PETE SHELLEY

Digital punkrock

Pete Shelley? BUZZCOCKS! Eine ganz simple Assoziation, die genau genommen aber nur zur Hälfte stimmt. Denn auch wenn Pete Shelley vor einer halben Ewigkeit die BUZZCOCKS und damit eine der wichtigsten Punkrockbands des UK mitbegründete (und dem Unternehmen auch heute noch vorsteht), so gab es doch immer schon auch eine andere Seite seines musikalischen Schaffens, die dem betriebsblinden Punk-Fan leicht entging und entgeht: Shelley war und ist versiert und engagiert in Sachen elektronischer (Pop-)Musik, und ich schätze mich glücklich, seine beiden großartigen Früh-Achtziger Solo-Alben „Homo Sapiens“ und „XL 1“ zu besitzen. Zusammen mit Howard Devoto, der älteren Punkrock-Semestern natürlich wegen seiner Band MAGAZINE ein Begriff ist und der schon in der Frühphase der BUZZCOCKS ein Mitstreiter Shelleys war, nahm Shelley unlängst ein eigenwillig-sperriges Werk namens „Buzzkunst“ auf, das Gelegenheit bot, mit Mr. Shelley über Vergangenheit und Gegenwart zu plauschen.

Pete, mich erstaunte schon damals, als „XL 1“ erschien, dein Spagat zwischen Punk einerseits und Pop andererseits. Wie funktioniert das?


Der Bereich der Pop-Musik ist schwierig, denn du arbeitest mit einem genau definierten Format und musst versuchen, etwas zu schaffen, was leicht erinnert werden kann. Andererseits hast du auch eine größere Palette an Möglichkeiten, etwa auf dem Synthesizer, denn du bist nicht auf das beschränkt, was du mit einer klassischen Band und ihren Strukturen umsetzen kannst. Wenn du dich dann aber auf das Feld elektronischer Musik begibst, erlaubt dir das Instrumente und Stilmittel zu nutzen, die du sonst eben nicht nutzen würdest oder könntest, weshalb die Songs natürlich auch anders klingen. Grundsätzlich entstehen die Songs aber genauso: du hast eine Idee, die dir im Kopf herumspukt, und versuchst sie irgendwie da herauszubekommen.

Punkrock und Popmusik bzw. Punk und elektronische Musik sind nicht gerade zwei Stile, deren Fans sich wohlgesonnen gegenüber stehen, ja die Entstehungsweise und Anspruch dieser Musik könnte gerade heutzutage konträrer nicht sein.

Also ich habe nie einen Widerspruch zwischen Punk und Pop gesehen. Punk hat sich damals vor allem dagegen gewendet, dass Musiker so eine abgehobene Kaste von Profis waren: deine einzige Chance, im Musikbusiness erfolgreich zu sein, bestand darin, ein handwerklich perfekter Musiker zu werden. Punkrock hat diesen Mythos zerstört, und auch den Mythos, dass man als Band einen Plattenvertrag braucht, um seine Musik veröffentlichen zu können. Punk hat also den Leuten die Kontrolle über die Musik zurück gegeben. Eine im Vergleich viel ruhigere, aber genauso wichtige Revolution war dann einige Jahre später das Aufkommen der Computer, mit denen heute jeder zuhause selbst Musik machen kann, ohne auch nur eine Note kennen zu müssen. Ganz ähnlich gilt das auch für das DJ-Phänomen, also dass Leute ihre eigene Musik aus den Platten anderer Leute machen. Punk übt in dieser Hinsicht bis heute einen wichtigen Einfluss aus.

Und es waren ja, gerade zu Beginn der Neunziger in England wie Deutschland, auch Leute aus der Punkszene, die Techno für sich entdeckten bzw. im Techno das fanden, was ihnen Punk nicht mehr geben konnte.

Absolut, ja, und genau so sollte es ja auch sein: die Leute machen ihre eigene Musik und haben die Möglichkeit, diese anderen Leute zu Gehör zu bringen. Mitte der Siebziger dagegen war die Rollenverteilung klar: Es gab die Musikindustrie und deren Job war es, die Leute mit Musik zu versorgen, Punkt, aus. Es fiel eigentlich niemandem mehr ein, selbst Musik zu machen, so verknöchert war das. Das ganze Musikgeschäft wurde so mystifiziert, dass kein Normalsterblicher auf die Idee kam, sich selbst mal an so was zu versuchen. Punk und später all die anderen Stile und Trends, die von der Straße kommen, haben die Entscheidungsträger bei den Plattenfirmen gezwungen, sich damit auseinander zu setzen, was die Leute hören wollen. Mit dem Internet hat sich das nur noch verstärkt, der Zugang zur Musik und die Kontrolle derselben durch die Fans und die, die sie machen, ist noch einfacher geworden.

Sprechen wir über das neue Album, das du zusammen mit Howard Devoto gemacht hast: während du 1983 mit „XL 1“ deiner Zeit weit voraus warst, ist „Buzzkunst“, ohne das negativ zu meinen, sicher keine avantgardistische Platte. Ist es schwerer, heute etwas zu machen, was nicht schon mal dagewesen ist? 1977, mit den BUZZCOCKS, war das ja kein Problem.

Man muss zunächst einmal zwischen der musikalischen und der klanglichen Seite eines Albums unterscheiden, und ja, ich gebe dir Recht, klanglich betreten wir mit „Buzzkunst“ kein Neuland, musikalisch aber durchaus. Und ich gestehe ein, es ist auch irgendwie ein Fluch, einmal seiner Zeit voraus gewesen zu sein, denn daran wirst du immer gemessen, und außerdem lernen andere Leute aus deinen Fehlern und machen dann vieles besser. Wenn es in dieser Hinsicht Gerechtigkeit gäbe, hätten uns als BUZZCOCKS schon einige Leute, die selbst durch die Musik zu Millionären wurden, dicke Schecks schreiben müssen...

Was hat’s denn mit dem seltsamen Titel „Buzzkunst“ auf sich?


Hm, es ist eine Beschreibung für ‚instant art‘. Und die deutsche Silbe ‚kunst‘ hat auch was damit zu tun, wie das englische Wort für das weibliche Gegenstück zum männlichen ‚cock‘ lautet, wenn du verstehst, was ich meine, hehe. Außerdem wollten wir ja auch ein Rock-Album aufnehmen, daher auch dieser „instant art“-Ansatz. Wir hatten wirklich eine Menge Spaß bei dieser Platte.

Wie war es denn, nach 25 Jahren wieder mit Howard Devoto zu arbeiten?

Es war ein bisschen seltsam, denn Howard hat den Ruf, ein sehr tiefgründiger Intellektueller zu sein, aber das ist er gar nicht. Das heißt, doch, er ist intelligent, aber eben nicht immer total ernst. Es war einfacher als ich dachte, mit ihm aufzunehmen. Klar, gab es auch mal Schwierigkeiten, denn wir sind schon sehr verschieden von unserer Persönlichkeit her. Howard ist ein sehr gründlicher Mensch, er mag es nicht, überstürzt und hektisch zu arbeiten, macht sich ständig Notizen und Listen. Ich dagegen bin eher ein chaotischer und konfuser Typ. Aber so ergänzten sich seine organisatorischen Fähigkeiten und meine Spontanität auf eine kreative Art und Weise.

Was habt ihr denn jeweils zum Album beigetragen?

Von mir stammt die Grundidee zu den Songs, denn ich hatte schon seit einer ganzen Weile auf dem Computer Ideen gesammelt, also Melodien und Rhythmen. Ich gab Howard dann eine CD mit zehn solcher Songideen, er machte sich Gedanken dazu und mailte mir seine Texte. Er hatte, glaube ich, 18 Ideen für Songs, er passte sie meinen Vorschlägen an, und sobald wir einen Song fertig hatten, machten wir mit dem nächsten weiter. Am Wochenende kam er dann immer vorbei, wir nahmen den Gesang auf. Das einzige Instrument, das er besitzt, ist übrigens ein Korg-Keyboard mit jeder Menge Presets, und auf dem spielt er herum. Wir setzten also immer seine musikalischen Ideen auf das drauf, was ich schon eingespielt hatte, und obendrauf den Gesang.

Dann habe ich noch eine Frage zu dem „XL 1“-Album: Dafür habt ihr damals, was auf deiner Website auch detailliert beschrieben ist, ein Computerprogramm geschrieben und mit den Songs aufgenommen, so dass man, wenn man das Album auf Cassette überspielt und dieses Tape, wie es damals üblich war, mittels einer sogenannten „Datasette“ in einen der frühen Homecomputer eingelesen hat, zu jedem Song die Texte und simple Graphiken auf dem Monitor zu sehen bekam. Eine Pionierleistung zu einer Zeit, als noch kein Mensch an CDs mit Datentracks dachte.

Haha, ja, das war damals sowas wie Karaoke, was man da auf dem Monitor zu sehen bekam. Was wir damals machten, war eine rudimentäre Version dessen, was später als CD+G-, also CD+Graphic-Format auf den Markt kam, aber nie große Verbreitung erfuhr. Die Idee hatte ich damals, als ich auf dem Computer herumspielte: man könnte doch ein Programm schreiben, mit dem man synchron zur Musik bestimmte Graphiken erzeugt. Es war gar nicht so schwer zu programmieren, und nachdem ich die Idee mit ein paar Freunden besprochen hatte, machte sich ein Freund von mir daran, die Sache umzusetzen. Es war eine Basic-Programmierung und, lass es mich so ausdrücken, Pionierarbeit.

Wenn du die Arbeitsweise einer klassischen Rock’n’Roll-Band, die du ja ebenfalls kennst und bei der man sich mit anderen Leuten auseinandersetzen muss, mit der elektronischen Homerecording-Arbeitsweise vergleichst, wie lautet da dein Resümee?

In gewisser Weise ist es natürlich dankbarer mit einer Band zu arbeiten. Ich erzähle ja nicht dem Drummer, was er spielen soll, sondern es gibt die Songidee und man arbeitet dann gemeinsam an der Umsetzung, bis es passt. Bei elektronischer Musik muss man dagegen vorher schon ein Konzept haben, bevor man sich an die Umsetzung macht, wobei die Presets natürlich eine große Erleichterung sind: du blätterst sie durch, bis du etwas findest, was passt. Mit einem echten Drummer dagegen erklärst du deine Idee, er versucht dir zu folgen, spielt etwas, du sagst ‚schneller‘ oder ‚langsamer‘ und so tastet man sich an den fertigen Song heran. Wenn du dagegen ganz alleine arbeitest, musst du schon eine ganze Menge Grundwissen mitbringen oder erwerben, um zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.

Manche Leute haben ja 2002 zum Jahr des 25. Punkrock-Jubiläums erklärt – denkst du persönlich denn, dass Punk heute noch relevant ist?

Nicht, wenn man die Ereignisse von damals einfach nur heutzutage in Erinnerung ruft. Was damals entscheidend war, war überhaupt etwas zu tun und nicht, was du getan hast. Die Tatsache, dass Menschen sich entscheiden, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, anstatt nur passive Konsumenten zu sein, dass sie also aktive Teilnehmer an einer Kultur wurden, war das Wichtige an Punk. Dass Leute kreativ tätig wurden, das war das Schöne an Punk. Es machte den Leuten klar, dass sie selbst auch kreativ tätig werden können. Und vor allem war es ein riesiger Spaß! Aufgefallen ist mir aber in den letzten Jahren, dass die jungen Leute sich zwar immer gerne für rebellisch halten, die Alten aber oft viel rebellischer sind.

Was machen die BUZZCOCKS derzeit?

Wir nehmen gerade ein neues Album auf, das im Herbst erscheinen wird, und auf unserer Website gibt’s ein ‚Internet-Album‘ mit 23 Songs, die aus Live- und Radio-Sessions stammen.

Und was machst du sonst so?

Außer Musik eigentlich nichts, denn ich bin ziemlich faul – und vor allem zu faul, mir einen ‚richtigen‘ Job zu suchen, und wahrscheinlich ist es für mich dafür auch zu spät. Wenn ich mal zum Arbeitsamt ginge, würden die mir eh sagen, ich sei zu alt, also mache ich lieber das, was ich seit 25 Jahren mache, denn es macht immer noch Spaß und hält jung.