Zum 20. Geburtstag seines Labels gönnte sich Joose Berglund, Chef von Stupido Twins, einem der coolsten finnischen Label, die ultimative Finnlandpunk-Box „Punk Ja Yäk! Suomipunk 1977-1987“. Auf vier CDs finden sich 132 Songs von unwesentlich weniger Bands aus den ersten zehn Jahren finnischen Punkrocks und Hardcores. Mit dabei sind beispielsweise PELLE MILJOONA, EPPU NORMAALI, RATTUS, TERVEET KÄDET, KOHU-63, KAAOS, APPENDIX und RIISTETYT, alles Bands, die sich bis heute sogar in den USA und Brasilien, aber auch in Mitteleuropa unter Kennern großer Beliebtheit erfreuten. Ich versuchte im Dialog mit Joose zu ergründen, worin genau der der Reiz und die Besonderheit der Bands aus dem Norden lag und liegt.
Was ist das Besondere an finnischem Punk und Hardcore, dass es sogar Fans in einem so weit entfernten Land wie Brasilien gibt und die Leute bis heute fasziniert?
Vielleicht liegt es an der Sprache. Finnisch hört sich gut und exotisch an, speziell wenn man laut schreit. Außerdem haben die langen Winter und der absolute Mangel anderer Zerstreuung – vor allem in den Siebzigern und Achtzigern – die finnischen Bands dazu gebracht, viel zu proben, immer härter als ihre Konkurrenten in Westeuropa. Die Auswirkungen auf Songwriting und musikalische Fähigkeiten sind nicht zu überhören.
Wie und wann wurde dein Interesse an Punk und Hardcore geweckt?
Ich war 13, als Punk gerade aufkam, also war es nicht zu übersehen. Obwohl die meisten Kids in der Schule mehr der Teddyboy-Szene angehörten, ein ganz spezielles finnisches Phänomen, oder dem John-Travolta-Disco-Müll, gab es immer auch Einzelne, die mehr zum Individualismus tendierten und zu einer Art Rebellion. Für uns war Punk wie geschaffen – wäre ich fünf Jahre früher geboren, wäre ich wahrscheinlich ein linker Hippie geworden.
Haben die Kids früher einen Unterschied gemacht zwischen Punk und Hardcore?
Als einige unserer Punk-Idole etwas an Glanz verloren haben, wendeten sich viele von uns entweder dem Post-Punk zu oder der Hardcore-Bewegung. Ich selbst war irgendwo dazwischen. Aber vor allem die Hardcore-Kids waren von Grund auf anders als die früheren Punks. Sie waren radikal gegen die Kommerzialisierung ihrer Szene, aber auf der anderen Seite sind trotzdem viele davon versumpft in Alkohol und Drogen, was auch viele Konzerte verdorben hat, und etliche haben der Szene den Rücken gekehrt.
Was war das für eine Zeit, als Punk „groß“ wurde?
In den Siebzigern war Finnland ein sehr düsteres Land. Wir hatten nur zwei staatliche TV-Sender, ein paar wenige Radiosender, die Clubs schlossen um Mitternacht und es gab sehr strenge Jugendschutzgesetze. Es blieb dir bald nichts anderes übrig, als eine Punk-Band zu gründen und dein eigenes Fanzine herauszubringen, denn die Mainstream-Medien wollten mit Punk nichts zu tun haben.
Und wie „groß“ wurden Punk und Hardcore in Finnland damals?
Also jeder in meiner Nachbarschaft, der cool war, trug natürlich ein paar Buttons, aber so viele waren wir nicht. Auf meiner Schule, in einer gehobenen Mittelschichtsgegend, waren mein Kumpel, der mir übrigens bei meiner Compilation geholfen hat, und ich die Einzigen, die so etwas trugen. Trotzdem hatte eine Band wie PELLE MILJOONA sogar eine Goldene Schallplatte. Hardcore andererseits war ein schon fast sektenartiger Kult. Selbst die Punks mochten diese Szene nicht, da sie in ihren Augen die ursprüngliche Punk-Szene durch ihre hoffnungslosen Alkohol- und Drogenexzesse zerstört hatten. Ein Freund von mir, der Sänger der Punkband VANDAALIT, brachte es auf den Punkt: Warum um alles in der Welt würden Jugendliche mit solchen Pennern abhängen wollen?
Welche waren die bedeutendsten Labels zur damaligen Zeit? Haben da Majorlabels auch eine Rolle gespielt?
Die Majors hatten zum Großteil keine Ahnung vom Punk, bis auf ein paar mehr oder weniger gute Compilations. Das einzige größere Indielabel, Love Records, hatte einen guten Riecher, was Punkbands anging, und brachte viele Alben raus, bis es 1979 wegen schlechten Managements pleite ging, es wurde dann vom Johanna-Label übernommen. Punk war das Startsignal für ein Label wie Poko, das jetzt nach all den Jahren mit EMI und Propaganda Records fusionierte, aber immer noch Sachen veröffentlicht.
Wer hat diese Compilation zusammengestellt und was hat dich motiviert, sie herauszubringen?
Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage! Ursprünglich wollte ich ein Buch schreiben über die Geschichte von Punk in Finnland, ich hatte sogar schon einen Verlag und alles war unter Dach und Fach, bis ich herausgefunden habe, dass in Kürze schon ein Interview-Buch über dieses Thema erscheinen würde. Meine Herangehensweise war eher soziologisch, ähnlich wie bei Jon Savage in seinem Buch „England’s Dreaming“. Ich glaube, ich hätte es geschafft, da ich ein Diplom in Geschichte habe und als Journalist gearbeitet habe, dann habe ich mich aber doch entschieden, die CD-Box zu machen. Für einen Labelbetreiber und zweifachen Vater war das einfach weniger zeitaufwändig. Und ein kleines Buch ist ja auch dabei, ein 72-seitiges Booklet mit vielen Bandfotos. Als Kind habe ich mal „Nostalgia is dead“ auf meine Turnschuhe geschrieben, aber ich muss zugeben, eine solche Box zusammenzustellen, ist schon sehr nostalgisch. Aber durch diese Compilation habe ich viele alte Freunde wiedergetroffen, die ich seit Jahren nicht gesehen habe. Irgendjemand musste wohl so etwas mal rausbringen. Und jetzt bin ich schon beim nächsten Projekt, einer Compilation mit finnischem Achtziger-Post-Punk für euch Neo-Goths da draußen!
Wie viel Zeit und Aufwand hast du in die Compilation gesteckt?
Ich habe im Frühling und Sommer 2008 angefangen, Songs zu sammeln, und im Herbst hatte ich 132 Songs zusammen. Ich versuchte dann, ein Mitglied von jeder der 79 Bands dazu zu bewegen, die eigenen Songs zu kommentieren, sodass das 72-seitige Booklet entstehen konnte. Nur von einer obskuren Hardcore-Band namens DACHAU gibt es keinen Bandkommentar. Ich weiß noch, wie ich am Silvesterabend 15 Minuten vor Mitternacht immer noch beim Abtippen der Texte war, bevor ich die erste Sektflasche öffnete.
Fehlen Bands auf der Compilation aufgrund von rechtlichen Problemen oder ist die Zusammenstellung so gut wie komplett?
Im Grunde habe ich alle Bands bekommen können, die ich wollte. Nur ein paar Hardcore-Bands sind nicht dabei, da die Jungs mir ihre Sachen nicht fristgerecht zugeschickt haben. Aber Bands wie W.D.M oder STALIN waren hingegen sehr produktiv.
Und wie groß und vollständig ist deine private Sammlung?
Ich habe noch alle Alben aus der Zeit, aber ich war nie der typische Sammler. Wenn ich mal eine Party gebe, liegen all meine 7“s ohne Hülle irgendwo rum. Als ich diese Compilation zusammenstellte, hatte ich eines Nachts mal alle Singles wahllos auf dem Fußboden verteilt und mein Hund hat auf sie gekotzt. Glücklicherweise hatte ich zu dem Zeitpunkt die Singles in Hüllen verpackt, so dass nur eine Platte hinüber war.
Was würdest du jemandem raten, der vor hat, die alten Platten aus jener Zeit zu sammeln? Wo sollte man anfangen, was sollte man kaufen und zu welchem Preis?
Kauf dir die verdammte Box! Man bekommt die Compilation in Deutschland auf jeden Fall bei Mailordern wie Kioski, Nordic Notes und Twang!, oder man bestellt sie direkt im Internet unter punkboxi.net. Die alten Original-Singles sind natürlich wertvolle Sammlerstücke, aber ich würde nicht empfehlen, astronomische Preise für ein kleines Stück Plastik zu bezahlen. Es gibt jetzt auch eine 7“-Rerelease-Serie mit Finnland-Punk von Combat Rock Records, die man stattdessen kaufen kann.
Wie ist es um die heutige finnische Punk-Szene bestellt?
Es gibt immer noch Punks und Punkbands, aber für mich war dieser recycelte „MTV-Punk“ nie ein Thema. In meiner Jugend haben wir die Etiketten unserer Jeans abgerissen, um auf keinen Fall etwas mit Kommerz zu tun zu haben. Heutzutage würden viele Bands für einen Jeans-Sponsor sterben. Diesen unideologischen und ultrakommerziellen Stil habe ich nie verstanden. Die Hardcore-Szene ist jedoch definitiv noch ziemlich Underground, aber ein paar bekanntere Bands gibt es schon, wie zum Beispiel KAKKA-HÄTÄ 77, I WALK THE LINE und ANAL THUNDER.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #88 Februar/März 2010 und Joachim Hiller