Was für eine Überschrift! Meiner Meinung nach umfasst sie alles, was bezeichnend ist für die Beziehung zwischen einigen legendären Bands und dem Besitzer von Posh Boy Records, Robbie Fields. Sicher kann kaum jemand bestreiten, dass die Bands, deren Platten er veröffentlicht hat, heute zu den Ikonen des Westcoast-Punkrock zählen. Bei Bands wie SIMPLETONES, ADOLESCENTS, T.S.O.L., SOCIAL DISTORTION, AGENT ORANGE, THE CROWD, CIRCLE JERKS, NUNS, um nur einige zu nennen, oder legendären Compilations wie „Beach Blvd“ und „Rodney On The Roq“ schlägt das Herz eines jeden Punkrockers, der etwas auf sich hält, vor Begeisterung schneller.
Was der ganzen Geschichte allerdings einen äußerst bitteren Beigeschmack verleiht, sind die immer wiederkehrenden Vorwürfe von Abzocke zum eigenen finanziellen Vorteil, die im Zusammenhang mit seinem Namen und bestimmten Bands immer wieder auftauchen, allen voran sicher SHATTERED FAITH, die an Fields kein gutes Haar lassen, was umgekehrt allerdings ebenso gilt.
Im Rahmen des Interviews habe ich mehrfach versucht, zu ehemaligen Bands seines Labels Kontakt aufzunehmen, um ebenso ihre Meinung zu seinen Aussagen mitteilen zu können, worauf ich allerdings entweder überhaupt kein Antwort erhielt oder man mir mitteilte, dass man dazu lieber nichts sagen wolle, da man damals froh gewesen sei, dass überhaupt jemand eine Platte von ihrer Band veröffentlichen wollte, und man sich über Geld oder Verträge erst mal keine Gedanken gemacht hätte. Kurzum, die Frage nach möglicher Abzocke und Vorteilnahme mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten, war nicht möglich, so dass nun jeder von euch versuchen muss zwischen oder in den Zeilen seinen eigenen Standpunkt zu finden.
Mein Standpunkt diesbezüglich ist recht klar und macht sich auch nicht an bestimmten Vorwürfen, Lügen oder Halb- und Ganzwahrheiten fest, sondern vielmehr an dem Eindruck, den ich von der Person Robbie Fields in diesem Interview bekam und der Art, wie er von seinen ehemaligen Bands als Produkt spricht. Ein Geschäftsmann, angestachelt von der Energie des Punkrock, der sicher vor allem ein wirtschaftliches Interesse an Punkrock hatte. Dies mag, wie er sagt, meiner naiven und krassen Wahrnehmung geschuldet sein, beruht aber vor allem auch darauf, dass im Punk, damals wie heute, eine Band, wie ich finde, mehr als ein austauschbares Produkt sein sollte, aber das könnt ihr ja selbst entscheiden.
Die einst auf Posh Boy erschienenen Platten sind heute entweder nicht mehr oder auf zig verschiedenen anderen Labels in neu aufgelegter Form erhältlich, oft aber sind auch die Rereleases schon nicht mehr erhältlich. Die Situation ist also recht unübersichtlich; wer den gesamten Posh Boy-Katalog besitzen will, wird sich auf eine lange und meist teure Suche begeben müssen.
Robbie, lebst du noch immer in Südafrika oder wohin hat es dich inzwischen verschlagen?
Obwohl ich immer noch ein Haus in einer Kleinstadt in Südafrika besitze, lebe ich inzwischen schon wieder in Phuket in Thailand. 1997 bin ich dort gelandet, nachdem ich meine T.S.O.L.-Master-Recordings an Nitro Records verkauft hatte und damit sowohl meine Schulden abbezahlen konnte, als auch genug Geld für einen Neustart in Bangkok zur Verfügung hatte, wo die Lebenshaltungskosten zu diesem Zeitpunkt außergewöhnlich niedrig waren. 1999 kam ich zu etwas mehr Geld und „parkte“ dieses überall auf der Welt, weil ich kein Interesse daran hatte, es bei irgendeiner Finanzkrise zu verlieren. Als Tourist war ich zuvor bereits in Südafrika gewesen und hatte mir dort einen Bauplatz in der Nähe des Indischen Ozeans als Investition zugelegt. Drei Jahre später, nach einer Reihe finanzieller Unglücke, riet mir mein österreichischer Anwalt in Phuket, Thailand mit meinem zweieinhalb Jahre alten und Thai-Dialekt sprechenden Sohn zu verlassen, bis sich die Angelegenheiten bezüglich meiner von mir geschiedenen thailändischen Ex-Frau etwas beruhigt hätten, die sich zuvor eigentlich schon mit einem Haufen Geld aus dem Staub gemacht hatte. Ich entschied mich dann dazu, dass wir für eine Weile in einem englischsprachigen Land leben sollten, das eine finanzierbare Kinderbetreuung bietet, wo sich zu diesem Zeitpunkt Südafrika anbot, da die dortige Währung gerade zusammengebrochen war und man dort günstig leben konnte. Einige Monate später zog meine zwölf Jahre alte Tochter aus Kalifornien ebenfalls zu uns, so dass wir 2003 eine Familie mit drei Personen bildeten. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits sämtliche Finanzreserven aufgebraucht, um uns in Südafrika zu etablieren, hatte allerdings das Glück, dass mir eine südafrikanische Bank etwas Geld als Hypothek auf unser Haus lieh, wovon ich die Hälfte nutzte, um neue Grundstücke zu kaufen. In den folgenden drei Jahren entwickelte sich der südafrikanische Immobilienmarkt glücklicherweise derart rasant, dass er sogar den schon verrückten kalifornischen Markt bei weitem übertraf, was aber nur bis etwa ein Jahr vor dem Crash in Kalifornien anhielt. Dann begann eine unglaubliche Abwärtsspirale und ich wurde von ihr mitgerissen, zudem ist Südafrika ein Land, wo du vor deinen Schulden nicht weglaufen kannst, egal, ob du zehn Dollar oder zehn Millionen Dollar schuldig bist, sie sind hinter dir her. Das bedeutete für mich zwei äußerst schmerzhafte Jahre, in denen ich meine Schulden zurückzahlen musste.
Dein ganzes Leben scheint davon bestimmt zu sein, durch die verschiedensten Länder zu reisen. Würdest du sagen, dass du einfach eine rastlose Person bist oder waren es die Umstände deines Lebens, die dich dazu gezwungen haben?
Ich denke, dass ich eine rastlose Person bin. Mein Zwillingsbruder ist auch viel gereist, aber er hat immer großen Wert darauf gelegt, in Großbritannien ein Zuhause zu haben. Er wollte nicht wie ein typischer Businessman nur in Fünf-Sterne-Hotels leben, weswegen er wöchentlich den Atlantik überquerte. Da er immer gratis in gehobener Klasse reisen konnte, konnte er sich das leisten. Er starb leider bereits mit 42 Jahren an Krebs.
Gewissermaßen war das ja für dich vorbestimmt, denn obwohl du in Santa Monica geboren und in Los Angeles aufgewachsen bist, bist du schon früh mit deiner Mutter nach Großbritannien gegangen, oder?
Irgendwie schon, denn wie meine Schwester hatte ich das innere Bedürfnis, in der Nähe meines Vaters in Los Angeles zu leben. Es gab Zeiten, in denen ich zwar räumlich von meinem Vater getrennt war, aber dennoch durch eine emotionale Verbindung dazu bewegt wurde, nach Kalifornien zurückzukehren, während meine Brüder ihre Verbindung nach Großbritannien aufrechterhielten. Nach meiner Scheidung 1991 wollte ich einfach nur noch weg aus Kalifornien, weshalb ich 1996 in Acapulco lebte, aber noch immer ein Appartement in Kalifornien hatte.
Deine Mutter ging einst nach Großbritannien, um ihren Doktortitel an der Universität Cambridge zu machen. Würdest du von daher sagen, dass du in einer privilegierten Familie aufgewachsen bist?
Auf die Zeit vor Cambridge bezogen lautet die Antwort: „Nein!“. Ich bin in sehr einfachen Vorortverhältnissen in Anaheim, Orange County aufgewachsen, war aber natürlich Teil der privilegierten weißen Mehrheit in einer Ära der Rassentrennung in Kalifornien. Als wir uns 1962 dann in Cambridge in England wieder fanden, war der Lebensstandard dort ironischerweise in etwa vergleichbar mit dem in Los Angeles etwa 1910, wenn überhaupt. Keine Zentralheizung, Außentoilette, Gas- und Kohleofen, nahezu keine Autos, die in Privatbesitz waren. Uns war sofort bewusst, dass wir insofern privilegiert waren, da wir weitaus mehr Geld zur Verfügung hatten als die Menschen, die dort lebten. Beispielsweise schickte mir mein Vater jedes Jahr im Dezember 60 Dollar, weil da mein Geburtstag und Weihnachten zusammenfielen, was damals sehr viel Geld war.
Jahre später, noch bevor es in London mit Punkrock richtig losging, bist du zurück nach Kalifornien gezogen, wobei du die damalige Szene in London beschreibst als ein „passing and rather ugly fashion movement“. War 1977 für viele der „Summer of Hate“, ist dir dieses Jahr nach deiner eigenen Aussage eher als der Sommer von Nurejew in Erinnerung geblieben. Was waren die Gründe für deine Sichtweise?
War 1977 wirklich der „Summer of Hate“ in London? Vielleicht in der Erinnerung von Alan Edwards. Zuerst einmal hatte ich den Großteil des Jahres zuvor in Berlin und Schweden verbracht, obwohl ich eine kleine Wohnung in London hatte. 1977 war Punk weder in London noch in L.A. eine Massenbewegung, es war eine Szene. Der Unterschied war, dass die Szene in London durch Exklusivität bestimmt war, während die Szene in L.A. dadurch bestimmt war, dass sie etwas anstrebte und sich dafür engagierte. Abgesehen von den RAMONES, die ich 1976 im Dingwall’s gesehen habe, habe ich mich in England als Außenseiter gefühlt und es gab niemanden, der mich in die Szene eingeführt oder den Leuten vorgestellt hätte, die die Szene prägten. Ironischerweise waren viele meiner alten Schulfreunde als Produzenten, Techniker oder Angestellte der Plattenfirmen beteiligt. L.A. war anders, es war einfach aufgenommen zu werden.
Dein erster Eindruck der Punkrock-Szene von Kalifornien war eine Show der DICKIES und der NUNS. Wie hast du dort den Unterschied zur Szene London erlebt? War das der Auslöser für dich, dazugehören zu wollen?
Nein, das war meine Einführung in die L.A.-Rock-Szene, aber in der selben Nacht gegen zwei Uhr wurde ich auch in die Punkrock-Szene eingeführt, im Masque, die übrigens viel dekonstruierter war als alles in London, was Brendans extremer Amateurhaftigkeit geschuldet war, einer seiner großen Vorzüge zu dieser Zeit. Ja, damals war ich äußerst gelangweilt von meiner konventionellen Hollywood-Existenz.
Wie du schon sagtest, hast du ja Brendan Mullen und den Masque Club direkt im Anschluss kennen gelernt. Würdest du sagen, dass Mullen dich in irgendeiner Form inspiriert hat?
Nein, denn er war von dem Zusammenhang, in dem er sich nun wieder fand, ziemlich überwältigt und brauchte mich als Berater ebenso wie ich ihn. Seine eigentliche Neigung war seine Zügellosigkeit, während ich im Gegensatz dazu ein Produkt kreieren wollte. Er war sozusagen ein Situationist, und das war etwas, wo ich komplett dagegen war. Man könnte ihn mit Malcolm McLaren vergleichen, nur dass er halt ein strikter Amateur war.
Um langsam auf dein Label zu sprechen zu kommen, der Name Posh Boy stammt doch auch von Brendan Mullen, oder? Was ist signifikant für einen Posh Boy?
Er nannte mich Posh Boy, nachdem er erfahren hatte, dass ich auf eine Eliteschule in London gegangen war, was noch dadurch verstärkt wurde, dass ich jedes Mal, wenn ich ins Masque kam, noch die Business-Kleidung von der Arbeit als Oberkellner im Restaurant meines Vaters trug. Er nannte mich so ganz im Geiste von Claude Bessy, der sich selbst „Kickboy Face“ nannte, und ich dachte, das wäre sowohl passend als auch selbstironisch, denn niemand wollte als „Boy“ bezeichnet werden.
Du hast häufiger erwähnt, dass du von vielen Leuten in der Szene von Anfang an geächtet und gemieden wurdest.
Zuerst waren die Leute angepisst von mir, weil ich sie dazu zwang, zu bezahlen, wenn sie ins Masque wollten, da ich unter der Woche dort an der Tür stand. Zweitens, ich nahm keine Drogen, so dass auch diese Möglichkeit, mich zu integrieren, verschlossen war. Drittens war es wie in „Peyton Place“, eine Seifenoper im wirklichen Leben, voll von kleinlichem Neid.
Dennoch hast du angefangen, mit Bands zu arbeiten, was ich mir nicht gerade einfach vorstelle, wenn andere eine derartige Meinung über einen haben.
Wenn andere deine Hilfe wollen, tendieren sie dazu, plötzlich freundlich zu sein. Viel wichtiger war aber, dass ich anfing, Geschäftsbeziehungen zu entwickeln, die dauerhaft angelegt waren.
Was die Fanzines der damaligen Zeit betrifft, bist du immer recht gut mit den Leuten vom Flipside und deren Herangehensweise an Punk und Hardcore zurechtgekommen. Das Flipside war aber auch ein Fanzine, über das sich die Leute vom Slash Magazine gerne lustig machten. Worin siehst du die wichtigsten Unterschiede zwischen den beiden?
Darüber könnte ich eine Doktorarbeit schreiben. Das Rätsel dabei war Folgendes: Ich wurde als Außenseiter wahrgenommen, jemand, der aus England einfällt, obwohl ich eine starke Verbindung zu Kalifornien hatte, die sogar Generationen zurückreicht. Die Hollywood-Szene bestand zum großen Teil aus denselben Leuten wie der Rest von Hollywood auch, nämlich aus Zuwanderern aus dem ganzen Land und der Welt, sie waren also auch nur Fremde vom Planeten „Art World“, die dort einfielen und ihre Kindheit neu erlebten. Das Gegenteil davon war die Szene aus den Vororten, repräsentiert vom Flipside, nämlich fast ausschließlich junge Leute, die völlig darin aufgingen, einen neuen Lifestyle zu leben. Am Flipside war nichts kalkuliert oder berechnend. Slash hingegen war situationistisch, ersonnene Kunst. Warum sind sowohl Slash als auch das Dangerhouse-Label irgendwann vor die Hunde gegangen? Wie kommt es, dass keiner der Verantwortlichen von Slash und Dangerhouse weitergemacht hat, nachdem Hardcore das Zepter übernommen hatte? Claude Bessy und Philomena vom Slash Magazine gingen nach Barcelona, was wurde aus dem anderen Paar, Steve Samiof und Melanie Nissen? Dangerhouse, auch bestehend aus vier Partnern, hat das Feld dann für mich freigegeben.
Die vielbeschriebene Rivalität zwischen L.A. und Orange County ist etwas, wovon jeder schon einmal gehört hat. Worin lagen deiner Meinung nach die Unterschiede, die diese Rivalität ermöglicht haben?
Eine richtige Rivalität bestand eigentlich nicht, immerhin war es kein Wettbewerb zwischen den süßen Mädels vom Strand und den Mädels aus Hollywood oder dem Valley. Die Teenager aus den Vororten haben zu den Bands aus Hollywood aufgeschaut, vor allem weil die Hälfte von ihnen professionelle Musiker waren. Die wirklichen Rivalitäten begannen erst später, zu Beginn der Achtziger, zwischen den unterschiedlichen Gruppen von Fans, was zu deutlich mehr Gewalt und leider auch dem Abschied von vielen der süßen Mädels führte.
Als die ADOLESCENTS in der Szene von L.A. wie eine Bombe eingeschlagen waren, hat das für die Kids aus den Vororten einiges verändert, weil sie nicht länger nur Zuschauer waren. Wie würdest du diesen speziellen Moment beschreiben? Heutzutage ist es doch unvorstellbar, dass eine Band so viel Bedeutung bekommen kann.
Es waren nicht nur die ADOLESCENTS, das Ganze fing schon mit THE CROWD an zu wachsen. Von 1979 an hatten einige Songs Erfolg in „Rodney’s Show“ im Radio, die dazu führten, dass immer mehr Leute zu den Bands kamen. Als „Amoeba“ Ende 1980 die ersten Male im Radio gespielt wurde, konnte diese Menge an Leuten nur nicht mehr länger von KROQ ignoriert werden, auch wenn die anderen Radiostationen das weiterhin taten. Als „Amoeba“ dann bald alle zwei Stunden bei KROQ gespielt wurde, war zu erwarten, dass die ADOLESCENTS bald vor einem riesigen Publikum in den lokalen Clubs spielen würden. Nach sechs Monaten war es dann dasselbe bei T.S.O.L., auch wenn die tagsüber nie im Radio gespielt wurden.
Du hast einmal gesagt, dass die erste „Rodney On The Roq“-Compilation sich massenweise verkauft hat, auch bedingt durch den vorhergehenden Erfolg der ADOLESCENTS mit „Amoeba“. Wie wichtig war diese Compilation für die Szene insgesamt?
Ohne „Amoeba“ hätte sich die Compilation sicher genauso gut verkauft, ganz ehrlich, dazu muss man sich doch nur alleine die Tracklist auf der ersten Seite ansehen.
Um zu einem weiteren Punkt der Posh Boy-Label-Geschichte zu kommen, würdest du uns von deinem speziellen Verhältnis zu den CIRCLE JERKS erzählen? Von deiner Seite her hätten die Songs, die später auf dem „Group Sex“-Album erschienen, einen deutlich saubereren Sound haben sollen, wovon Greg Hetson allerdings nicht allzu begeistert war.
Die Sache war die, dass sie mit „Wild in the streets“ so lange nicht zufrieden waren, bis es ein Hit für sie wurde. Sie hätten mit dem sauberen Sound, auch wenn sie sich mit Händen und Füßen gewehrt haben, sicher leben können, das Problem waren die Umstände an sich. Keith war zu besoffen, um zu singen, und ich verließ Los Angeles für eine gewisse Zeit, um nach London zu gehen. Greg war der Meinung, sie seien als Band ein Bombendeal für mich und wollte, dass ich die Rechnung für das Studio bezahle. Mein Ego stand dem im Weg und ich gab sie an Lisa Fancher von Frontier Records weiter, weil ich wusste, dass sie eine neue Band suchte. Ich gab sie weiter? Ja, weil ich sie aus ihrem Plattenvertrag mit mir entließ und trotzdem mit Greg befreundet blieb. Keith mag inzwischen der Hofnarr des Punkrock sein, aber für mich ist er immer noch nur ein Riesenarsch, wegen seines Suffs damals. Stattdessen steckte ich das Geld in das „A World Apart“-Album von THE CROWD, das ich nicht selbst produzierte und das zeitweise sehr erfolgreich war, wofür die Band dann in den Chor von „Posh Boy ripped me off“ einstimmte.
Bis heute gibt es viele Gerüchte um dein Label und die Art und Weise, wie du mit Bands umgegangen bist. Viele sagen noch immer, dass du die meisten Bands abgezockt und nur für deinen persönlichen Vorteil gearbeitet hättest. Was sagst du dazu?
Wenn ich ein Projekt einmal begonnen habe, dann stelle ich es auch fertig, was oft bedeutete, dass die Gefühle mancher Leute verletzt wurden. Ich habe das auf dem Cover der Reissue-Version der „Amoeba“-Single von 1990 mittels eines Kommentars des damals 17-jährigen Steve Soto dokumentiert.
Und der angesprochene Kommentar von Steve Soto bezüglich deiner Person und David Hines lautete: „This disco guy wanted Funk in our sound with 10.000 backing vocals, the guy laughed at Tony when he tried to sing, they treated us like shit. Casey wanted to hit that engineer dick ...: Posh Boy told us not to play games with him, he’d play games with us. That engineer was a real dick.“
Jemand wie Steve weiß heute als Erwachsener und als professioneller Musiker, dass es kein Zufall war, dass das Label soviel erreicht hat. Er weiß auch um die Launen des Geschäftes. Frag ihn, ob ich ihn abgezockt habe, ich hoffe, er sagt, dass er den Vorteil genutzt hat, den ich ihm geboten habe, denn das war meine Rolle. Ich habe für meine Projekte gearbeitet und nicht für mein eigenes Wohlergehen, wie du es ziemlich krass und naiv formulierst. Viele Jahre nach der Hochzeit von Posh Boy erhalte ich nun den Lohn für meine Arbeit, also ist es offensichtlich, dass ich davon profitiere, aber das haben viele Musiker, die eine Platte aufgenommen haben, ebenso. Natürlich gibt es immer noch viele, die mich gerne als Sündenbock für ihr eigenes Scheitern benutzen, aber ich denke, dass mich die Geschichte an diesem Punkt mehr belohnt hat als sie.
In diesem Zusammenhang würde ich auch gerne mehr über den Hass der ANGRY SAMOANS dir und deinem Freund Rodney Bingenheimer gegenüber erfahren, denn ich denke, dass du von deren Song „Posh boy’s cock“ nicht allzu begeistert warst, oder?
Nachdem ich deren Vorgängerband VOM gesehen hatte, fiel es mir schwer, die ANGRY SAMOANS ernst zu nehmen, weil ich wusste, dass sie selbst Punkrock nicht besonders ernst nehmen. Für sie war das nur ein Vehikel, um Party zu machen und Rockstars zu sein. Ich denke, Erich von goodbadmusic.com hat die am besten passende Analyse der ANGRY SAMOANS verfasst, was ich ihm noch immer hoch anrechne. Ich war aber nicht der Einzige, der sich von den Publicity Stunts und den Gewaltaufrufen gegen Rodney der ANGRY SAMOANS massiv angegriffen gefühlt hat, da gab es durchaus noch einige andere Leute. Rodney hat damals zwei oder drei Nächte in der Woche Platten in Clubs aufgelegt, man stelle sich nur mal vor, irgendein Schlägertyp hätte diesen Aufruf der ANGRY SAMOANS ernst genommen. Als ob das noch nicht genug gewesen wäre, haben sie dann auch noch versucht, mit „Posh boy’s cock“ einen draufzusetzen, nicht gerade lustig. Diesen Typen sind Feiglinge, denn selbst als Gruppe haben sie es nie persönlich mit mir aufgenommen. Als sie dann wegen ihres beschissenen Verhaltens von der Industrie boykottiert wurden, taten sie plötzlich ganz überrascht.
Würdest du uns mehr über deine Freundschaft zu Rodney erzählen? Wie wichtig ist deiner Meinung nach seine Rolle in der kalifornischen Punk-Szene der damaligen Zeit, denn auch hier gehen die Meinungen teilweise stark auseinander?
Wir haben nicht als Freunde begonnen und es gab vor kurzem auch Zeiten, in denen wir uns zunehmend voneinander entfernt haben, und ganz sicher waren wir auch künstlerisch nicht immer einer Meinung. Unsere Zusammenarbeit war ungewöhnlich für mich, da ich normalerweise viel an Leute delegiere und ihnen meine Arbeit übertrage, während ich sie natürlich beaufsichtige. Bei Rodney allerdings war es so, dass ich oft Anregungen von ihm bekommen und dann selber die Schwerarbeit geleistet habe,während viele andere in der Industrie so vorgingen, dass sie ihn etwas Neues entdecken ließen, um es sich dann selbst zu schnappen. Am Ende haben wir das Entdecken gemeinsam übernommen, was bei vielen Bands ein äußerst ermüdender Prozess war.
Mit all den legendären Bands auf deinem Label wäre es doch eigentlich nahe liegend, eine Reissue-Serie auf Vinyl zu starten, denn es gäbe sicher eine Menge Leute, die daran Interesse hätten, meinst du nicht?
Einige Labels tun das ja schon, für mich wäre das hoffnungslos unwirtschaftlich, da ich keine Basis in den USA oder Europa habe. Selbst wenn das heutzutage jemand aus seiner Besenkammer heraus tun würde, wäre es noch immer unwirtschaftlich.
Einige deiner alten Labelbands sind heute immer noch oder wieder aktiv, wie die ADOLESCENTS, SYMBOL SIX, SOCIAL DISTORTION, T.S.O.L. oder AGENT ORANGE, inwiefern verfolgst du deren Schaffen heute noch? Mit welchen Leuten oder Bands von damals stehst du heute noch in Kontakt oder hat sich über die Jahre eine Freundschaft entwickelt?
Ja, im Großen und Ganzen verfolge ich noch, was sie tun. Was SOCIAL DISTORTION angeht, tue ich das nicht, denn sie sind heute eine völlig andere Band und ein großer Live-Act in den Staaten. Abgesehen von Casey verstehe ich mich noch gut mit jedem von den ADOLESCENTS. Eine enge Verbindung habe ich auch zu SYMBOL SIX, mit denen ich zusammen am Reissue ihrer EP auf CD gearbeitet habe. CHANNEL 3 haben mir die digitalen Rechte an einigen ihrer anderen Songs überlassen und Kimm und Mike bedeuten mir sehr viel. Entgegen aller Mythen sind Jack Grisham und ich übrigens seit über 30 Jahren enge Freunde. Abgesehen davon, dass ich die Platte seiner Band TENDER FURY veröffentlicht habe, hatte ich auch viel mit THE JOYKILLER zu tun, als diese sich gerade entwickelt haben. Die anderen drei überlebenden Originalmitglieder von T.S.O.L. haben inzwischen ein erfülltes Leben abseits der Band. Mit AGENT ORANGE ist es etwas komplizierter. Mike Palm und ich waren in den frühen Neunzigern Verbündete, haben uns dann allerdings irgendwann auseinandergelebt, so ist es bis heute geblieben. In der Zwischenzeit hatte ich allerdings geschäftlich viel mit James und Steve Levesque zu tun, den ehemaligen Managern der Band, ebenso mit Steve Soto, da er bei der Originalversion von „Bloodstains“ mitgespielt hat und daran beteiligt war, „Breakdown“ zu schreiben. Mein engster Freund ist allerdings Paul „Ena“ Kostabi von YOUTH GONE MAD – auch WHITE ZOMBIE, PSYCHOTICA und DAMN KIDS –, wobei wir uns das letzte Mal vor gut 20 Jahren getroffen haben. Etwa zur selben Zeit hatten mich auch BAD RELIGION dazu eingeladen, mit ihnen in Las Vegas abzuhängen, wo GREEN DAY als ihre Vorband spielten. Greg Graffin nahm mich da zur Seite und beschwerte sich, warum ich eigentlich damals nicht sie unter Vertrag genommen und abgezockt hätte. Was man immer bedenken sollte, ist, dass ich in meinen Zwanzigern war, als der Großteil der Posh Boy-Geschichte passiert ist und anschließend bin ich auch nicht gerade die Karriereleiter der Industrie nach oben gestiegen. Die Musiker von damals sind heute Männer mittleren Alters so wie ich, viele von ihnen mit deutlich erfolgreicheren Karrieren in der Musik oder der wirklichen Welt. Ich bin glücklich damit, zumindest von einigen wenigen von ihnen nett behandelt zu werden!
Bei all den großartigen Platten, die du mit Posh Boy veröffentlicht hast, was ist dein Favorit und warum?
„Everything Turns Grey“ von AGENT ORANGE ist mein absoluter Favorit. Ich liebe alle meine Platten so, wie eine Mutter ihr ungeborenes Baby liebt, es austrägt und großzieht, bis es von alleine herumstolpern kann. Dann erschaffe ich ein neues Baby. Während des kreativen Prozesses bin ich sehr emotional, nachdem die Musiker zugestimmt oder selbst den ersten Schritt gemacht haben. Wenn wir dann in den Proberaum und anschließend in das Studio gehen, genießen manche diese aufgeheizten Emotionen oder sie bekommen Angst. Normalerweise ist es dann zu spät, um aufzuhören. Es gab Platten, die ich geliebt und Dutzende Male wiederveröffentlicht habe, ohne dass sich jemand darum gekümmert hat. „Time Of The Season“ von CHILDREN’S DAY war eine dieser Aufnahmen, produziert von Brett Gurewitz unter meiner Regie. Ich wusste, dass die „Black EP“ von T.S.O.L. etwas Besonderes war, als ich sie mit Stan Ross aufgenommen habe. Was die grafische Gestaltung angeht, bleibt die „Beach Blvd“-Compilation bis heute eine Ikone ihrer Periode. Die Platte wurde von Ginger Canzoneri gestaltet, eine der Top-Album-Designer von L.A., bevor sie beschloss, Manager ihrer ersten Band THE GO-GO’S zu werden.
Beenden wir das Interview mit einer Frage nach einem weiteren Gerücht dich betreffend: Stimmt es, dass du beim Produzieren von Platten immer eine geladene 9mm in einem Schulterholster getragen hast?
Ich habe niemals in meinem Leben eine echte Waffe benutzt. Brian Elliot, der Studiobesitzer, den ich vorher nicht kannte, hat einmal eine Waffe auf AGENT ORANGE gerichtet, weil er wohl einiges an Studio-Equipment vermisst hat, zumindest erzählte man sich das so. Drogen habe ich einer Band nie zur Verfügung gestellt, sie haben höchstens etwas von Taco Bell von mir bekommen, das war aber auch schon alles und darum haben sie mich auch alle abgrundtief gehasst.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #101 April/Mai 2012 und Dirk Klotzbach