PUNK IN DER DDR - DIE HINTERGRÜNDE

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DAS GUT GEMEINTE BÖSE

Der Kommunismus wollte eine gerechte Welt für Arbeiter und Bauern schaffen. Die Unterdrückten sollten besser leben, nicht mehr von Adel, Kapital und Industrie ausgebeutet werden. Doch rasch wurden in den "Diktatur(en) des Proletariats" (auch) jene Menschen, die man zu befreien vorgab, wieder unterdrückt, verfolgt und ermordet. Hippies und Punks mussten denn auch Klassenfeinde sein - und Naziglatzen konnten 1987 ein Konzert von ELEMENT OF CRIME in der Zionskirche sprengen.

Juni 1953. In der DDR wiederholt sich - wie zu Zeiten des "Roten Terrors" unter dem Diktator Josef Stalin in Russland - eine bekannte Wirrung im Aufbau einer "Diktatur des Proletariats". Fabrikarbeiter müssen höhere "Arbeitsnormen" erfüllen und wenden dagegen Protestformen an, die kommunistische Splittergruppen heute noch von der "lohnabhängigen Bevölkerung" im "(Klassen)Kampf gegen das Kapital" einfordern: Generalstreik, Straßenproteste, teils gewaltsame Besetzungen von Behörden und blutige Straßenschlachten mit der Polizei. Am 17. Juni 1953 lassen die russischen Truppen im "Arbeiter- und Bauernstaat" ihre Panzer ausrücken. Menschen der Arbeiterklasse, die für ein besseres Leben kämpfen wollen - also genau dafür, wofür der Kommunismus stehen will -, werden unterdrückt. Es kommt infolge der Unruhen innerhalb weniger Tage zu 55 bis 70 Toten. Am Ende soll es bis zu 13.000 Festnahmen auf dem gesamten Gebiet der DDR gegeben haben.

Jene Vorgehensweise ist bekannt oder soll sich wiederholen: Seit Anbeginn der Oktober-Revolution 1917 kämpften die Kommunisten nicht nur gegen Adel, Kirchen und Zarentum, sondern auch gegen die Arbeiterklasse und (ehemalige) Mitstreiter im Kampf gegen das Kapital. Arbeiteraufstände oder parteiunabhängige Gewerkschaftsbewegungen werden in der Sowjetunion, Polen, Ungarn, Bulgarien oder der Tschechoslowakei niedergeschlagen. Menschen werden in den oft unmenschlichen Lagern des Gulag-Systems interniert, wo sie mittels Zwangsarbeit zu wahren Sozialisten umerzogen werden sollen - viele kommen dabei um. In China lässt das Regime noch am 4. Juni 1989 eine Demokratiebewegung - seit Monaten aufbegehrende Studierende und Arbeiter - blutig niederschlagen. Panzer und Militärkonvois rollen durch Pekings Straßen, man lässt auf Demonstranten schießen und in einer Nacht- und Nebelaktion überrollen Panzer ein Protestkamp auf dem "Platz des himmlischen Friedens". Die Zahl der Todesopfer wird in Peking auf bis zu 1.000 geschätzt, man spricht von zehntausenden Verletzten und Inhaftierten infolge der Militäraktionen im ganzen Land. Die Hardcore-Legende CAPITOL PUNISHMENT hat für das Album "Bulwarks Against Oppression" ein Foto aus jenen Tagen als Cover genutzt. Es zeigt einen Mann, der mit Einkaufstüten in der Hand einen Kampfpanzer stoppen will. Von den TV-Bildern jener Tage ist bekannt: der Panzer hat mehrfach angezogen und den Mann immer wieder mit seiner Stahlschnauze "geschubst". CAPITOL PUNISHMENT verkneifen sich im gleichnamigen Song indes allzu CDU-nahe Zeilen, wie sie OHL in "DDR", "Warschauer Pakt", "Ostblock" und "Roter Terror" mochten.

Rund acht Jahre nach dem Massaker in China sorgte ein Buch für Aufsehen. "Das Schwarzbuch des Kommunismus" löste eine heftige Debatte aus und wagte sich an eine vorläufige Bilanz über den "real existierenden Sozialismus" beziehungsweise Kommunismus und dessen rund 80-jährige Geschichte. Weltweit, summieren die Autoren, seien wohl über 90 Millionen Menschen Opfer des Kommunismus geworden in all seinen asiatischen, osteuropäischen, afrikanischen und südamerikanischen Auswüchsen. "Der Kommunismus [...] hat im Namen von Gerechtigkeit und Freiheit Milliarden von Menschen betrogen, denn seine Taten waren stets das pure Gegenteil. [...] Was ist das also für ein wunderbares System, das nirgendwo etwas anderes als seine Perversion in die Tat umgesetzt hat?", fragt sich der Philosoph und "konservative Medienintellektuelle" (Freitag) Jean-Francois Revel 1997 in der französischen Zeitung Le Point. In einer Interview- und Artikelserie merkt in Le Monde zur gleichen Zeit Roger Martinelli von der durchaus Kommunismus-kritischen "Neugründungs-Generation" der französischen, Kommunistischen Partei PCF an: "Der Kommunismus ist Henker und Opfer zugleich. Es hat kommunistische Stalingegner gegeben", die Opfer der "terroristischen Gewaltspirale" geworden seien.

Was Martinelli meint, bilanziert das "Schwarzbuch": Kern aller kommunistischen Regimes war ein Netz aus Geheimdiensten und Unterdrückung. Die Bevölkerung wurde überwacht. Diejenigen, die gestern noch gegen "das Kapital" kämpften, mit der Umsetzung des Kommunismus durch Partei, Militär und Geheimdienste aber unzufrieden waren und dagegen rebellierten - Arbeiter, Bauern, Gewerkschafter, Anarchisten, Sozialdemokraten, ehemals antifaschistische Partisanen, Juden, Kommunisten, Trotzkisten, sogar Parteifunktionäre -, wurden plötzlich selbst unterdrückt, deportiert, verhaftet, durch Haftbedingungen, Folter, Waffengewalt oder Hungersnöte ermordet. Wie aber sollten solche Regimes umgehen mit Menschen, die sich per se außerhalb einer Gesellschaft platzierten? Punks etwa. Deren anarchisches Treiben war den "sozialistischen" Staaten ein Dorn im Auge. Auffallend dabei indes: während die DDR sich als antifaschistischer Staat begriff, wurden Punks in ihren Stasi-Akten auch mit Begriffen belegt, die schon die Nationalsozialisten nutzten (die "Volksschädlinge" seien "negativ dekadent"). Zugleich wurden Punks selbst als Nazis diffamiert, denn schon Sid Vicious hatte ein T-Shirt mit einem Hakenkreuz auf der Brust getragen ... Kleinbürger in Ost- und Westdeutschland hatten hier die Wiedervereinigung zeitweise wohl schon an der Vorurteilsfront vollzogen.

1983 erschien bei dem Berliner Kultlabel Aggressive Rockproduktionen die Split-LP "DDR von unten". Die Punkband SAUKERLE - dahinter versteckten sich SCHLEIM-KEIM - sangen vom "Spion im Café" und kritisierten die Überwachung und Stasi-Durchsetzung der DDR-Gesellschaft. Wie sehr die Stasi-Agenten und "Informellen Mitarbeiter" selbst in der Alternativszene präsent waren, zeigte sich jedoch schon anhand dieser Platte. Der Kopf der zweiten Band, ZWITSCHERMASCHINE, wurde nach dem Mauerfall als Spitzel enttarnt. Sascha Anderson war nicht nur kreativ in der alternativen Szene des Prenzlauer Bergs gewesen, sondern hatte dieselbe auch für die Stasi beobachtet. 1987 erschien bei X-Mist Records die LP "Made In GDR" der Leipziger Punkband L'ATTENTAT. Die Aufnahmen waren mittels Musikkassette über die Grenzen geschmuggelt worden. Obschon damals in Westdeutschland längst Hardcore angesagt war und der eher rumpelige Deutschpunk der Leipziger unzeitgemäß wirkte, sorgte die Platte für Aufsehen. Später stellte sich heraus, dass Gitarrist und Sänger Imad in der Leipziger Punks-Szene auch als Stasispitzel aktiv gewesen war.

Punk war nicht die erste Alternativ- oder Oppositionsbewegungen in der DDR, die die Härte des Staates zu spüren bekam. In den 1970er und 1980er Jahren war etwa die Oppositionsbewegung - eine Mischung aus Hippies, Künstler, Studierenden- und Friedensbewegung - in Jena sehr stark. In seinem Buch "Vision und Wirklichkeit" beschreibt Udo Scheer den Kampf und die Unterdrückung jener Gruppe, deren Ziel eine "basisdemokratische Erneuerung des Sozialismus von innen heraus" war. Quasi-Dissidenten wie Lutz Rathenow und Jürgen Fuchs wollten den Sozialismus reformieren, nicht stürzen. Unter den Studierenden kam es zu Exmatrikulationen, Dauerobservationen, Künstlern wurden Auftrittsverbote erteilt, es kam zu Ausbürgerungen und Inhaftierungen, ein Mitglied kam unter ungeklärten Umständen in der U-Haft um. Roland Jahn stellt als Ex-Mitglied jenes Kreises in Scheers Buch fest: "Im Endeffekt wirst du ja nicht als Staatsfeind geboren, sondern du wirst zum Staatsfeind erzogen. Diese [DDR] hat die Staatsfeinde herangezüchtet."

Die Stasi - korrekter Name: Ministerium für Staatssicherheit (MfS) - verstand sich selbst als "Schild und Schwert der Partei", also der allein regierenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Zum 25-jährigen Bestehen der Stasi sagte deren Chef Erich Mielke 1975, Aufgabe des MfS sei es "feindliche Kräfte im Innern aufzuspüren und unschädlich zu machen." 1989, als die DDR kurz vor ihrem Ende und dem Mauerfall stand, schätzte man, dass auf 1.000 DDR-Bürger zirka 5,5 Stasimitarbeiter kamen - das waren auf die Bevölkerung umgerechnet zweieinhalbmal so viele Geheimdienstler wie in der Sowjetunion.

Am 17. Oktober 1987 tritt die Westberliner Band ELEMENT OF CRIME in der Ostberliner Zionskirche auf. Das Konzert ist illegal organisiert. Als Support spielt die DDR-Punkband DIE FIRMA. Um 22 Uhr stürmt eine Gruppe von etwa 30 Nazi-Skinheads die Veranstaltung, grölt "Heil Hitler" und "Juden raus aus deutschen Kirchen". Die Nazis prügeln, teils mit Stangen und Flaschen bewaffnet, auf Teile der zwischen 400 bis 1.000 Besucher ein und verletzen einige Menschen schwer. Erst als sich Punks entgegenstellen, ziehen sich die aus Ostberlin stammenden Naziskins zurück. Im Umfeld der Kirche gehen die wilden Schlägereien noch weiter. Zwar beobachten Volkspolizei und Stasi den Angriff, doch sie schreiten nicht ein.

Trotz des immensen Überwachungsapparates hatte die Stasi das seit Anfang der 1980er Jahre auftretende Problem der Nazis und rechtsextremer Hooligans in der DDR vertuscht. Im selbst ernannten, antifaschistischen Teil Deutschlands durfte es hinter der Mauer, jenem "antifaschistischen Schutzwall", derlei nicht geben. DDR-Presse und Gerichtsbarkeit nannten die Angreifer auf die Zionskirche später denn auch lieber "Rowdys" oder die Tat "Rowdytum" - während die eher linke Punkszene dem MfS immer schon ein Dorn im Auge gewesen war und blieb. Monate nach dem Angriff ging die Stasi denn auch gegen Punks, Oppositions- und Umweltgruppen in der Zionskirche vor.