PAUL LEARY & BUTTHOLE SURFERS

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Als Punk noch provozieren durfte

Ich war immer zu ängstlich, um ein BUTTHOLE SURFERS-Konzert zu besuchen. Ihnen eilte der Ruf voraus, man müsse sie gesehen haben, solange sie noch leben. Davon hörte ich zum ersten Mal anlässlich eines legendären Auftritts 1987 im Graceland in Vancouver, der für Sänger Gibby Haynes mit einer blutenden Hand endete. Eine Erklärung dafür lautet, dass er sich beim Schlag auf ein Becken geschnitten hat. In Gibbys Version, die sich bald in Vancouver verbreitete, wurde die Bühne von einer messerschwingenden Lesbe gestürmt, die versucht hatte, ihn zu töten.

Obwohl es ein wenig weit hergeholt scheint, wird das zumindest teilweise bestätigt vom lokalen Cartoonisten und Collage-Künstler Nick Mitchum als ARGH! – den Einheimischen als Schöpfer des D.O.A.-Malbuchs in Erinnerung und heute vor allem durch seine Social-Media-Präsenz bekannt: „Meine Erinnerung ist nicht so gut, ich war vermutlich ziemlich betrunken und total high, aber ich glaube, das war es, worum es ihnen ging. Es war alles wirklich freakig, schwer auszuhalten und surreal. Stell dir vor, ständiges Stroboskopblitzen, flackernde Scheinwerfer und Tribal-Trommeln, dazu wurden Bilder, nicht nur auf die Rückseite der Bühne, sondern auch auf die Band in und die Menge projiziert, Bilder von Autounfällen mit aufgeschlitzten Körpern auf dem Bürgersteig – gewalttätige, wirklich hässliche Bilder. Ich dachte nur, zum Glück bin ich nicht auf Acid! Es gab ein mit Goldfarbe angemaltes nacktes Mädchen, eine Art barocke Stripperin, die auf den PA-Türmen tanzte, und sie war das einzig gut aussehende auf der Bühne. Und an einem Punkt war es so, als ob jemand aus dem Publikum kam und Gibby mit einem Schlachtermesser angriff. Plötzlich war jemand auf der Bühne, der nicht dahin gehörte, es gab ein Gerangel, und es sah so aus, als ob sie mit Gibby kämpfen würden. Ich hatte die Bilder mit dem Messer aus ‚Psycho‘ im Kopf. Soweit ich mich erinnere, löste sich in diesem Wahnsinn dann alles auf und die Show war vorbei. Alle gingen raus und dachten: ‚Wow, was war das denn?‘ So was hatte ich vorher noch nicht gesehen. Es war wirklich intensiv.“

Zuerst glaubte Mitchum, dass der Angriff inszeniert war, ähnlich wie bei Alice Cooper, der auf der Bühne „erhängt“ wurde, aber als die Gerüchteküche losging, hörte er von Freunden Gibbys Version des Angriffs. „Es verbreitete sich wie eine Urban Legend, dass jemand in Vancouver versucht habe, Gibby zu töten“, erklärt er. Es ist eine Show, über die die Leute immer noch reden, 33 Jahre später, und spekulieren, was passiert ist.

Paul Leary, Gründungsgitarrist der BUTTHOLE SURFERS, erinnert sich ebenfalls an die Graceland-Show, aber nicht daran, was mit Gibby passiert ist. „Ich weiß noch, dass Juliette Lewis dort war und Emilio Estevez – das ist meine wichtigste Erinnerung, sie nach der Show backstage zu treffen. Aber ja, es war der reinste Tumult, und ich habe nicht wirklich gesehen, was passiert ist. Wir haben eine Menge Nebelmaschinen und Stroboskop-Licht und dies und das, also war es irgendwie chaotisch. Und ich habe mich darauf konzentriert, Gitarre zu spielen. Also habe ich die Messerstecherei nicht gesehen, aber das ist es, was Gibby sagt, dass eine Frau mit einem Messer auf die Bühne sprang und ihn verletzte.“

In seinem Haus in Austin, Texas, mit einer gerahmten Platin-Schallplatte von SUBLIME hinter sich (er war der Produzent), die für zehn Millionen verkaufte Exemplare steht, lächelt Leary und zuckt mit den Schultern angesichts der Möglichkeit, dass es nur eine Legende ist: „Es könnte sein, ich kann für nichts davon bürgen.“ Er ist in diesen Tagen an einem anderen Ort, weit weg von dem Wahnsinn auf dem Höhepunkt der BUTTHOLE SURFERS. Gerade wurde seine neue Solo-LP „Born Stupid“ auf Shimmy-Disc veröffentlicht. Die erste Pressung war am Tag der Ankündigung ausverkauft. Aber abgesehen vom Rock-Song „What are you gonna do?“ klingt hier nichts wirklich nach einem BUTTHOLE SURFERS-Projekt. Sei es das verrückte Kinderlied „Do you like to eat a cow?, der verspielte, trippige Country-Sound des Titeltracks und das sanfte BUTTHOLE SURFERS-Cover „Gary Floyd revisited“ oder das absurde, oft gecoverte „The adventures of Pee Pee the sailor“. Tatsächlich erinnern die textliche Albernheit und die spielerische Perversität weniger an die Surfers (oder Learys letztes Soloalbum „The History Of Dogs“, 1991) als an SHOCKABILLY, die früher Band von Mark Kramer, der als Bassist auch auf der erste Europatour von BUTTHOLE SURFERS dabei war. Irgendwie passend, dass es Kramers Label ist, das „Born Stupid“ herausbringt. Es folgt ein Gespräch mit Paul Leary, das wir im Frühjahr 2021 führten.

Die BUTTHOLE SURFERS liefern eines der farbenfroheren Kapitel in „Our Band Could Be Your Life“. Ich habe es vor dem Gespräch mit dir noch einmal gelesen. Magst du das Buch von Michael Azerrad?
Nein, ich mag es nicht. Es gibt einige Storys, die ich ganz anders in Erinnerung habe. Aber ich habe es vor langer Zeit ziemlich schnell gelesen und seitdem nicht mehr darüber nachgedacht.

Fällt dir ein Beispiel ein?
Einfach alles, was Kramer erzählt. Er hat eine Art, alles auszuschmücken und so zu übertreiben, dass irgendwie ein falscher Eindruck entsteht. Aber ich liebe Kramer abgöttisch, von daher ...

Ich habe mich darüber gewundert, weil er wirklich Storys erzählt, über Konzerte in Holland und Gibbys Exzesse ...
Nun, das war die Wahrheit, haha. Unsere erste Show in Holland war bei einem Festival in Rotterdam. Ich glaube, wir traten direkt nach THE CULT auf, und Gibby war ziemlich betrunken, er trug ein Kleid, und er kam auf die Bühne und fing sofort an, Stühle ins Publikum zu werfen. Es war irgendwie unheimlich. Und dann, nach der Show, legte er sich mit sechs riesigen holländischen Türstehern an, er war nackt und fiel fast über das Geländer, sechs Stockwerke tief. Die Band verdrückte sich ins Hotel und ich musste mich alleine um das ganze Equipment kümmern, also schleppte ich das Zeug durch den Park und ich hatte noch Gibbys Mantel, den ich unter einem Busch im Park versteckte. Am nächsten Morgen ging ich hin und fand den Mantel, und da waren unsere 10.000 Dollar Gage in der Tasche des Mantels, der über Nacht im Park lag.

Du wirst auch zitiert, dass ihr auf dieser Tour Ärger mit deutschen Veranstaltern hattet ...
Wir wurden wirklich übel abgezockt von einem Verlag aus Deutschland und ein paar anderen Leuten. Aber ich mag Deutschland eigentlich ziemlich, wir haben eine Menge Spaß in Deutschland. Obwohl es eine Nacht in Hamburg gab, die beängstigend war. Wir spielten auf einem zweitägigen Festival mit SWANS und THE FALL und einem ganzen Haufen anderen Bands, und es war wirklich lustig. Aber sie hatten zu viele Tickets verkauft und sie versuchten, die Halle zu räumen. Die Feuerwehr rückte an und plötzlich brannten die Feuerwehrautos und fünfzig Leute kamen in den Knast. Wir verließen die Stadt noch bevor das Festival am nächsten Tag zu Ende war. Danach wollten wir nicht mehr bleiben.

War das bei der ersten Europatour 1985/86?
Weißt du, es verschwimmt alles. Ich bin mir nicht sicher, ob das bei unserer ersten Tour war oder der zweiten oder dritten. Wir kamen öfter auf einen Sprung rüber und blieben für eine Weile in Europa, wo wir immer viel Spaß hatten. Nur des Essens wirst du irgendwann überdrüssig.

Warum?
Nun, ich meine jetzt nicht Spanien. Aber zum Beispiel in Skandinavien, wo sie so was wie Fleischpudding essen, ist es wirklich, wirklich seltsam. Japan dagegen ist großartig. Sie haben das beste Essen der Welt.

Zum Thema Essen gibt es ein Zitat von dir im Kapitel über die Surfers in Azerrads Buch, in dem du sagst, du hättest „diesen ganzen Ethik-Mist nie verstanden – du weißt schon, selbstgerecht zu sein, dieser oder jener Weg ist der richtige ... wenn die Leute anfangen würden, uns mit diesem Zeug zu bewerfen, würden wir sofort das Gegenteil tun. Wir würden anfangen, Fleisch zu essen“. Wart ihr irgendwann mal Vegetarier?
Unser Schlagzeuger King ist Vegetarier. Aber ich glaube, er isst Fisch und vielleicht sogar Hühnchen, aber das ist zumindest nah dran, Vegetarier zu sein.

Jedenfalls näher als andere ... Schließlich heißt ein Song auf deinem neuen Album: „Do you like to eat a cow?“
Ich mag es, Kuh zu essen! Mein Arzt hat mich im gerade auf eine Keto-Diät gesetzt, also ist Kuh so ziemlich alles, was ich essen kann. Aber ich denke, es ist wichtig zu verstehen, was man da eigentlich tut. Wenn ich ein Tier esse, verbringe ich eine Zeit der Trauer, in der ich an das Trauma denke, das es in seinen letzten Momenten erlitten hat. Die Sache mit der Milch ist nicht so schlimm, aber ...

Bei dir klingt es trotzdem widerwärtig, wenn du Milch beschreibst als „Drüsensekret, schaumig und kalt“. Das könnte fast ein veganer Anti-Fleisch-Song sein, so eklig ist das!
Warte, bis du den Clip dazu siehst! Es wird in ein paar Wochen ein Video geben. Mein alter Freund Tom Stern macht es, und es ist umwerfend und wirklich lustig. Aber ich bin kein Vegetarier. Meine Frau ist Vegetarierin, aber sie ist mit allem einverstanden, was ich tue. Nur ... die Tatsache, dass ich Fleisch esse, wird allmählich zu einem Dilemma, weil ich auch Mitgefühl für die Tiere habe. Ich bin in einem Zwiespalt.

Ich erinnere mich, etwas über den Wiener Aktionismus gelesen zu haben, wo sie Kunst mit Fleisch gemacht haben – Performances mit rohem Fleisch auf den Körpern von Menschen, zum Beispiel. Diese Aktionen haben euch irgendwie beeinflusst, richtig?
Ich habe noch nie von diesen speziellen Aktionen gehört. Ich bin wahrscheinlich mehr von den Dadaisten damals beeinflusst. Besonders Yves Klein ist einer meiner Lieblinge. Yves Klein war der Typ mit der „Monotone Symphony“, bei der das Orchester zehn Minuten lang einen einzigen Ton spielt, der sich mit zehn Minuten Stille abwechselt, während sich unbekleidete, mit Farbe bedeckte Frauen auf seine Anweisung hin auf einer Leinwand räkeln. Was war das andere? Oh ja, er verkaufte „Zones Of Immaterial Pictorial Sensibility“, die am Ufer der Seine mit Blattgold bezahlt werden mussten, anschließend verbrannte der Käufer die Quittung und die Hälfte des Blattgolds wurde in den Fluss geworfen, den Rest behielt Klein für sich. Das sind so die Sachen, die uns inspiriert haben.

Du hast ja eigentlich Kunstgeschichte studiert.
Ja, ich weiß ein bisschen was darüber. Ich habe einen Abschluss von der Trinity University in San Antonio, ich hatte ein Stipendium, weil mein Vater dort Professor war. Ich hatte als Hauptfach Kunst belegt und als Nebenfach Wirtschaft, dann habe ich einen Master-Studiengang in Betriebswirtschaft begonnen, lange genug, um einen Studienkredit zu bekommen, von dem ich Equipment für die BUTTHOLE SURFERS kaufen konnte. Ich bin wahrscheinlich immer noch ein Semester von meinem Master-Abschluss entfernt, den ich nie machen werde.

Was hat dir in der Kunst gefallen?
Mein Favorit waren die abstrakten Expressionisten. Du kannst hinter mir einen sehen, ich habe eine Lithographie von Robert Motherwell namens „Tobacco Roth“ von 1975. Ich liebe Motherwell, Clyfford Still und all diese Leute. Aber die Geschichte der Kunst, einfach die Entwicklung der Menschheit zu beobachten, wie sie ihre Augen öffnete – ich finde das alles faszinierend.

Was die künstlerische Seite der BUTTHOLE SURFERS angeht, so scheint mir das erfolgreichste, reifste Album, das ihr gemacht habt, „Rembrandt Pussyhorse“ zu sein. Es ist kein richtiges Rock-Album. Selbst „American woman“ ist kein Rock-Song, sondern eine Dekonstruktion eines Rock-Songs. Es ist ziemlich ernsthafte Kunst.
Ja, ich mag diese Platte. Es ist wahrscheinlich die einzige Platte von uns, die ich mag. Wir haben einen Teil des Albums im Noise New York aufgenommen, in Kramers Studio in Manhattan. Das war eine lustige Erfahrung – wir haben Kramer dort wirklich ein bisschen kennen gelernt. Ich weiß nicht mehr, ob das war, bevor oder nachdem wir mit ihm in Europa waren, aber das war ungefähr zu dieser Zeit.

Da er in dem Azerrad-Buch so viele Geschichten über dich erzählt hat, hast du irgendwelche Kramer-Geschichten?
Am Ende der Europatour, die wir gemacht haben, waren wir auf einer neunstündigen Zugfahrt aus der Hölle zu dem Ort, von wo auch immer wir abfliegen wollten, und Kramer hatte aus irgendeinem Grund unser Geld in seiner Tasche, und wir waren hungrig und durstig, wir wollten Wasser, Bier und Essen, also wandten wir uns an Kramer, aber der hatte unser komplettes restliches Geld für Schokolade ausgegeben. Ich glaube, Gibby schnappte sich die Schokolade und warf sie aus dem Fenster.

Wie wichtig war Kramers Band SHOCKABILLY für die Entwicklung deines musikalischen Empfindens? Warst du schon bei den BUTTHOLE SURFERS, als du sie zum ersten Mal gehört hast?
Ich glaube schon. Wann gab es SHOCKABILLY, etwa zwischen 1982 und 1985? Die BUTTHOLE SURFERS begannen 1981. Ich habe ein SHOCKABILLY-Album gekauft, und dann tourten sie durch Texas, und ich sah sie in Austin, und traf die Jungs nach dem Auftritt. Es war eine wirklich lustige Show. Ich erinnere mich an Eugene Chadbourne mit einem Vogelkäfig über dem Kopf, und er sang mit offener Käfigtür, und dann knallte er sie zu; es war ein Mikrofon daran befestigt, so dass es sich anhörte, als ob Gefängnistüren zuschlagen würden. Es war ziemlich spannend.

Ich hatte Eugene mal gefragt, ob es irgendwelche besonderen Geschichten gibt, die er mit dir erlebt hat, und er erinnerte sich daran, mit dir in einem Restaurant namens Tacos Con Quatro Salsas gewesen zu sein, nach einem Gig im Continental Club inAustin: „Es war schon mindestens vier Uhr morgens, als Paul sagte, das sei die optimale Zeit für das, was er vorhatte – etwas, das ich hören musste und von dem er wusste, dass ich es zu schätzen wüsste. Wir fuhren ein paar Straßen weiter und parkten schließlich, dann drückte er auf die Autohupe, so lange wie es nötig war, um eine Kakophonie von Hundegebell in der Gegend zu entfesseln.“
Es war immer lustig mit ihnen. Als SHOCKABILLY in Dallas spielten, fuhren wir dorthin, um sie zu sehen, und brachten sie zu Gibbys Elternhaus, um dort die Nacht zu verbringen. Und am Morgen kam Gibbys Mutter herein: „Gibby, wer ist der nackte Mann, der auf unserem Sofa schläft?“ Es war Eugene! Und als wir mit Gibby bei seinen Eltern am Frühstückstisch saßen, mit Gibbys kleinem Bruder, verkaufte Kramer Gibbys Dad ein Exemplar ihres Albums. Es kostete etwa zehn Dollar, Jerry Haynes nahm einen Zwanziger und meinte: „Ich habe es nicht kleiner.“ Und Kramer schnappte sich das Geld und sagte: „Das wird reichen!“

War Kramer daran beteiligt, den Sound von „Rembrandt Pussyhorse“ zu entwickeln?
Nun, er war mit uns im Studio, es war ja sein Studio und sein Techniker. „American woman“ war eines der Stücke, die wir dort aufgenommen haben.

Es gibt auch diese Geschichte mit der rückwärts gespielten Geige beim Song „Creep in the cellar“ ...
Das war aber im BOSS Studio in San Antonio. Wir konnten uns kein neues Band leisten, aber der Studiobesitzer hatte einen Tresor mit Bändern von Leuten, die ihre Rechnung nicht bezahlt hatten, also gab er uns ein Ein-Zoll-Band von einer Country-Western-Band, und wir nahmen einen Take von „Creep in the cellar“ auf, und als er es abspielte, war plötzlich diese rückwärts laufende Geigenspur von der Country-Western-Band zu hören. Wir wussten nicht sofort, wie wir das abstellen können, aber als wir es dann herausfanden, sagte ich: „Nein, wir müssen das behalten.“ Das ist das Wunderbare an Studios. Ab und zu passiert etwas wirklich Cooles, und man muss einfach aufmerksam sein und es festhalten, wenn es passiert.

Ich habe mich immer gefragt, was mit dem Album passiert ist, das ihr für Alternative Tentacles aufgenommen habt.
Ich liebe die Jungs von Alternative Tentacles, und ich liebe die DEAD KENNEDYS. Die Geschichte, wie wir bei Alternative Tentacles gelandet sind, ist ziemlich lustig: Wir haben unsere erste Tour in Kalifornien gemacht, und wir hatten einen Van, der ständig kaputt ging. Wir fuhren nach San Francisco, über die Oakland Bridge, und der Motor fing an zu stottern. Wir wussten nicht, ob der Van es bis zur Brücke schaffen würde oder nicht, und es war Hauptverkehrszeit, und ich dachte, wir würden sterben. Als wir oben auf der Brücke ankamen, starb der Motor komplett ab und wir fuhren die Brücke hinunter bis zur ersten Ausfahrt, rollten von der Straße herunter und hielten vor einem alten Gebäude, auf dem „Tool and Die“ stand, und wir fragten uns: „Was machen wir jetzt?“ Und wir bemerkten, dass da ein paar Kids waren, Punkrocker, die ihr Bandequipment abluden, also fingen wir auch an, unser Equipment abzuladen, und eine Frau kam zu uns und fragte: „Wer seid ihr?“ – „Wir sind die BUTTHOLE SURFERS!“ – „Ihr spielt hier nicht.“ Wir fingen an zu weinen. „Aber wir maguhbluhbluh ...“ – „Okay, ihr könnt drei Songs spielen.“ Und die DEAD KENNEDYS waren da! Biafra mochte diese drei Songs immerhin so sehr, um uns auf der Stelle unter Vertrag zu nehmen. Unser kaputter Van brachte uns also unseren ersten Plattenvertrag ein. Also brachten wir unsere erste Platte dort 1983 und 1984 das Live-Album „Live PCPPEP“. Und schließlich – wir waren am Verhungern – rief ich sie an und fragte: „Wann werden wir für diese Platten bezahlt?“ Und ich erinnere mich, dass der Typ von Alternative Tentacles sagte: „Nun, die DEAD KENNEDYS mussten ein neues Album aufnehmen, also brauchten wir das Geld.“ Also sagte ich: „Das ist nicht der Grund, warum ich das mache! Ich mache das, um meine eigenen Alben zu machen.“ An diesem Punkt wurde uns klar, dass es hier nicht funktionieren würde. Wenn wir ein weiteres Album aufnehmen wollten, mussten wir woanders hingehen. Ich glaube, Biafra fühlte sich dadurch ein bisschen verraten, aber das ist mir scheißegal.

Ich habe gehört, dass es Demos vom Album „Psychic... Powerless... Another Man’s Sac“ gibt, die ganz anders klingen als das, was schließlich auf Touch And Go erschien.
Die Aufnahmen, von denen du sprichst, haben wir tatsächlich in Redondo Beach mit Spot gemacht, auf unserem ersten Trip nach Kalifornien. Wir haben uns irgendwie mit Spot zusammengetan, der BLACK FLAG und all das andere Zeug produziert hat, und er hatte Studiokredit bei Total Access. Das war das erste „richtige“ Aufnahmestudio, in dem wir jemals waren, und ich liebte den Sound, aber wir sollten Geld auftreiben, um Spot zu bezahlen, und wir waren pleite und haben es nie getan, und als wir das Geld hatten, hatten wir ihn aus den Augen verloren und es war uns zu peinlich. Also hat er die Masterbänder irgendwo rumliegen. Ich glaube, wir haben ihn kontaktiert und gefragt, was er haben will, damit wir sie zurückbekommen können, aber ich glaube nicht, dass wir jemals eine wirklich definitive Antwort bekommen haben. Also haben wir es gelassen.

Was wir also auf dem Touch and Go-Album hören, sind die San Antonio- und New York-Sessions.
Ja.

Wenn wir schon über Labels sprechen, hast du jemals Frieden mit Corey Rusk von Touch And Go geschlossen? Mit den BUTTHOLE SURFERS seid ihr ja gegen Touch And Go und Rusk vor Gericht gezogen, um die Kontrolle über euren Backkatalog wiederzuerlangen, worauf ein langwieriger, unschöner Rechtsstreit folgte, den ihr schließlich 1999 gewonnen habt.
Nein, das haben wir nicht, und ja, wir waren ziemlich sauer. Ich war lange Zeit ziemlich verbittert deswegen. Aber mein Leben hat sich seitdem gut entwickelt, also denke ich nicht mehr darüber nach. Aber ja, es war enttäuschend zu sehen, dass wir als die Bösen in der Geschichte galten, und „das arme Label Touch And Go verarscht haben“. Wir waren der erfolgreichste Act auf ihrem Label und wir waren dafür verantwortlich, dass sie expandieren und alle möglichen Dinge tun konnten, und dann fanden wir heraus, dass andere, ich glaube, es waren JESUS LIZARD, einen höheren Gewinnanteil bekamen, als sie uns gaben. Also sagten wir: „Warum gebt ihr uns nicht auch den besseren Deal?“ Sie sagten: „Nein.“ „Na gut, dann gehen wir eben woanders hin.“ Sie sagten: „Nein, das tut ihr nicht, unser mündlicher Vertrag verpflichtet euch auf Lebenszeit für uns. Wir besitzen euch.“ Es ging bis zum 13. Berufungsgericht, wo der Richter entschied, dass dieser mündliche Vertrag nichts wert ist.

Es scheint so, als wären ein paar Leute ziemlich parteiisch und würden sich gegen euch stellen, wie etwa Steve Albini.
Ich weiß, es ist seltsam. Mir fallen da einige Leute ein, auch Ian Mackaye ... Es war einfach alles enttäuschend, weil Corey Rusk viel Geld mit uns gemacht hat. Eine Hälfte davon war für Corey Rusk und unsere Hälfte teilten wir durch fünf Leute– er lebte in einem schönen Haus und wir waren obdachlos! Ich hatte also keine Schuldgefühle, weil ich ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch haben wollte. Das ist etwas, wonach wir alle streben.

Mir ist aufgefallen, dass es hier in Kanada manchmal schwer ist, die BUTTHOLE SURFERS-Reissues eures eigenen Labels Latino Bugger Veil zu finden. Seit ihr die Kontrolle über das Material habt, ist es vergriffen ...
Nein, es war immer verfügbar. Revolver kümmert sich um den Vertrieb. Wir bekommen regelmäßig Schecks von Revolver, also kauft das jemand.

Also fühlst du dich jetzt besser behandelt?
Oh ja. Wenn du Musiker bist, wirst du abgezockt, das ist einfach ein Naturgesetz. Aber auf der anderen Seite musst du nicht arbeiten. Das ist ein wirklich guter Kompromiss, und ich hatte das Glück, mit vielen Bands als Produzent zu arbeiten, und das war wirklich gut.

„The Weird Revolution“ ist eine eurer Platten, die ich liebe, aber es scheint so, als ob eine Menge BUTTHOLE SURFERS-Fans es hassen. Fühlst du dich durch die Ablehnung verletzt?
Ich mag das Album auch nicht. Weißt du, wir haben ursprünglich eine andere Version der Platte aufgenommen, sie hieß „After The Astronaut“ und sollte auf Capitol erscheinen. Es war alles fertig gemastert, und sie haben Promo-Kopien verschickt. Und dann ruinierten wir unsere Beziehung zu Capitol, und sie ließen uns fallen, aber wollten uns zehn Jahre lang nicht gehen lassen. Es war eine wirklich schmerzhafte Erfahrung. Wenn ein Majorlabel dich fallen lässt, sagen sie nicht einfach: „Ihr könnt gehen.“ Sie sagen: „Nun, wir bringen das Album jetzt nicht heraus, aber ihr könnt auch nichts anderes machen.“ Es dauerte zehn Jahre, um eine Veröffentlichung auszuhandeln, um die Musik mit jemand anderem herauszubringen, was dann Hollywood Records war; und die wollten sie neu aufnehmen. Also gingen wir mit dem Produzenten Rob Cavallo ins Studio, was an sich schon eine Erfahrung war. Er ist ein Grammy-Preisträger, der Sheryl Crow und GREEN DAY und all so Sachen gemacht hat. Es hat also Spaß gemacht, den Unterschied bei seinem Stil zu produzieren zu sehen. Er ist die Art von Produzent, der alle zwei oder drei Tage auftaucht, 15 Minuten zuhört, etwas sagt und dann wieder geht, während John Paul Jones, der „Independent Worm Saloon“ produzierte, bei jeder Note dabei war und nie den Kontrollraum verließ. Wenn ich mir das Album anhöre, fühle ich mich direkt dorthin zurückversetzt, und es war eine so schmerzhafte Erfahrung, dass ich das nicht noch mal erleben möchte.

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Die Bandgeschichte

1981
Sänger Gibby Haynes und Gitarrist Paul Leary lernen sich in den Siebzigern an der Trinity University in San Antonio, Texas kennen. Nach dem Studium arbeitet Haynes zunächst bei einer Buchhaltungsfirma, bis er dort kündigt und Leary sein Studium abbricht und beide die BUTTHOLE SURFERS gründen.

1982 Bei einem Konzert im Tool And Die Club in San Francisco, werden sie vom damaligen DEAD KENNEDYS-Frontmann Jello Biafra entdeckt. Dadurch können sie für die DEAD KENNEDYS im Whisky a Go Go in Los Angeles als Support spielen.

1983 Über Jello Biafras Label Alternative Tentacles erscheint ihre selbstbetitelte EP. Den Bass übernimmt Bill Jolly, die Drums King Coffey, der auch heute noch in der Band ist. Nach dem Release stößt als zweite Drummerin Teresa Nervosa dazu.

1984 Die Band nimmt in den BOSS Studios Material für zwei Alben auf, eines davon wird „Psychic ... Powerless ... Another Man’s Sac“. Da Alternative Tentacles nicht genug Geld hat, um die Master Tapes vom Studiobesitzer zu kaufen, veröffentlichen sie das Live-Album „Live PCPPEP“. Als finanzielle Entschädigung möchte der Studiobesitzer das Debütalbum auf seinem eigenen Label Ward 9 herausbringen, da die Band damit aber nicht zufrieden ist, erscheint es letztendlich auf Touch And Go Records.

1989 Nach ihrem zweiten Live-Album „Double Live“ verlässt Drummerin Teresa Nervosa die Band. Kurz darauf wird bei ihr ein Aneurysma festgestellt, weshalb sie sich einer Gehirn-OP unterziehen muss. Die BUTTHOLE SURFERS machen als Quartett weiter.

1991 Die BUTTHOLE SURFERS wechseln nach ihrer EP „Widowermaker“ zu Rough Trade Records, wo „Piouhgd“ erscheint. Außerdem veröffentlicht das Label das Solo-Album „The History Of Dogs“ von Paul Leary, bevor sie Insolvenz anmelden. Die Band wechselt zum Major Label Capitol.

1993 Capitol Records veröffentlicht „Independent Worm Saloon“, das mit „Who was in your room last night?“ auch einen ersten kleinen Radio-Hit beinhaltet.

1994 Die BUTTHOLE SURFERS spielen noch sporadisch Konzerte, allerdings verfolgen alle Mitglieder ihre eigenen Projekte. So ist Paul Leary dabei, seinen Ruf als Musikproduzent weiter auszubauen.

1999 Die BUTTHOLE SURFERS gewinnen ihren seit 1995 andauernden Rechtsstreit mit Touch And Go, bei dem es um die Rechte an ihrer Musik geht.

2008 Zusammen mit Jeff Pinkus und Teresa Nervosa gehen BUTTHOLE SURFERS wieder auf Tour. Es ist das erste Mal seit 1989, dass sie wieder in diesem Line-up auftreten.

2017 Nachdem die Band auf unbestimmte Zeit eine Pause eingelegt hat, sagt Paul Leary in einem Interview, dass es Zeit für ein neues BUTTHOLE SURFERS-Album sei, obwohl alle mit ihren eigenen Projekten beschäftigt sind. Leary hat mittlerweile mit Bands wie U2, SUBLIME und MEAT PUPPETS zusammengearbeitet.

2019 Die Band veröffentlicht das Buch „Butthole Surfers: What Does Regret Mean?“ zusammen mit dem Autor Aaron Tanner.

2021 Paul Learys zweites Solo-Album „Born Stupid“ erscheint auf Shimmy-Disc.

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Diskografie

„Butthole Surfers“ (12“, Alternative Tentacles, 1983) • „Live PCPPEP“ (12“, Alternative Tentacles, 1984) • „Psychic ... Powerless ... Another Man’s Sac“ (LP/CD, Touch And Go, 1984) • „Rembrandt Pussyhorse“ (LP/CD, Touch And Go, 1986) • „Locust Abortion Technician“ (LP/CD, Touch And Go, 1987) • „Hairway To Steven“ (LP/CD, Touch And Go, 1988) • „Widowermaker“ (10“/CD, Touch And Go, 1989) • „Double Live“ (2LP/2CD, Touch And Go, 1989) • „Piouhgd“ (LP/CD, Rough Trade, 1991) • „Independent Worm Saloon“ (LP/CD, Capitol, 1993) • „Electriclarryland“ (LP/CD, Capitol, 1996) • „Weird Revolution“ (LP/CD, Hollywood/Surfdog, 2001)

(ENDE TEIL 1)