PUNK IN DER DDR-INTERVIEWS

Foto



Bitte stell dich kurz vor: Wann und wo geboren, was mach(t)en die Eltern, wie ist dein Lebenslauf?

Jörg Löffler: Geboren 1964 in Dresden, Mutter Friseurin, Vater Werkzeugmacher. Schulabschluss 10. Klasse, Lehre als Werkzeugmacher, Arbeit als Mechaniker in einem kleinen Privatbetrieb. Musiker früher unter anderem bei PARANOIA, KALTFRONT, heute BIG BAD SHAKIN' und KALTFRONT.

Arnim Bohla: 23.12.1962 geboren. Eltern hatten so genannte normale Berufe: Lehrer und Verkäuferin. Aufgewachsen auf dem Land und kaum Möglichkeiten oder Notwendigkeiten gesehen, aus diesem Leben auszubrechen. Schule mit Pionierorganisation, dann FDJ mit Funktionen innerhalb der Organisation, Abitur, Armee und Job. Wie damals üblich, sehr zeitig geheiratet und zwei Kinder. Frühzeitig, durch den Vater, Großvater politisch erzogen worden. Großvater hat sich zum Beispiel, um dem Kriegsdienst zu entgehen, selbst verwundet.

Carsten Hiller: Geboren 07.06.1970 in Bad Saarow, Wohnort heute: Fürstenwalde. Familienstand: ledig, eine Tochter. 1976-1986 Ausbildung zum Möbeltischler, PGH "Neuer Weg" Erkner. Berufstätigkeit: 1988-1989 Möbelmonteur, VEB Innenprojekt Halle, 1989-1990 Angestellter der Stadt Fürstenwalde, Club im Park, Zivildienst, Angestellter - als ABM - Stadt Fürstenwalde, Club im Park, 1993 Angestellter, Club im Park, seit 1994 Pädagogischer Mitarbeiter im Offenen Jugendbereich - Club im Park - des Fördervereins für Jugend- und Kulturarbeit e.V. Seit 2000 Leiter der Einrichtung Club im Park berufsbegleitend. 2000-2003 Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher im Oberstufenzentrum I in Frankfurt/Oder. Von 2004 bis 2006 Mitarbeiter im Bereich Ambulante Hilfen/Hilfen zur Erziehung und parallel seit 2005 Mitarbeiter im Soziokulturellen Zentrum OFFI Bad Freienwalde, verantwortlich für Kultur. Vater: Fachdirektor bei der HOG, Mutter: Personalabteilung in einer Sparkasse, Schwester: Laborantin, 7 Jahre älter.

Andreas Kohl: Geboren am 8. September 1972 in Dessau, heute Sachsen-Anhalt. Meine Eltern arbeiten beziehungsweise arbeiteten beide in technischen Berufen, meine Mutter in der Verwaltung einer Spedition und später im Arbeitsgericht und mein Vater als Verfahrenstechniker in der chemischen Industrie. Mein Lebenslauf war der eines ziemlich durchschnittlichen DDR-Jugendlichen, also Kindergarten, allgemeinbildende Polytechnische Oberschule, erweiterte Oberschule mit Abitur. Und dann Studium der Kommunikationswissenschaften, Politikwissenschaft und Wirtschaftspolitik. Das Ganze immer sehr stark geprägt von einer kritischen Einstellung gegenüber Herrschaftsstrukturen, was mir sicherlich durch mein Elternhaus mitgegeben wurde, das zwar eher christlich, aber eben gerade deshalb skeptisch gegenüber dem sozialistisch-totalitärem System handelte und agierte.

Henryk Gericke: 1964 geboren in Ost-Berlin, heute Autor. Vater war Dramaturg bei der DEFA, Mutter im DEFA-Außenhandel.

Mike Göde: Geboren in Berlin-Köpenick am 20.08.1966. Mein Vater war Kohlenträger und Boxer. Meine Mutter war und ist Sekretärin. Lebenslauf: 10 Klassen abgeschlossen, erlernter Beruf, heute selbständiger Gerüstbauer, seit über 25 Jahren Musiker in der Punkrock- und Hardcore-Szene. Die Bands: 1980-1982 BANDSALAT - Punkrock, 1983-1985 BETONROMANTIK - Punkrock, 1985-1990 REASORS EXZESZ - Punkrock/Hardcore, aus denen entwickelte sich PUNISHABLE ACT.

Mike Wendt: Geboren am 02.09.1968 in Eisenberg. Meine Eltern arbeiteten, wie so ziemlich alle Leute bei uns in Hermsdorf, im VEB Keramische Werke Hermsdorf. Meine Mutter arbeitete als Chemielaborantin und ist jetzt in Rente, und mein Vater, der leider vor drei Jahren starb, arbeitete als Schweißer. Mein Lebenslauf liest sich wie viele in der DDR. Bis zu meiner Schuleinführung 1975 ging ich in den Kindergarten und besuchte bis 1985 die Polytechnische Oberschule "Werner Seelenbinder" in Hermsdorf. 1985-1987 machte ich eine Ausbildung als Kellner bei der Mitropa und arbeitete im Anschluss bis 1992 als Kellner und am Hotelempfang im Autobahnhotel Hermsdorfer Kreuz. Ab 1986 machte ich die ersten musikalischen Versuche und 1987 gründete ich mit ein paar Freunden die UGLY HURONS. Hier hatte ich den Part als Sänger und wir erspielten uns zumindest im südlichen Teil der Republik einen gewissen Bekanntheitsgrad. Ab 1989 organisierte ich mit Peter Winkler, dem Sänger von U.A.N., in Hermsdorf die ersten offiziellen Konzerte. 1992 begann ich mit einigen Leuten, da es im Ort nichts mehr gab und nach der Wende alles abgewickelt wurde, in Hermsdorf unser JUZ aufzubauen, machte in der Abendschule einen Abschluss als Sozialarbeiter und arbeite bis heute im Jugendhaus Hermsdorf, wo ich immer noch circa zwei Konzerte pro Monat organisiere. Ich lebe seit 13 Jahren mit meiner Freundin zusammen und wir haben eine 4-jährige Tochter.

Volly Tanner: Schriftsteller, Journalist, Radiomoderator, DJ & Punk-Exzessist. 1970 fiel ich aus allen Wolken und in die grauende Wattigkeit der DDR, in der ich das ganz normale Los zog, Schule, Lehre als Facharbeiter für Anlagentechnik mit Abi und so weiter. Dann hüpfte der dicke Kohlkopf in unser aller Leben und verschiedene Studien brachten mich durch verschiedne Bildungsanstalten. Häuser wurden besetzt, komische Jobs vergeigt und Zeitungen gegründet, so genannte Litfanzines: "vergammelte schriften & ejAculAtA". Der Social Beat schlug um mich herum ein und mich ans Kreuz - das Connewitzer Kreuz in Leipzig -, später schrieb ich dann auffällig boshafte Bücher, in Lyrik und Prosa, unter anderem das Buch über die Band DIE ART oder "Berlin muss brennen!" oder "Bastardparadies", tourte wie ein Verrückter und bekam den Cabinet-Kleinkunstpreis 2004 für mein Schaffen im Bereich der verbalen Tiefschlägerei. Musikalisch war zwischen 1986 und 1989 die kleine Krachherstellungskompanie EINZELHAFT mein highmatlicher Hafen. Wir waren laut, wir waren schlecht - aber wir wussten, wie rum Gitarren zu halten sind - und damit waren wir vielen von heute schon mal voraus. Meine Mutter war volksbildend unterwegs und mein Vater war ein Führer - einer für Lokomotiven -, aber auch sonst eher einer auf der rechten Seite, einen Bruder habe ich auch noch, der ist ein bewaffnetes Organ, so mit Dienstpistole und jagt Hühnerdiebe in irgendeinem Kaff bei Bautzen. Meinen ersten Schrei gegen die Welt ballerte ich dem Hallenser Irrwitz entgegen und nun hat mein Anker sich in Leipzig festgezurrt, genauer in Leipzig Lindenau, dort wo es kracht und stinkt und die ganze Nacht BumBumTekkenMüll aus den deutschlandfarbenfahnengeschmückten Kemenaten dringt.

Hendrik Franke: Mein Lebenslauf in der DDR ist relativ normal für einen kleinen Zonenjungen: Kindergarten, zehn Klassen Polytechnische Oberschule, das allerdings, ohne in solchen Organisationen wie FDJ, Freie Deutsche Jugend, oder DSF, Deutsch-Sowjetische Freundschaft zu sein, was letztendlich nicht einfach war und mich das Abi kostete, FDJ war halt Voraussetzung. Ich hätte das noch wieder gut machen können, indem ich in die Partei, die SED, eingetreten wäre, aber irgendwie wollte ich auch das nicht ... Nach der Schule begann ich eine Lehre als Schriftsetzer, machte die zu Ende, weil Mutti es so wollte, kündigte danach sofort, jobbte ein bisschen ungelernt in einem Pflegeheim und machte viel Urlaub, schließlich braucht man ja auch Zeit für Konzis und so weiter Um die NVA kam ich glücklicherweise drum herum, irgendwie wollten die mich nicht so richtig, ich hatte aber auch bei meiner Musterung den Dienst mit der Waffe verweigert, mehr war bei uns nicht drin, jedenfalls kamen die dann erst nach der Wende auf mich zu und somit war der Zivildienst kein Problem.

Steffen Schölzel: Am 04.04.1968 in Sömmerda, Thüringen geboren und dort bis vor einem Jahr gelebt. Mein Vater ist Bauingenieur und meine Mutter war bei der Deutschen Bank angestellt.



Wie, wann und durch wen kamst du mit Pop/Rockmusik in Kontakt, und wie dann mit Punk? Welche Bands/Platten waren das?

Jörg Löffler: Popmusik, in den frühen 70er Jahren durch Radio und Fernsehen. Mit Freunden und Klassenkameraden hat man sich dann ausgetauscht. Aber was die meisten so gehört haben, hat mir nicht gefallen. Irgendwie bin ich dann Ende der 70er auf Punk gekommen. Obwohl ich anfangs noch nicht den Überblick hatte, wusste ich, das ist mein Ding. Platten hatte ich da keine. Aber auf englischsprachigen Radiosendern, die wir auf Mittelwelle schlecht empfangen konnten, lief manchmal was, CLASH, UNDERTONES, THE JAM, XTC. Auf Radio Luxemburg wurde mal "My way" von Sid Vicious gespielt. Alle haben sich über diese Blasphemie aufgeregt. Kurz zuvor war Elvis gestorben. "My way" war seine letzte Single und geisterte noch lange durch die Charts. Ich fand es cool, dass jemand diese Schnulze zerlegt.

Arnim Bohla: Mit 10 immer wieder fasziniert vom Rock der 60er und ab 1973 vom aufkommenden Glamrock. Das Radio war die einzige Möglichkeit, diese Musik zu hören, was mein Bruder und ich auch ausgiebig taten. Dabei, entgegen den Bestrebungen des Vaters, auch - oder besser: fast nur - die Sender aus dem Westen gehört. Zu den ersten Bands gehörten dann im Rockbereich URIAH HEEP, BLACK SABBATH, TEN YEARS AFTER und VELVET UNDERGROUND. Letztere deuteten schon an, dass der Mainstream nicht das sein wird, was mich ewig begleitet. Neben Glambands wie SLADE, T. REX, Bowie kamen auch einige Teeniebands bei mir recht gut an, wie zum Beispiel RUBETTES, MUD oder HELLO. Da an Platten nicht zu denken war, wurden als Quelle, diese Musik aufzunehmen, das Radio genutzt und Sendungen wie "Rock Over RIAS" entdeckt, die nächtelang "geile" Musik spielten. Da gab es dann auch vereinzelt Musikblöcke mit Bands, die eher in die Richtung VELVET UNDERGROUND zeigten. Das erste Mal, als ich dann MC 5 mit "Kick out the jams" hörte, oder MUSIC MACHINE, die STOOGES mit Live-Aufnahmen, die eher einem Kampf als einer Show glichen, war alles andere vergessen. Und irgendwann gab es dann mal im Sender DT64 einen Beitrag über die neuen verabscheuungswürdigen Bands aus England. Was Walter Ulbricht in den 60ern mit seinem "Yeah, Yeah, Yeah" gegen die aufkommenden Beatbands wetterte, übernahmen jetzt die so genannten Jugendsender in Sachen Punk. Das war das erste Mal, dass ich den Begriff "Punk" hörte. Da die Songs nicht ausgespielt wurden, war der Reiz umso größer, sich diese Titel irgendwie zu besorgen. Der Sound von "Blitzkrieg bop" und "Rockaway beach" ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Und dann endlich auch im RIAS eine Nacht lang Punkrock. Mittlerweile war ich über 15 und ich erinnere mich noch heute genau an jeden Song, der im ersten Block gespielt wurde: "Borstal breakout" von SHAM 69, "White riot" von CLASH und "Anti social" von SKREWDRIVER. Danach folgte das geniale "I'm sure we're gonna make it" von IVY GREEN und der Virus Punkrock hatte mich endgültig infiziert. Die erste Punkplatte, die ich dann später mein Eigen nennen konnte, war die "Singles Going Steady" von den BUZZCOCKS und "die" SEX PISTOLS-Platte. Beide habe ich mir von Bekannten aus Ungarn einschmuggeln lassen und 100 beziehungsweise 120 Ostmark pro Platte bezahlt. Bei einem Verdienst von 800 Mark war das schon ein stattlicher Preis. Später kamen dann auch ungarische Punk- und New Wave-Platten dazu. Ostdeutsche Platten gab es nur 1983 von KEKS und PANKOW. KEKS coverten in ihren Konzerten einige Punksongs, unter anderem auch "My way" von Frank Sinatra/Sid Vicious. Mitte der 80er kam dann auch DT64 mit der Sendung "Parocktikum", welche von Lutz Schramm moderiert wurde. Dort gab es dann neben einer Menge Indie auch Diverses zum Thema Punk. Vor allem spielte er auch Ost-Bands, die mit Tapeveröffentlichungen ihre Botschaft unters Volk brachten. 1983 während meiner Armeezeit hatte ich noch ein Schlüsselerlebnis in Halle an der Saale: Während einer von der Armee organisierten Party traf ich vor der Lokalität einen recht bunt anzuschauenden Zeitgenossen. Gestylte Haare, Nietenjacke und so weiter. Lag natürlich nah, einen solchen Typen mal anzusprechen, denn so typisch war es für die DDR ja nicht, dass hier Punks ständig auf der Straße zu sehen waren. War ein nettes Gespräch und ich hab an dem Tag auch erfahren, dass es neben KEKS auch noch Punkbands im Untergrund gibt. Der Typ erzählte mir von seiner Band mit dem Namen MÜLLSTATION.

Carsten Hiller: Meine erste Lieblingsband war mit 10 Jahren AC/DC, ältere Jungs, mit denen ich meist spielte, brachten mich auf diese Band. Die hörte ich bis ich 13 Jahre war mehr oder weniger regelmäßig bei Freunden, da ich weder einen Kassettenrecorder noch einen Plattenspieler hatte und meine Schwester mir ihren nur selten und ungern zur Verfügung stellte, um dann die bei Amiga erschienene "Highway To Hell" von AC/DC zu hören. Mit 13 Jahren habe ich mein komplettes Jugendweihegeld in einen Kassettenrecorder mit Radio und zwei Magnetbandkassetten investiert. Zu dieser Zeit gab es auch die ersten Discobesuche, bei denen ich Soul und Funk für mich entdeckte. Mit 14 Jahren wurde ich, durch Freunde beeinflusst, zu einem großen DEPECHE MODE-Fan. Mit 15 Jahren sah ich dann zum ersten Mal den Film "Beat Street" von Harry Belafonte und war fortan dem HipHop sehr zugetan. Mit 16 Jahren hörte ich begeistert Sade, HipHop, DEPECHE MODE und wieder verstärkt AC/DC. Da ich keine Westbeziehungen hatte, besorgte ich mir diese Musik über Freunde oder nahm sie bei DT64 auf. Auf der Berufsschule in einem Internat in Seelow traf ich dann in meiner Klasse auf einen Jungen, André M. aus Frankfurt/Oder, der ein absoluter Musikfreak war, Gitarre spielte und auf meinem Zimmer war. Dieser André brachte Woche für Woche Tapes mit neuer Musik mit, die wir nachts auf einem alten Kassettenrecorder immer und immer wieder hörten und dabei auch stets Bier tranken - was cool war, aber nicht immer schmeckte. Auf diesen Tapes war zuerst vor allem Musik von U2, THE STRANGLERS, THE CLASH, P.I.L., den SEX PISTOLS, THE CURE, und den TOTEN HOSEN zu hören, später haben wir überwiegend DEAD KENNEDYS, DIE ALLIIERTEN, CANALTERROR und erste Aufnahmen von lokalen Bands wie zum Beispiel DOWN AT HEEL oder PAPIERKRIEG gehört. Mir gefielen zuerst eigentlich nur U2, später immer mehr die TOTEN HOSEN - da ich ihre Texte verstand und diese meinem Lebensgefühl damals ziemlich genau entsprachen.

Andreas Kohl: Diese Verantwortung trägt zweifellos mein Vater, dessen Begeisterung für den Rock'n'Roll und Rockabilly der 50er Jahre die wohl prägendste Erfahrung für mich war. Die Präsenz von Musik in meinem Elternhaus ging weit über das übliche Maß hinaus. Gene Vincent, Eddie Cochran, Alvin Stardust, Johnny Burnette waren allgegenwärtig und es verging keine Minute, in der das alte Tesla-Tonbandgerät mal nicht dudelte. Unsere Plattensammlung war überschaubar. Die Tonbänder, die sich auf der Schrankwand meiner Eltern stapelten, hingegen nicht. Da wurde keine Gelegenheit ausgelassen, im Radio mitzuschneiden, ja, sogar an den Fernseher wurde angestöpselt, wenn N3 in der Reihe "Fernsehmuseum" alte Folgen von "Oh Boy" oder "Let's Rock" wiederholte. Der Schritt zum Punk war ein langsamer, fließender. Vielleicht habe ich ihn bis heute nicht vollständig beschritten. Mein Punk-Verständnis ist sicher ein nicht ganz so Plakatives wie das von vielen anderen. Ich habe erst sehr viel später bemerkt, dass ich bereits in jungen Jahren offenbar mehr Punk war, als ich mir damals selbst eingestanden hätte. Ich hab mich vielmehr als Hippie gesehen, der sich auf kirchlichen Veranstaltungen herumtrieb, auf denen hin und wieder auch Bands spielten. Die ersten wirklichen Punkplatten, die ich besaß, waren ein paar Tapes der RAMONES, PETER & THE TEST TUBE BABIES, CLASH, U.K. SUBS, CHELSEA, so das Übliche eben. Obwohl ich auch damals immer schon fasziniert war, wenn bestimmte Klischees gebrochen wurden - Klischees, die ich ja noch nicht mal richtig kannte -, wie das zum Beispiel Ian Dury oder Adam Ant gemacht haben. So etwas hat mich fasziniert, so ein, sagen wir mal, Proto-Wave-Zynismus.

Henryk Gericke: Ich kam nicht durch Bands oder Platten zu Punk. Punkplatten gab es in der DDR nicht, ihre Einfuhr war verboten. Ich kam zum Punk durch einen Artikel in einer DDR-Zeitung. Dort stand was von Londoner Jugendlichen, die sich Punks nennen, auf den Konzerten gegenseitig umbringen und die Leichen in die Kanalisation werfen. Das fand ich verstörend genug, um mich mit 14 für Punk zu interessieren. Mein erster Song, den ich für Punkrock hielt, war "Rock'n'roll damnation" von AC/DC, mein erster Song, der Punk war, "Hong Kong Garden" von den BANSHEES.

Mike Göde: Pop/Rockmusik war im Radio regelmäßig zu hören. Bis zu meinem 13. Lebensjahr hörte ich, was angesagt war, AC/DC, T. REX und so weiter. Zu Punk kam ich durch meinen älteren Bruder René, der stand eines Tages vor mir im Punk-Outfit und in der Hand eine Kassette mit der ersten Platte der SEX PISTOLS, "Never Mind The Bollocks". Später folgten dann alle angesagten Punkbands wie CLASH, DAMNED, STRANGLERS ...

Mike Wendt: Bei uns zu Hause liefen eigentlich immer "Westradio" und "Westfernsehen", und das Erste mit Musik, an das ich mich erinnern kann, ist eine von meinen Eltern aufgenommene Kassette, die ich zu meinem 7. Geburtstag bekam, da ich mir "englische Musik" gewünscht habe. Ich hab keine Ahnung mehr, was da drauf war, aber ich fand's super. Zum selben Geburtstag bekam ich von meinem Patenonkel aus Hamburg meine erste Schallplatte. Er kaufte mir im Intershop eine Scheibe von den LES HUMPHREY SINGERS. Toll! Anfang der 80er hab ich mich dann für den ganzen NDW-Kram begeistert. Das war aber zum großen Teil das ganze Zeug, was im Radio lief, da meine musikalischen Quellen aus RIAS und Bayern bestanden und immer fleißig mitgeschnitten wurde. Dann fand ich irgendwie DEPECHE MODE klasse und irgendwann kamen dann im Fernsehen bei "Formel Eins" DIE ÄRZTE und DIE TOTEN HOSEN und noch andere Bands, die eben nicht am Freitag in der Radio-Hitparade bei Bayern 3 auftauchten.

Volly Tanner: Ganz am Anfang war das Wort - Leonard Cohen, die gelbbraune Platte, die es in den Bibliotheken gab, und ich hab die mir dann dort weggefunden, befreit aus der Hand Unwürdiger sozusagen. Punk kam 1984, ich war jämmerliche, verkorkste 14 Jahre alt und niemand mochte mich, manchmal wurde ich rot, wenn Mädchen mit mir redeten. Da fand ich eines Tages auf einem Flohmarkt eine Platte der SEX PISTOLS, also das ganz traditionelle Ding, damit hatte der Virus ein neues Opfer gefunden und ich nahm ihn bereitwillig in mich auf. Zu dunklen DDR-Zeiten gab es immer mal Tapes zum Kopieren - SCHLEIM-KEIM und so - und im Radio machte Lutz Schramm meine Ohren sauber. Eigentlich war für mich Punk jedoch eher weniger Musik, mehr Einstellung: Ich war Punk - ich war gegen euch!

Hendrik Franke: Zur Musik kam ich 1981/82 über die NDW und dann auch ganz schnell zu so Semi-Punk-Sachen wie Nina Hagen, SIGUE SIGUE SPUTNIK, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, TON STEINE SCHERBEN ... Freunde spielten bei der Ausbildung des Musikgeschmacks natürlich auch ein riesige Rolle, irgendwie schleppte jeder irgendwas an und die Radiosendungen waren auch viel besser damals, da wurde auch mal mit ein bisschen Mut gehandelt und nicht nur die Mainstream-Scheiße gedudelt. Starthilfe gaben damals der NDR, die John Peel Session und aus der Heimat der Jugendsender DT64. Da gab es zum Beispiel die Sendung "Die ganze Platte", wo jede Woche eine Seite einer LP komplett gespielt wurde, die zweite Seite gab es nächste Woche, die Tracklist konnte man sich zuschicken lassen. Gema? Gema kacken! Gema ist Wessi-Mist, da brauchten wir uns wohl nicht drum zu kümmern. Jedenfalls liefen da auch so Platten wie die RAMONES, CLASH und so weiter. Geile Sache! Unvergessen natürlich die Sendung "Parocktikum", die sich ausschließlich der Punk- und Underground-Mucke widmete. Diese Sendung war definitiv wichtiger als Sex! Dann kam noch dazu, dass L.E. eine Großstadt ist und zu einer Szenehochburg in Sachen Punk und Underground wurde. Im Gegensatz zur ersten Punkwelle, welche fast ausschließlich in Berlin existierte.

Steffen Schölzel: Mein erster Kontakt mit Rockmusik war die Gruppe QUEEN, mein Cousin war großer Fan und hat mir Kassetten davon überspielt. Später folgten dann: THE SWEET, SLADE, LED ZEPPELIN und DEEP PURPLE. Alles, was man halt irgendwie bekommen konnte. Irgendwann hörte ich im Radio bei HR3 die SEX PISTOLS, gefolgt von IDEAL. Das hat mich so umgehauen, da wollte ich gar nichts anderes mehr hören. Schwer beeindruckt und beeinflusst haben mich vor allem THE RAMONES, THE MISFITS, COCKNEY REJECTS, THE EXPLOITED, D.R.I., MOTÖRHEAD, AC/DC, aber auch die frühen TOTEN HOSEN, HANS-A-PLAST, SISTERS OF MERCY, THE CURE oder solche Sachen wie PALAIS SCHAUMBURG. Hauptsache, es war schnell, hart oder schräg - am besten alles zusammen ... Verboten war ja eh fast alles, bis auf die PUDHYS und KARAT. Habe am Anfang auch nur englischen Punk gehört, deutsch war mir zu blöde. Auf jeden Fall war es die Art, wie diese Musik gespielt wurde. Das hob sich auch von dem ganzen Metal-Kram ab, den die anderen gehört haben. Punks gab es nicht in Sömmerda. Den ersten Iro sah ich erst Jahre später in Erfurt, so Anfang der 80er.



Was hat dich an Punk interessiert, was machte den Reiz aus?

Jörg Löffler: Ich fühlte mich als Außenseiter und da war Punk die optimale Musik. Wenn ich zu Feten mit meinen Kassetten gekommen bin, haben die meisten anderen die Flucht ergriffen. Es blieben nur die wirklich "Harten" ... Viele dachten, es wäre nur eine Provokation. Das war es teilweise. Aber mir hat diese Musik wirklich gefallen: schnell, einfach, direkt und negativ. So was gab es vorher nicht - Bands wie SONICS oder STOOGES waren uns damals völlig unbekannt.

Arnim Bohla: In erster Linie die Aggressivität, die in den Songs förmlich zu spüren war. Natürlich spielte auch eine Rolle, andere Musik zu hören als die "Masse".

Andreas Kohl: Nun ja, was macht den Reiz von Punk für einen 13/14-Jährigen aus ...? Die Punks, mit denen ich in meiner Heimatstadt konfrontiert wurde, erfüllten alle Klischees nahezu perfekt: abgerissene Kleidung, bunte Haare und viel, viel Alkohol. Mich hat das am Anfang eher abgestoßen, aber natürlich trotzdem fasziniert. Ich war der Meinung, um wirklich etwas bewegen zu können, sollte man Konfrontationen dort suchen, wo aus ihnen etwas inhaltlich Wertvolles entstehen kann. Passanten anpöbeln, in einem Land, in dem es keine kapitalistische, sondern allenfalls eine idealistische Kritik an der grauen Masse geben konnte, war mir einfach zu wenig. Heute sehe ich das freilich anders. Vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass ich eben kein Arbeiterkind war, sondern aus einer Intelligenzler-Familie kam und schon von der sozialen Herkunft nicht richtig dazugehören konnte.

Henryk Gericke: Punk war unberechenbar in einem Land, wo der ganze Lebenslauf vom Reißbrett kam.

Mike Göde: Es war anders. Es war frischer, aggressiver und provokanter.

Mike Wendt: Das war eigentlich nicht nur Punk, sondern einfach Musik, die anders war. Der Reiz lag zum Beispiel darin, Leuten in Schule und Lehre, die damit überhaupt nichts anfangen konnten, zu erklären, dass sie absolut keine Ahnung von Musik hätten. Denn wir waren die, die SEX PISTOLS, DEAD KENNEDYS, HANS-A-PLAST und EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN hörten. Dann kam noch dazu, dass die Bands unheimlich cool aussahen. Wir wollten eben nicht sein wie die Mehrheit der Jugendlichen.

Volly Tanner: Punk war Revolte, ein Aufstand gegen die Popperwirklichkeit, gegen dogmatische, faschistische Schummelkuscheligkeit. Punk war meine Rettung vorm Versinken in einer Welt, der alle angehören. Punk war meine Chance, Individualität zu leben. Punk war das, was meine Eltern nicht verstanden und wogegen sie nichts tun konnten. Punk war in mir, ein Stachel, der mich zwang zu schreien, um mich zu treten und mit Gegenständen zu werfen. Punk war mein Manifest - und Punk ist dies alles immer noch für mich!

Hendrik Franke: Was damals den Reiz am Punk ausmachte, weiß ich eigentlich gar nicht so genau. Die Freunde waren halt irgendwie auch da, die Mucke war geil, die Punks waren einfach die Netteren, und vor allem die Schöneren, Menschen mit was in der Birne. Das Bewusstsein, Protest und Politik, all das kam später, da ist man mit 13, 14 einfach noch zu klein, das kam so mit 16 oder 17 Jahren.

Steffen Schölzel: Punk war für mich am Anfang einfach nur die schnellste, aggressivste und genialste Musik, die ich bis dahin gehört hatte.



Wie hast du damals Punk definiert?

Jörg Löffler: Ich habe das nicht definiert, die Probleme hatten die anderen. Da wurden ständig solche Fragen gestellt: Was bedeutet die Sicherheitsnadel? Was bedeutet dieser Spruch? Was bedeuten die Nieten? Wir haben darauf nur blöde Antworten gegeben. Es hatte keine Bedeutung. Es ging um die Ästhetik.

Arnim Bohla: Anders sein. Das Thema, die legen sich dort drüben im Westen mit dem System an, spielte eine große Rolle. Aus meiner Sicht gab es dazu in der DDR keine Veranlassung. Ich empfand, bis auf wenige Sachen, den Osten immer als das bessere Gesellschaftsmodell.

Carsten Hiller: Ich definierte Punk damals als links, gerecht, düster, aufregend, aggressiv, verrucht, kraftvoll, spektakulär und geheimnisvoll.

Andreas Kohl: Was Punk damals war, war mir zu offensichtlich, deshalb hab ich mich selbst nicht als Punk gesehen. Erst viel später hab ich verstanden, um was es wirklich ging, und dass eben das Plakative erst die Möglichkeit geschaffen hat, bestimmte Dinge zu diskutieren. So als ob der saufende Punk auf der Straße quasi die Tür aufgemacht hat. Das war so im Herbst 1988. Und ab da hab ich mich auch als Punk gesehen, wenn ich auch nicht so aussah. Sicherlich hatte das auch was damit zu tun, dass ich mich schon damals auf Konzerten herumtrieb, die eben weniger dieses Punk-Klischee bedienten, sondern so einen avantgardistischen Ansatz hatten, organisiert zum Beispiel durch FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER oder AG GEIGE.

Henryk Gericke: Ich habe Punk damals gar nicht definiert. Das war ja der Reiz daran, dass das noch fließend und nicht festgelegt war. Punk bedeutete ja, sich neu zu erfinden, also Definitionen abzulegen.

Mike Göde: Anfangs wollte ich mich von der breiten Masse abheben, aber über vieles war ich mir gar nicht im Klaren. Es war cool, rebellisch zu sein.

Mike Wendt: Bei uns in der Kleinstadt gab es die Definition "Punk" nicht wirklich, zumindest am Anfang. Wir wurden eine ganze Zeit lang im Ort einfach "die Bunten" genannt.

Volly Tanner: Punk gab mir die Möglichkeit, nicht dazugehören zu müssen. Man war ja sowieso schon Aussatz! Damals dachte ich, im politischen Bereich wäre Punk eine positive Art von Anarchie - auch ich habe später erfahren müssen, dass Punk leider ein Lifestyle ist. Punk war D.I.Y. - meine ersten Texte, grauenhafte Stümpereien. Es ging gegen Staat und Faschisten, gegen meine Eltern und die Nachbarn, gegen die MZ-fahrenden Ficker aus meiner Berufsschulklasse, die all die Mädchen abbekamen und gegen diese Weichbirnen, die ihre Beine breit machten, damit sie mittwochs ab 19 Uhr in der Großräschner Disko Tatkraft ihre Wodka-Cola ausgegeben bekamen. Das kotzte mich an und deshalb gab es Punk in meinem Leben. Punk war damals eindeutig "dagegen" zu sein, da gab es kaum positive Assoziationen.



Wie wichtig oder überhaupt möglich war die optische Komponente von Punk - Frisur, Haarfarbe, Kleidung? Wie sah die aus?

Jörg Löffler: Da wir nicht in eine Punk-Boutique gehen konnten, haben wir ziemlich viel selbst gebastelt und eigene Ideen entwickelt. Wir haben uns an dem orientiert, was wir auf Bildern in Zeitschriften gesehen haben. In Dresden lebten wir ja so ziemlich hinterm Mond. Dass es noch mehr Punks in der DDR gibt, haben wir anfangs gar nicht gewusst. Da entwickelte sich so eine Art Biotop. Nachdem wir Ende 1982 Kontakte zu anderen DDR-Punks geknüpft hatten, haben wir uns viel von denen abgeschaut und da begann die Uniformierung.

Arnim Bohla: Bis auf ein paar "Verkleidungen", so möchte ich das mal in meinem Fall nennen, bin ich äußerlich immer recht "normal" durch das Leben gewandelt. Denn das erste Mal mit einer Sicherheitsnadel im Ohr in der Schule erzeugte ohnehin nur Kopfschütteln und Unverständnis.

Carsten Hiller: Obwohl ich den Zugang zur Erweiterten Oberschule - EOS - hatte, entschied ich mich, auch auf Druck meines Vaters für eine Ausbildung zum Tischler, und während der theoretischen Ausbildung war ich im Internat der Berufsschule in Seelow untergebracht. Zu dieser Zeit hatte ich mir eine totale Verweigerungshaltung zugelegt, mir die Haare wachsen lassen und war outfitmäßig wohl eher Richtung "Hippie" oder - wie wir diese Leute damals nannten - "Penner" unterwegs. Irgendwann kam mein Zimmergenosse André mit Boots aus dem DDR-Jagdbedarfsladen in Frankfurt/Oder an und ließ sich die Haare ähnlich Sid Vicious schneiden. Ich fand dieses Outfit zuerst total hässlich, vor allem die groben Schuhe, konnte mich aber bald diesem aggressiven und wilden Look nicht mehr entziehen und besorgte mir ebenfalls "Jägerboots", ging zum Friseur und ließ mir die Haare kurz schneiden, um sie mir anschließend mit Seife auf Punk zu trimmen Für mich war die optische Komponente des Punk enorm wichtig, da sie sowohl meinem Geschmack als auch meinem Lebensgefühl entsprach: Provozieren, Auffallen, Gerechtigkeit einfordern, irgendwie militant und die Zugehörigkeit zu einer extremen Subkultur signalisierend.

Andreas Kohl: In meiner ursprünglichen Definition von Punk war die optische Komponente klar festgelegt: Iro, Lederjacke mit allerlei Schmierereien drauf, vorzugsweise MÜLLSTATION- und DAILY TERROR-Schriftzug, Domestos-Jeans oder andere zerrissene Hosen. Ich war das ganze Gegenteil davon und wechselte outfitmäßig zwischen Rockabilly-Look mit ordentlich geschmierter Tolle und brutalstem Ostblueser- und Hippie-Image hin und her. Hirschbeutel, eingeschmuggelter Bundeswehrparka, Tramper und Batikhose inklusive. Das ist bis heute meine Definition von Punk geblieben: Ich kann rumlaufen, als käme ich gerade vom JEFFERSON AIRPLANE-Konzert, kann aber trotzdem MINOR THREAT hören.

Henryk Gericke: Die Optik war enorm wichtig. Zunächst als Experiment mit allen möglichen und unmöglichen Accessoires, später dann leider in Form der Uniformierung von Punk durch Lederjacke, Nato-Hose und Springerstiefel. Auf jeden Fall war ein Punk-Outfit in der DDR eigentlich ein klarer Fall von Republikflucht, da man das FDJ-Blauhemd und überhaupt die hilflose und ältliche DDR-Jugendmode verhöhnte.

Mike Göde: Alles, was man sich besorgen konnte, wie Motorradlederjacken, Militärstiefel, alte Sackos und Mäntel, wurde leidenschaftlich getragen im Zusammenhang mit Sicherheitsnadeln, Ketten, Nieten und selbstgemachten Badges. Die Haare waren gefärbt und hochgestellt, auch ein Iro schmückte meinen Kopf in schimmerndem Weiß.

Mike Wendt: Da ich ja Kellner lernte, hatte sich das Thema Frisur für mich mehr oder weniger erledigt. Die Haare hatte ich eigentlich immer schwarz gefärbt. Das ging auch auf der Arbeit durch. Ganz am Anfang hatte ich die Seiten kurz und oben drauf so eine Art Dauerwelle, was im Nachhinein völlig Scheiße aussah. Etwas später hab ich mir die Haare etwas wachsen lassen und im Job einfach glatt nach hinten gekämmt, nach Feierabend Haarspray oder Seife rein und alles quer durcheinander. Klamottentechnisch haben wir so ziemlich alles selbst so hergerichtet, wie wir es brauchten oder konnten. Wir waren auf alle Fälle sehr kreativ. Da es in der DDR selbst bei der Armee keine richtigen Schnürboots gab, griffen wir auf Wanderschuhe zurück. Die waren günstig und erfüllten ihren Zweck.

Volly Tanner: Die war nicht wirklich so wichtig, in meinem Umfeld waren auch Skins, die Popmusik hörten, und Grufties, die THE CURE hörten. Mein Umfeld war schon immer sehr durchmischt, da mich die Geschichten der anderen Leute immer sehr interessierten. Damals verkehrte ich in einer Kneipe, den Drei Linden in Großräschen, da waren hauptsächlich alte Süffel und Kriminelle zugegen und die erzählten von ihrem fantastischen Leben. Das hat mich eigentlich immer mehr gefesselt als irgendwelche Dresscodes.

Hendrik Franke: Optisch sich zum Punk zu bekennen, war später denn auch auf alle Fälle sehr wichtig für uns. War vielleicht nicht so einfach wie im Westen, aber auch nicht so schwierig, wie man vielleicht denkt. Schließlich gab es auch bei uns Militär und die dazugehörigen Klamotten. Aber es war natürlich strengstens verboten, so was als Zivilist und Punk zu tragen, und man durfte sich auf gar keinen Fall damit erwischen lassen. Ich hatte von irgendwoher Sowjet-Militärstiefel, die mir viel zu klein waren und die ich deshalb so gut wie nie trug. Besser waren da schon die DDR-Schweißer-Stiefel mit Stahlkappe und allem Drum und Dran. Klamotten wurden bemalt, zerrissen und wieder geflickt oder in Übergröße getragen und so weiter Auch Haare färben ging gut, es gab da nämlich so ein Anti-Pilz-Mittel, welches Mama aus dem Krankenhaus mitbrachte und das prima lila oder grüne Haare machte. Okay, nicht nur Haare, sondern auch Badewannen und Handtücher, aber egal, gesund war's bestimmt. Ich hatte jedenfalls keinen Pilz auf dem Kopf ...



Wie waren die Reaktionen deiner Umwelt darauf - Familie, Freunde, Lehrer, Chef, Kollegen ...?

Jörg Löffler: Da sich die Entwicklung bei mir nicht von einen Tag auf den anderen, sondern allmählich vollzog, waren die Reaktionen nicht so krass. Als ich dann extremer aussah, reichten sie von Entsetzen über Aggressivität bis Belustigung. Schön fand das keiner. Mein Vater hat mal eine Lederjacke von mir zerschnitten.

Arnim Bohla: Die Mehrheit konnte mit dem Thema nichts anfangen. Später war auch die Tatsache von Bedeutung, dass meine Freundin und jetzige Frau mit vielen Bands etwas anfangen konnte. Das erleichtert einiges, wie zum Beispiel gemeinsame Konzertbesuche und so weiter.

Carsten Hiller: Die Reaktionen meiner Familie war anfangs geschockt bis traurig, später akzeptierten meine Eltern das und hatten viel Freude an mir und meinen Freunden. Meine Freunde wurden ja ebenfalls Punks beziehungsweise sympathisierten damit, den Lehrern schien es egal zu sein beziehungsweise sie gingen recht souverän damit um - wir hatten eh mehr Spaß an charmanten, intelligenten Provokationen in der Berufsschule. Meine Kollegen und mein Chef machten sich darüber eher lustig, waren vereinzelt aber auch interessiert. Zwischenzeitlich hatte ich mir mal betrunken einen Iro schneiden lassen, den ich aber schnell wieder ablegte, da mein Vater bei meinem Anblick anfing zu weinen. Später ließ ich mir aber wieder einen Iro schneiden - da hatte sich mein Vater an das Ganze gewöhnt.

Andreas Kohl: Mit Lehrern hatte ich immer kleine Probleme, wenn auch nicht ernsthaft. Oder zumindest habe ich das nicht ernst genommen. Das hatte vielleicht auch damit zu tun, dass ich schon damals eine ziemlich gefestigte Weltsicht hatte und starke familiäre Rückendeckung. Einige meiner Freunde hatten es da schwerer, was sie wiederum auch härter und extremer gemacht hat. Da ich outfitmäßig eher unauffällig war, hatte ich verhältnismäßig wenig Probleme, wenn es dann um Inhalte ging und ich meiner Agitationslust freien Lauf ließ, wechselten sich die Reaktionen zwischen fassungslosem Kopfschütteln und beinhartem Kontra ab. Das hat mir in der Schule schon einige Probleme bereitet, die dann immer darin gipfelten, dass meine Eltern beim Direktor antanzen mussten und ihnen nahe gelegt wurde, ihren Sohn zu mäßigen. Das haben sie dann immer an mich weitergereicht, so in der Art: Wenn du die Klappe aufreißen willst, mach es, aber sieh zu, dass es irgendeinen Sinn hat, damit du dir später nicht selbst Vorwürfe machst, du hättest dir Chancen für nichts und wieder nichts verbaut.

Henryk Gericke: Ich habe es mal so formuliert: "Punk war noch nicht Mode, ich erfuhr aber trotzdem, was es bedeutet, Mode zu sein." Das heißt, in der Schule wurde ich bestenfalls verlacht, ansonsten gab es aber eher auf die Fresse. Mein Vater, zu dem ich ein gutes Verhältnis hatte und habe, war begeistert und grüßte mich auf der Straße nicht mehr. In der Lehre wurde man an Arbeitsplätze verbannt, die am trostlosesten waren, was aber den Vorteil hatte, dass man seine Ruhe hatte. Am tollsten war es auf der Straße: War man allein unterwegs, war man eigentlich vogelfrei.

Mike Göde: Meine Mutter war bei mir dagegen, da mein älterer Bruder schon entartete. Sie hatte keine Chance. Freunde suchte man sich bei Gleichgesinnten und auf den Rest war was geschissen. Mit Lehrern hatte ich im Großen und Ganzen keine Probleme, eigenartigerweise. Was mein Berufsleben betrifft, war ich bei meinen Kollegen körperlich in der Verfassung, mich zu behaupten. Extremen Ärger hatte ich mit allen Vorgesetzten.

Mike Wendt: Ich hatte eigentlich kaum Stress wegen meines Auftretens. In der Familie sowieso nicht, da mein Bruder in die gleiche Kerbe schlug und unsere Eltern der ganzen Sache ganz locker gegenüberstanden. Ich bin von Natur aus ein sehr lustiger Mensch und lache gern. Ich denke, damit bin ich gut gefahren und so hat mich aus meinem Umfeld auch keiner dumm angemacht.

Volly Tanner: Mein Vater hat mich mal am Iro geschnappt und mit dem Kopf gegen die Wand gehauen, dazu hat er lauthals und mit rot angelaufenem Hals intoniert: "Das mache ich jetzt so lange, bis du eine ordentliche Frisur hast." Völlig absurd, natürlich. Der Chef meines Lehrlingswohnheims sagte hingegen mal, als mein Iro besonders gut in Richtung Sonne stach: "Irokesenhaarschnitt ist in Ordnung, aber wenn du mit Glatze kommst, fliegste hier raus!" - Das war 1988!

Hendrik Franke: Die Reaktionen aus dem Staat und der Bevölkerung waren teilweise recht hart. Dazu kamen noch die staatstreuen Medien mit ihren Kampagnen, von wegen Punks gab es nicht in der DDR und die, die nicht wegzureden waren, waren sowieso vom Westen gesteuert, waren drogenabhängig und schmutzig und klauten, was nicht niet- und nagelfest war. Eine Episode ist noch die Abschlussprüfung in der Schule. Damals gab es das Gesetz in der DDR, dass man die Prüfung nur in FDJ-Uniform ablegen durfte. Nun war ich aber nicht drin in diesem Verein. Mir wurde dann angeboten, man könnte mir leihweise ein FDJ-Hemd zur Verfügung stellen, was ich dankend ablehnte, da ich mich ja nicht mit fremden Federn "schmücken" wollte. So war das aber auch gar nicht von denen gemeint, natürlich müsse ich auch in den Verein eintreten. Andererseits "könnte man aber auch mit Abschluss 8. Klasse was werden in unserem Arbeiter- und Bauernstaat ...". Ich trat dann in die FDJ ein, für ganze zwei Monate, machte meine Prüfung, entehrte unmittelbar danach vor dem Leipziger Hauptbahnhof mit Freunden die leihweise zur Verfügung gestellten staatlichen Klamotten und war letztendlich glücklich, auch wenn sie mich irgendwie ja doch gekriegt hatten.

Steffen Schölzel: Meine Eltern haben das akzeptiert, aber begeistert waren sie nicht gerade. Für die Lehrer war das eine absolute Provokation, da standen dann schon mal in der Pause zwei nette Herren von der Stasi im Klassenraum und baten zum Einzelgespräch. Von der Polizei wurde man ständig kontrolliert. Wenn man nicht aufgepasst hat und alleine war, hat man in der Disko auch ganz schnell eins aufs Maul bekommen.

Hast du dich, wie konkret oder abstrakt auch immer, unterdrückt gefühlt? Welche Sanktionen hast du erfahren?



Jörg Löffler: Ich wurde in diese Verhältnisse hinein geboren. Ich kannte nichts anderes. Vieles, was ich heute als Unterdrückung empfinden würde, war damals normal. Es gehörte zur Überlebensstrategie, sich mit den Umständen zu arrangieren und sich kleine Nischen zu suchen. Bei einem großen Teil der Menschen, vor allem älteren, führte das zu Resignation und Lethargie. Man machte es sich in seiner Neubauwohnung gemütlich, oder in seiner Gartenlaube, flüchtete sich in eine Art Galgenhumor oder "rebellierte" im stillen Kämmerlein. Westpakete waren eine Art Ersatzbefriedigung. Natürlich fand ich es absurd, dass einem vorgeschrieben wurde, was man zu denken und zu fühlen hatte, dass es diese Zwänge und Verbote gab, dass man nicht reisen konnte, wohin man wollte. Aber ich hatte nie die Absicht, den Staat zu stürzen.

Arnim Bohla: Ich hab meine Einstellung immer kundgetan. Dabei hatte ich sowohl im Lager derer, die die DDR verteufelten, als auch bei denen, die den Sozialismus als das Nonplusultra ansahen, meine "Gegner" gefunden. Unterdrückt habe ich mich in der DDR nie gefühlt. Erst als die Perestroika und Glasnost zu uns kamen, habe ich verstärkt über eine offenere Gesellschaft nachgedacht. Unterdrückung verband ich nur mit einem Erlebnis: Ende 1988 habe ich die Band HERBST IN PEKING live erlebt und in der Woche darauf innerhalb meines Jobs erfahren, dass die Band Auftrittsverbot für unseren Kreis bekommen hat. Für mich, der dem Konzert beiwohnen durfte, blieb die Frage, warum? Aber das war schon unmittelbar, bevor die ersten Montagsdemonstrationen begannen.

Carsten Hiller: Ich habe mich zu keiner Zeit unterdrückt gefühlt, da ich, obwohl Aussehen und Verhalten immer extremer wurden, die Sanktionsmöglichkeiten der DDR nur selten zu spüren bekam. Und wenn, dann hatte ich sie mir auch redlich verdient beziehungsweise konnte sie mit Humor nehmen. Dieser Eindruck ist sicher meiner Jugend und Naivität, dem Rückhalt durch meine Familie und des gesamten positiven sozialen Umfeldes zu verdanken. Ich will damit Erfahrungen anderer weder in Frage stellen, noch die DDR übern Klee loben. Bei mir war es aber so.

Andreas Kohl: Ja, unterdrückt habe ich mich gefühlt. Ich wusste, dass ich bestimmte Dinge nie würde erreichen können, weil ich mich eben nicht mit dem System arrangieren würde. Auf der anderen Seite hab ich das aber auch irgendwie als Chance begriffen, denn ab einem bestimmten Punkt hat eben auch keiner mehr von mir erwartet, dass ich das tue. Zum Beispiel hat mich in der 10. Klasse keiner gefragt, ob ich in die Partei eintreten will. Während meine Klassenkameraden also die Tiraden des Parteisekretärs über sich ergehen lassen mussten, der ihnen in schillernden Farben ausmalte, welche Vorteile es bringt, wenn man sich die abgehackten Hände ans Revers heftet, durfte ich gehen und bin zum Baden an den Baggersee gefahren. Ein wenig heftiger wurde es dann, als ich den Wehrdienst total verweigern wollte, was ja in der DDR unter Strafe stand. Da haben sie mich dann durch die Mangel gedreht und wie ich später erfahren habe, bin ich sogar von der Schule geflogen. Nur haben sie vergessen, mir das am Schuljahresende 1988/89 mitzuteilen und im Herbst 1989 bin ich dann natürlich wieder hin und dann kam die Wende. Ich bin also das, was man einen Wende-Gewinner nennt.

Henryk Gericke: Unterdrückt habe ich mich nicht erst als Punk gefühlt. Das Gefühl wurde lediglich verstärkt. Das war nicht abstrakt, das Stadtzentrum war tabu, eigentlich alle so genannten Jugendclubs waren es. Viele aus der Punk-Szene wurden mit 18 Jahren gleich in die NVA-Kasernen abkommandiert, viele gingen in den Knast, manche noch minderjährig. Sich einen Anwalt zu nehmen, war möglich, aber eine Farce. Du konntest dich als Ost-Punk einfach nicht frei bewegen und hast hinter der Mauer auch noch wie hinter Gittern gelebt.

Mike Göde: Umso mehr Druck auf mich ausgeübt wurde, umso erster und intensiver wurde die Sache für mich. Sanktionen: Ausschluss aus jeder Form gesellschaftlichen Lebens. 1988 Kündigung der Arbeitsstelle ohne Begründung und ab dem Tag im Jahr keine Neueinstellung. Ich war arbeitslos, was im Sozialismus nicht existierte.

Mike Wendt: Ob ich mich damals unterdrückt gefühlt habe, kann ich heute mit Abstand nicht mehr genau sagen. Der Mensch erinnert sich immer nur an die guten Zeiten im Leben. Heute kann ich nur darüber lachen, was sich die "Genossen" haben einfallen lassen. So mussten wir alle vor dem 1. Mai oder 7. Oktober zur Volkspolizei und unterschreiben, den Ort beziehungsweise den Kreis nicht zu verlassen. Ziel war, dass wir nicht in der Öffentlichkeit in einem größeren Ort in Erscheinung treten sollten. Was einen ständig begleitete, waren die Personalausweiskontrollen. Je größer der Ort war, umso mehr Polizei und umso mehr wurde man kontrolliert. In Berlin hat's mich mal in der Silvesternacht weit über zehnmal erwischt, und wenn die Ordnungshüter Langeweile hatten, musste man erst mal mit zum Revier.

Volly Tanner: Unterdrückt fühlte ich mich nur von meinem Vater - aber das hatte nichts mit meiner Punk-Sache zu tun. In Großräschen gab es zwar Lehrer, die mich irgendwie runterdrückten, aber das war Kindergarten. In diesem Lebensabschnitt ist man ja sowieso der Meinung, dass die ganze Welt gegen einen ist. Sanktionen gab es nicht, ich kam in alle Kneipen rein, in die ich rein wollte.

Steffen Schölzel: Ich konnte meine Lieblingsbands nicht live sehen und auch ihre Platten nicht kaufen. Aber wir haben ja gewusst, dass Punk Ärger bedeutet. Und ein Wochenende ohne Bullenkontrolle war eigentlich auch nur der halbe Spaß. Wir wollten uns ja ganz bewusst von allen anderen abheben.



Wie sah das Verhältnis zur Staatsmacht aus? Was für Erlebnisse hattest du?



Jörg Löffler: Solange sie einen in Ruhe gelassen haben, haben wir uns über die Staatsorgane nur lustig gemacht. Außer Ausweiskontrollen passierte anfangs in Dresden nicht viel. Als wir in andere Städte reisten, und im Laufe der Zeit auch in Dresden, wurden wir mit der Willkür von Polizei und Transportpolizei konfrontiert. Wir wurden kriminalisiert, wurden "Vernehmungen" zugeführt. Es kam zu Verhaftungen. Zwar ahnten wir, dass uns die Stasi auf dem Kieker hat, aber dass die uns schon seit unseren ersten zaghaften Anfängen überwachte, erfuhren wir erst später.

Carsten Hiller: Mein Verhältnis zur Staatsmacht war nicht geprägt vom Hass auf Polizisten oder auf die Stasi - ich kannte ja keinen. Ich habe die Staatsmacht eh nicht besonders ernst genommen, habe mich lustigt über sie gemacht - und hatte Glück!

Andreas Kohl: Das war relativ entspannt. Sicher, als im Herbst 1989 alles hoch kochte, hat man die Jungs auch schon mal aus der Nähe kennen gelernt, aber wirklich harte Repressalien hat es nicht gegeben. Wir waren zwar in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern, aber da war doch alles sehr familiär und nicht zu vergleichen mit dem, was etwa in Berlin oder Leipzig abging.

Henryk Gericke: Wenn man mit Freunden im Zug zu einem der wenigen illegalen Punk-Konzerte zum Beispiel von Berlin nach Leipzig oder umgekehrt fuhr, war es eigentlich die Regel, dass man auf irgendeinem Provinzbahnhof rausgefischt wurde, im schlimmsten Fall auf die Mütze kriegte und, nach stundenlanger Warterei in Eiseskälte, die Heimreise antreten durfte. Vorzugsweise in Zügen mit lauter Armisten auf Fronturlaub, die eine konkrete Bedrohung darstellten. Punk und Staat in der DDR, das war eine Konfrontation zwischen Subkultur und Diktatur, das war Heidenspaß und bitterer Ernst zugleich.

Mike Göde: Ich habe dieses System gehasst und das machte mich verdammt stark. Festnahmen, Verhaftungen und Verordnungen/Auflagen waren an der Tagesordnung. Zu Feierlichkeiten der DDR musste ich mich innerhalb der Wohnung oder außerhalb Berlins aufhalten. Bei Zuwiderhandlung sofortige Festnahme. Regelmäßige Vorladungen auf Reviere der Polizei waren die Regel und Hausdurchsuchungen waren auch nichts Ungewöhnliches mehr. Aus meiner Musik und meinen Texten probierte man mir ständig einen Strick zu drehen.

Mike Wendt: Wer nicht ganz bescheuert war, wusste, was los ist im Land. Die Frage hieß also, wie weit gehe ich und wie weit lege ich mich mit dem Staat an. Die Mehrzahl von uns hat eine gewisse Grenze eingehalten, andere sind in den Knast gegangen wegen "Arbeitsbummelei" oder anderem Kram und dann in den Westen rüber. Andere haben einfach die Ausreise beantragt. Dass man ständig überwacht wurde, war klar. Und mit welchem sinnlosen Aufwand manchmal mehrere Beamte wegen eines kleinen Reisenden beschäftigt sind, sieht man an folgender Geschichte: Ich war mit dem Zug auf dem Weg nach Römhild. Römhild liegt im tiefsten Thüringer Wald Richtung Grenze. Zwischen Jena und Weimar die erste Ausweiskontrolle im Zug. Nachdem ich mein Reiseziel preisgegeben hatte, begann die Maschinerie zu laufen. Mein Ausweis wurde eingezogen und ich stand bis zum Bahnhof in Meinigen unter ständiger Bewachung. In Meinigen wurde ich von drei Beamten in Empfang genommen und drei, vier Stunden zum Verhör festgehalten. Es bestand ja "Fluchtgefahr". Totaler Aufwand und Schikane, aber völlig sinnlos.

Hendrik Franke: Unser Verhältnis zur Staatsmacht, das muss ich wahrscheinlich gar nicht weiter ausführen, war wie überall. Bullenschikanen, willkürliche Verhaftungen, weil man Punk war, Stasi-Anwerbeversuche, um die Szene auszuhorchen und und und ... Zwei, drei Freunde habe ich in der Zeit verloren, weil sie den Druck nicht mehr ausgehalten haben und den Selbstmord vorzogen. Scheiß Staat! Noch heftiger aber traf es wohl Bands. Prominentestes Beispiel aus Leipzig ist die Band L'ATTENTAT. Auftrittsverbot, ständige Verhaftungen, Ausbürgerung in den Westen und so weiter. Später schaffte es der ausgebürgerte Teil mal irgendwie, in die Zone einzureisen und in Leipzig ein Konzert als DER SCHWARZE KANAL zu geben. Das war ein Highlight und fand natürlich in einer Kirche statt.

Steffen Schölzel: Über mich gibt es eine Stasi-Akte, in der sechs Spitzel über mein Leben berichten. Wir waren eine sehr große Bedrohung für die DDR und den Sozialismus. In Berlin haben uns die Bullen an die Wand gestellt und uns die Klamotten abgenommen. In Sömmerda haben sie alle Leute grundlos auf einer Privatparty verhaftet und einem Punk aus Nordhausen das Jochbein gebrochen. Ich wurde eine Zeit lang fast jeden Tag von ein und demselben Bullen kontrolliert, obwohl er mich genau kannte. Manche Kneipen durfte man nicht betreten und aus anderen wurde man als Punk gleich wieder rausgeschmissen. Wildfremde Leute haben auf offener Straße Dresche angeboten.



Wie war das mit Freiräumen, etwa in Kirchen? Und wie siehst du das Verhältnis zwischen eigentlich anti-religiösem Punk und der Kirche?

Jörg Löffler: Das Verhältnis Punk und Kirche hatte keinen religiösen Hintergrund. Zumindest seitens der Punks. Vereinzelt setzten sich Mitarbeiter der Kirche für oppositionelle Randgruppen ein und ermöglichten beispielsweise Auftritte von Punkbands in kirchlichen Räumen. In Dresden gab es in der Zeit, als ich in der Szene war, keine Punk-Kirche-Beziehungen. Mit der Band ROTZJUNGEN habe ich zwar in den Räumen einer Jungen Gemeinde geprobt, aber nur weil der Pfarrerssohn in meine Klasse ging. Erst in den späten 80ern gab es das Café PEP in Prohlis und den "Arbeitskreis Punk" im Umfeld der Martin-Luther-Kirche. Dort fand 1989 auch ein Punk-Konzert statt.

Arnim Bohla: Ich hatte keine Kontakte zu religiösen Einrichtungen. Dies würde meinem Verständnis von "frei sein" auch zuwiderlaufen. Denn was will oder wollte die Kirche mit der Unterstützung der Punks in der ehemaligen DDR erreichen? Aus meiner Sicht wollten sie damit nur auf Stimmenfang gehen. Sich einer solchen Institution zu bedienen, ist nicht der Weg. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, ich habe nichts gegen gläubige Menschen. Da muss jeder seinen eigenen Weg finden.

Carsten Hiller: Meiner Wahrnehmung nach war die Kirche ein Ort, an dem sich Punks aufhalten, austoben und künstlerisch und politisch ausleben konnten. Die Kirche bot Schutzräume, Proberäume und Raum für Veranstaltungen. Ich glaube, haha, dass die Kirche in diesem Zusammenhang einen der wenigen hellen Momente in ihrer Geschichte hatte und dem eigentlichen Gedanken des Christentums so nah war wie nie zuvor. Ich denke, dass das Verhältnis zwischen Punk und Kirche in der DDR den Umständen geschuldet war - wie auch immer man dies bewerten möchte. Prinzipiell finde ich, dass jeder "Punk" zwar ein Recht auf seinen Glauben hat, aber Punk sollte verdammt noch mal auch immer wieder auf die Gefahren von Religionen hinweisen. Eine Zusammenarbeit mit der Kirche sollte nur punktuell stattfinden.

Andreas Kohl: Ohne diese kirchlichen Freiräume wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Die Kirche, und in meinem Fall ganz besonders die Katholische Kirche, hat uns damals ermöglicht, uns aus dem ganzen ideologisch belasteten Sumpf des Alltags auszuklinken und andere Lebensentwürfe und Gesellschaften zu diskutieren und auszuprobieren. Unabhängig, ob und welchen Glauben man hatte, traf man sich dort, letztlich auch, um Musik zu hören, zu spielen oder einfach Partys zu feiern, bei denen man nicht darauf achten musste, einen bestimmten Prozentsatz DDR-Rock zu spielen. Inwieweit die Kirche damit ihre hegemonial definierten Missionsbestrebungen verfolgt hat, kann ich nicht mal heute bewerten. Fakt ist, dass wir in der Kirche die Toleranz erfahren haben, die es im Alltag nicht gab, und deshalb war es schon mal ein Gewinn. Ich habe in den letzten Jahren oft erlebt, dass gerade diese Verbindung bei Gesprächspartnern aus dem Westen Befremden ausgelöst hat, und - was viel schlimmer ist - man als Ostler das gar nicht vermitteln kann, was Kirche damals bedeutet hat. Wenn du in einem totalitären System aufwächst, mit dem du dich nicht arrangieren willst, entsteht ein ungeheuerer psychologischer Druck, den du vielleicht gar nicht so wahrnimmst, weil du mit ihm aufwächst und er sich stufenlos verstärkt, je älter du wirst. Trotzdem brauchst du ein Ventil für diesen Druck. Irgendwo muss er hin. Und als Jugendlicher in der DDR hast du dir dann eben so ein Ventil gesucht und nach jeder Chance gegriffen wie ein Ertrinkender nach einem Halm. Und die Kirchen waren da, aus welchen Gründen auch immer. Die Katholische Kirche hat den Staat DDR nie anerkannt, was also bedeutete, beim Betreten von Kirchengelände verließ man das Hoheitsgebiet der DDR. Und da diese Institution ja auch eine beträchtliche internationale Macht darstellte, beließ es die DDR dabei, den Laden mehr oder weniger offensichtlich zu unterwandern, aber keine offene Konfrontation zu suchen. Was das bedeutete, kann man jemandem, der nicht dabei war, absolut nicht vermitteln - es war die pure und reine Freiheit in einer Welt voller Kontrolle, Repressalien und Totalitarismen. Meine ersten MINOR THREAT-, CIRCLE JERKS-, MINUTEMEN- und POISON IDEA-Tapes hab ich in und durch diese kirchlichen Freiräume bekommen.

Henryk Gericke: Einige der evangelischen Kirchen stellten eine Art exterritoriales Gebiet für die Punks dar. Das wurde ihnen eigentlich selten gedankt. Andererseits waren sie mit der Klientel, die sie sich da in die heiligen Hallen geholt hatten, auch heillos überfordert. Am Anfang stand da sicher auch der Missionsgedanke, als das nicht funktionierte und Punkbands nicht das Wort Gottes predigten, sondern reinen Zynismus, war's aus mit der Gnade Gottes. Viele Kirchen schlossen ihre Pforten, abgesehen von wenigen Ausnahmen. Man sollte aber dennoch nicht undankbar sein. Viele Konzerte hätte es ohne Kirchenasyl nicht gegeben.

Mike Göde: Es war der einzige Raum, wo wir uns frei bewegen konnten, weil die Staatsmacht der DDR - offiziell - keinen Zutritt hatte auf Kirchengelände. Mit den Jugenddiakonen klärten wir im Vorfeld, dass sie uns mit jeder Form von Glaubensbekehrung verschonen sollen. Ich kann nur sagen, wir fühlten uns dort sehr wohl und sicher. Die Evangelische Kirche in der DDR trug enorm dazu bei, dass sich die Punk-Szene gut organisierte und ständig wuchs.

Mike Wendt: Die Jungen Gemeinden in den Kirchen waren eigentlich, außerhalb des privaten Bereiches, der einzige Platz, wo Konzerte oder Treffen von Punks stattfanden. Diese wurden überwacht, aber man blieb vom Staat meist unbehelligt. Drinnen zumindest, denn davor kam es dann schon hin und wieder zu Unstimmigkeiten mit den Ordnungskräften. Da ich und alle anderen auch nicht religiös erzogen waren, machte ich mir darüber keine Gedanken. Die Kirche gab uns Platz und dabei blieb es. Ich denke, im Westen stehen sich Kirche und Staat nahe, was sie zu einem gemeinsamen Feind macht. Im Osten war die Kirche dem Staat ein Dorn im Auge, was Punk und Kirche näher zusammenbrachte. Obwohl es von unserer Seite ein reines Zweckbündnis war.

Hendrik Franke: Sonderbarerweise war die Kirche der Freiraum, den man brauchte. Dort konnte man sich mit anderen Punks treffen, dort fanden die Konzerte statt - bis auf ein paar wenige selbstorganisierte Open-Airs oder Wohnzimmer-Konzerte -, da war Punk! Ja, klar, auch sie war Stasi-unterlaufen, aber wo war das nicht der Fall? Dabei identifizierte man sich nicht mit der Bibel und so weiter, sondern eher mit den Leuten. Die Pastoren waren echt nette Menschen, die Verständnis für uns hatten. Das war wichtig! Die Clubs kamen dann erst deutlich später dazu, so um 1987 herum. Da gab es dann in Leipzig den Eiskeller, jetzt Conne Island, den Anker, die Villa, den Grafikkeller, die MB, vieles so Studentenclubs. Ach ja, und natürlich die Völle, das "Clubhaus der Völkerfreundschaft", unsere Stammkneipe.



Wie war das Verhältnis von Punks zu anderen Jugend(sub)kulturen?

Jörg Löffler: Zum größten Teil habe ich mich von anderen abgegrenzt. Hin und wieder hatte ich mit Langhaarigen beziehungsweise Künstlern und Profimusikern zu tun, wenn es um Musik-Logistik ging. Die Punk-Szene hatte damals kein eigenes Netzwerk. Man war auf andere angewiesen.

Carsten Hiller: Das Verhältnis von Punks zu anderen Subkulturen war überwiegend schwer beschädigt. Die meisten Auseinandersetzungen hatten wir mit Nazi-Skinheads, mit meist rechtslastigen Metal-Fans und mit irgendwelchen aufgeblasenen Schönlingen und Wichtigtuern, die man heute wahrscheinlich als Yuppies bezeichnen würde. Kontakte gab es zur alternativen und Künstlerszene, zu den Hippies, Bluesern oder Pennern und ein wenig zur Gruftie- und Gothic-Szene.

Andreas Kohl: Es gab bei den Kleinstadtverhältnissen keine Grenzen. Man hat sich auch eher weniger organisiert. Sicher, es gab Unterschiede in den Stilen und im Habitus, die aber mehr oberflächlich waren als ideologisch. Wenn man am Wochenende wegging, gab es Popper, Waver, Punks, Metaller, Blueser, aber alle trafen sich in derselben Disco, die in der Regel der Saal einer Kneipe war. Warum? Weil das meist die einzige Disco im Umkreis war. Natürlich gab es auch schon mal Schlägereien, vorwiegend zwischen Punks und Metallern, aber im Großen und Ganzen hat einen allein die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Subkultur schon zusammengeschweißt, weil man ja wusste, man ist anders als die anderen. Das ist auch das Interessante gewesen, dass es eine gewisse Achtung der anderen gab, wenn beispielsweise HipHopper oder Breakdancer eine Einlage gaben, bevor die Metal-Runde losging. Dann saß man da und dachte, Mensch, die sind ja eigentlich wie ich, die versuchen auch irgendwie einen Ausweg aus der Scheiße zu finden, nur machen die es anders.

Henryk Gericke: Angespannt. Eigentlich gab es nur die Hippiefraktion, bei der es 30 Jahre lang keine Entwicklung gegeben hatte und die über Jahre und wenigstens drei Generationen hinweg denselben Scheiß hörte und im selben Ornat herumlief. Die waren genauso uniformiert wie später die Punks. Die Hippies fühlten sich in ihren Reflexen, Peace etc., massiv gestört. Am Ende waren sie von den Punks ebenso genervt wie die, von denen sie selbst ständig beargwöhnt und verfolgt wurden, nämlich den so genannten Staatsorganen. Das war zwar eine unausgesprochene Allianz, die aber in der gemeinsamen Ablehnung von Punk durchaus bestand. Die Skins wiederum wurden von der Stasi lange zur vermeintlichen Befriedung der Punk-Szene benutzt. Kam es zu Auseinandersetzungen, wurden meistens die Punks "zugeführt", die Skins ließ man laufen. Sie waren in ihrem martialischen Äußeren dem Militärstaat DDR näher als die libertären Punks.

Mike Göde: Sehr schlecht im Großen und Ganzen. Es gab ständig gewalttätige Auseinandersetzungen. Außer die Bullen überraschten uns, dann war für alle klar, wer der Feind ist.

Mike Wendt: Hier gilt ganz klar, zumindest bei uns in der Provinz, man hat sich zusammengetan. Ob Punk, Metal, Skinhead oder andere, man hat sich getroffen und zusammen gefeiert. So sind wir zum Beispiel immer mit den Metallern aus Gera unterwegs gewesen und auch zu Konzerten von Metal-Bands gefahren. Hauptsache, es war was los. Geändert hat sich das erst Ende der 80er Jahre, als bei den Skins ein starker Rechtsruck zu verzeichnen war und es dann auch zu Auseinandersetzungen kam.

Hendrik Franke: Egal, ob das nun HC-Punk, Deutschpunk, Wave/Indie, Underground oder ein Metal-Konzert war, irgendwie waren immer alle Subkulturen da, man kannte sich und kam bestens miteinander klar. Okay, bis auf die Nazi-Glatzen natürlich! Mit Poppern wollten wir auch nix zu tun haben, aber das war ja auch keine Subkultur.



Waren Punks in der DDR politisch? Wenn ja, wie? Im Westen war (und ist) Punk ja letztlich immer irgendwie links.

Jörg Löffler: Ich habe mich als unpolitisch gesehen. "Links" oder "Rechts" waren für mich abstrakte Begriffe. Ich wollte definitiv nicht links sein, denn links war ja die SED. Politik hatte den Beigeschmack "Staatspolitik". Unbewusst war ich schon politisch.

Arnim Bohla: Punk ist immer politisch, so auch in der ehemaligen DDR. Diskussionen zum politischen System, zu dem, was uns störte beziehungsweise belastete, gehörten immer dazu. Für mich ist Punk auch generell eine linke Kultur/Subkultur. Das, was da aus einigen Bands und Fans wie zum Beispiel SKREWDRIVER geworden ist, hat mit dem Ursprung nichts zu tun. Auch Oi!-Punk, der unpolitisch oder gar rechtslastig ist, hat mit Punk in meinem Verständnis nichts zu tun. Auch wenn Punk für mich Toleranz, Offenheit bedeutet, muss in diese Richtung eine klare Absage erfolgen.

Carsten Hiller: Alle Punks, die ich damals traf, waren irgendwie politisch. Und die "Punks", die später Naziskins wurden, waren eben rechtsextrem und rassistisch, wie wir leider manchmal erst spät bemerkten. Das politische Engagement der Einzelnen bestand bei den jungen Punks, wie ich einer war, eher im Zeigen einer politischen Überzeugung auf Jacken und durch das Outfit an sich, aus der Hilfeleistung bei Auseinandersetzungen und spontanem Provozieren der Staatsmacht. Ältere Punks hatten meist schon ein Leben begonnen, das fernab der sozialistischen Realität stattfand. Dazu gehörte das Besetzen von Wohnungen, die heruntergekommen waren, das Produzieren von illegalen Flugblättern oder von Kassetten mit Punk- oder Alternativ-Bands, das Organisieren von Konzerten, Lesungen oder anderen künstlerischen Ereignissen sowie von Reisen zu anderen Punks in der DDR. Außerdem hatten einige Ausreiseanträge gestellt. Insgesamt würde ich schätzen, dass zu meiner Zeit, also etwa ab 1987/88, Punk fast immer ein Bekenntnis zum Antifaschismus, Humanismus und für Toleranz war. Ob das nun links war oder ist, muss wohl jeder für sich selbst beantworten. Eine Ablehnung des DDR-Systems, wie es sich damals darstellte, war aber ebenfalls bei fast allen Punks, die ich kannte, fest verankert.

Andreas Kohl: Natürlich war Punk in der DDR politisch. Das ging ja gar nicht anders. Die DDR-Gesellschaft war in einem absoluten Höchstmaß politisiert und ideologisiert, viel, viel mehr als die Bundesrepublik. Das ist auch das, was zu vermitteln heute schwer fällt. Der Alltag war durchdrungen von Politik, wenn auch absolut einseitig und, ja, fast schon mythologisiert. Trotzdem musste eine irgendwie geartete Auflehnung sofort als politische Äußerung wahrgenommen werden und zwar von jedem, den Akteuren wie auch den Außenstehenden. Und dessen war man sich bewusst. Wenn du dir heute eine Sicherheitsnadel ins Ohr haust, wirst du morgen beim Schuldirektor vorstellig werden müssen und er wird dir das als konterrevolutionäre Umtriebe auslegen. Das mag albern klingen, aber so war's. Das war ja auch die einzig wirkliche Waffe, die sie gegen dich hatten ... dein politisches Bewusstsein in Frage zu stellen, weil das allein deine Zugehörigkeit zur Gesellschaft als vollwertiges Mitglied definiert hat. Oder um es kürzer zu formulieren; wer nicht in jeder Hinsicht konform ist, der ist gegen das System und das System hat das Recht, ihn zu vernichten. Eine politische Richtung im klassischen Sinn lässt sich da eher weniger ausmachen, da das System ja von einem kruden konservativen Sozialismuskonstrukt durchdrungen war, hatte es Punk schwer, eine einheitliche politische Linie zu deklarieren, obwohl er es ja im eigentlichen Sinne nirgendwo je dazu gebracht hat. Selbst im Westen ist Punk auch leider nie mehr gewesen als eben "irgendwie" links. Und das vor allem als Gegenentwurf zum konservativen Politikverständnis des Alltags, also eben sogar mehr "irgendwie" dagegen als "irgendwie" links. Im Osten war er eben auch "irgendwie" dagegen.

Henryk Gericke: Die Politisierung und Radikalisierung setzte mit der beginnenden Verfolgung ein. Am Anfang brachen die Punks jeden Dialog mit der Macht einfach ab und scherten sich einen Dreck um Werte und Normen des DDR-Systems. Erst mit der Ausdifferenzierung der Szene in Subszenen, ab 1983 vielleicht, gab es auch Punks, die sich zum Beispiel in Kirchen- und Bürgerrechtlerkreisen engagierten. Ob bewusst politisch oder nicht, letztlich war Punk zu sein in der DDR immer ein Politikum.

Mike Wendt: Von unserem Denken und Handeln her waren wir auf alle Fälle links. Unser Problem war nur der Staat, der war offiziell auch links. Wir vertraten linke Ansichten und waren in einem sozialistischen Staat Konterrevolutionäre. Richtig politisch wurde ich erst 1989 und fuhr regelmäßig nach Leipzig. Mit Freunden haben wir Ende Oktober 89 in Hermsdorf auch die erste Demo organisiert.

Volly Tanner: Punk war politisch, weil Leben politisch war. Punk war eindeutiges Statement, man stellte sich auf die Seite des schwierigeren Weges, sagte sozusagen: Euren Weg will ich nicht mitgehen! Schon allein dadurch war das politisch - heute ist ja Punk meist Pop, und Pop ist nun mal kein Aufruhr.

Hendrik Franke: Punk in der Zone war automatisch politisch. Man musste sich einfach mit Politik auseinander setzen, um als Punk zu überleben. Punk war natürlich auch Saufen, Spaß und Musik, aber ich gehe so weit, zu sagen, dass Punk bei uns in erster Linie Politik war - merkt man auch an vielen Texten von alten DDR-Bands. Später gab es ja dann auch das Punk-Nazi-Phänomen. Eine sehr polarisierende Zeit! Irgendwie verschwammen für eine kurze Zeit ein wenig die Szenen. Punks wechselten ins Nazi-Lager, Faschos wurden Punks, das alles war ein Austesten, das alles hing zusammen mit Freunden und wo die standen, es war ein reges Hin und Her. Jedenfalls kam man zu einem Punkt, an dem man Leute aus beiden Lagern kannte, das war schon komisch, rettete einem aber manchmal den Arsch! Hielt auch nicht lange an, die Zeit, dann waren die Lager gefunden und man ging dazu über, sich die Fresse zu polieren. Die Szenen wurden ernster und die Fronten verhärteten sich. Ich persönlich fand die Nazistrukturen schon immer nur unansehnlich und sehr dumm. Und ich musste auch keine Test-Ausflüge ins rechte Lager unternehmen, um zu wissen, dass Scheiße braun ist und stinkt!



Wie sah der Austausch in Sachen Punk aus? Hattest du oder deine Clique Kontakte in den Westen, in andere Städte der DDR, in die "Bruderstaaten"?

Jörg Löffler: Ich hatte Kontakte nach Leipzig, Weimar, Karl-Marx-Stadt, Berlin, nach Westdeutschland und eine Zeit lang nach Ungarn. Innerhalb der DDR hat man sich besucht oder bei Veranstaltungen getroffen. Mit Westdeutschen und Ungarn haben wir uns in Dresden, Berlin, Budapest oder in Tschechien getroffen. Außerdem hatte ich Briefkontakt zu Punks in vielen Ländern.

Arnim Bohla: Nein! Erst später, nach 1990, habe ich Kontakte nach West-Deutschland, Kolumbien, England, Norwegen und in die Türkei geknüpft.

Carsten Hiller: Meine Kontakte zu anderen Punks beschränkten sich auf Fürstenwalde und Umgebung, Berlin, Frankfurt/Oder und Potsdam. Freunde von mir hatten noch losen Kontakt nach Dresden. Zu Punks aus dem Ausland hatten wir keinen Kontakt.

Andreas Kohl: Nein. Wir sind zwar immer fleißig nach Tschechien gefahren und haben uns dort eine gute Zeit gemacht und natürlich auch Gleichgesinnte getroffen, aber das war nie mehr als eine lose Bekanntschaft, deren maximaler Effekt mal die Zusendung einer tschechischen Lizenzplatte war.

Henryk Gericke: Ich selbst hatte nur sporadisch Kontakt nach West-Berlin. Ich weiß aber, dass Mark E. Smith mit einer Frau aus der Szene bekannt war und sie auch in Ostberlin besuchte. Jello Biafra war von den Punks in der DDR beeindruckt. In Interviews ließ er immer mal die Ost-Punks grüßen. Kontakt gab es vor allem nach Polen zu DEZERTER, aber auch nach Ungarn, wo die Punkbands ungleich professioneller, aber äußerlich weniger Punk waren. Das hatte vor allem mit den lebensgefährlichen Auseinandersetzungen mit Zigeunern zu tun, die die Punks hassten und ziemlich rabiat waren. Ich habe die panische Angst der ungarischen Punks vor Begegnungen mit Zigeunern 1983 selbst erlebt.

Mike Göde: Kontakte in andere Städte der DDR und "Bruderstaaten" waren sehr stark. Besonders aus dem Raum Sachsen hatten wir viele befreundete Bands und Punks. Anfang der 80er entstanden auch enge Kontakte nach Westberlin. Leute aus dem Blockschock schickten regelmäßig Bands zu uns rüber, die bei uns in der Kirche spielten. Unter anderem THE REST, UPRIGHT CITIZENS, VKJ, DISASTER AREA.

Mike Wendt: Ohne Austausch wäre gar nichts gegangen. Das fing schon bei der Musik an. Da gab es so eine Art Tauschbörse quer durch die DDR. So wurde per Brief ausgetauscht, wer was hat und wer was sucht. Das wurde dann auf Kassette kopiert und machte die Runde. Weiter haben wir so jeder Band aus dem Westen geschrieben, wenn wir an Adressen kamen, um Musik zu bekommen. Der Aktionsraum unserer Clique lag eigentlich zwischen Jena, Eisenberg, Gera und Zeitz. Hier gab es regelmäßige Treffen oder Partys, bei denen dann auch die lokalen Bands wie SPERMA COMBO aus Jena, Die DEUTSCHEN KINDER aus Eisenberg oder eben U.A.N. und UGLY HURONS aus Hermsdorf spielten. Solche Partys wurden per Mundpropaganda quer durchs Land bekannt gemacht, so dass Leute aus der ganzen Republik anreisten. Die besten Partys gab es immer in Eisenberg bei den DEUTSCHEN KINDERN. Sie verfügten über eine riesige Garage als Proberaum, die mit Bar und kleiner Bühne ausgestattet war.

Volly Tanner: In den Westen gab es kaum Kontakte, mehr in Richtung Cottbus, Halle, Berlin - wie gesagt, ich wollte nicht von einer beschissenen Gruppe befreit, in die nächste beschissene Gruppe hinein. Deshalb hab ich mich meist aus solchen Zusammenhängen herausgehalten. Ich wollte schreiben und Krach machen. Und Ich sein, das geht aber nur, wenn ich nicht zulasse, dass dauernd andere meinen Weg bestimmen. Also ein selbstbestimmtes Leben - und Punk gab mir die Möglichkeit dazu.

Hendrik Franke: Hatte in der DDR ein Mensch ein neues Tape oder LP, meistens von Oma aus dem Westen geschmuggelt, dann wurde die hundertfach kopiert und weitergegeben, bis die Qualität so was von räudig war, dass man kaum noch was drauf hörte. Meistens war es so, dass DDR-weit alle das gleiche Tape hatten, auch mit den gleichen Aussetzern und Aufnahmefehlern. Aber es gab auch die andere Richtung. DDR-Bands ließen ihre Musik in den Westen schmuggeln und dort erschienen dann plötzlich LPs davon. L'ATTENTAT: "Made In GDR" auf X-Mist oder die Split-LP von SCHLEIM-KEIM als SAUKERLE mit ZWITSCHERMASCHINE: "DDR von unten" auf AGR - mittlerweile alles schwer gesuchte Platten. Ein paar Bands produzierten zu Hause aufwändigst mit alten DDR-Kassettenrecordern eigene Tapes und verkloppten die dann auf Konzerten in Kirchen. Gab es zum Beispiel von SPERMACOMBO, DIE FANATISCHEN FRISÖRE, MÜLLSTATION, SCHLEIM-KEIM oder KALTFRONT. Der Ostblock spielte auch eine gewaltige Rolle. Punkbands gab es in jedem Ostblockland einige, in Sachen Veröffentlichung hatten uns allerdings Länder wie die damalige Tschechoslowakei, Polen oder Ungarn einiges voraus. Somit fuhr man halt nach Prag, Budapest und kaufte ordentlich ein.



Wie wichtig war Musik aus dem Westen, wie groß war die Rolle von eigenen Bands?

Jörg Löffler: Musik aus dem Westen war sehr wichtig. DDR-Punk fand ich größtenteils sehr mies, was sicher auch an den technischen Möglichkeiten lag. Ich wollte nie klingen wie die anderen DDR-Punkbands.

Arnim Bohla: Die ersten Jahre waren ausschließlich von englischen und amerikanischen Bands geprägt. Ab 1983 wurde auch der eine oder andere deutsche Song im Radio gespielt. 1985, während einer Reise nach Bulgarien, hörte ich das erste Mal die TOTEN HOSEN und verfolgte die Band dann auch konsequent weiter.

Carsten Hiller: Musik aus dem Westen war mein Einstieg in das Thema Punk und bestimmte meine Hörgewohnheiten etwa bis Ende 1988. Ab 1989 kamen die ostdeutschen, so genannten "anderen Bands" gleichberechtigt dazu. Dies hatte wesentlich damit zu tun, dass in Fürstenwalde der Club im Park von einem "alternativen" Clubleiter namens Frank G. übernommen wurde und wir ab diesem Zeitpunkt in unserer Provinzstadt einen Laden hatten, der DDR-weit bekannt wurde für seinen Konzerte und Kunstveranstaltungen. Bei diesen Veranstaltungen und Konzerten konnten wir so ziemlich die gesamte "Elite" der DDR-Alternativbewegung live erleben.

Andreas Kohl: Die Qualität einheimischer Bands habe ich erst sehr spät schätzen gelernt. Ich hatte immer eine tiefe Skepsis vor Musik made in GDR, die oft hundsmiserabel war, weil eben auch die Probensituation schlecht war. Und wenn sie professionell gespielt war, hatte sie den Touch von Anbiederung, weil man Musik eben nur dann vernünftig betreiben konnte, wenn man staatliche Vorgaben erfüllte und sich einstufen ließ. So eine Einstufung beinhaltete dann auch eine andauernde Kontrolle. Das hieß also im Umkehrschluss: eine Band, die ganz offiziell irgendwo auftritt beziehungsweise auftreten darf, hat in irgendeiner Form mit dem System einen Deal gemacht und dann war sie eben für mich nicht mehr ehrlich. Dass das sehr kurz gedacht war, hab ich dann Ende der 80er langsam begriffen, als ich die so genannten "neuen" oder "anderen" Bands wie SKEPTIKER, SANDOW oder FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER kennen gelernt habe und feststellen konnte, wie intelligent subversiv die waren. Und zwar so, dass die Obrigkeit gar nicht mitbekommen hat, wie subtil sie Botschaften beispielsweise verstecken konnten. Und außerdem waren wir mittlerweile an einem Punkt angekommen, wo die Staatsmacht sich beim Künstler anbiedern musste, um den Kontakt zur Jugend nicht gänzlich zu verlieren. Dann bekam das eine ganz neue Wertigkeit und mit der Wende hab ich dann im Nachhinein mitbekommen, dass da doch eine ganze Menge passiert war.

Henryk Gericke: Interessanterweise war zunächst gar nicht so sehr die Musik aus dem Westen Deutschlands oder Berlins wichtig, sondern Bands wie die SEX PISTOLS oder STRANGLERS, von den CLASH oder U.K. SUBS ganz zu schweigen. Ich glaube, erst mit der Gründung eigener Bands wuchs das Interesse an deutschsprachigem Punk, nicht aber unbedingt an Deutschpunk. Also eher an den NEUBAUTEN, ABWÄRTS, MALARIA, DER MODERNE MANN und so weiter, und nicht so sehr an der Prollpunk-Variante. Wobei das in anderen Regionen auch genau umgekehrt gewesen sein kann. Die Konzerte eigener Bands wie PLANLOS oder WUTANFALL waren immens wichtig für das eigene Selbstverständnis und fürs Selbstbewusstsein. Man fühlte sich nicht mehr gejagt, sondern als Herr der Lage. Außerdem waren diese Konzerte auch immer riskant. Oft drang man gar nicht bis zur Kirche oder dem entsprechenden Atelier durch, denn die Bullen fingen einen nicht selten vorher ab. Dann verbrachte man die Nacht auf einem toten Revier, statt dort, wo die Kumpels hüpften. Das war bitter. Andererseits war es auch immer durch ein aggressives Element im Umgang miteinander gefährlich.

Mike Göde: Musik aus dem Westen spielte nicht so vordergründig eine Rolle, jede Band, die es verstand, guten Punk zu machen mit extremen Texten, wurde abgefeiert. Natürlich bleiben Sampler wie "Soundtrack zum Untergang" und noch viele andere Sachen unvergessen.

Mike Wendt: Ganz klar, Musik aus dem Westen war wichtig. Neben den frühen Punkrock-Klassikern, spielten vor allem Bands wie SLIME, RAZZIA, DAILY TERROR oder BOSKOPS eine Rolle. ÄRZTE und TOTEN HOSEN wurden gern gehört und ich persönlich fand viele Sachen vom Weser-Label wie MIMMI'S, SUURBIERS und GOLDENE ZITRONEN toll. Das hat dann auch unsere Band beeinflusst. Die Bands bei uns waren aber auch extrem wichtig. Zum einen setzten sie sich ja vor allem auf textlicher Ebene mit den Dingen auseinander, die uns beschäftigten, und zum anderen waren das die Bands, die wir live erleben konnten. Die eigenen Bands waren das "wahre Leben", die West-Bands waren die "unerreichbaren Stars".

Volly Tanner: Musik war nicht so wichtig, Hauptsache, es war laut und schräg - dann war das in Ordnung. Der Westen war einfach kein Thema. Ich hörte die Bands die mir gefielen, SKEPTIKER, ART und SK und was so gerade herumwuselte. Aber eigentlich ging es mir immer mehr um mein eigenes Ding: EINZELHAFT, der Name war wirklich Programm - im Nachhinein gesehen! Bands waren für mich auch keine Kommunikationspunkte, das waren doch auch keine anderen Leute, als die, die sich jeden Tag in den Drei Linden besoffen.

Hendrik Franke: Ich glaube auch, dass der größte Unterschied zwischen Ost- und West-Punk und zwischen Ost- und West-Punks war, dass man im Westen rausschreien konnte, was einem nicht gefiel, im Osten ging das nicht ohne Auftrittsverbot und Knast, hier musste man verpacken, man musste zwischen den Zeilen lesen können. Auch das macht für mich den Ost-Punk etwas reizvoller. Außerdem lief das ganze Punksein im Osten doch etwas anders ab. Diffiziler, weniger uniformiert, weil es einfach an der szenetypischen Punk-Uniform, Nieten, Lederjacken, Buttons und so weiter, haperte. Und die Szene war meiner Meinung nach politischer und ernster, es gab weniger Sauf-Punks bei uns. Konntest ja auch nicht an der Ecke stehen und saufen, ohne gleich in den Bau zu wandern ... Das heißt aber nicht, dass ich alles aus dem Westen Scheiße fand, ich hatte Unmengen von "Feindes-Punk"-Tapes und fand die auch geil, kannte auch Leute aus Hannover und Hamburg. Nur aus dem Herzen sprachen mir der Zoni-Punk und die Zoni-Combos.

Steffen Schölzel: Meine Oma hat mir meine erste SEX PISTOLS-Platte aus dem goldenen Westen mitgebracht. Ansonsten brachte immer mal jemand Kassettenaufnahmen mit. In Ungarn gab es offiziell Punkplatten und T-Shirts für viel Geld zu kaufen. Dort sind auch Platten erschienen. So hatte zum Beispiel fast jeder Ost-Punk den "Backstagepass-Sampler" und die EXPLOITED-LP "Live On Stage" made in Ungarn. Die meiste Musik haben wir aus dem "Westradio" aufgenommen. Der Westen war auf jeden Fall der musikalische Maßstab. Es wurden eigentlich alle Trends nachgeahmt. Die eigenen "großen Bands" des Ost-Rock haben wir verachtet. Ich kann den Mist bis heute nicht hören.

Welche Bands gab es in eurer Gegend, wie hat man sich ausgetauscht, wie von Konzerten, Partys etc. erfahren?



Jörg Löffler: Bis 1985 waren mir in Dresden PARANOIA, SUIZID und Kurzeitprojekte wie LETZTE DIAGNOSE bekannt. Wie wir uns ausgetauscht haben ...? Wir haben uns fast jeden Tag gesehen. Etwa ab 1986 lockerte sich die Situation etwas auf. Es entstanden recht viele mehr oder weniger punkähnliche Bands.

Arnim Bohla: Keine Bands! Wenig Konzerte, lag sicher auch daran, dass ich seit 1982 verheiratet war und zwei Kinder zu versorgen hatte. Punk-Konzerte waren dabei nicht so hilfreich. Aber einiges wurde auch mitgenommen, zum Beispiel Attila, die NEWTON NEUROTICS und einige Ost-Bands: DIE VISION, FEELING B, DIE ANDEREN ...

Carsten Hiller: Parallel dazu kamen auch meine alten Schulfreunde in den Jahren 1986/87 mit Punk und New Wave in Berührung, was darin gipfelte, dass sich einer einen Iro schneiden ließ, viel Musik von NICK CAVE AND THE BAD SEEDS, PHILIP BOA AND THE VOODOOCLUB sowie SLIME und HANS-A-PLAST mitbrachte und nur noch vereinzelt zur Lehre ging. Als Folge dieser Entwicklungen kam es in der Freizeit zu einem regen Musikaustausch und Reiseverkehr zwischen Fürstenwalde und Frankfurt/Oder, bei der sich beide Seiten kennen lernten und befruchteten. Durch diesen regen Austausch lernte ich alternative Künstler und Punks aus Frankfurt kennen sowie die Lust an Live-Musik - in Frankfurt/Oder fanden damals öfter kleinere Konzerte von "alternativen" Bands statt. Dann wurde durch den Club im Park plötzlich unsere Stadt, Fürstenwalde, zu einem begehrten Reiseziel für allerlei alternative Leute und Punks aus Berlin, Frankfurt/Oder, Potsdam, Straußberg und anderen Gegenden des damaligen Bezirkes Frankfurt/Oder und unsere Stellung innerhalb der Szene wurde sehr viel bedeutender. Jetzt fuhren die Leute zu uns und wir nicht mehr woanders hin! Fast jede Woche gab es nun aufregendes in Form von Konzerten, Lesungen, Ausstellungen und vieles mehr. Meine Freunde und ich traten sofort in den Clubrat ein, bestimmten den Alltag stark mit und hatten nun endlich einen Raum, in dem wir das Sagen hatten und nicht irgendwelche FDJ-Funktionäre, alte Systemkunstfreunde oder Kraftsportler und Schläger mit rechten Einstellungen. Dies machte uns immer selbstbewusster, wir wurden mehr und befreiten uns aus der Opferrolle. Jetzt bestimmten wir, wer in den Laden kam, machten den Einlass und hauten Störenfrieden und Nazis aufs Maul oder stellten sie bloß. Höhepunkt war 1989 sicher ein vom Club im Park organisiertes Open Air mit den damals angesagtesten Bands unserer Szene, DIE ANDEREN, DIE ART und DIE SKEPTIKER auf der Fürstenwalder Freilichtbühne, zu dem mehr als 800 "bunte" Leute kamen. Durch die Vielfalt der im Club durchgeführten Veranstaltungen wurde das Haus aber nie zu einem reinen Punk-Treffpunkt, sonder eher zu einem Zentrum für all jene Kunst und Musik, die die DDR kritisch hinterfragte und vom System wohl so nicht gewollt war.

Andreas Kohl: Das, was ich in unserer Gegend mitbekommen habe, waren ein paar drittklassige Schülerbands, leider nicht mehr. Vielleicht war da was, aber dann ist es an mir vorbei gegangen. In Leipzig gab es einige coole Bands, die ich aber erst später entdeckt habe.

Henryk Gericke: Ich bin von '79 bis '84 unterwegs gewesen. Da gab es in Berlin die legendären PLANLOS, aber auch NAMENLOS, die ein trauriges Exempel für die "Zersetzungsstrategien" der Staatssicherheit waren. Es gab aber auch UNERWÜNSCHT, SKUNKS, SENDESCHLUSS, mit denen ich meist unterwegs war, ROSA BETON, BANDSALAT, ROSA EXTRA und andere mehr. Ich selbst war Sänger einer Band namens THE LEISTUNGSLEICHEN. Von Konzerten und Partys erfuhr man sozusagen durch die "Stille Post", wobei man mitunter bei einer Adresse landete, wo niemand etwas von einer Party wusste. Der "Kult"-Urpark im Plänterwald war so was wie die Terminbörse der Punks, das war die Central Station des DDR-Punk quer durch alle Provinzen.

Mike Göde: In Ost-Berlin gab es sehr viele Bands: unter anderem PLANLOS, NAMENLOS, ROSA BETON. Konzerte waren meist länger geplant, genau wie Partys, weil Telefon in unseren Kreisen nicht vorhanden war. Vieles machten wir schon damals über Flyer und Mundpropaganda.

Volly Tanner: Na ja, in Großräschen waren wir die Einzigen. Dann gab es noch eine Band, die DURAN DURAN nachspielten, in deren Raum wir probten, und dann ging es natürlich zu den einschlägigen Konzerten - aber Musik war halt nicht wirklich das, was Punk für mich ausmachte.

Hendrik Franke: Ein Abenteuer war es, von Partys oder Konzerten zu erfahren. Die fanden irgendwo in der Republik statt, Open Air an der Ostsee, in einer kleinen Wohnung in Dresden, in einem besetzten Haus in Chemnitz, Berlin, Leipzig ... egal, man war da.

Steffen Schölzel: Im Nachbarort gab es SCHLEIM-KEIM, welche wir Jungs von BRECHREIZ 08/15 regelmäßig im Proberaum besucht haben. Dort haben wir dann das eine oder andere Bier zusammen vernichtet und nicht selten auch zusammen Musik gemacht. Heute sind Klaus und ich der Überrest aus dem Osten von SCHLEIM-KEIM und BRECHREIZ 08/15 und spielen jetzt gemeinsam in der Band KOLLEKTIVER BRECHREIZ. Von Konzerten erfuhr man nur über Mund-zu-Mund-Propaganda. Das hat natürlich nicht immer geklappt. Einmal sollten wir einen Auftritt gemeinsam mit SCHLEIM-KEIM haben, aber als wir ankamen, war das Konzert schon vorbei, man hatte uns den falschen Tag mitgeteilt. Man musste ständig vor der Stasi Haken schlagen. In meinem Zimmer fanden regelmäßig Bandproben statt, bei denen manchmal bis zu 20 Personen anwesend waren. Meist endete das in wüsten Besäufnissen. Wir nannten das "Umtrunk mit Musik". 1988 hatten wir - BRECHREIZ 08/15 - unser einziges großes Konzert. Es fand in einem Dorf statt, wo es keinen "Dorfbullen" gab, und war als Abifete getarnt und offiziell bei der Polizei angemeldet. Es waren über 100 Leute dort und wir mussten unser Programm mehrfach spielen, weil wir nicht genug Lieder hatten. Zum Schluss fanden einige Pogotänzer eine DDR- und eine Arbeiterfahne und tanzten damit den Kommunistenpogo. Wir wurden nicht erwischt.



Gab es Fanzines oder (Kassetten-)Labels?

Jörg Löffler: In Dresden nicht. Zumindest in den frühen 80ern. Ab 1986 war inoffiziell einiges mehr möglich.

Arnim Bohla: Kassetten gab es ab circa 1987, die man bei den Bands oder über das DT64-"Parocktikum" bestellen konnte. Meines Wissens nach gab es keine Fanzines.

Carsten Hiller: Fanzines oder Labels kannte ich nicht. In Frankfurt/Oder hatten aber die Leute um die Band PAPIERKRIEG eine illegale, kleine Druckerei und die Möglichkeit, Kassetten in sehr guter Qualität zu vervielfältigen. Im Zusammenspiel von hartem Punkrock - unter anderem ein SLIME-Coversong -, einem guten Kassettencover sowie einem erstklassigen Button wurden PAPIERKRIEG in der lokalen Szene so etwas wie Helden, auch weil alle Musiker zeitweise einen Iro hatten. Gespielt haben sie meines Wissens aber nicht besonders oft.

Andreas Kohl: Nein, Fanzines gab es keine. Wie auch? Es gab ja keine Kopierer, und Druckereien standen unter staatlicher Kontrolle. Kassetten-Labels gab es in dieser Form auch nicht, obwohl wir eine geradezu blühende Mixtape-Kultur hatten. Ich weiß nicht, wie viele Mixtapes ich für Kumpels und Freunde gemacht habe, meistens ganz aufwendig gestaltet mit Covers aus Zeitungscollagen oder komplett selbst gemalt. Und dabei kostete eine Leerkassette zwischen 22 und 30 Mark, je nach Qualität. Da sind ganze Taschengeldersparnisse draufgegangen.

Henryk Gericke: Fanzines und Labels gab es erst in der zweiten Hälfte der 80er. Zu nennen wäre der Friedrichshainer Moaning Star, wobei da nicht nur Punks mitmischten und es auch weniger um Musik ging als um politische Umtriebe. Die Labels entstanden eher im Umfeld der Experimental- und Avantgarde-Szene, die sich aber wiederum auch aus der Punk-Szene rekrutierte. Das waren die Leute, die zu intelligent waren, um Punk zu bleiben oder Skin zu werden, denn Skin im Osten zu sein, bedeutete Fascho zu sein. Eine Kenntnis oder auch nur Ahnung vom Spirit of 69 gab es nicht.

Mike Wendt: Fanzines gab es meines Wissens nicht. Kann sein, dass irgendwo mal was probiert wurde, aber da klemmte die Sache schon beim Vervielfältigen. Es gab kaum Kopierer oder ähnliches. Labels gab es auch keine, außer unserer Amiga war da nichts. Einige Bands wie KG REST brachten über Umwege eine Platte im Westen raus. Die Bands nahmen meist unter abenteuerlichen Bedingungen Kassetten auf, die dann untereinander kopiert oder auf Konzerten verkauft wurden.

Volly Tanner: Klar gab es das - für mich zu dieser Zeit zwar nicht greifbar, aber im Nachhinein, da lernte ich recht viele Macher kennen, steht alles im Buch "Dunkle Rebellen - Die letzten ihrer Art", Edition 42.

Hendrik Franke: Flyer gab es gar nicht, Fanzines kaum. Ganz wichtig in diesem Kontext war "Reaktion Leipzig". Unter diesem Namen wurden in und um L.E. Konzerte und Festivals organisiert und auch so eine Art Fanzine - meist zu den Veranstaltungen - herausgegeben. War eine der wichtigsten Institutionen in Sachen Ost-Punk!



Wie hast du die Wende erlebt?

Arnim Bohla: Als eine sehr spannende Zeit. Veränderungen und bis zu einem gewissen Zeitpunkt auch die Hoffnung, dass ein Teil aus "unserer/meiner" Welt mit in diese neue Zeit genommen wird. War wohl leider nicht der Fall.

Carsten Hiller: Die Wende habe ich nicht als Befreiung erlebt, dafür ging es mir einfach zu gut. Als ich die Nachricht von der Maueröffnung erhielt, war ich irgendwie nicht überrascht, es schien mir auf Grund der Entwicklungen der Monate davor nur die logische Konsequenz. Es dauerte dann auch ein paar Tage länger als bei anderen, bis ich mich ins "westliche Ausland" nach Berlin-Kreuzberg wagte. Ich hatte weder Angst, dass die Grenzen wieder geschlossen werden, noch das Gefühl irgendwas zu verpassen. Nach und nach fand ich die Wende aber immer besser, da es eine überaus aufregende Zeit war und diese mir Möglichkeiten bot, an die vorher nicht zu denken gewesen wäre.

Andreas Kohl: Auf der Straße, in einem riesigen Demonstrantenzug, so wie Tausende andere DDR-Bürger auch. Nichts wirklich Spektakuläres. Vom Begrüßungsgeld hab ich mir "Heavier Than Thou" von SAINT VITUS gekauft, erstens, weil ich das Tape schon hatte, und das zweitens die einzige SST-Platte war, die ich im WOM in Berlin am 11. November 1989 finden konnte. Eine Initialzündung.

Henryk Gericke: Ich bin bereits um 23 Uhr über die Bornholmer Brücke gegangen. Ich sah, wie die Leute die Grenzer küssten und sich quasi bedankten. Ich konnte nicht fassen, was ich erlebte, und war trotzdem fern von aller Euphorie, ganz im Gegensatz zu allen, die mich umgaben. Das war ein seltsames Gefühl. Ich erinnere mich noch, wie ich auf der Bornholmer Brücke in Gedanken immer nur zwei Worte auf die DDR-Funktionäre gemünzt wiederholte: "Diese Verbrecher, diese Verbrecher, diese Verbrecher ..."

Mike Wendt: Nachdem ich mit Freunden in Leipzig zu den Demos war, bin ich irgendwie dann doch regelrecht überrumpelt gewesen von der Wende. Ab November hatte sich dann auch der Ton verschärft in Leipzig, denn wir riefen nicht "Deutschland einig Vaterland" und mussten sogar rennen, um nicht vom Mob verprügelt zu werden. Wir wollten die DDR verändern und nicht das ganze Land abschaffen. Im Nachhinein gesehen ging es wohl nicht anders.

Hendrik Franke: Mit der Wende kam auch das Drogenproblem. Ja, ich weiß, auch vorher gab es in der Zone Drogen - und keine schlechten! -, aber der Missbrauch startete nach der Wende. Nicht wenige Leute blieben auf der Strecke, landeten in der Psychiatrie oder haben sich gleich komplett vom Globus geschossen. Es gab aber auch positive Aspekte. Bands konnten sich bessere Instrumente beschaffen, es gab plötzlich die Möglichkeit, Tonträger zu produzieren, es gab Rückkehrer - L'ATTENTAT spielten in L.E. - und man konnte die unterschiedlichsten Medien nutzen. Hausbesetzungen wurden politisch. Vorher war eigentlich alles scheißegal, man zog halt in ein leer stehendes Haus oder eine leer stehende Wohnung und keine Socke interessierte sich dafür. Es gab sogar so was wie ein Joint Venture auf Hausbesetzungsart. Händler aus dem Westen suchten Räume für ihre Waren und fragten in besetzten Häusern an. War halt billiger. Dafür rückten sie dann mit Möbeln, Teppichen und so einem Kram rüber, was uns natürlich sehr gelegen kam. Jetzt war's anders. Der Staat schickte die Staatsmacht, westliche Investoren wollten Häuser, ehemalige Eigentümer schickten ihre Schlägertrupps - meist aus dem rechten Spektrum rekrutiert - und so weiter. Mit der Ruhe war es vorbei!

Steffen Schölzel: Zur Zeit der Wende war Punk nicht mehr angesagt, weil die Leute andere Sorgen hatten. Das Begrüßungsgeld musste abgeholt werden. Ich selbst war sehr überrascht und bin auch nicht gleich in den Westen gefahren, hatte niemals damit gerechnet. Ich bin auch kein Freund von demonstrierenden Menschenmassen, die wie die Hammel in der Herde durch die Gegend laufen. Bei vielen von denen sah man noch den Fleck am Sakko, wo vorher noch das Parteiabzeichen war.



Was hat die Wende für dich als Punk bedeutet? Hast du dadurch den Kontakt zur Punk-Szene verloren oder hat er sich intensiviert?

Jörg Löffler: Als Teil der Dresdner Punk-Szene hatte ich mich schon vor der Wende nicht mehr gesehen. Kontakte zur westdeutschen und internationalen Punk-Szene haben sich für mich intensiviert. In den 90er Jahren habe ich in Dresden Konzerte auch mit Punk- und HC-Bands aus den alten Bundesländern und aus dem Ausland organisiert.

Arnim Bohla: Erst mal waren andere Sachen wichtiger. Einen Job suchen und so weiter. Ich habe ab und zu eine Platte der alten Helden gekauft, wie zum Beispiel alles von CLASH, SHAM 69, Patti Smith. Aber ansonsten lief nichts. Ab 1994 ist das wieder intensiver geworden. Konzertbesuche, später ein eigenes Label und so weiter

Carsten Hiller: Als Punk hatte die Wende für mich erst mal zur Folge, dass ich mir vom Begrüßungsgeld meine "Traumschuhe" kaufen konnte. Ein Paar Doc Martens im "Yello Gelb"-Laden in Kreuzberg. Die Affinität zu Doc Martens-Schuhen hält übrigens bis heute an. In den ersten Monaten nach der Wende wurde mein Kontakt zur Punk-Szene immer inniger. Zum einen durch die neuen Freiheiten, die uns Locations und Orte besuchen ließen, an die früher nicht zu denken gewesen wäre, und zum anderen dadurch, dass ich mit drei Freunden eine Punkband gründete und mit dieser recht schnell, zumindest in der lokalen Punk-Szene, erfolgreich war. Wir nannten uns UNITED ATTENTÄTER - später passte der Name sogar richtig gut, denn in unserer Band spielten ein Metaller, zwei Punks und ich als SHARP -, wir produzierten schon nach drei Monaten ein Demo und spielten viele Konzerte. Teilweise reisten uns Punks, Antifas, linke Metal-Fans und SHARPs oder Oi!-Skinheads sogar nach. Als wir unseren Stil Richtung Metal veränderten, ging der intensive Kontakt zur Punk-Szene als Mitglied dieser verloren. Als Mitarbeiter und später auch Leiter des Club im Park habe ich aber bis heute noch gute Kontakte zur lokalen Punk- und Oi!-Szene. Auch meine Tätigkeit als Sozialarbeiter und "Kulturmanager" sowie mein heutiges musikalisches Wirken lassen immer wieder Berührungspunkte zur Punk-Szene erscheinen. Nicht zuletzt treffe ich dabei auch immer wieder alte Bekannte und ehemalige Mitstreiter.

Andreas Kohl: Nun, ich war, wie gesagt, nie so richtig Mitglied der Punk-Szene, würde aber schon sagen, dass sich der Kontakt intensiviert hat. Vor allem nach der Wende sind für mich so viele Türen aufgegangen. Ich hab Fanzines gemacht, auch über Garage-Punk, Konzerte veranstaltet. Ich meine, ich wäre heute wahrscheinlich Physiklehrer, ohne Scheiß, wenn die Wende nicht gekommen wäre. Stattdessen hab ich ein Plattenlabel und das deutsche Punk-Fanzine Nr. 1 stellt mir Fragen zur DDR-Punk-Szene. Da kann man schon von Intensivierung sprechen, oder?

Mike Göde: Die Wende sah ich mit sehr gemischten Gefühlen. Einerseits war ich froh, dass all meine Freunde und der große Teil Menschen frei waren, andererseits kotzte es mich an zu wissen, dass alle Spitzel und Ja-Sager jetzt die Fahne in eine andere Richtung halten konnten, ohne sich für ihre Taten zu verantworten. Den Kontakt zur Punk-Szene verlor ich nicht. Ich machte genug neue Bekanntschaften mit der Westberliner Szene und genoss es, mit meinen alten Freunden, die ich wieder sehen konnte, mich frei zu bewegen.

Mike Wendt: Eigentlich war das Wendejahr das coolste, was es gab. Wir schwebten irgendwie im gesetzlosen Raum. Vom Staatsapparat fühlte sich keiner mehr zuständig oder traute sich nichts zu machen. Wir organisierten Konzerte mit Bands aus Ost und West. Ich konnte mit der eigenen Band auch endlich machen, was ich wollte, und öffentlich spielen. Ich lernte Leute wie Höhnie und Horst Bartel aus Hannover und Ralf Rexin aus Berlin kennen und ich traf all die, mit denen ich/wir nur im Briefkontakt standen. Was sich veränderte, waren die Leute, mit denen man zusammen war, alte Bekannte gingen in den Westen und neue kamen hinzu.

Steffen Schölzel: Zuerst habe ich den Kontakt zum Punk fast verloren, es gab ja auf einmal keine Punks mehr. Nachdem der erste Schock verdaut war, ging es dann aber richtig los. Ich fing neu an und gründete die Band KOLLEKTIVER BLUTSTURZ. Nun konnten wir sagen, was wir wollten, aber es hat niemanden mehr interessiert. Mit einem Iro konntest du zu diesem Zeitpunkt keinen mehr schocken. Was mich seitdem an den Punks stört, ist der Konsum von Drogen. Das finde ich echt scheiße. Meiner Meinung nach hat das nichts mit Punk zu tun. Jetzt habe ich dank Internet Kontakt zu Punks auf der ganzen Welt.



Worin siehst du die Unterschiede zwischen Punks in der DDR und denen in der BRD?

Jörg Löffler: Die DDR-Punks hatten grundsätzlich andere gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Daraus entwickelte sich notgedrungen eine eigene Variante. Aber trotzdem haben sie sich viel von West-Punks abgeschaut. Punk kam aus England. Daran haben sich die BRD-Punks orientiert und daran wieder die DDR-Punks. Ob es schwerer war, in der DDR Punk zu sein, kann ich nur vermuten.

Carsten Hiller: Unterschiede zwischen Punks in der DDR und Punks in der BRD konnte ich kaum ausmachen. Vielleicht waren einige "West-Punks" zum Teil schon so kaputt, dass ich die Kraft des Punk bei ihnen nicht mehr feststellen konnte und einige Punks aus der BRD schienen mir bürgerliche "Aussteiger auf Zeit" zu sein, die Punk nur irgendwie cool fanden und eigentlich darauf warteten, in Papis Firma gutes Geld verdienen zu können - das waren aber die Ausnahmen. Außerdem glaube ich, dass viele Punks in der DDR Punk nicht als geschlossene Subkultur mit Dresscode betrachteten, sondern sich eher als alternative Lebenskünstler verstanden. Lebenskünstler, die sich, neben der sozialistischen Realität, eine eigene, möglichst bunte und vielfältige Welt schaffen wollten und zum Teil auch schafften.

Andreas Kohl: Das ist eine schwierige Frage, weil ich die BRD-Punks der damaligen Zeit ja nie kennen gelernt habe. Ich denke aber, dass die Unterschiede nicht so groß gewesen sind. Die Art der Äußerung wird sich geähnelt haben, ebenso wie der Antrieb, das Exhibitionistische im Stil, das Ausbrechen und Zerstören von konservativen Strukturen, die Ideale, wenn es denn welche gegeben hat - das wird sich geähnelt haben. Unterschiedlich waren sicher die ideologischen Unterfütterungen des Ganzen. Während Punk in der BRD zu allererst eine Kapitalismuskritik war, die sich gegen das Establishment und die damit verbundene Profitmaximierung auf Kosten der Individualität gewendet hat, war es im Osten wohl eher eine ideologische Kritik mit dem Ziel, Individualität erst mal zu erreichen und nicht nur zu verteidigen. Im Osten ging es klar gegen totalitäre Strukturen und damit war Punk in der DDR vielleicht politisch offensichtlicher, weil die Zustände das so erzwungen haben. Das soll aber nicht heißen, dass Punk in der BRD weniger politisch war, vielleicht aber subversiver.

Henryk Gericke: Punk in der DDR war, anders als Punk im Westen, kein Ausdruck des Protests gegen Perspektivlosigkeit und soziales Elend. Das Problem war eher, dass man sich wie zwangsernährt fühlte durch festgeschriebene Perspektiven, durch einen Lebenslauf, der Abweichungen, und seien sie noch so gering, nicht vorsah. Mit 16 hattest du deine "Planstelle" weg und wurdest nach der kaum zu verhindernden NVA-Zeit bis zur Rente in die Mühlen des "sozialistischen Wettbewerbs" entlassen. Deshalb haben wir unsere Ost-Punk-Ausstellung 2005 in Berlin auch "Too Much Future" genannt, da "No Future" in einem Staat, der sich auf einer Utopie, also auf eine ideale Zukunft gründete, eher einer Verlockung glich. Punk in der DDR war kein Protest gegen eine satte Konsumgesellschaft, es war der Protest gegen eine Mangelgesellschaft. Dieser Mangel war nicht nur materieller Natur, weil es hinten und vorne an den so genannten Konsumgütern fehlte. Dieser Mangel bestand vor allem in einer fundamentalen Unterversorgung an elementarsten Freiheiten. Sich diese Freiheiten zu nehmen, war in der DDR eigentlich undenkbar und bis dahin in dieser Radikalität einmalig. Den Mangel an Pressefreiheit oder zum Beispiel Reisefreiheit konnte das nicht wettmachen. Aber man war zumindest in Grenzen frei.

Mike Göde: Der Punk in der DDR hatte mehr den Charakter eines Staatsfeindes, weil der Staat auch mit aller Macht verhindern wollte, dass es Subkulturen gibt. Es sollte keine Aussteiger geben. In der BRD hatte ich das Empfinden, Punk ist mehr etwas Gesellschaftliches, Ausbruch aus dem Konsumzwang, aus dem spießbürgerlichen Leben und aus dem genormten deutschen Dasein. Natürlich hatte auch die westdeutsche Szene eine politische Haltung.

Mike Wendt: Hier kann ich nur für mich sprechen. Es kommt ja immer auf die Sichtweise und den Standpunkt an. Ich denke, man kann da nicht zwischen DDR und BRD unterscheiden, eher zwischen Stadt und Provinz. Als ich "Dorfpunks" von Rocko Schamoni las, hab ich gedacht, das war ja fast wie bei uns damals. Ich fand im Westen das Klischee "Punk" ausgeprägter. Das heißt, du bist erst wer, wenn du diese Klamotten trägst oder ein gewisses Benehmen an den Tag legst. War im Osten irgendwie nicht so.



Musstest du nach der Wende von Spitzeln in deiner Umgebung erfahren? Wie bist du damit umgegangen?

Jörg Löffler: Nicht in meiner unmittelbaren Umgebung, nicht aus der Punk-Szene. Ich habe von Leuten aus Leipzig, Berlin und Karl-Marx-Stadt gehört, bin aber bisher keinem von ihnen begegnet. Es gab in Dresden Spitzel in subkulturellen Künstlerkreisen, die teilweise auch die Punk-Szene tangiert haben. Bei einigen wusste oder ahnte man es schon vorher. Also war ich nicht sehr geschockt.

Arnim Bohla: Erfahren schon, war mir aber egal! Ich hatte weder Repressalien noch irgendwelche anderen Probleme deswegen. Dass der Staat oder besser jeder Staat seine "Informanten" hat, ist doch wohl klar. Und ich sehe keinen großen Unterschied zu dem, was im Westen zum Beispiel mit der Punk-Datei lief.

Carsten Hiller: Ich habe nach der Wende erfahren, dass der Leiter des Club im Park, Frank G., dem ich und die lokale Punk-, Alternativ- und Kunstszene soviel zu verdanken haben, von der Stasi beauftragt war, den Club in der oben beschriebene Art und Weise zu betreiben. Ob die Stasi sich das Ganze so vorgestellt hat, sei mal dahingestellt, und auch die Gründe für Franks Stasi-Tätigkeit sollen hier nicht erläutert werden. Fakt ist aber, dass er einigen Menschen übel mitgespielt hat, Freunde betrogen und belogen hat. Mir ist durch ihn allerdings nichts Nachteiliges passiert. Mein Verhältnis zu ihm, wurde nach seinem "Geständnis" distanzierter und heute sieht man sich vielleicht alle zwei Jahre mal, redet über alte Zeiten und belässt es dabei.

Andreas Kohl: Ich wusste schon zu DDR-Zeiten, wer Spitzel war. Irgendwie hatte ich das Glück, von Typen umgeben zu sein, die einfach zu dumm waren, so was unbemerkt zu machen. Die haben sich einfach doof angestellt und man hat es gemerkt. Von daher gab es zumindest für mich kein böses Erwachen und ich musste mich zum Glück nie damit auseinandersetzen, wie ich damit umzugehen habe. Auch wenn ich mir darüber Gedanken gemacht habe, ich wüsste nicht, wie ich reagiert hätte. Die, von denen ich es wusste, taten mir eher leid. Wohl aber auch deshalb, weil ich glücklicherweise nie miterleben musste, wie jemandem ernsthaft Schaden zugefügt wurde.

Henryk Gericke: Ja. Wobei das andere Freunde noch viel stärker betraf und mich nicht so sehr, was meine Zeit in der Punk-Szene, sondern eher meine Zeit in der Literatur-Underground-Szene vom Prenzlauer Berg betraf. Wie soll man damit umgehen? Am Anfang habe ich noch versucht, den Dialog mit den Spitzeln zu pflegen, wenn ich sie sah. Irgendwann war klar, dass es keine echte Reflexion, kein wirkliches Eingeständnis des Verrats geben würde. Alles hatte irgendwie immer seine Gründe. War es nicht die verkorkste Kindheit, dann war es die Psyche, war es nicht die Psyche, dann war es die Intention, die eigenen Freunde vor der Stasi zu schützen oder ähnlicher Schwachsinn. Heute spreche ich, wenn ich einen von ihnen sehe, und höre nicht mehr zu. Ich will sie nicht mehr verstehen.

Mike Göde: Beim Erhalt meiner Stasiakte lagen die Tatsachen ja auf dem Tisch, aber ich nehme es keinem übel. Da auch nicht jeder mental in der Lage war, dem Druck standzuhalten. Einige aus Angst resultierende Sachen sollte man Leuten verzeihen. Nur zu denjenigen, die von vornherein als Informanten arbeiteten, brach ich den Kontakt rigoros ab.

Mike Wendt: Ich hab von einigen Leuten erfahren, dass sie für die Stasi gespitzelt haben, wo ich es nie gedacht hätte. Nach der Wende, Anfang der 90er, war man der Sache gegenüber noch anders eingestellt als jetzt. Früher war man wütend auf die Leute, heute ist mir das mehr oder weniger egal. Ich selbst habe aber erst Anfang 2007 meinen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Ich finde, man muss auch unterscheiden, ob die Leute freiwillig oder unter Zwang für die Stasi gearbeitet haben.

Volly Tanner: Ja, ich erfuhr von Spitzeln - aber da ich mich ja nie wirklich so fest an Menschen band, war das nicht so wild -, für mich war das meist nachvollziehbar, ich hatte sowieso keine hohe Meinung von den Menschen.

Hendrik Franke: Wer die Spitzel von damals waren, habe ich nie erfahren. Hätte mich aber auf alle Fälle schwer interessiert. Hätte für die Leute keinerlei Konsequenzen gehabt, waren halt alles Freunde, ich hätte es nur gern gewusst. Leider wurde mir mitgeteilt, dass angeblich keinerlei Stasiakten über mich existieren sollen. Dafür hat meine Mutter alleine eine fette Akte, wo es zu einem nicht kleinen Teil um mich und meine Freunde geht. Da tun sich mir doch Zweifel auf ... Es wird aber wohl auch gemunkelt, dass sich die BRD für einige Akten aus den Stasi-Archiven interessierte ...

Steffen Schölzel: Ja ich habe meine Stasiakte angefordert und bekommen. Die Namen der Spitzel haben mich nicht überrascht, da hatten wir eine Art sechsten Sinn für entwickelt. Mein Schuldirektor hat zum Beispiel über mich geschrieben: "Schölzel behängt sich mit klirrenden Ketten und hat keine Freunde." Selten so gelacht.



Wie sieht heute dein Verhältnis zur SED-Nachfolgepartei PDS/Die Linke aus?

Jörg Löffler: Die PDS ist zumindest kein explizites Feindbild für mich.

Arnim Bohla: Ist ja wohl die einzige linke Partei oder? Ich bin zwar nicht mit allen Aussagen, die da so fallen, einverstanden, aber das muss auch nicht sein. Wäre das der Fall, könnte ich auch Mitglied werden. Insgesamt bin ich ein glühender Verfechter davon, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen und da fällt mir im politischen Spektrum der heutigen Parteien leider keine weitere ein, wo ich mit gutem Gewissen mein Kreuz machen kann.

Carsten Hiller: Mein Verhältnis zur PDS/Die Linke ist geprägt durch die Erlebnisse nach der Wende. Oft war sie die einzige Partei, die antifaschistische und alternative Aktionen, Projekte und ähnliches vor Ort ernsthaft unterstützt hat und ich kenne viele Aktivisten aus ihren Reihen - vom Punk über höhere, junge Funktionäre bis zum erfahrenen Historiker und Professor. Ich sehe aber durchaus noch genügend alte Starrköpfe, deren Einfluss aber immer marginaler zu werden scheint. Vor allem aber sehe ich eine zum Teil erschreckende Anbiederung an so genannte "sozialdemokratische" Positionen. Diese neoliberale Scheiße ist einer linken Partei nicht würdig und suggeriert vielen Menschen, dass es eine Alternative zum bestehenden System nicht gibt. Dies halte ich aus vielerlei Gründen für sehr gefährlich.

Andreas Kohl: Ich habe kein Verhältnis zu dieser Partei. Im besten Fall halte ich sie für Utopisten, die sich verzweifelt dagegen wehren, die Erfahrungen aus der Geschichte anzuerkennen. Im schlimmsten Fall halte ich sie für gefährliche Rattenfänger, die mit oberflächlichen Wünschen der Menschen in diesem Land spielen und plakativ vereinfachend agieren. Je nachdem, wo und wie wir im Wahlkampf stehen, tendiere ich mehr oder weniger zur einen oder anderen Seite.

Henryk Gericke: In der Partei gibt es sicher integere Leute. Aber für mich ist der Verein kontaminiert. Gerade durch die jüngsten Exzesse von Stasi-Offizieren, die auf Veranstaltungen die Leute verhöhnen, die sie früher schon mit Dreck beworfen haben. Ich würde diesen Verein nicht wählen, mache mir aber auch nicht die Perspektive von Westpolitikern zu Eigen, die die PDS für genauso gefährlich halten wie die NPD. Die wissen nicht, wovon sie reden, aber das hat ja Struktur.

Mike Göde: Es gab weder früher, noch gibt es heute eine Partei, der ich meinen Glauben und meine Zustimmung schenken kann. Eine sozialistische Partei halte ich generell für das Beste, was es geben könnte. Die Frage ist nur die Form der Umsetzung.

Volly Tanner: Ich kenne Leute in dieser Partei, das sind angenehme Menschen, und ich kenne Arschlöcher unter ihnen. Meine persönliche Bindung an Menschen macht sich nicht am Parteibuch fest. Von mir wird jeder respektiert, der an einer humanen Vision und gegen die Machthabenden arbeitet, da ist es völlig egal, wer die Macht hat - wer Macht hat, ist prinzipiell der Feind, da er auf seinem Wege nach oben Leichen in seinen Keller stopfen musste - und das nicht zuwenig.

Steffen Schölzel: Gysi finde ich intelligent, aber der Rest der alten Bonzenzombies erfüllt mich mit Grausen. Unbelehrbare Vollidioten.

Wo siehst du dich heute im politischen Spektrum?

Jörg Löffler: Nirgends, ich finde alles Scheiße. Ich bin Individualist.

Arnim Bohla: Sicherlich immer noch recht weit links. Habe erst kürzlich im Radio einen Song von Mitch Ryder gehört, dessen Schlussworte mir förmlich aus der Seele gesprochen haben. In diesem Weihnachtslied hieß es sarkastisch: Ich danke dem Weihnachtsmann für Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe, Gewaltverbrechen, Regierungs- und Wirtschaftskorruption, ein Rechtssystem, das Recht spricht für Geld, eine hohe Selbstmordrate, Hoffnungslosigkeit, Krieg, Schönheitswahn, Anbetung des Geldes und so weiter. Das alles kannte ich bis 1990 nur aus dem Fernsehen.

Carsten Hiller: Mich selber würde ich als linken Humanisten bezeichnen, für den das Hier und Heute nicht das Ende sein kann und der als chronischer Optimist daran glaubt, etwas verändern zu können.

Andreas Kohl: "Irgendwie" links. Wie sehr ich diese Antwort hasse. Aber so ist es. Ich bin immer noch dabei, mir unter Beachtung der herrschenden Strukturen und gesellschaftlichen Zustände mit all ihren Verflechtungen, Gesetzmäßigkeiten und sich gegenseitig beeinflussenden Bedingungen ein in sich schlüssiges politisches Selbstbild zu bauen. Und immer, wenn ich denke, jetzt hab ich es, stürzt es wieder ein, weil die politische Kraft, zu der ich mich dann hingezogen fühle, etwas tut, was ich entweder nicht erwartet habe, nicht verstehe oder für schlicht und einfach falsch halte.

Henryk Gericke: Ich halte mich für linksliberal bis wertkonservativ, ohne konservativ zu wählen. Ich habe einfach begriffen, dass zum Beispiel die Grünen für mich auch keine Lobby darstellen. Ich stehe etwa ihrer Ausländerpolitik, die ich nur kulturromantisch nennen kann, äußerst gespalten gegenüber. Trotzdem wähle ich sie aus Mangel an Alternativen. Ich habe in der DDR nicht gewählt, was am Rande eines Straftatbestandes lag. Heute wähle ich, weil es so schön sinnlos ist.

Mike Wendt: Links von der Mitte. Ich lasse mich aber nicht von jemandem vor irgendeinen politischen Karren spannen. Bei uns im Ort arbeite ich als Parteiloser in der SPD-Fraktion im Stadtrat mit. Hier sieht man noch, was dabei rauskommt, wenn man was macht, und ich kann meine Entscheidungen selbst treffen.

Volly Tanner: Positiver Anarchist, Humanist, freidenkender, selbstständiger, undogmatischer Mensch, zornig, wütend, jedoch nicht hasserfüllt. Oft verletzt, doch nicht verletzend. Ich versuche, die Kreise einzelner Individuen nicht zu behindern, wenn diese nicht in meine Räder greifen. Hedonistisch und freundlich.

Hendrik Franke: Auf alle Fälle stehe ich politisch sehr links. Ich lese - jetzt freiwillig! - die Junge Welt als Tageszeitung. Jetzt kann man sie wieder lesen. Sie ist für mich die einzig wirkliche und kompromisslos radikal linke Tageszeitung, die es in Deutschland gibt. Mit Großdeutschland habe ich nach wie vor nix am Hut, von mir aus kann's verrecken, wenn wir dadurch leben können. Auch nach wie vor kommt für mich keine Parteizugehörigkeit infrage.

Steffen Schölzel: Die Partei, für die ich auf die Straße gehen würde, muss erst noch gegründet werden.



Siehst du dich heute noch als Punk?

Jörg Löffler: Ich höre Punk, gehe auf Punk-Konzerte und spiele in einer Punkband, aber ich ordne mich nicht in irgendeine Gruppierung ein. Punk beschäftigt mich auch weiterhin. Ich recherchiere für das Ausstellungsprojekt "Too Much Future. Punk in der DDR - eine Ausstellung in Dresden", das Mitte August 2007 eröffnet wird. Natürlich auch mit Konzerten im Rahmenprogramm.

Arnim Bohla: Natürlich, innerhalb meiner Definition schon. Außerdem habe ich auch versucht, meine Kinder weltoffen, politisch offen, tolerant zu erziehen. Und es scheint mir gelungen zu sein. Mit meinen Söhnen haben wir zum Beispiel 1997 mit East Side Records begonnen, unbekannten deutschen Punkbands ein Medium zu bieten und ihre Musik zu veröffentlichen. Mittlerweile führt mein Sohn Daniel das Ganze mit mir gemeinsam weiter und wir veröffentlichen die Attila/BARNSTORMER-Scheiben auf Vinyl und kümmern uns um die norwegische Band TRASHCAN DARLINGS. Also kann Punk auch jenseits der 40 noch Spaß machen. Aktiv bleibt man dabei allemal. Mein Pensum an Konzertbesuchen steigt dabei zurzeit auch wieder an.

Carsten Hiller: Punk bedeutete und bedeutet für mich die Freiheit zu lieben, möglichst vorurteilsfrei, offen und tolerant zu sein, Neues zu wagen, sich zu wehren und zu kämpfen, sich möglichst wenig zu verstellen, nicht geldgeil zu sein und natürlich das Leben trotz aller Scheiße so gut es geht zu genießen. Wenn das auch "wirklich" Punk ist - dann bin ich immer noch einer!

Andreas Kohl: Ich würde gerne mit Ja antworten, weil ich prinzipiell noch zu dem stehe und auch das lebe, was Punk für mich bedeutet - strikte Individualität und kritisches Bewusstsein. Dann denke ich aber manchmal wieder, herrje, ich hab eine Firma, eine Familie, wohne im Grünen und romantisiere eine Art revolutionäres Selbstverständnis, was ich gar nicht mehr ausleben kann, weil ich entweder in Strukturen gefangen bin oder mich mit ihnen arrangiert habe, die mir gar nicht mehr erlauben, das zu sein, dessen ich da in einer "Alter Sack"-Mentalität nachhänge. Meine RAMONES- und MINOR THREAT-Platten höre ich immer noch.

Henryk Gericke: Ich sehe mich heute nicht mehr als Punk, aber als von Punk nachhaltig geprägt. Das betrifft vor allem meinen allgemeinen Skeptizismus, der, solange er nicht in Bitternis umschlägt, auch eine Kraft ist. Und auf Kraft und Energie kam es beim Punk an.

Mike Göde: Im Herzen noch immer hundert Prozent. Äußerlich nicht mehr, aber ich glaube, das spielt auch keine große Rolle. Wichtig ist die Lebenseinstellung, die sich daraus entwickelte.

Mike Wendt: Mein Bruder sagt immer, unsere Oma war voll Punk. Sie war meist lustig, fand immer okay, was wir gemacht haben, und hatte immer den passenden Spruch parat. Wenn das so ist, bin ich noch Punk! Wenn jemand eine andere Definition hat, mir egal. Musikalisch auf alle Fälle!

Volly Tanner: Ja, und das ist auch gut so!

Hendrik Franke: Ach ja, natürlich bin ich immer noch Punk, werde ich auch immer sein. Ich bin der Meinung, wenn man sich für Punk entschieden hat, hat man seinen Lebensweg gewählt.

Steffen Schölzel: Klar bin ich noch ein Punk, was denn sonst ...?



Joachim Hiller, Michael Klarmann