Dennis Rebmann und Philip Stratmann haben unter dem Titel „Mit Schmackes! Punk im Ruhrgebiet“ das erste Buch über die Punkszene des Ruhrgebiets geschrieben, jener Region zwischen Duisburg im Westen und Dortmund im Osten, die unter anderem Städte wie Bochum, Gelsenkirchen, Essen, Mülheim und Oberhausen umfasst (nicht aber Düsseldorf ...), die eine der größten Metropolregionen Europas ist, mit mehr Einwohnern als Berlin oder Hamburg, die in Sachen Punkszene aber jenseits von DIE KASSIERER und LOKALMATADORE weitgehend „terra incognita ist“. Ich fragte die beiden Autoren, was sie so herausgefunden haben über „Punk im Pott“.
Dennis, Philip, wer seid ihr und wie kamt ihr auf die Idee zu diesem Buchprojekt?
Philip: Ich lebe seit etwa zehn Jahren in Bochum. Ich habe schon immer viel geschrieben, auch mal eine Uni von innen gesehen und es mir gut gehen lassen. 2010 ist in unserem Verlag Henselowsky Boschmann aus Bottrop ein Buch über Heavy Metal im Ruhrgebiet erschienen. Das hieß „Kumpels in Kutten“, fand ich gut, im Besonderen die Idee, mal eine, ich nenne es jetzt mal „Subkultur“, aus dem Ruhrgebiet in so einem angemessenen Format darzustellen, festzuhalten und ja, irgendwie auch zu würdigen. Das war damals der Auslöser, dass ich mich gefragt habe, warum es so was eigentlich nie über Punk gegeben hat. Ich finde Bücher zum Thema „Genre X in Y-Stadt“ immer nur dann interessant, wenn dabei in der Sache auch etwas Besonderes sichtbar wird – und beim Punk im Ruhrgebiet, finde ich, ist das der Fall.
Dennis: Ich komme aus Essen und wurde dort Mitte/Ende der Neunziger „ganz klassisch“ zum Punk sozialisiert. In der Zeit habe ich mich auch – mehr schlecht als recht – in ein paar Bands versucht, bis ich bin dann vor neun Jahren nach Bochum gezogen bin. Hier habe ich ziemlich bald Philip kennen gelernt, der mich dann acht Jahre später fragte, ob ich zusammen mit ihm das Buch schreiben möchte. Das wollte ich natürlich, und hier sind wir nun.
„Mit Schmackes!“ – außerhalb des Reviers wird kaum jemand verstehen, was das heißt. Also was bedeutet das und warum ist es der perfekte Titel für euer Buch?
Philip: Ich zitiere mal aus dem „Lexikon der Ruhrgebietssprache“, das lustigerweise in unserem Verlag erschienen ist: „Schmackes“ – Kraft; „mit Schmackes“ – mit Wucht, heftig; „und jez nomma mit Schmackes“ – einen erneuten Versuch mit noch mehr Energie und Anstrengung starten; „Gib ihm Schmackes!“ – Aufforderung, sich gegen jemanden zu wehren, Widerstand zu leisten. Zum Beispiel: „Nach den ganzen Schmu hab ich den voll ein mit Schmackes vor die Omme gewämst.“
Dennis: Wir wollten von Anfang an keinen Klischee-Titel wie „Nieten, Bier und Anarchie“ oder so. „Mit Schmackes!“ klingt einfach erst mal gut und weniger reißerisch. Auf den zweiten Blick kann dort aber sicher jeder etwas finden, das mit Punk zu tun hat. Sei es auf die Musik bezogen oder auf die Haltung, die meiner Meinung nach immer dazu gehört. Ich verweise hier mal auf obige Definition. Letztlich vermittelt der Titel natürlich auch ein gewisses Lokalkolorit, was ja insgesamt gut zum Inhalt des Buches passt.
Berlin, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, München – alles Städte, die punkhistorisch schon abgearbeitet wurden. Warum gibt’s erst 2013 eine umfassende Punk-Geschichte des Reviers?
Dennis: Gute Frage und gleichzeitig auch einer unserer Beweggründe, das Buch zu schreiben. Es gab ja schon hier und da mal Artikel in Fanzines und Ähnlichem, aber in Buchform gab es bisher noch nichts. Offenbar hat sich einfach keiner so richtig dafür interessiert. Ich kann hier nur mutmaßen, aber vielleicht liegt es ja zum Teil auch daran, dass die Szenen beispielsweise von Hamburg, Düsseldorf oder auch Hannover durch gewisse „schillernde“ Persönlichkeiten, durch bekannte Bands oder eben so was wie die Chaostage und ständige Straßenschlachten oft mehr im Vordergrund stehen, einem also beim Stichwort „Punk in Deutschland“ unweigerlich zuerst in den Kopf kommen. Ich denke auch, dass vielen Leuten – auch aus dem Ruhrpott – gar nicht klar war beziehungsweise ist, was es hier so alles gibt. Viele der Leute, die wir gesprochen haben, haben sich übrigens das Gleiche gefragt, eine abschließende Antwort wusste keiner, ich auch nicht. Letztlich bin ich aber ganz froh, denn somit konnten wir das jetzt machen – und es war ein Heidenspaß, das Ganze! Wobei ich darauf hinweisen möchte, dass auch wir nicht die umfassende Historie abgeliefert haben, das wäre auf 272 Seiten auch gar nicht möglich. Unser Fokus liegt deutlich auf noch aktiven Sachen.
Philip: Es ist ja nicht so, dass wir uns so besonders wichtig nehmen und der Welt gerne mal unsere Sicht der Dinge präsentieren mussten. Wir sehen das eher so, dass wir einfach in die Bresche gesprungen sind, weil es jetzt endgültig mal Zeit wurde.
Was unterscheidet, sofern sich das so pauschal sagen lässt, die Szene zwischen Duisburg und Dortmund von der einer „richtigen“ Großstadt?
Philip: Eine gute und, wie ich finde, wichtige Frage. Das Ganze soll alles andere als ein wissenschaftliches Buch sein, aber die Fragen nach regionaler Identität, Stadtentwicklung und so was sind schon eine wichtige Sache. Im Buch erfährt man viel über die besondere Struktur des Ruhrgebiets und wie die Leute damit umgehen. Auf der einen Seite ist der Unterschied gar nicht so groß, weil man sich eben im kompletten Ruhrgebiet bewegt, als wäre es eine einzige Großstadt. Würde der Nahverkehr das möglich machen, wäre da sicher noch mehr Potenzial. Aber man muss ja auch nur mal sehen, wie viele Songs es über das Ruhrgebiet gibt. Das zeigt schon sehr deutlich, dass es eben als ein zusammengehöriger Raum wahrgenommen wird. Andererseits kokettieren Bands wie BRIGADE S. oder EISENPIMMEL natürlich auch gern mit ihrer Herkunft aus Wanne-Eickel oder Duisburg. Aber selbstverständlich spielen die auch in anderen Städten und da werden die Songs genauso abgefeiert. Will sagen: Ich glaube, das unterscheidet sich eigentlich nicht so sehr, außer dass man notgedrungen mehr Zeit in der S-Bahn verbringt, was ja bekanntlich alles seine Vor- und Nachteile hat.
Dennis: Uns hat mal jemand im Interview erzählt, dass Leute in „richtigen Großstädten“ oft nicht über ihren Kiezrand hinaus gucken und beispielsweise nach einem Gig nicht in einen anderen Bezirk fahren, um dort zusammen noch ein Bier zu trinken oder so. Ich kann das natürlich nicht beurteilen, weil ich bisher nie woanders gelebt hab, allerdings ist es hier so, dass sich nahezu alle Leute untereinander kennen, gut vernetzt sind und man hier gut zusammen in Duisburg proben, in Mülheim auf ein Konzert gehen, danach in Essen noch ein Bier trinken und dann letztlich in Bochum ins Bett fallen kann. Das funktioniert ganz gut. Im Großen und Ganzen jedoch sind die Unterschiede wahrscheinlich eher gering.
Wie hat sich die Szene seit den Achtzigern – sofern ihr das anhand der Aussagen eurer Interviewpartner nachvollziehen könnt – verändert und verlagert?
Dennis: Ich denke, es gibt nicht mehr so sehr diese Trennung zwischen „Sauf-Punk“ und „Polit-Punk/Hardcore“. Natürlich hast du vor jedem Konzert auch die Leute, denen fünf Euro Eintritt „zu kommerziell“ sind und deren Weltanschauung sich in „Scheiß Staat, mehr Bier“ erschöpft, aber generell ist die Ruhrpott-Punk-Szene meiner Meinung nach eine sehr aktive, politische und dabei trotzdem humorvolle – das war aber, glaube ich, nicht immer so.
Philip: So ein bisschen habe ich auch den Eindruck, dass es sich vom Osten Richtung Westen verlagert hat. Wir haben mit unseren Interviewpartnern ja immer eine kleine Umfrage gemacht, deren Ergebnisse im Buch nachzulesen sind. Aber schon mal so viel: Als „die Punkrockcity“ wird mit großer Mehrheit Duisburg genannt. Ich könnte mir vorstellen, dass das Anfang der Achtziger noch anders ausgesehen hätte. Insgesamt würde ich aber sagen, die Veränderungen, die natürlich nicht zu übersehen sind, sind letztlich genau die gleichen wie anderswo auch.
Über das Ruhrgebiet gibt es viele Klischees, aber nach der Arbeit am Buch, was macht den „Punk im Pott“ für euch aus?
Philip: Immer unter dem Vorbehalt, dass wir uns eher auf die Gegenwart beziehungsweise jüngere Vergangenheit konzentriert haben: viel Humor und die Einstellung, nicht alles so verbissen zu sehen. Vielleicht steht dahinter auch die Haltung, dass man schlimme Dinge nicht noch dadurch aufwerten muss, dass man pausenlos Songs darüber schreibt.
Dennis: Der „Punk im Pott“ beherbergt eine Menge aktiver, unverkrampfter Leute, die mit viel Engagement so einiges für die Szene aufbauen und am Leben erhalten und dadurch natürlich auch etwas für die Region als solche schaffen. Natürlich, die Schüppe Humor ist immer dabei! Ich kann also jedem nur empfehlen, auch mal hinter die Klischees zu schauen. Der Punk im Ruhrgebiet hat wesentlich mehr zu bieten als den „Blumenkohl am Pillemann“. Man muss nur mal eine KASSIERER-Platte bis zum Schluss durchhören und man wird erleben, dass dort teilweise fantastische Texte auf fantastische Musik treffen, die wenig gemein haben mit der Proll-Attitüde, die man ja der Band – wie auch dem Ruhrgebiet – gerne zuschreibt.
Welche Bands und Orte würdet ihr Neueinsteigern in Sachen Pott-Punk als essentiell ans Herz legen?
Philip: Neueinsteiger sollten sich mal den „Punk im Pott“-Sampler vom Plastic Bomb von 1997 oder den ’81er „H’Artcore“-Sampler besorgen. Die LPs gab’s bei Rüdiger von Teenage Rebel auch mal als Neuauflage. Sind beides alte Scheiben, aber allemal ein schöner Überblick und liebevoll zusammengestellt. Ansonsten verweise ich auf unseren Download-Sampler, den wir Anfang September zusammen mit „Punkrockers Radio“ an den Start gebracht haben. Da gibt es massig aktuelle Sachen und, wir hoffen doch, einen ganz guten Überblick.
Dennis: Ich bin jetzt mal diplomatisch und möchte da auch keine bestimmten Bands oder Orte herausgreifen, die haben schon alle, mehr oder weniger, etwas eigenes Lohnenswertes.
Was wird im zweiten Teil von „Punk im Pott“ zu lesen sein? Sprich: Welche Lücken musstet ihr angesichts des endlichen Platzes offen lassen?
Philip: Am Samstag war ich auf einem Konzert und hab mich mit jemandem über unser Buch unterhalten. Der meinte, er wartet lieber auf den Film. Vielleicht erzähl ich in zehn Jahren das mal als Story, wie die Idee zum Film aufkam. Nee, mal im Ernst: Unser Buch legt den Fokus ganz bewusst auf die Gegenwart, einfach weil das die Zeit ist, über die wir auch selbst was sagen können. Was ja nicht heißt, dass die Achtziger nicht auch vorkommen. Wir haben dazu ganz wunderbare Gastbeiträge, unter anderem von Helge Schreiber und Andre Bessner. Natürlich, Bands wie BLUTTAT tauchen auch auf. Aber wenn man nacharbeiten müsste, dann sicher bei den Achtzigern. Das fände ich prima, wenn da noch mal jemand genauer hinsehen würde. Ich finde aber insgesamt, dass unser „Mit Schmackes!“ durchaus von den Anfängen bis heute eine runde Sache ist, nur eben mit dem Fokus auf jüngere Sachen.
Dennis: Lohnenswert wäre natürlich auch der Blick auf die Dinge, die jetzt wegen nicht gewünschter öffentlicher Aufmerksamkeit nicht im Buch zu finden sind – aber die kann man ja vielleicht auch in Eigeninitiative entdecken. Darüber hinaus gibt es noch zig kleinere Bands, die sicherlich auch eine Erwähnung verdient hätten, und da wachsen ja auch ständig welche nach. Mal sehen, was noch kommt, der Ofen hier ist jedenfalls noch lange nicht aus.
Wenn ihr eine Compilation zum Buch zusammenstellen dürftet, welche Bands/Songs – zehn für die „historische“ A-Seite, zehn für die B-Seite und die Gegenwart – wären drauf?
Philip: Solch aufwendige Fragen würde ich gern dadurch umschiffen, dass wir mit der Einteilung „historisch“ und „heute“ immer unsere Schwierigkeiten hatten, weil die Bands ja teilweise schon so lange dabei sind beziehungsweise derzeit im Ruhrgebiet viele historischen Kapellen gerade wieder zu aktuellen werden, etwa ARTLESS und BLUTTAT.
Dennis: Die Einteilung in „historisch“ und „nicht historisch“ fällt mit etwas schwer – ist 1995 historisch? Also für mich sähe das in etwa so aus, auf der A-Seite und ohne besondere Reihenfolge: ARTLESS „Mein Bruder ist ein Popper“, BLUTTAT „Wen stört’s“, UPRIGHT CITIZENS „Pseudo Punk“, HASS „Ich hab Hass“, THE IDIOTS „Edeka“, BECK’S PISTOLS „Pöbel & Gesocks“, DIE KASSIERER „Anarchie und Alkohol“, DIE LOKALMATADORE „Auf Ruhr“, DÖDELHAIE „Radikal“ und THE RICHIES „(This ain’t) What I’m living for“. Auf der B-Seite wären da an aktuellen Sachen EISENPIMMEL „Duisburg ist spitze“, THE KLEINS „Black room“, OPERATION SEMTEX „Deine Stadt“, SONDASCHULE „Siega“, PRÜGEL „Ruhrpott“, 2ND DISTRICT „The love has gone“, EMSCHERKURVE 77 „A40“, DEFECATION AREA „18 forever“, TELEMARK „Keine Lust“ sowie PARANOYA „Denken, fragen, leben“.
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