Meine Bedenken wegen eines möglichen Traumas waren immer zu zu groß, um die BUTTHOLE SURFERS live zu sehen, obwohl ich zahlreiche Gelegenheiten dazu hatte und tatsächlich sogar einmal auf einem Festival war, auf dem sie spielten. Es gibt zumindest eine ziemlich gute Geschichte darüber, warum ich sie trotzdem verpasst habe. Ich hatte die Nacht zuvor durchgemacht und eine halbe Pille Acid genommen, um mich wachzuhalten. Die Hauptwirkung waren anscheinend Magenkrämpfe, so dass ich die meiste Zeit auf der Fahrt zum Messegelände, auf dem die Veranstaltung stattfand, bewegungsunfähig war – das war das erste Lollapalooza in Washington State, damals im Jahr 1991. Ich stand also auf dem riesigen, verregneten Feld und war enttäuscht von Henry Rollins, der auf dem Höhepunkt seines Sportfanatismus zu sein schien, einen langen, belehrenden Anti-Drogen-Song sang und auf der Bühne eine schnippische Bemerkung über „die Schwuchtel von THE CURE“ machte.
VIOLENT FEMMES und FISHBONE, die folgten, waren amüsant genug, um mich näher an die Bühne zu locken. BODY COUNT, die als Nächstes auftraten, waren in ihrer militanten Wut verdammt furchteinflößend, genauso wie der wogende, riesige Moshpit, in dem ich mich wiederfand, ein seelenloses Knäuel von Körpern, die weiter zusammenrückten, als die Band mit „Cop killer“ loslegte. Ich wurde hochgehoben und hin- und hergetragen und begann schon zu befürchten, von dem Meer von Körpern verschlungen und zertrampelt zu werden, als ich sah, wie jemand – eine Frau, viel kleiner als ich – stolperte und verschwand. Ich tauchte auf Rettungsmission und nachdem ich ihr auf die Beine geholfen hatte, verließ ich schnell den Pit, während die Menge um mich herum zusammen mit Ice-T „Fuck the police“ skandierte.
Das Set der BUTTHOLE SURFERS an diesem Tag verbrachte ich auf dem Boden liegend im Merch-Zelt, weit weg von der Bühne, und erholte mich. Ich konnte „Human cannonball“ in der Ferne hören und fühlte einen dumpfen Stich des Bedauerns, etwas zu verpassen, aber ich war nicht in der Verfassung. Erschöpft, verängstigt, verwirrt und krank, und immer noch die Auswirkungen der Scheißdroge spürend, die ich genommen hatte, wäre das Letzte, was ich in diesem Moment verkraftet hätte, eine BUTTHOLE SURFERS-Show. Die verstörenden Filmbilder, die hinter ihnen laufen? Oder es gibt simulierten Sex auf der Bühne? Vielleicht blutet einer?
Als ich Paul Leary – einst BUTTHOLE SURFERS-Gitarrist, Produzent und längst eigenständiger Künstler, der gerade sein zweites Soloalbum „Born Stupid“ über Shimmy-Disc veröffentlicht hat – nach dem für ihn erschreckendsten Moment in seiner langen Geschichte mit den Surfers frage, war das zu meinem Erstaunen ebenfalls bei dieser Tour. „Es gab einen Vorfall während eines Lollapalooza-Gigs, als wir ‚The Shah sleeps in Lee Harvey’s grave‘ spielten und alles im Chaos mündete. Ich hatte mit geschlossenen Augen Gitarre gespielt und als ich sie wieder öffnete, schaute ich nach unten und sah, wie Gibby sich mit Siouxsie von SIOUXSIE AND THE BANSHEES vor mir auf der Bühne wälzte und mit einer 12-Kaliber-Pumpgun hantierte, deren Lauf direkt auf meinen Kopf zielte.“
Als Stunt hatte Gibby das Gewehr über die Köpfe der Menge hinweg abgefeuert – im Internet existiert ein Video davon. Es war also geladen, wie Leary erklärt: „Aber nur mit Knallpatronen, die man verwendet, um Hunde für die Jagd zu trainieren – es gibt tatsächlich eine lautere, heftigere Explosion als bei einer echten Schrotladung.“ Nachdem er nun die Waffe auf sich gerichtet sah, machte Leary „einen Satz, als hätte ich eine Klapperschlange gesehen, denn das Ding hätte mir den Kopf weggeblasen. So viel Schiss hatte ich noch nie!“
Leary ist jetzt ein Stubenhocker, wie im ersten Teil beschrieben. Er sagt, er hat genug vom Touren, und die Surfers auch. Aber „Born Stupid“ – das erste Album unter seinem Namen seit „The History Of Dogs“ von 1990 – bietet radikale Soloversionen von zwei BUTTHOLE SURFERS-Songs, „The Shah sleeps in Lee Harvey’s grave“ und „Gary Floyd“, und immer wieder verfällt er ins Präsens, wenn er über die Surfers spricht. Wer weiß, vielleicht bekomme ich sie ja doch noch eines Tages live zu sehen? „Sieht nicht danach aus“, so Learys knapper Kommentar.
Lass uns nochmal über Kramer und Shimmy-Disc sprechen. Wie kommt es, dass dein Solo-Album auf Shimmy-Disc erscheint?
Nennen wir es einfach Glück. Kramer und ich sind über die Jahre in Kontakt geblieben; wenn er in die Stadt kommt, hängen wir zusammen ab und wir tauschen von Zeit zu Zeit Textnachrichten aus oder telefonieren. Ich wusste nicht einmal, dass es Shimmy-Disc wieder gibt, aber er rief mich an, und ich glaube, ich schickte ihm meine Platte, und er fragte, ob ich sie auf Shimmy-Disc veröffentlichen wollte. Ich bin auch sehr aufgeregt deswegen. Als ich sie herausbrachte, dachte ich: „Ich mache die Platte nur, um meine Eitelkeit zu befriedigen, kaufen wird sie niemand.“ Dann waren die ersten tausend Stück davon in etwa acht Stunden ausverkauft. Und es gibt noch vier coole Videos, die zu diesem Album rauskommen. Ich hoffe, es läuft gut, besonders für die Shimmy-Disc.
Bei den Videos, die ich von deinem Solo-Album gesehen habe, „Born stupid“ und „What are you gonna do?“, hast du selbst Regie geführt, richtig?
Nun, ein drittes Video kam gerade heraus, „Gary Floyd revisited“, das von dem Filmemacher Mike Maryniuk stammt. Aber die anderen beiden habe ich ganz alleine gemacht – es waren die ersten Videos, die ich überhaupt gemacht habe. Ich habe hundert Dollar für einen billigen Greenscreen ausgegeben, das iPhone auf ein Stativ gestellt, alles selbst gefilmt und mit Final Cut Pro geschnitten, das war’s.
Es ist interessant, dass es auf dem Album zwei Songs gibt, die mit Essen zu tun haben. Was hat es mit „Sugar is the gateway drug“ auf sich?
Na ja, das ist irgendwie ein Allround-Song, der für alle gilt. Ich weiß nicht, wie die Kinder heute groß werden. Ich bin mit Zucker aufgewachsen und hatte immer das Gefühl, dass das irgendwie der Grund war, dass ich Alkohol und Gras ausprobiert habe.
Konsumierst du heute keinen Alkohol oder Gras mehr?
Ich trinke abends Sekt, das ist mein Laster. Meine Frau und ich genießen beide fast jeden Abend eine Flasche Sekt. Wir machen es nicht jeden Abend, aber ... ich liebe es.
Wann hast du das letzte Mal LSD genommen?
Ich kann mich nicht mehr erinnern. Das muss viele Jahrzehnte her sein.
Bei Songs wie „Do you like to eat a cow“ und „Sugar is the gateway drug“ muss ich an die Ernsthaftigkeit der Sichtweise der BUTTHOLE SURFERS denken, dass das Leben etwas Schreckliches an sich hat, die meiner Meinung nach von euren Albernheiten etwas überschattet wurde ...
Es war nicht wirklich unser Ziel, es ist ein Resultat. Wir hatten nie bewusst eine Botschaft, welche auch immer, und das Letzte, was wir wollen, ist junge Leute zu beeinflussen. Ich meine, du kannst keine Rockmusik machen oder in einer kontroversen Band sein, ohne dass das auch die Kids mitbekommen, das ist nicht möglich.
Hast du Kinder?
Nein. Ich habe eine Katze und eine Frau.
Was hält deine Frau von Texten wie „When I kicked her in the teeth she was out the door“ in „Something“?
Oh, ich weiß nicht, ob sie sich das jemals wirklich angehört hat. Wenn ja, hat sie nie etwas gesagt. Wir haben eine Menge Kritik dafür bekommen. Es gab eine militante Lesbengruppe aus San Francisco, die sich sehr davon gekränkt fühlte, und das wiederum hat mich gekränkt. Man kritisiert ja auch keinen Schauspieler für das, was er tut, wenn er in einem Film eine Rolle spielt. Und ich hatte das Gefühl, dass ich nichts anderes tue.
Ich meine, „Something“ und „22 going on 23“ sind bestimmt die verstörendsten Songs, die die BUTTHOLE SURFERS je gemacht haben.
Ich erinnere mich, dass ich für „22 going on 23“ ein kleines Transistorradio benutzt habe. Wir übernachteten in Winterville, Georgia, außerhalb von Athens, und alle anderen von der Band waren schon schlafen gegangen. Ich war wach und wollte etwas aufnehmen, aber ich wollte nicht so viel Lärm machen, dass alle aufwachen, also entschied ich mich, einfach das Radio einzuschalten, und ich hörte die Stimme dieser Frau, die von ihren Depressionen aufgrund traumatischer Erlebnisse erzählt. Ich schnappte mir sofort ein Mikrofon und schaltete die Bandmaschine ein, nahm sie einfach auf und baute den Song um diesen Mitschnitt herum. Ein glücklicher Zufall.
Gibt es BUTTHOLE SURFERS Songs, bei denen du besorgt bist, dass ihr zu weit gegangen seid – zu düster, zu schräg, zu aggressiv?
Nein, aber wir selbst fühlten uns von der Welt angegriffen, und das ist irgendwie der Ursprung unserer Musik. Also bin ich nicht besorgt wegen dem, was wir getan haben; ich bin besorgt wegen dem, worauf wir reagiert haben.
Du hast erwähnt, dass „The Shah sleeps in Lee Harvey’s grave“ ein Gibby-Song ist – wie interpretierst du die Lyrics? Worum geht es in dem Song, hat er tatsächlich einen politischen Hintergrund?
Wir haben einen ziemlich dadaistischen Ansatz. Die Dinge sind bedeutungslos, und es liegt wirklich an jedem selbst, dem seine eigene Bedeutung zuzuschreiben, denn es steckt definitiv kein tieferer Sinn hinter dem, was wir tun. Es ist einfach nur der Ausdruck von Abgedrehtheit. Wir versuchen, den Gedankenprozess hinter allem zu minimieren und es als ehrliches Abbild dessen zu halten, was in unseren Köpfen ist.
Auf deinen eigenen Platten „The History Of Dogs“ und „Born Stupid“ sind die Texte meist ein bisschen leichter zu verstehen als bei den BUTTHOLE SURFERS. Ich weiß zum Beispiel, worum es in „Apollo One“ geht. Du beschreibst damit also die BUTTHOLE SURFERS, nicht dein eigenes Songwriting ...?
Ich schätze schon, aber wie gesagt, ich zwinge mich nicht wirklich dazu, Songs zu schreiben. Es ist nie eine bewusste Anstrengung. Das war noch nie meine Arbeitsweise. Die Songs tauchen in meinem Kopf auf, und ich muss sie aufschreiben, um ihn wieder freizubekommen, wie bei einer Toilettenspülung.
Ich habe den Eindruck, du nimmst das Ganze nicht so richtig ernst.
Nun ja, ich habe inzwischen die komplette Achterbahnfahrt des Musikgeschäfts hinter mir, das prägt einen mit der Zeit. Wir hatten unsere glorreichen Höhepunkte und mussten durch die dunkelsten Täler, beides gehört irgendwie dazu.
Seltsam, bei einigen der frühen Songs bist du eine regelrechte Urgewalt, aber auf deiner ersten Solo-LP „A History Of Dogs“ von 1991 wirkt es so, als hättest du deine Stimme ein wenig zurückgenommen. Ich habe Kritiken gelesen, in denen speziell deine Art zu singen bemängelt wurde, du seist eben kein Gibby. Aber das muss eine bewusste Entscheidung von dir gewesen sein, denn wenn du willst, kannst du ja singen wie ein Irrer.
Ich habe diese Kritiken vor dreißig Jahren gelesen – die waren wahrscheinlich der Grund, warum ich dreißig Jahre gewartet habe, bis ich noch mal eine Platte gemacht habe. Ich erinnere mich an ein Review in irgendeiner englischen Publikation, NME oder Melody Maker, eines dieser Magazine. Wir waren zu der Zeit in Europa und ich weiß noch, wie Jeff Pinkus, unser Bassist, zu der Stelle kam, wo der Kritiker meinte: „Wow, dieser Typ kann wirklich nicht singen.“ Ich nahm mir das irgendwie zu Herzen – ich fing an zu glauben, ich wäre als Sänger schlicht eine Fehlbesetzung. Das war eine heftige Phase für mich, als ich diese Platte machte. Es ging so weit, dass ich Kisten davon auf die Müllhalde brachte – bestimmt hundert Stück. Ich konnte ihren Anblick einfach nicht mehr ertragen. Jetzt will Shimmy-Disc sie neu auflegen, also denke ich noch mal darüber nach.
Bei dem BUTTHOLE SURFERS-Track „Something“ bist du wirklich gut, wenn du erst richtig loslegst. Jahrelang wusste ich nicht, dass du das warst.
Es erfordert eine Menge Kraft, so zu schreien. Ich bin dazu einfach nicht mehr in der Lage.
Bleiben wir bei „The History Of Dogs“, ich würde gerne mehr über den Track „Apollo One“ wissen. Es gibt eine Menge Raumfahrtverweise bei den BUTTHOLE SURFERS – das Album „After The Astronaut“, später den Song „The last astronaut“, Gibbys Nebenprojekt P mit dem Song „John Glenn (Mega mix)“ über den Astronauten, der 1962 als erster Amerikaner die Erde in einem Raumschiff umkreiste. War die Apollo-Mission eine große Sache für dich? Du warst 1967 zehn Jahre alt, als die Crew von Apollo 1 beim Start verunglückte.
Ja, ich habe mich als Kind sehr für das Raumfahrtprogramm interessiert. Ich bin immer zum Fenster unseres Hauses in San Antonio gerannt, wenn eine Mercury-Rakete startete, weil ich dachte, ich könnte sie am Himmel sehen. Und als John Glenn die Erde umrundete, gab es ihm zu Ehren eine Parade – im ganzen Land gab es Paraden, und er nahm an einer in San Antonio teil, und ich ging hin, um ihn zu sehen, und sie verkauften Souvenirs. Eines der Souvenirs, die mein Vater mir kaufte, war eine Pappröhren-Mercury-Rakete, die man aufpumpen konnte und die dann in die Luft schoss. Als ich sie das erste Mal startete, traf sie mich am Auge und verpasste mir mein erstes Veilchen. Ich war in der Schule, als die Nachricht kam, dass die drei Astronauten an Bord der Apollo 1 bei einem Brand gestorben waren. Das war für mich so schlimm wie das Kennedy-Attentat. Das waren meine Helden! Ich bin im Raumfahrtzeitalter aufgewachsen und ich kann mich daran erinnern, John Glenn und sogar Alan Shepard ins All abheben zu sehen. Dass Ed White, Gus Grissom und Roger Chaffee umgekommen sind – das war herzzerreißend. Ed White war der erste Amerikaner, der einen Weltraumspaziergang unternahm, er war ein Held. Es ist immer noch traurig, daran zu denken.
Bist du insgesamt stolz auf „A History Of Dogs“?
Nein, aber das bin ich selten. Ich bin glücklicher mit dem neuen Album.
Einen Song auf „Born Stupid“ gibt es schon eine Weile, „The adventures of Pee Pee the sailor“. Worum geht es in dem Song eigentlich? Zuerst erschien der auf einem BAD LIVERS-Album, richtig?
Ich habe ihn 1990 geschrieben, und die BAD LIVERS haben ihn gecovert, genau wie auch die MEAT PUPPETS. Ich hatte ebenfalls eine Fassung aufgenommen, die nie veröffentlicht wurde, aber sie diente diesen Jungs damals als Grundlage für ihre Coverversionen. Ich habe die Nummer jetzt zu Hause neu eingespielt. Es ist ein sehr selbstreflexives Stück. Wir haben damals viel gefeiert und gesoffen, und ich habe mich im Hinterkopf immer gefragt, wo das mal hinführt. Werde ich am Ende in der Gosse landen und mir in die Hosen pinkeln? Das war irgendwie der Anlass für diesen Song.
Aber du bist du alles in allem stolz auf das, was du mit den BUTTHOLE SURFERS erreicht hast, oder? Sie sind eine ziemlich einmalige Band in der amerikanischen Musikgeschichte.
Ja, ich bin stolz darauf, solange ich einige schmerzhafte Erinnerungen ausblende. Aber ja – wir durften in der „David Letterman Show“ spielen, auf der Bühne des Ed Sullivan Theaters, wo die BEATLES in den Sechziger Jahren aufgetreten waren und mich dazu inspirierten, eine E-Gitarre in die Hand zu nehmen. Und auf dieser Bühne zu stehen, dann noch auf einigen anderen, und in den Radio- und Albumcharts zu sein und all das hätte ich mir in meinen wildesten Träumen nicht vorstellen können. Wir waren eine „Art Band“, und wir sind nie angetreten, um wirklich erfolgreich zu sein und Hits zu haben oder irgendetwas in der Art. Aber dass es einfach passiert ist, das hat uns dazu gebracht weiterzumachen. Der Gelegenheit konnten wir nicht widerstehen.
Es scheint, als hättet ihr auch mit einigen eurer Helden gearbeitet oder mit ihnen abgehangen. War die Arbeit mit John Paul Jones, dem früheren LED ZEPPELIN-Bassisten, ein besonderes Erlebnis für dich?
Oh ja, das war es auf jeden Fall. Als wir das Album „Independent Worm Saloon“ machen wollten, hätten wir uns im Grunde jeden aussuchen können; es gab eine Menge erstklassiger Produzenten, die den Job machen wollten, und es war schon verrückt, weil es wirklich schwer war, zu allen nein und nur zu einem ja zu sagen.. Aber die Möglichkeit zu haben, mit John Paul Jones zu arbeiten, das war einfach etwas, wozu wir nicht nein sagen konnten. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mir „Led Zeppelin II“ gekauft habe: Ich habe die Schule geschwänzt und bin mit dem Bus zum Einkaufszentrum gefahren, aber ich hatte nicht genug Geld dabei. Ich musste also wieder kommen, um die vollen fünf Dollar für die LP hinzulegen oder was auch immer es war, und noch mal lange mit dem Bus fahren. Ich weiß noch, wo ich war, als ich das erste Mal „Whole lotta love“ hörte, und es hat mich nachhaltig beeindruckt. Die Chance, mit John Paul Jones zu arbeiten, erschien einfach wie ein surrealer Traum. Ich habe ihn jetzt seit ein paar Jahren nicht mehr gesprochen, aber wir sind in Kontakt geblieben, ich war auf seinem Soloalbum „Zooma“ dabei und er kam zu unseren Shows, wenn wir in England waren, und solche Sachen.
Gibt es noch andere Leute, bei denen du es kaum fassen konntest, dass du sie getroffen hast?
Nun, U2 stehen ganz oben. Das war schon eine Erfahrung, mit ihnen im Studio zu arbeiten. Es war für einen Remix eines Songs namens „Elevation“, der in einem „Tomb Raider“-Film verwendet wurde. Und ich war tatsächlich der Mixer bei diesem Projekt; der Produzent war Chris Vrenna, er war früher bei NINE INCH NAILS. Und er produzierte einen Remix, den er und seine Freunde aufnahmen, und U2 mochten den Remix, aber sie wollten die Instrumente selbst spielen. Also mieteten sie uns ein wirklich schickes Studio in Burbank, und sie flogen mit ihrer privaten Boeing 707 oder was auch immer ein. Wir durften ein paar Tage zusammen im Studio abhängen und das war ein echter Trip. Und am Ende sah Chris Vrenna die Band prüfend an und meinte: „Wusstet ihr, dass das Paul Leary ist?“ Und Edge sagte: „Oh, du bist der Gitarrist von den JACK OFFICERS!“ Und das hat mich ziemlich umgehauen, weil das normalerweise niemand weiß.
Ich wusste das auch nicht. Das Album scheint nicht mehr so leicht zu bekommen zu sein.
Das ist wahrscheinlich gut so.
Was sind Projekte, auf die du besonders stolz bist, an denen du als Produzent gearbeitet hast?
Ich bin stolz auf SUBLIME, vor allem auf den Erfolg und den Einfluss, den es auf die Leute hatte. Ein Video von Straßenkindern in Manila zu sehen, die „Santeria“ spielen, ist ziemlich schmeichelhaft. In letzter Zeit habe ich eine Band namens KASH’D OUT produziert, auf die ich wirklich stolz bin. Ich weiß nicht, wie sie sich verkauft oder wie es ihnen geht, aber ich liebe die Platte wirklich. Meine Frau liebt sie auch – und die liebt nicht immer alles, was ich mache.
Hängen viele Goldene Schallplatten bei dir an der Wand?
Ich habe einen ganzen Flur voll davon. SUBLIME haben mehrere bekommen, eine, als die Platte mit Gold ausgezeichnet wurde, eine, als es Platin wurde und eine, als es dreifach Platin wurde. Und ich habe eine von den MEAT PUPPETS und den BUTTHOLE SURFERS und eine für den „Mission Impossible“-Film, in dem wir einen Song hatten.
Du hast „Too High To Die“ von MEAT PUPPETS produziert, richtig?
Ja, das war mein erster bezahlter Produktionsjob. Die erste Band, abgesehen von BUTTHOLE SURFERS, die ich produziert habe, war eine Bluegrass-Band namens BAD LIVERS. Ich bekam diese Chance, weil ich ihnen sagte, dass ich für die Studiozeit bezahlen würde, wenn sie mich die Platte produzieren lassen. Das war also meine erste Produktion – umsonst; und die MEAT PUPPETS mochten das. Sie wollten, dass John Paul Jones die Platte produziert, und da ich mit John Paul Jones befreundet war, schickte ich ihm die Demos. Ich hatte ihm die MEAT PUPPETS immer wieder vorgespielt, als wir die zwei Monate lang zusammenarbeiteten. Doch er war nicht interessiert, was mich wirklich überraschte. Also musste ich den MEAT PUPPETS die schlechte Nachricht überbringen, dass John Paul Jones abgesagt hatte, da sagten sie: „Nun, was ist mit dir?“ Und ich sagte nur: „Yeah!“ Ich bekam tatsächlich einen Scheck mit der Post und durfte nach Memphis reisen, um aufzunehmen, und das war eine ziemlich magische Erfahrung. Dann wurde die Platte mit Gold ausgezeichnet und hatte einen Radiohit, was dazu führte, dass ich die SUBLIME produzieren durfte. Es hatte alles damit angefangen, dass ich etwas umsonst gemacht habe.
Kommen wir zurück zu deinem neuen Album. Immer wenn ich online nach Lyrics von „Gary Floyd revisited“ suche, sind sie alle falsch.
Ich denke, das ist bei jeder Band so.
Ich habe gelesen, dass einige Leute glauben, dass der Refrain von „Gary Floyd“ in etwa so geht: „We’re going to come on down from the round around and shoot all day“, als ob er von Waffen oder Heroin oder so etwas handelt.
Nein, er lautet: „Gary Floyd and all his pals are gonna come on down from the brown corral and gonna shit on you.“
Ist das eine Anspielung auf „Shit on me“ von den DICKS?
Ja. Ich meine, verdammt, was haben wir die DICKS geliebt! Wir haben tausende Konzerte mit ihnen gespielt, und wenn wir nicht mit ihnen gespielt haben, waren wir da, um sie spielen zu sehen. Was für eine fantastische Band! „Rich daddy“ ist einer meiner absoluten Lieblingssongs. Das ist einfach ein Stück, mit dem wir uns alle identifizieren konnten, zumindest diejenigen von uns, die keinen reichen Daddy hatten. Und Gary ist ein großartiger Kerl, ich war dann auch ein Riesenfan von SISTER DOUBLE HAPPINESS. Ich habe im Laufe der Zeit einige Exemplare ihrer ersten LP verschlissen.
Was steckte hinter dem ursprünglichen BUTTHOLE SURFERS-Song „Gary Floyd“?
Wir spielten „Gary Floyd“ bei einer Probe in San Antonio, ich hatte die Akkordstruktur und alles, und ich ging zum Mikrofon und fing einfach an, ein bisschen zu schreien. Bis einer meinte: „Hattest du nicht was von wegen Gary Floyd gesagt?“ Okay, ich fange also an, über Gary Floyd zu singen, und so ist aus einem bisschen Herumschreien plötzlich ein richtiger Songtext geworden. Es ging an sich ganz flott, denn es gibt nicht so viele Zeilen in dem Song. Ich habe gelesen, dass Gary sagt, dass er sich durch den Song geehrt fühlt. Ich habe vor, ihm die neue Version schicken, mal sehen, was er davon hält.
[Anm.: Mittlerweile hat Gary den entsprechenden Videoclip bekommen und hat ihn selbst auf Social Media geteilt, mit dem Kommentar: „I am Gary Floyd and I approve of this video.“]
Darf ich nach Milo the cat fragen? Auf dem Foto, das du von ihm gepostet hast, wirkt er leicht debil. Der perfekte Kater für einen Butthole Surfer.
Ich bin überrascht, dass er nicht hier ist – normalerweise krabbelt er auf mir herum oder so. Er ist fantastisch. Er kam von der Feral Cat Association in San Antonio mit dem Ruf als „Unruhestifter“. Als ich das hörte, wusste ich: Alles klar, das ist mein Kater. Als wir ihn abholten, wurde sein Bruder gerade von seinen Adoptiveltern ins Tierheim zurückgebracht. Wir haben ihn seit etwa August. Er wächst noch, aber er wird schon groß. Er ist wirklich stark.
Bist du ein Tiermensch?
Klar, ich liebe Tiere.
War Mark Farner, der Pitbull der BUTTHOLE SURFERS, deine Hündin?
Am Anfang war sie ein Bandhund, aber ich war derjenige, bei dem sie gelandet ist, als die Tour vorbei war. Sie war einfach ein wunderbarer, wundervoller Köter. Wir haben sie aus dem Tierheim von San Antonio geholt. Wir nahmen unsere ersten Platten in einem billigen Studio im Junkie-Viertel von San Antonio auf, und immer wenn wir frei hatten, gingen wir rüber zum Tierheim, um uns die Hunde anzugucken. Und eines Tages sahen wir dort Mark Farner und wussten einfach, dass wir sie haben mussten. Sie wurde nach dem Sänger und Gitarristen von GRAND FUNK RAILROAD benannt, weil sie ihm irgendwie ähnlich sah. Sie war so süß, sie hat nicht einmal den Postboten angebellt. Sie hat mir einmal in New York City das Leben gerettet und ich war fest entschlossen, ihr einen schönen Lebensabend und einen Hinterhof mit Lattenzaun zu schenken. Sie hatte ein gutes Leben. Ich war im Studio mit den TOADIES, als ich den Anruf bekam, dass sie in der Sonne sitzend im Hinterhof verstorben ist. Also musste ich vom Studio nach Hause kommen, ein Loch graben und meinen Hund begraben und dann direkt wieder ins Studio fahren. Das war ein schwerer Tag. Das ist wahrscheinlich dreißig Jahre her.
Und sie hat dir das Leben gerettet?
Wenn du in New York bist, musst du bei deinem Equipment im Van schlafen, sonst wird es dir geklaut. Und morgens musst du den Van umparken und auf die andere Straßenseite stellen, wegen der Straßenreinigung, sonst wirst du abgeschleppt. Also war ich der Typ, der im Van schlief. Und eines Nachts wache ich auf, weil jemand versuchte, den Van aufzubrechen, während ich da hinten drin war. Und ich konnte hinten nicht raus, man kann nur vorne raus, und sie sind vorne eingebrochen. Ich fing an, gegen die Wand des Vans zu hämmern und rief: „Hey, ich bin hier drin“, aber sie hörten nicht auf einzubrechen – sie versuchten immer noch, das Schloss zu knacken. Und dann machte Mark Farner ein Geräusch, einfach „blaggggrrrrh“. Und damit war es vorbei; mit Mark Farner wollte man sich nicht anlegen. Sie bewachte eine Menge Equipment. Sie war wirklich gut darin. Sie liebte den Van, sie liebte das Autofahren. Wenn wir bei Leuten übernachteten, kratze sie immer an der Tür, um wieder in den Van zu kommen. Durch sie verloren wir nicht unseren Verstand während einiger ziemlich verrückter Jahre.
Pitbulls haben den Ruf, bösartige Hunde zu sein, aber das war sie nicht.
Nein, ganz und gar nicht. Sie war immer sehr zutraulich bei Menschen. Aber ich erinnere mich, dass wir mal in Detroit oder Chicago bei einer Show waren, und da waren eine Menge Leute, und auf einmal gingen ihre Nackenhaare hoch. Ihr Fell richtete sich auf, sie war in Alarmbereitschaft und fing an zu knurren, und ich fragte: „Was ist los?“ Sie schaute einen bestimmten Typen an. Und einer sagte: „Oh ja, der Typ da ist ein Fiesling.“ Sie konnte einen Fiesling in einer Menschenmenge ausmachen. Sie hatte ein wirklich gutes Urteilsvermögen. Aber wie ich schon sagte, sie würde nicht einmal den Briefträger anbellen.
Ich habe erst kürzlich realisiert, dass sie auf dem Coverfoto deines Albums „The History Of Dogs“ zu sehen ist, mit blonder Perücke, und auf der Rückseite bist du mit der derselben Perücke abgebildet.
Ja, ich machte diese furchtbare Phase durch, in der ich bei den Live-Shows eine wirklich billige blonde Perücke trug. Ich dachte, es wäre lustig – das war es aber nicht, aber ich nahm sie mit auf Tour und sie verlor ständig Haare und sah wirklich erbärmlich aus. Es war einfach ekelhaft und schrecklich. Nach einer Weile fing die Perücke an, richtig schlecht zu riechen. Einer meiner Bandkollegen war den Gestank schließlich leid und warf sie aus dem Busfenster.
Ertappst du dich manchmal bei dem Gedanken, dass du hättest Arzt werden können oder Anwalt?
Das habe ich immer im Kopf. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mir nicht wirklich ausgesucht habe, Rockmusiker zu werden, sondern dass es sich einfach so ergeben hat. Als ich aufs College ging, träumte ich davon, Börsenmakler zu werden und erfolgreich zu sein, einem Country Club beizutreten und mit den reichen Leuten abzuhängen. Wie sich aber herausstellte, bin ich einfach nicht der Typ dafür, überhaupt nicht. Aber ich denke nicht allzu oft darüber nach, denn die Dinge haben sich für mich wirklich gut entwickelt und ich würde es für nichts eintauschen wollen, wo ich jetzt bin.
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