PULLEY

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Built to last

PULLEY halten sich offenbar an den Grundsatz „Willst du gelten, mach dich selten.“ Sechs Alben in 25 Jahren, jetzt das erste Mal im Ox. Aus einem trotzigen Freizeitprojekt, bestehend aus gefrusteten Ex-Mitgliedern von FACE TO FACE, STRUNG OUT und TEN FOOT POLE, wurde eine langlebige Melodic-Hardcore-Institution, die mit der Zeit an Reife und Klasse gewonnen hat. Sänger Scott Radinsky war mit SCARED STRAIGHT früher Protagonist der so genannten Nardcore-Szene – Hardcore-Bands mit regionaler Nähe zur Stadt Oxnard, darunter DR. KNOW, STALAG 13, AGRESSION, RKL, ILL REPUTE. Er war professioneller Baseballspieler, betrieb bis 2019 einen Skatepark in seiner Heimatstadt Simi Valley in Kalifornien und ist heute Baseball-Coach. Wegen der Absage der „Punk In Drublic“-Tour trafen wir uns nicht wie geplant in Oberhausen, sondern ich erreichte ihn zu Hause in Quarantäne, um über die Vergangenheit und Zukunft von PULLEY zu sprechen.

Scott, Corona bestimmt derzeit unser Leben. Dein Skatepark ist geschlossen, die Tour abgesagt und Baseball wird nicht gespielt. Wie gehst du mit der Situation um?

Der Skatepark ist schon seit über einem Jahr geschlossen, das habe ich schon verdaut. Was den Baseball betrifft, so habe ich mich auf einige europäische Termine im Sommer gefreut, auf ein Turnier in Österreich und ein Musikfestival, alles an einem Wochenende. Dazu kommen unsere schon gebuchten Europa- und Kanadatouren. Hoffentlich beruhigt sich das mit dem Virus bis zum Ende des Sommers ein wenig und es wird eine Impfmöglichkeit entwickelt. Allerdings genieße ich auch die Zeit zu Hause.

Der Skatepark war so was wie Museum und Sportstätte zugleich. Du scheinst eine große Sammelleidenschaft zu haben. Gilt das auch für Musik?
Der Skatepark beherbergte zu Beginn einige Sammlerstücke, und das ist in den 21 Jahren, in denen viele Leute Gegenstände gespendet haben, ziemlich gewachsen. Irgendwann lohnte sich der Betrieb aber nicht mehr. Was die Sammelleidenschaft betrifft, ja, aber als Fan, nicht wegen des Sammelns als Selbstzweck. Es geht mir auch nicht um den Sachwert der Gegenstände, sondern um meine Leidenschaft für etwas. Ich habe tonnenweise Konzertflyer gesammelt, die die Wände meines Hauses schmücken. Meine Musiksammlung ist seit 35 Jahren gewachsen, hauptsächlich Punkrock, und ich genieße es immer noch, die Regalwand voller Vinyl, CDs, Kassetten und Achtspur-Bändern anzustarren, für diejenigen, die alt genug sind, sich daran zu erinnern ... Ich krame mir etwas heraus und höre stundenlang zu. Ich finde es gut, nur das zu haben, was ich brauche. Und es gibt nichts Besseres, als eine Schallplatte in den Händen zu halten, sie auf den Plattenteller zu legen und das ploppende Geräusch zu hören, kurz bevor die Musik zu spielen beginnt.

Dein Leben besteht aus mehreren wichtigen Komponenten: Familie, Sport, Musik. Wie ergänzen sie sich gegenseitig? Inwiefern stehen sie einander im Weg, wie bereichern sie sich?
Die Familie steht bei allem immer an erster Stelle, sie ergänzt alles, was ich tue, indem sie mich als Person bestärkt, jede Herausforderung anzunehmen. Durch sie hatte ich das Glück, so viele berufliche und musikalische Erfahrungen zu sammeln, neue Orte zu besuchen und so viele verschiedene Kulturen kennen zu lernen. Der Kitt, der das alles zusammenhält, ist die Familie.

In einem Dokumentarfilm sagtest du mal, dass du als Baseballtrainer junge Menschen und ihre Probleme gut verstehen kannst. Glaubst du, dass deine Verbindung zu Punkrock als Jugendkultur dabei eine Rolle spielt? Hilft Punkrock dabei, langsamer zu altern?
Meine Verbindung zur Musik hat mir geholfen, mich auf viele verschiedene Typen von Menschen und Kulturen im Leben einzulassen. Das ist definitiv etwas, das bewirkt, dass ich überhaupt nicht altere, zumindest nicht innerlich. Ich denke, als Person aktiv zu bleiben und sich mit Jugendkultur auseinanderzusetzen, trägt dazu bei, den Finger am Puls dessen zu halten, was in der Welt vor sich geht. Kommunikation ist der Schlüssel zu allem, und auch das Verständnis dafür, was es heißt, sich anzupassen. Man muss in der Lage sein, sich als Person weiterzuentwickeln und zu wachsen, sonst wird man schlicht alt.

Wann hast du erkannt, dass Punkrock für dich eine Lebensart ist und nicht nur eine Phase?
Definiere: Punkrock-Lebensart?! Von Anfang an haben mich die Energie der Musik und ihrer Inhalte fasziniert. Ich bin an sich kein sehr politischer Mensch, aber wenn ich PROPAGANDHI höre, spüre ich, wie ihre Texte etwas in mir bewirken, und ich bekomme plötzlich Lust, etwas zu verändern. Ich mag Bands mit intelligenten Texten, aber auch solche, denen es einfach um den Spaß geht und darum, gute Musik zu machen. Ich weiß jetzt, dass ich so leben will, und wer ich sein werde, wenn ich sterbe. Ich habe die letzten 35 Jahre bestimmten Überzeugungen gewidmet, und das gilt mit jedem Tag mehr.

Du bist seit Jahrzehnten in Sportmannschaften und Bands aktiv. Was unterscheidet diese beiden Gruppen für dich?
Die professionellen Baseballteams sind als Bevölkerungsgruppe viel größer und diverser und es werden viel mehr Meinungen mit Leuten aus der ganzen Welt ausgetauscht. Die Bands waren immer meine Freunde, wir waren mehr wie Brüder. Ich liebe es, mit beiden Zeit zu verbringen, weil die Dynamiken völlig unterschiedlich sind. Aber das Reisen ist einfacher mit der Band, weil wir uns alle verstehen und wissen, wie man einander respektiert.

Genießt du sportliche und musikalische Erfolge auf unterschiedliche Weise?
Ja! Beim Profi-Baseball ist es so, als würde man für ein großes Unternehmen arbeiten und den Erfolg des gesamten Produkts als Team betrachten. Man weiß, dass man ein kleiner Teil der Maschine ist, die es zum Funktionieren gebracht hat. Es gibt viele bewegliche Teile, die mit Sportmannschaften zu tun haben, von der Vermarktung über die Trainer bis hin zu den Spielern, die letztlich der Grund sind, warum wir alle überhaupt dort sind. Mit Freunden, die ich seit über dreißig Jahren kenne, gemeinsam kreativ zu sein, auf die Bühne zu gehen und die Musik live zu spielen, die wir geschrieben haben, und die Reaktion zu erleben, wenn Leute mitsingen, gehört zu den befriedigendsten Erfahrungen, die man machen kann. Für mich ist es definitiv ein Gefühl der Erfüllung, weiterhin Musik machen zu können. Ich hoffe, es geht noch so lange wie möglich, zeitlich gesehen ist das die dauerhafteste Konstante meines Lebens.

Mit Cyber Tracks Records habt ihr nach Epitaph 2016 ein eher kleines Label gewählt. Wie ist es dazu gekommen?
Nun, Aaron aka El Hefe und seine Frau Jen, die Eigentümer von Cyber Tracks, sind echte PULLEY-Fans, sie kamen zu unseren Shows und standen ganz vorne und haben mitgesungen. Als wir ein paar Songs zusammenhatten und soweit waren, sie aufzunehmen, gingen wir auf Jen zu und sagten, wir seien interessiert, sie auf ihrem Label zu veröffentlichen. Sie war begeistert und sagte direkt zu.

Meiner Meinung nach haben PULLEY mit ihrem 1999er Album, das mit dem unaussprechlichen Namen, ihren eigenen unverwechselbaren Stil gefunden. Das dritte gilt ja als kritisch in einer Bandgeschichte.
Ich bin ein großer Fan dieses Albums, es gibt darauf viele gute Songs, die wir live gerne spielen. Ich beurteile so was danach, wie sich die Songs über die Jahre halten. Zum damaligen Zeitpunkt waren unsere Songschreiber schon seit drei Platten zusammen und aufeinander eingespielt. Wir haben alle während der Aufnahmen viel Zeit zusammen im Studio verbracht, was auch dazu beigetragen hat, eine vertraute Stimmung zu erzeugen. Einige von uns haben einen Monat lang im Studio geschlafen. Diese physische Nähe zur Musik zeigt, dass wir eine Menge Spaß beim Aufnehmen dieser Platte hatten. Also ja, ich würde sagen, das war eine Platte, die dazu beigetragen hat, den Sound und die Richtung für die Band zu definieren.

Welches ist dein Lieblingsalbum von PULLEY?
Frage ein Elternteil, welches sein Lieblingskind ist ... Alle Platten, die wir gemacht haben, haben bestimmte Elemente, die ich mehr mag als andere, ob es nun die Lieder selbst sind oder die Produktion. Die größte Herausforderung war das fünfte Album „Matters“. Wir haben viel Zeit investiert und uns gut vorbereitet, bevor wir ins Studio gingen. An den Songs haben wir akribischer gearbeitet als bei den Alben zuvor. Wir haben auch zum ersten Mal mit einem anderen Toningenieur zusammengearbeitet, er hat uns hart angepackt, um unser Bestes herauszuholen, und hatte keine Scheu, uns herauszufordern. Das hat es manchmal frustrierend gemacht, aber dadurch wurde ich ein besserer Songschreiber und Sänger, denke ich. Ich liebe die Songs, aber es ist mehr das, was diese Platte aus mir gemacht hat, was am meisten hängen geblieben ist.

Du sprachst eure Texte an. Gibt es welche, die dir besonders wichtig sind?
Ich versuche nicht, sie mit einer bestimmten definierten Botschaft im Hinterkopf zu schreiben. Das Wichtigste beim Verfassen von Texten ist es, in ihnen die jeweilige Zeit und den Kontext, indem sie entstehen, einzufangen. Wie tickst du im Moment des Schreibens? Es ist toll, wenn Menschen zu mir kommen und mir erzählen, was ein PULLEY-Song ihnen bedeutet und was sie damit verbinden. Du lernst dann deine eigenen Stücke neu kennen.

Wie geht es denn in nächster Zeit weiter mit PULLEY?
Wenn diese Virus-Sache vorbei ist, würde ich gerne wieder Live-Konzerte spielen. Hoffentlich werden einige der Europa-Termine nachgeholt. Wir schreiben jetzt seit etwa einem Jahr an neuem Material und haben schon eine ganze Reihe frischer Songs zusammen. Einige habe ich schon als Akustikversionen aufgenommen. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich lohnt, ein komplettes Album rauszubringen oder die Songs einzeln zu veröffentlichen. Das entscheiden wir, wenn die Aufnahmen abgeschlossen sind.

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Eine kleine Werkschau in Schlaglichtern aus der Sicht von Künstler (Scott) und Fan (Daniel).

„Esteem Driven Engine“ (Epitaph, 1996)

Scott: Neu und aufregend, entstand in ein paar Monaten mit einer Gruppe von Freunden, die Musik aus Leidenschaft machen.
Daniel: Der Einstand einer Band von Ex-Mitgliedern anderer Bands. Ein bisschen Trotz, viel Energie. Ein Achtungserfolg. Lässt auf mehr hoffen.

„60 Cycle Hum“ (Epitaph, 1997)
Scott: Alte Schule, hart und roh. Zurück zu den Wurzeln.
Daniel: Rückschritt! Matt Riddle, ex-FACE TO FACE, ist raus und wechselt zu NO USE FOR A NAME, daher dominiert im Songwriting eindeutig Jim Cherry, ex-STRUNG OUT. Wirkt hektisch und schnell zusammengeschustert. Ihr schwächstes Album.

„@#!*“ (Epitaph, 1999)
Scott: Spaß, gute Songs und gute Zeiten. Während der Aufnahmen im Studio leben, viele großartige Shows, unser alter Freund Tony kam nach den Aufnahmen zur Band und spielte die nächsten zehn Jahre mit uns.
Daniel: Kurve gekriegt! Selbstfindungsalbum. Der typische PULLEY-Sound entsteht. Mehr Melancholie, mehr Melodien. 50% Hits.

„Together Again For The First Time“ (Epitaph, 2001)
Scott: Klassische PULLEY-Platte, die in verschiedenen Städten während einer Saison vor den Spielen und danach nachts aufgenommen wurde. Anstrengende Zeit.
Daniel: Die eingeschlagene Richtung wird verfeinert. Noch höhere Hitdichte als auf dem „@#!*“-Album. Einen Ticken aggressiver als zuvor. Jim Cherry ist raus und gründet ZERO DOWN. Leider stirbt er 2002 an Herzversagen.

„Matters“ (Epitaph, 2004)
Scott: Sehr herausfordernd für die Band. Viel Vorbereitung. Unsere letzte Platte bei Epitaph. Große Erleichterung nach der Fertigstellung.
Daniel: Die Blaupause, ein Meisterwerk. Gänsehaut-Songs am Stück. Der Track „Thanks“ ist Jim Cherry gewidmet. Die Singleauskopplung „Insects destroy“ ist der schwächste Song. In einer Liga mit „Punk In Drublic“ von NOFX und „Against The Grain“ von BAD RELIGION.

„No Change In The Weather“ (Cyber Tracks, 2016)
Scott: Erste Aufnahme mit dem derzeitigen Schlagzeuger Chris, gemischt von unserem alten Freund Ryan Greene. Gute Produktion und Songwriting.
Daniel: Labelwechsel von Brett Gurewitz zu El Hefe. Die Gefahr des Scheiterns nach dem letzten Hammeralbum ist hoch, es tritt aber nicht ein. Grundsolides, sehr schönes Album.