Punk & Religion Teil 13: Sakristei und DIY reloaded

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Matthias Isecke-Vogelsang

In Ausgabe #157 haben wir Einblicke in Kooperationen zwischen kirchlichen und Szenestrukturen gegeben und mit Backs von Positive Records einen Konzertveranstalter zu Wort kommen lassen, der als bekennender Atheist Punk- und Hardcore-Konzerte auch in konfessionell gebundenen Jugendzentren veranstaltet. In diesem Teil wechseln wir jetzt die Perspektive. Matthias Isecke-Vogelsang ist Punk, Schulleiter im Ruhestand und Aktiver in der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, einem Selbstverwaltungsgremium der Kirche, das aus Geistlichen und Laien besteht. Mit der Kombination hat er Verständnis für die Ethik der Subkultur Punkrock einerseits und Einblicke in die Strukturen und Ziele der kirchlichen Jugendarbeit andererseits und vereint deren Widersprüche und Schnittstellen in einer Person.

Matthias, was hast du zuerst für dich entdeckt, Punkrock oder deinen Glauben?

Das war der Glaube. Danach kam zuerst eine Hippie-Zeit für mich und dann der Punk. Auslösendes Moment war auch der Generationenkonflikt mit meinen Eltern, insbesondere mit meinem Vater. Da war Punk ein willkommener Anlass, mal richtig gegen den Strom zu schwimmen.

Wann und wie hast du dann Ämter in der Kirche übernommen?
Durch mein Interesse an Philologie und Religion wurde ich Religionslehrer und habe dann als Lehrer auch schon früh Fortbildungen für Kolleginnen und Kollegen durchgeführt. Mit meinen Schulklassen habe ich außerdem an Kirchentagen teilgenommen. Dadurch kamen Kontakte zustande, und ich bin immer mehr eingebunden worden, bis die Frage aufkam, ob ich auch als Funktionär tätig werden wolle. Zunächst bei uns im Kirchenkreis und dann auch auf Landesebene in Schleswig-Holstein.

Schulleiter und Kirchenfunktionär zu sein bedeutete, dass du jeweils in hierarchisch organisierte Systeme involviert warst. Gab es in dir kein inneres Widerstreben? Oder konstruiere ich da ein Problem, das es nicht gab?
Nein, das konstruierst du gar nicht. Mir und anderen stellte sich oft die Frage, wie das zusammenpasst. Entscheidend ist und war immer die Frage, wie flach eine Hierarchie aufgebaut ist und wie transparent Entscheidungen getroffen werden. Wenn du Teil dieser Hierarchie bist, hast du darauf einen direkten Einfluss. Das Delegieren von oben herab war nie mein Ding. Und letztendlich ernennt man sich auch nicht selber zu irgendetwas. Die Rolle, die man in einem System bekommt, ist das Ergebnis einer Wahl oder Ernennung, es steht also immer eine demokratische Legitimierung dahinter.

Welche Gruppe trat dir ablehnender gegenüber: die Kirche beziehungsweise der Beamtenapparat, weil du Punk bist, oder die Punks, weil du Christ bist? Wer hat es dir am schwersten gemacht?
Interessant, diese Frage ist mir so noch nie gestellt worden. Eine wirklich ablehnende Haltung habe ich gar nicht erfahren, von keiner Seite. Eher Interesse, Überraschung und ein kritisches Hinterfragen. Die Leute haben immer schnell gemerkt, dass ich die mir anvertrauten Aufgaben gut mache, von daher verschwand die Exotik meiner Person schnell aus dem Blickfeld. Ich muss aber dazusagen, dass ich in Schleswig-Holstein unglaublich viel Glück gehabt habe, das wäre in anderen Bundesländern bestimmt in der Form nicht möglich gewesen. Der Norden ist in dieser Hinsicht generell offener. Wo ich viel mehr Widerstand erfahren habe, war in Lübeck seitens der politischen Rechten, als dort nach meiner Ernennung zum Schulleiter die NPD Handzettel in den Briefkästen verteilt hat, auf denen stand, ich sei kein richtiger deutscher Schulleiter. Dann gab es noch eine Internetplattform, die linke Lehrerinnen und Lehrer anprangerte, da war ich auch mit drauf. Von dieser Seite gab es mächtig Gegenwind.

Sind jugendliche Subkulturen eigentlich ein Thema für die kirchliche Jugendarbeit der Amtskirchen?
Kirche will natürlich wahrgenommen werden und möchte alle Menschen ansprechen. Das tut sie nicht immer beziehungsweise nicht häufig genug, finde ich. Oder man erreicht immer die gleichen Milieus. Daher ist es wichtig, auch andere anzusprechen. Die Fühler auszustrecken und zu zeigen, dass es auch Gemeinsamkeiten, Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten gibt. Und dafür sind meiner Meinung nach auch Kirchentage ein gutes Beispiel, dass so etwas möglich ist. Weil wir – und jetzt spreche ich für den Protestantismus – seit 500 Jahren darum bemüht sind, dass jeder mitmachen kann und nicht nur eine berufene Schar von Leuten.

War die Kirche in der ehemaligen DDR ein Vorbild, was die Zusammenarbeit mit Subkulturen angeht? Insbesondere die DDR-Punks hatten in Kirchen Rückzugsgebiete und kulturelle Freiräume.
Ich kenne niemanden, der heute sagt, dass die Kooperation der DDR-Kirche mit den Punks kein Erfolg war. Von daher waren die Ost-Kirchen auf jeden Fall ein Vorbild. Ob das damals in den Ost-Kirchen selbst jedes Mitglied auch so gesehen hat, wage ich zu bezweifeln. In den Amtskirchen gab es auch Stimmen, die in dieser Hinsicht den Ball flach halten wollten. In den alten Bundesländern gab es diese Forderungen später auch. Die Kirchen in Mecklenburg und Vorpommern sind mit der Regierung völlig unterschiedlich umgegangen, was auch heute noch zu großen Spannungen zwischen ihnen führt. Ich jedenfalls bin sehr froh, dass es diese Möglichkeiten damals gegeben hat, dass Punks und auch Umweltverbände sich unter dem Dach der Kirche versammeln konnten, und bedaure, dass sich diese Kultur der Kooperation nach 1989 nicht weiter fortgesetzt hat.

Punk und Hardcore ziehen größtenteils ein Publikum an, das religionskritisch bis -ablehnend ist. Damit bietet die Kirche Menschen ein Forum, die sie ablehnen. Wird dieser Widerspruch in der kirchlichen Jugendarbeit wahrgenommen und problematisiert oder ausgeblendet?
In Kirchenkreisen, die offen und gesprächsbereit sind, ist das nicht das Problem. Das Problem wird wahrgenommen, aber unter dem Gesichtspunkt der Freiheit des Menschen. Damit kommen wir in den Bereich der evangelischen Dogmatik. Freiheit wird als elementares Gut angesehen, und das ist nicht nur ein Lippenbekenntnis. Darum wird die Türe auch nicht zugeschlagen.

Gilt das für Künstler:innen und Besucher:innen gleichermaßen?
In Bezug auf den Freiraum für beide. Ich habe zum Beispiel mit meinen Schülerinnen und Schülerin immer auch den Text des Songs „Die zehn Gebote“ von DIE TOTEN HOSEN besprochen, in denen die Gottesfrage kontrovers thematisiert wird. Das ist nicht das Problem. Als zum Beispiel von Fridays For Future überhaupt noch nicht die Rede war, hatten sich schon Umweltgruppen unter dem Motto „Bewahrung der Schöpfung“ unter dem Dach der Kirche zusammengefunden. Unser Ansatz ist nicht die Frage danach, wie die Menschen gegenüber der Kirche eingestellt sind. Es geht uns darum, wie Menschen gegenüber anderen Menschen eingestellt sind. Und wenn es da Defizite gibt, wird es für uns problematisch. Wenn das Menschsein an sich abgelehnt wird. Da gibt es einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Es ist also egal, welches T-Shirt du trägst oder ob du Religion ablehnst.

Wie stehst du zu den Jesus Freaks, die ihren christlichen Glauben sehr stark mit einem subkulturellen Lebensstil verbinden?
Da bin ich kein Experte. Ich kann nur so viel sagen, dass die Landeskirchen keine Berührungspunkte damit haben. Das geht mir auch zu sehr in die Richtung einer Missionierungsarbeit. Inhaltlich-theologisch knüpfen die meiner Meinung nach eher an das 19. Jahrhundert an, genauer gesagt an den Pietismus und Erweckungsbewegungen. Damit kann ich mich nicht identifizieren, mit diesem Überstülpen von Glauben. Von daher ist das eine Minderheit, die keinesfalls repräsentativ ist für kirchliche Jugendarbeit.

Jetzt haben wir viel über Offenheit gesprochen, was macht für dich einen offenen Christen aus?
Das ist ein Thema für ein Hauptseminar, aber ich versuche eine kurze Antwort zu finden. Wogegen ich mich erst mal sträube, ist eine Haltung, die suggeriert, dass man eine offene Einstellung hat, im Grunde aber sehr konservativ ist. Das entspricht nicht meinem Freiheitsbild. Was ich persönlich mit offen meine, ist die Chance zu haben, sich individuell zu entwickeln. Ihre Bedürfnisse zu artikulieren, ihren individuellen Glauben zu finden und diese Dinge dann auch zu realisieren. Im Umkehrschluss heißt das, dass ich die gleichen Dinge dann auch bei anderen Menschen anerkenne, dass sie ihre Wege finden, um sich selber zu entwickeln. Offenheit ist ein gegenseitiges Hören, Nehmen und Geben.

Worin siehst du dann den Unterschied zwischen einem humanistischen Weltbild und einem christlichen? Um das zu erkennen, braucht man doch keinen Glauben, oder?
Diesen Vergleich habe ich interessanterweise schon mehrfach in Diskussionen mit Punks gehört. Stimmt, das ist ein humanistisches Weltbild. Aber dafür muss ich noch ein Stückchen exegetisch weiter gehen, also bezogen auf den Inhalt der Bibel. Da wurde Jesus einmal gefragt, welches das höchste Gebot sei. Und die Antwort ist: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Diese Aussage ist humanistisches Weltbild pur, völlig einverstanden. Jetzt kommt die religiöse Komponente dazu, die sagt, man solle seinem Gott vertrauen. Also auf eine Macht, die außerdem noch Einfluss auf mich und andere Menschen hat.

Wärst du ein anderer Typus von Christ, wenn du Punkrock für dich nicht entdeckt hättest?
Sehr hypothetisch! Ich hoffe nicht. Ich hoffe, genauso offen gegenüber Minderheiten und Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, geworden zu sein. Ich kann nur sagen, dass ich mich in dieser Symbiose zwischen Christ und Punk ganz wohl fühle.

Zum Schluss: Welcher ist dein Lieblingssong, der sich kritisch mit dem Christentum auseinandersetzt?
Da gibt es einige, separat hervorheben möchte ich keinen. Es gibt Songs, die mich zum Lachen oder auch zum Nachdenken bringen. Andere überzeugen mich nicht oder regen mich sogar auf. Die ganze Bandbreite. Ich finde aber in den kritischen Songs schon manchmal Impulse dafür, wie Kirche, insbesondere die Amtskirche, sich weiterentwickeln kann.