PUNK-TRADITIONEN - TEIL 33

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Punkerkutte

Nein, wir reden heute nicht über die Punkerlederjacke. Sondern über die Punkerkutte.

Empirischen Untersuchungen seitens des Autors und seiner Gattin im eigenen Hirn zufolge ist die Punkerkutte vermutlich ein Kind der 1990er Jahre. Bis dahin trug der Punk von Welt Lederjacke (mit Nieten, hinten selbstgemalte Bandlogos drauf) und sein Hardcore-Bruder ’ne Kapu. Jeansjacken mit Stoffaufnähern drauf (vulgo: Patches) waren Sache der Metaller. Nicht der IG Metall-Aktivisten, sondern der Heavy Metal- und Hardrock-Fans. Und der Rocker, wie Männer auf Motorrädern damals noch hießen, bevor sie die Motorräder wegließen und bald auch die Jacken und dann nur noch gewöhnliche Gangster waren. Die nähten (oder ließen nähen: Mama, Oma, Freundin, Schneiderin [Disclaimer: hier wurde aus Annäherung an die historische Wahrheit bewusst nicht gegendert]) ihre Verbandsabzeichen und auch mal Bandaufnäher (AC/DC, MOTÖRHEAD etc.) auf (blaue) Jeansjacken und bisweilen wurde das von hochnäsigen, arroganten Punkschnöseln als eine Art von Trachtenvereinsverhalten belächelt. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass Patches („Aufnäher“) damals gar nicht so leicht zu bekommen waren. Und so was mal eben selbst herstellen zu lassen, wie es heute möglich ist, war undenkbar. Da hätte man ja zu einer Firma gehen müssen, die Aufnäher für Schützengilden, Feuerwehren und Karnevalsvereine herstellt.
Irgendwann aber tauchten auch Punks mit Jeansjacken auf, die mit Aufnähern (und Buttons) verziert waren. Ich denke, es waren eher Leute aus dem tierrechtsaffinen Crust-Kontext, die als vegan lebende Menschen keine Lederjacke tragen wollten. Sowieso lassen sich Patches auf dünnem Jeansstoff einfacher befestigen als auf dickem Leder. AMEBIX, CRASS, AUS-ROTTEN etc. sah man dann in den 1990er Jahren öfter. Und dann kamen TURBONEGRO und machten mit ihrem schrägen Humor und ausgeprägtem Geschäftssinn einen Trend (einen Hype?) daraus. Hatte bis dahin die eher cleane Fan-Jacke den Ruch des Mofarockers, konnte man nun für einen steifen Kurs mit dem jeweiligen Chapter-Namen bestickte Turbojugend-Levis-Jacken kaufen. Die wurden meist mit nun immer öfter im Versandhandel erhältlichen (teils sogar offiziellen) Logo-Aufnähern verziert, die aber auch mal weniger offiziell sein konnten und können. Man gehe mal mit offenen Augen über die Merch-Meile eines beliebigen Festivals und staune, was man in China so alles herstellen lassen kann, ohne dass die im Einzelfall gar nicht so reiche Band etwas davon abbekommt. Nur ganz Kreative lassen sich hier (Digitaltechnik macht es möglich) individuelle Kleinauflagen herstellen.
Die Punkerkutte, insgeheim wissen wir das, hat was Militärisches. Rangabzeichen, Auszeichnungen, Einheitszugehörigkeit, Auslandseinsätze – all das wird bei Soldaten über entsprechende Uniformaufnäher und Abzeichen kommuniziert. Zeig mir deinen Patch und ich sag dir, wer (und was) du bist. Und diese Funktion erfüllen die Aufnäher auch im Punk-Kontext. Mittels der Auswahl der als jackenwürdig erachteten Patches wird der eigene exquisite Geschmack zu Markte getragen, auf dass die gegenüber, daneben, dahinter Stehenden beim Konzert erkunden und bewundern können, was der Träger (bewusst nicht gegendert, Damenkutten sind eher selten ...) doch für einen exquisiten Geschmack hat. Oder was für eine Meinung: Über Patches mit durchgestrichenem Hakenkreuz (von vorsichtigen Zeitgenossen nur mit Sicherheitsnadeln befestigt und nicht angenäht) gab es einst gerichtliche Auseinandersetzungen, hier wird pro dies und contra jenes Stellung bezogen, eben „Gegen Nazis“, für Tierrechte, für Menschenrechte, gegen Waffen und Kriege und was eben sonst individuell wichtig erscheint. Gerne werden solche Politslogans und -logos auch mit Bandpatches vermischt, die bisweilen auch die Arbeit an der Tür eines AZ vereinfachen: Deppen mit Onkelz-Aufnähern müssen leider draußen bleiben.
Der (abgebrochene) Kommunikationswissenschaftler in mir resümiert an dieser Stelle: Punkerkutten sind ein Kommunikationsmedium für Eingeweihte, das subtile Botschaften innerhalb des „Tribes“ versendet, aber auch der Außenwelt signalisiert: Ich bin keiner von euch, sondern einer von denen.