Zwölf Musiker, ein Film, ein Ethos: D.I.Y. In unterschiedlichen Szenen fernab des Massengeschmacks. Nicole Wegner ist mit „Parallel Planes“ eine Mischung aus Roadmovie und Dokumentarfilm, eine Milieustudie gelungen, die nicht nur Liebhaber gediegenen US-Lärms – SWANS, MINOR THREAT, FUGAZI, DEERHOOF, Otto von Schirach ... – begeistert.
Ideen
Alle für den Film ausgewählten Musiker haben großartige Ideen, die mich in irgendeiner Form inspiriert haben. Ob das nun stilistisch ist oder in Sachen politischer Aktivismus. Wenn man sein eigenes Label macht, dann steckt da beispielsweise die Idee dahinter, unabhängig von der Industrie zu agieren und sich ein eigenes Netzwerk mit eigenen Regeln zu konstruieren. Auch hinter der Musik an sich stecken natürlich Ideen. Wie sie damit umgehen beziehungsweise umgegangen sind, welche Ambitionen sie haben, dazu habe ich diese zwölf total verschiedenen Personen befragt. Allen ist gemein, dass sie nicht groß drüber nachdenken, sondern ihre Ideen tatsächlich in einer Art natürlichem Flow verwirklichen.
Unabhängigkeit
Je unabhängiger du bist, desto eher lebst du mit einem Risiko. Finanziell zum Beispiel. Da musst du einen Kompromiss eingehen. Entweder bin ich unabhängig, dafür muss ich dann die entsprechenden Risiken in Kauf nehmen, oder ich beschneide meine Unabhängigkeit, habe aber dafür mehr Sicherheit. Unabhängigkeit ist auch der Überbau des Films, all seine Protagonisten wollen unabhängig sein, wollen ihr eigenes Ding machen. Und tun das auch. Für all diese Personen ist Unabhängigkeit ein Lebensinhalt. Unabhängigkeit bildet den Anfang und das Ende des Films. Mir persönlich stellt sich gerade die Frage, ob ich will, dass dieser Film auf iTunes zu haben ist, oder ob ich auf diesen großen Vertriebsfaktor verzichte. Indem ich ihn auf meine Homepage stelle und die Leute ihn dann dort für zwei bis drei Euro herunterladen können zum Beispiel. Das ist eben die Frage, wie unabhängig möchte ich von der Industrie sein? Wie behandele ich mein Projekt? Das Produkt im Zusammenhang mit den Marktstrukturen, die mich umgeben.
Durchhaltevermögen
Braucht man auf jeden Fall, wenn man Filme machen will und auch für jegliche Art von Kunst. Durchhaltevermögen, Stressresistenz und Geduld. Das habe ich gelernt, als ich jahrelang Animationsfilme gemacht habe. Wenn ich alleine im Studio war und irgendwelche komischen Püppchen bewegt habe, und dann dauert das ewig lange, bis man da eine Sekunde oder ein paar Sekunden Film zustande bekommen hat. Man muss sich eben immer wieder selbst bewusst machen, warum man das eigentlich macht. Jeder hat Durchhaltevermögen, wenn das Projekt, an dem man arbeitet, es aus eigener Sicht wert ist. Für mich war es ganz ausgeschlossen, diesen Film nicht zu Ende zu bringen. Mein Kampf war eher, dass ich einen guten Film machen wollte. Durch die Beteiligung anderer Leute, zwölf Musiker plus die KHM, die Kunsthochschule für Medien in Köln, plus diverse andere Helfer, Crowdfunding und so weiter, war ich die Fertigstellung an sich ja nicht nur mir schuldig, da hatte ich schon irgendwie eine ungeschriebene Abgabepflicht.
Hindernisse
Natürlich gab es oft Punkte, an denen ich nicht mehr weiter wusste. An einem Punkt habe ich dann einen Freund und Studienkollegen von der KHM, an der ich das auch als Diplomfilm eingereicht habe, für die dramaturgische Beratung hinzugezogen. Das hat mir total geholfen. Weil du selbst überhaupt keine Distanz zu deinem Material hast. Ich konnte mir nicht leisten, dass jemand anderes das schneidet, und wollte das auch nicht, weil ich das auch gerne mache. Aber die Beratung war gut, manchmal braucht man einfach auch die Hilfe eines anderen, um weiterzukommen. Als Reflexionsinstanz. Finanziell gab es natürlich auch ein paar Hindernisse zu überwinden, irgendwie muss das ja auch finanziert werden. Das habe ich abgedeckt über Projektgelder der KHM, Crowdfunding, eine Postproduktionsförderung von der Filmstiftung NRW, mit der ich die Musikrechte ein wenig deckeln konnte. Die Hauptkosten sind am Ende im Schnittraum angefallen. Da hatte ich dann das Problem, meinen eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen und den Film zu schneiden. In der Zeit hatte ich noch ein anderes ehrenamtliches Projekt laufen, einen Konzertort in Köln namens Baustelle Kalk. Dort haben wir fünf Jahre lang D.I.Y.-Konzerte veranstaltet, bei denen auch mehrere Künstler aus dem Film aufgetreten sind. Von zweien dieser Konzerte ist auch Material in den Film eingeflossen, von daher ist das ein wenig übereingegangen. Das alles zu organisieren, war auch noch mal ein hoher Zeit- und Stressfaktor. Also die wesentlichen Hindernisse waren neue, unbekannte Aufgabenfelder, Geld, Stress und Zeit. Allein die Klärung der Musikrechte mit Verträgen und allem Drum und Dran hat mich etwa zwei Jahre und eine ganze Stange Geld gekostet.
Ästhetik
Ich schaue mir selber total viele Filme an und bin da auch sehr kritisch. Ästhetik ist wichtig, weil darüber auch sehr viel eigener Ausdruck transportiert wird. Welche Ästhetik du auswählst, ist natürlich auch eine Charaktersache, jeder hat da seine eigenen Vorlieben. Deine Ästhetik kann sich im Laufe der Zeit auch verändern. Das hat auch immer etwas mit Zeitgeist und einer gewissen Zeitperiode zu tun. Eine bestimmte Ästhetik kann sich auslaugen und auf einmal – beziehungsweise nach einer gewissen Zeit – altbacken wirken. Es ist schwierig, da gute Entscheidungen zu treffen, man muss ein bisschen seinem Impuls folgen. Unter den interviewten Musikern spielen ja viele total krassen Noise, nichts leicht Verdauliches, das ist so der gemeinsame Nenner von allen. Das wollte ich visuell weiterentwickeln. Ich setzte den Spiegel davor, reflektierte ihr Tun und versuchte das filmisch mit meiner Ästhetik zu verarbeiten. Das ist total schwierig. Ästhetik ist eben ein ganz persönliches, kreatives Ding.
Szene
Ich habe mich gezielt dagegen entschieden, in dem Film eine bestimmte Szene zu porträtieren. Ich wollte verschiedene Musikgenres vereinen. Da gibt es untereinander zwar Verbindungen, für mich war es aber eher wichtig, eine große Bandbreite musikalischer Möglichkeiten zu zeigen. Ich wollte, dass der Film sich außerhalb einer Szene bewegt, weil es nicht nur ein Film für Musikkenner und Nerds sein soll, das sollen auch Leute mit Lust schauen können, die sich nicht unbedingt für Musik interessieren.
Musikdokus
Es gibt viele ziemlich langweilige, aber auch ein paar wirklich gute. Meine Tipps: „Step Across the Border“, gedreht von einem Schweizer und einem Deutschen über den Gitarristen Fred Frith. Der zeigt Fred Friths verschiedene Musikprojekte und begleitet ihn auf Tour durch mehrere Städte. Ein ganz toller, ehrlicher, beobachtender Film in Schwarzweiß, in dem ganz viel Musik passiert. Dann redet er aber auch einfach so mal zehn Minuten in die Kamera, geht auf der Straße chinesisch essen und unterhält sich mit irgendjemandem. Da sind so viele fast zufällig anmutende Szenen dabei, die so zu einem Gesamteindruck in einem Film zusammengebastelt worden sind, sehr situativ, total schön und ehrlich. Du hast irgendwie das Gefühl, dass du diesem Musiker als Person irgendwie nähergekommen bist, obwohl du ihn eigentlich nicht großartig privat gesehen hast. Du hast ihn einfach erzählen, seine Ideen und Musik gehört. Da ist nichts aufwendig geschnitten, nur Aussagen und Musik und zwischendurch kann man atmen. Dann noch „Little Girl Blue“, eine Doku über Janis Joplin. Und „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“” über Genesis P-Orridge und seine langjährige Liebesbeziehung mit Lady Jaye Breyer. Eine sehr ungewöhnliche Beziehung. Sie haben für sich ein Projekt namens „Pandrogyne“ gestartet, was für sie bedeutet, sich immer näher aneinander anzugleichen. Das heißt, sie wurde immer maskuliner und er hat sich Brustimplantate und solche Dinge machen lassen und ist immer femininer geworden. Deswegen sieht er jetzt nicht mehr aus wie in alten THROBBING GRISTLE-Aufnahmen. In dem Film kannst du sehen, wie und mit welchen Hintergedanken das entstanden ist. Weshalb er jetzt so transgender unterwegs ist. Der Film begleitet die beiden über zehn Jahre lang. Die Macherin selber war auch mit den beiden befreundet und das merkt man dem Film total an, der ist so krass nah dran, ohne die porträtierten Menschen auszunutzen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #138 Juni/Juli 2018 und Anke Kalau