zurückgehen, damit umgefallene Absperrgitter wieder aufgebaut werden könnten. Dann ginge es weiter. Nach einigen Minuten standen die Zäune wieder und alle dachten, dass die RAMONES ihren Auftritt nun fortsetzen würden. Als aber nach einer weiteren Viertelstunde nichts passierte, machte das Volk lauthals seinem Unmut Luft. Daraufhin erschien Sänger Joey Ramone am Bühnenrand und erklärte, dass sich der neue Bassist, C.J Ramone, eine Woche zuvor eine Verletzung an der Hand zugezogen hätte, die nun wieder so dermaßen schmerzen würde, dass er das Konzert nicht weiterspielen könnte. Sorry, Ciao, das war´s. Wir und hunderte anderer RAMONES-Fans um uns herum fühlten uns verarscht. Die danach auftretenden POGUES hatten einen äußersten schweren Stand beim Publikum.
Enttäuschungen erlebte man im Laufe der Jahre bei Punk-Konzerten immer wieder. Dabei will ich auf die musikalischen Enttäuschungen, die einem dabei ständig widerfuhren, gar nicht erst groß eingehen. Wie viele Bands schaute man sich in der Hoffnung neue Talente kennenzulernen an und wurde bitter enttäuscht? Auch war es oft so, dass aufgrund von einer guten Platte viel zu hohe Erwartungen in ein Konzert einer Band gesteckt wurden, die dann nicht erfüllt werden konnten. Viele Bands können zwar mal ein ganz ordentliches Stück aufnehmen, sind live aber einfach kein Erlebnis. Dazu kamen dann auch noch die Konzerte, bei denen die Band an sich zwar ein gutes Set spielte, aber dank der schlechten Anlage oder eines unfähigen Mixers nach einigen Liedern nicht mehr zu ertragen war.
Wenn einen aber mal keine dieser Widrigkeiten aus der Fassung brachte, schaffte man es meistens höchst selbst, in dem man Alkohol oder die falschen Drogen in zu hohem Maße konsumierte. Beim Abschlußkonzert der Richies- und Psychotic YoutH-Tournee, die ich begleitete, schaffte ich es 1997 in Böblingen, meinen durch die zurückliegende Tour arg geschwächten Körper endgültig auszuknocken. Durch diverse Biere und einige "Wakey Wakey"-Pillen vom schwedischen Merchandiser Martin erneut ziemlich aufgeputscht, traute ich mir auch noch zu, mit den beiden Stuttgarter Punks, die an diesem Abend als DJs fungierten, mehrere Joints zu rauchen. Noch vor Konzertbeginn wurde um mich herum alles schwarz und ich kippte von der Bank, auf der ich saß. Lediglich das mütterliche, aufopferungsvolle Handeln von RICHIES-Drummer Peter Meskath holte mich zurück unter die Lebenden.
Als wir 1994 zu einem Konzert von FACE TO FACE und LAG WAGON nach Bielefeld fuhren, rauchten wir auf der Fahrt so viele Joints, dass ich es, im "AJZ" angekommen, nur noch schaffte, mich zur Bühne zu schleppen und es mir neben einer Monitorbox bequem zu machen. Von beiden Bands bekam ich nichts mit und am nächsten Tag wunderte ich mich über die zahlreichen Turnschuh- und Stiefelabdrücke auf meinem T-Shirt.
Welche Folgen überhöhter Alkoholkonsum bei Punk-Konzerten mit sich zieht, haben die LOKALMATADORE aus Mülheim/Ruhr in ihrem Lied "König Alkohol" bestens besungen. Ausserdem dürfte es kaum einen Punk-Konzertbesucher geben, der diese Erfahrungen nicht gesammelt hat. Demnach erspare ich euch an dieser Stelle nun die unzähligen Saufgeschichten, die hier noch bestens hinpassen würden. Wenn ihr ganz lieb darum bittet, schreibe ich zu diesem Thema vielleicht in einer der nächsten Ox-Ausgaben einen eigenen Artikel unter der Überschrift "Richtig abstürzen - Tips und Tricks vom Experten".
Zum Ende meines Artikels gilt es nun einen Schlusspunkt zu setzen, vor allem aber die Frage zu beantworten, warum ich trotz all dieser unerfreulichen Anekdoten nach wie vor Punk-Konzerte besuche. Dieses Phänomen lässt sich sicherlich nicht in einem Absatz erklären, sondern bedürfte einen eigenen Artikel. Doch soviel kann gesagt werden: Trotz der ganzen Scherereien und Ärgernissen erlebte ich auch viele schöne, lustige und unterhaltsame Abende. Ausserdem traf man über die Jahre hinweg zahlreiche nette, witzige und interessante Leute, woraus sich im Laufe der Jahre zu einigen eine regelrechte Freundschaft entwickelt hat. Und nicht zuletzt ist es aber auch der Ärger, der Stress und die Enttäuschung, die Punk-Konzerte immer wieder spannend und aufregend machen. In diesem Sinne also, auf noch viele folgende wilde Abende und Nächte.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #42 März/April/Mai 2001 und Abel