PAUKI

Foto

From Russia with love

Immer wieder gleiche Frage: Wie viele Jahre ist das Ding mit „Glasnost“ schon her und wie viele Kontakte zu Ex-Ostblock-Szenen wurden inzwischen aufgebaut? Es ist eigentlich eine Schande, dass es einen so geringen Austausch zwischen unseren Szenen gibt, denn alleine in Russland gibt es unglaublich viele aktive und äußerst kreative Menschen und Musiker. Verständigungsprobleme und Berührungsängste? Fehlanzeige! Englisch, deutsch, russisch, mit Händen und Füßen. Ich kann es gar nicht oft genug wiederholen: Weit ab vom ansonst übermächtigen amerikanischen Einfluss entwickelten die russischen Bands einen einzigartigen Stil. Vollgestopft mit ehrlichen Emotionen, herzlicher Wärme und rebellischer Hoffnung leben sie ihre Art von Punk und geben dabei einen Dreck auf irgendwelche Grenzen. Sehr aktiv und auf einem hohem Niveau – auch im internationalen Vergleich – sind zur Zeit die Streetpunks von THE PAUKI aus St. Petersburg unterwegs. Eine sehr wacklige und grobe Richtungsangabe, muss ich eingestehen. Derber Punkrock, durchgedrehter Psychobilly, schmieriger Heavyrock, die Einflüsse sind so vielseitig, dass selbst der als äußerst kritisch bekannte Herr J. Biafra nur lobende Worte fand. Ich unterhielt mich direkt via Satellit mit Sasha, Sänger und treibende Kraft hinter THE PAUKI, der gerade alles versucht, als erste russische Band durch Südamerika zu touren.

THE PAUKI heißt übersetzt „Die Spinne“. Welche Bedeutung hat der Name und wie kam es dazu?


„Nun, es ist schon einige Zeit her, seit wir uns 1991 gegründet haben. Und auch die vielen Besetzungswechsel seitdem haben meine Erinnerungen daran verwischt. Ehrlich gesagt, erinnere ich mich nicht mehr daran. Es ist wahrscheinlich wie bei den meisten Bands, der Name war einfach irgendwann da, er gefiel uns und wir haben ihn behalten.“

Was für Bands haben dich beeinflusst?

„Mitte der 80er habe ich viel alten Hardrock und Heavy Metal gehört. Bands wie AC/DC, METALLICA oder ACCEPT liefen hier rauf und runter. Nachdem ich dann meinen obligatorischen Militärdienst geleistet habe, begann ich mich immer mehr von der Masse abzusetzen. Bands wie die SEX PISTOLS, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN oder die METEORS entsprachen nun viel mehr meinem eigenen Geschmack. Dazu kam natürlich auch, dass diese Art von Musik jetzt in Russland erstmals frei zugänglich war. Ich lese auch viele Bücher über Piraten, Wikinger, besonders interessieren mich alte Volkssagen und natürlich auch Fantasy-Romane.“

Eure Musik bezeichnest du als „Prockabilly“. Was hat das für einen Hintergrund?

„Das ist geht zurück auf meinen alten Kumpel Vladimir ‚Prosha‘ Prohorov, der mich in den frühen 90ern stark beeinflusst hat. Er war es, der mich mit den neuesten ausländischen Platten versorgte, mich mit dieser Musik vertraut machte und die Zusammenhänge erklärte. Er war schon ein verrückter Typ. Und wenn er zuviel Alkohol getrunken hatte, warf er manchmal seine Sachen einfach aus dem Fenster, oder lief nackt durch die Stadt und sang dabei unsere Lieblingslieder. Solche und seine anderen einzigartigen Verhaltensweisen brachten mich dazu, unseren Musikstil ‚Prochabilly‘ zu nennen. Leider hat er es vorgezogen, diese Welt frühzeitig zu verlassen, aber durch uns wird die Erinnerung an ihn weiterleben.“

Wie sieht dein Leben aus, wenn du nicht gerade in Sachen Punkrock unterwegs bist? Wie ist eure alltägliche Lebenssituation?

„Es ist schon richtig hart! Ich versuche, mich als Tätowierer durchzuschlagen, aber zusätzlich muss ich jeden anderen Job annehmen, denn ich habe noch eine kleine Tochter, die gerade zweieinhalb Jahre ist und die ich versorgen muss. Von Punkrock alleine kann man sich hier nichts zu essen kaufen ...“

Erzähl mal mehr über deine Arbeit als Tätowierer.

„Nun, es gibt in Russland sicher bessere Tätowierer als mich ... Ich habe auch kein eigenes Studio, ich tätowiere meine Freunde oder andere Leute aus der Szene bei mir zu Hause in der Wohnung. Natürlich halte ich dabei die hygienischen Vorschriften ein. Man muss dabei auch bedenken, dass es für die meisten Menschen hier fast unmöglich ist, einen professionellen Tätowierer zu bezahlen, und für die einfachen Tattoos reicht das aus, was ich mir über die Jahre selber beigebracht habe. Es sind ja eigentlich immer dieselben Motive und da bekommt man Erfahrung und Routine. Gerade ist es bei den Frauen hier extrem Mode, sich Tribals über den Arsch tätowieren zu lassen. Eigentlich eine sehr süße Stelle, aber auf Dauer auch recht langweilig.“

Man hört und liest soviel über Korruption, „Russen-Mafia“ und Bürgerkriege ...

„Oh mein Gott, das hier ist so ein großer Scheißhaufen, das glaubst du nicht! Wenn die Politiker nur den Mund aufmachen, lügen sie. Sie verarschen dich, wenn du dabei bist, aber das System ist einfach zu groß und übermächtig, dass du gar nichts dagegen tun kannst. Und wenn du trotzdem aufschreist, dann kann es dein Nachbar sein, der dir den Hals zudrückt. Hier kannst du alles und jeden kaufen. Absolut kein Problem! Du willst im Kreml wohnen? Gib ihnen genug Geld! Du willst Krieg spielen? Kein Problem! Gib ihnen einfach immer nur genug Geld, Geld, Geld ... Die Armen werden immer ärmer und die Reichen bauen immer höhere Zäune um ihre Häuser.“

Wie existieren und arbeiten denn unter solchen Zuständen unabhängige Clubs und Treffpunkte?

„Es gibt wieder verstärkt Probleme mit der Polizei, die viele Clubs einfach schließen. In St. Petersburg gibt es noch zwei bis drei Treffpunkte, aber die werden demnächst wohl auch dicht machen. Und in Moskau sieht die Situation auch nicht besser aus, dort gibt es zur Zeit keinen einzigen Punk-Club. Es weiß einfach niemand, wie es weitergehen soll ...“

Eure Musikaufnahmen klingen sehr gut und ihr habt auch schon mehrere Videoclips produziert. Wie ist es möglich, unter solchen Umständen auf einem so hohen und international absolut konkurrenzfähigen Level zu arbeiten?

„Wir sind jetzt über 13 Jahre unterwegs und haben bis jetzt sieben komplette Alben in immer verschiedenen Studios produziert, da lernt man einiges. Besonders wie man Geld spart und effektiv arbeitet. Die Videos wurden z. B. von Freunden gedreht. Wir haben einfach zusammen Urlaub gemacht, viel geraucht, viel getrunken und viel Spaß dabei gehabt. So etwas kann man sich noch nicht kaufen.“

Wie hat sich die Szene in Russland entwickelt, und wie politisch ist der russische Underground aktuell?

„Zur Zeit ist alles im Umbruch. Früher war es wesentlich einfacher, da gab es nur Punks, die sich ihren ganz persönlichen Krieg mit der Gesellschaft lieferten. Dann tauchten in den 90ern die ersten Skins auf und es wurde nur noch extremer und gewalttätiger. Die Menschen wurden wieder ängstlicher. Dazu muss man wissen, dass es damals nur Nazi-Skins gab, die heute vollkommen abgeschottet leben. In der aktuellen Szene gibt es sogar Redskins, Veganer und Straight Edger. Trotz einiger kleiner Reibereien kommen die Gruppen gut miteinander aus. Jedes System, egal welches, ist, einfach ausgedrückt, nicht mehr als verfickte Scheiße! Es sind Systeme der Unterdrückung und Todesindustrien. Das ist Vergangenheit und ich hoffe, es wird sich nie wiederholen, denn alle Menschen sollten frei sein.“

Es gibt ja alte Punkbands wie YANKA oder GROB. Wie stehst du zu diesen Bands?

„Diese Gruppen sind wie Eltern, ohne die es die neuen Generationen nie gegeben hätte. GROB waren in den 80er Jahren ja die ersten, revolutionären Punkrocker in Russland. Und noch heute hören viele Menschen ihre Musik und singen ihre Lieder auf der Straße. Das müssen damals wirklich harte Zeiten gewesen sein. Ständig die Polizei und noch schlimmer, den KGB im Nacken. Ständig mit der Angst zu leben, im Gefängnis zu landen. Ehrlicher Respekt dafür!“

Warum trinkt man in Russland eigentlich soviel? Auch dich sieht man immer mit einem Bierkrug in der Hand.

„Oh ja, dieser Bierkrug ist aus Eichenholz und ein Geschenk von Freunden. Wir trinken soviel, weil wir einfach die Zeit dafür haben ...“