Amy Rigby und Wreckless Eric berichteten in Ox #97 darüber, wie sie 1976 in New York beziehungsweise London die Anfänge von Punk miterlebt haben. Ich bat die beiden, zwölf Alben von Punk-Wegbereitern zu kommentieren. Welche Bedeutung hatten diese Bands und Alben für sie?
CAPTAIN BEEFHEART & HIS MAGIC BAND „Trout Mask Replica“ (1969)
Amy: Wahrgenommen habe ich Captain Beefheart durch meinen damaligen Freund, der die Angewohnheit hatte, immer „webcore, webcore“ zu sagen, ein Zitat aus dem Song „Golden birdies“ vom Album „Clear Spot“.
Eric: Das ist ein innovatives Album, aber es ist nicht mein Favorit. Ich bevorzuge „Strictly Personal“. Ich habe damals eine Monoversion bei Woolworth aus der Schnäppchenkiste gezogen, da war ich 15 Jahre alt. Ich höre die Platte noch immer. Im Vergleich dazu klingt die Stereoversion seltsam, und das meine ich nicht positiv.
THE STOOGES „s/t“ (1969)
Amy: Ich kam erst durch „Lust For Life“ zu Iggy. Es war erst später angesagt, die STOOGES zu kennen.
Eric: Als ich 16 Jahre alt war, kam Randy, ein amerikanischer Mitschüler, für ein Jahr auf unsere Schule. Er erzählte mir von diesem Sänger mit dem Namen Iggy Pop, der sich auf der Bühne mit Glasscherben die Haut aufschnitt und über die Köpfe des Publikums lief. Aber Platten von den STOOGES hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht gehört. Randy brachte mir auch LOVE näher, ihr Album „Forever Changes“ fand ich viel interessanter.
MC5 „Kick Out The Jams“ (1969)
Amy: Wie bei den STOOGES war ich auch hier zu jung und habe diese Band erst viel später bewusst wahrgenommen.
Eric: Du hast eine weitere Platte rausgesucht, die ich damals verpasst habe. Da ist viel Lärm auf diesem Album und die Leute machten daraus auch eine große Sache, aber manchmal frage ich mich, ob es vielleicht nur viel Rauch um nichts ist. „Kick out the jams, motherfuckers ... I want to kick ’em out“ – stimmt das wirklich? Die Revolution fand in der Fantasie ihres Managers John Sinclair statt. Letztlich waren MC5 keine Umstürzler, sondern eine großartige Rockband und „Kick Out The Jams“ ist meiner Meinung nach eines der besten Live-Alben aller Zeiten. Ich traf Wayne Kramer, als er 1978 aus dem Knast kam, da erzählte er mir alles von seinem Abstieg zum Drogendealer.
Patti Smith „Horses“ (1975)
Amy: Von diesem Album und von Patti Smith war ich besessen, als ich 1976 zum Studieren nach New York kam. Ich schnitt meine Haare ab, trug ein weißes Hemd und eine Krawatte, um wie Patti Smith auszusehen. Das Album ist perfekt. Es gab nichts und niemanden wie sie, das gilt noch immer.
Eric: Patti Smith ist zu dieser Zeit an mir vorbeigegangen. Ich hörte „Piss factory“ und fand das Stück interessant, aber ihre Version von „Gloria“ sprach mich gar nicht an. Komplett habe ich das Album nie gehört, das sollte ich vielleicht mal nachholen. Aber ich mochte immer den Song „Redondo Beach“.
THE MOTHERS OF INVENTION „Freak Out!“ (1966)
Amy: Auf der Party zu meinem 13. Geburtstag bekam ich ein MOTHERS OF INVENTION-Poster geschenkt, mein Vater verlangte aber, dass ich es in den Müll warf. Ein paar Tage später sah ich es dann wieder, im Zimmer meiner älteren Brüder.
Eric: Mein Exemplar habe ich auf dem Flohmarkt gekauft. Ich hatte das Album vorher nie, nur einige Songs auf Compilations und auf Kassette. Als ich 15 war, hatte ich einen amerikanischen Freund, der alle Mothers-Platten hatte. Ein Wochenende haben wir uns dann alle Platten der Reihenfolge nach angehört. Danach fühlten wir uns zwar erleuchtet, aber glaube nicht, dass wir das wirklich waren.
THE VELVET UNDERGROUND
„The Velvet Underground & Nico“ (1967)
Amy: Mein erster Kontakt mit VELVET UNDERGROUND war die „Foggy Notion“-EP aus dem Jahr 1976. Am meisten sprach mich der Gesang bei „I’m sticking with you“ an. Ich fragte mich: Warum ist es erlaubt, so unschuldig zu klingen, wenn die Musik das genaue Gegenteil aussagt? Hier spürte ich viel von einer Welt, die ich bis dahin nicht kannte.
Eric: Als ich in den frühen Siebziger Jahren die Kunsthochschule besuchte, war es quasi unumgänglich, VU zu hören. Wir gründeten eine Band und versuchten, ebenfalls so zu klingen, aber es war schwieriger als gedacht. Ich versuche noch immer herauszufinden, wie das funktioniert.
David Bowie „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust
And The Spiders From Mars“ (1972)
Amy: Wir haben damals die Schule geschwänzt und gingen zu einer Mitschülerin namens Colleen nach Hause – die bösen Mädchen, das waren immer die irischen. Ihre Großmutter schlief im Wohnzimmer in einem Krankenhausbett, während wir tanzten und laut sangen, zu Stücken wie „Wham bam!“ von den SMALL FACES und Bowies „Suffragette City“.
Eric: Das erste Mal habe ich Bowie 1969 gesehen. Nur er alleine, in einem braunen Cordanzug, gelockte Haare und mit einer zwölfsaitigen Eko-Akustikgitarre. „Das ist meine neue Single“, sagte er, „Ground control to Major Tom.“ Ich bin noch immer ein Fan. Ich wollte auch so androgyn sein wie er, allerdings hatte ich nicht den Mut dazu. „Ziggy Stardust“ kam gerade heraus, als ich anfing an der Kunsthochschule zu studieren. Für mich deutete alles darauf hin, dass alles auf die nukleare Verwüstung hinauslaufen würde und uns bald eine hell erleuchtete, strahlende Zukunft erwartet.
THEM „The Angry Young Them“ (1965)
Amy: THEM habe ich erst vor kurzem entdeckt. Ich wurde mit der Zeit immun gegenüber Van Morrisons Gesang, aber hier denke ich daran, was er kann. Bei „Don’t look back“ entfalten Gitarre und Keyboard synchron einen reinen psychedelischen Zauber.
Eric: Ich weiß nicht, worauf THEM so wütend sind, auf der Platte findet sich darauf keine Antwort. Es klingt so, als ob sie ihre Bestimmung suchen. Das Album „The Angry Young Them“ ist okay, aber den Nachfolger „Them Again“, den muss man haben. Der Originalgitarrist ist fantastisch, aber hier ist, glaube ich, auch noch Jimmy Page zu hören.
T. REX „The Slider“ (1972)
Amy: Eine weitere Platte, die für mich unerreichbar war, als ich jung und leicht zu beeindrucken war.
Eric: Dieses Album habe ich nie gehört. Die Singles waren immer großartig, aber auf den Alben waren mir zu viele Lückenbüßer.
ROXY MUSIC „For Your Pleasure“ (1973)
Amy: Ich bin ROXY MUSIC-Fan und ich liebe Bryan Ferrys Soloalben, die Mitte der Siebziger Jahre veröffentlicht wurden. Diese Musik könnte ich immer hören, und es wurde mir niemals langweilig dabei herauszufinden, wie sie das gemacht haben.
Eric: Ein sagenhaftes Album. Ich weiß, dass viele Leute ihr erstes Album abfeiern, aber für mich war „For Your Pleasure“ bahnbrechender. Es ist gruselig, verrückt, und als es veröffentlicht wurde, gab es nichts Vergleichbares.
THE TROGGS „From Nowhere“ (1966)
Amy: Die TROGGS waren eine gewaltige Inspiration, süße Melodien und primitive Rhythmen. Erinnert mich an Wreckless Eric.
Eric: Die Singles waren das Beste bei den TROGGS, ganz besonders die B-Seiten. Die Idee eines ganzen Albums wirkt auf mich etwas bizarr, aber gut, vielleicht muss ich meine Meinung ja ändern.
CAN „Tago Mago“ (1971)
Amy: „Was ist das für eine eigenartige, skurrile Urmusik?“, fragte ich mal meinen vielleicht zwanzig Jahre alten Arbeitskollegen, mit dem ich einer Kneipe war. „Junge Leute können sich heute so viel erlauben!“. Und er antwortete: „Das sind CAN, 1971.“
Eric: Ein weiteres großartiges Album. Ich habe CAN 1972 live gesehen, an der Universität von Sussex. Es war sicherlich nicht ihr bester Auftritt, aber ich war trotzdem froh, dort gewesen zu sein.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #125 April/Mai 2016 und Kay Werner