Zusammen mit Biggi gründete ich das Ox. Wir kannten uns vorher schon ein paar Jahre, sie hatte mit Roger, der ihrer dicken Katze den Namen „Ox“ verpasste, die örtliche Party-Punker-WG, besaß als eine der wenigen in unserer Kleinstadt-Szene ein Auto und war deshalb gefragte Konzert-Chauffeurin, denn anders kam man nicht zu den coolen Konzerten in Schwäbisch Gmünd, Crailsheim, Nagold, Ulm oder Stuttgart. Ihre bunten Frisuren waren legendär, dabei war ihr sonstiger Look irgendwo zwischen Nietenpunk und Hardcore-Slammer. Biggi hatte immer eine große Klappe, aber auch ihren Shit together, ackerte trotz exzessiven Lebenswandels in einem anspruchsvollen Job bei Siemens. Kurzum: Sie war die Richtige, um die Schnapsidee des eigenen Fanzines in die Tat umzusetzen. Im Vorfeld des Ox-Jubiläums hatten wir das erste Mal seit 15 Jahren wieder Kontakt, denn irgendwie hatten wir uns Anfang der Neunziger aus den Augen verloren – da war Biggi nach Hamburg gezogen, um Lokomotivführerin zu werden ... Ohne sie hätte es das Ox nicht gegeben, weshalb ich zu ergründen versuchte, wie ihre Version der Gründungslegende aussieht.
Bitte stell dich vor.
Tja also, ich bin Biggi auch schon 41 Jahre alt, in Heidenheim an der Brenz geboren. Dort habe ich auch die ersten 23 Jahre meines Lebens verbracht, bevor ich nach Hamburg umgezogen bin. Jetzt wohne ich südlich von Hamburg im Speckgürtel, Gemeinde Seevetal, Niedersachsen. Inzwischen bin ich seit 15 Jahren verheiratet, immer mit dem gleichen Kerl, und habe zwei Kinder, 12 und 6 Jahre alt. Oh mein Gott, wie sich das anhört ...
Wie bist du einst zu Punk/Hardcore gekommen?
Meine ersten Kontakte zum Punk hatte ich schon recht früh, da war ich 14 Jahre alt. Ich hatte damals schon einen starken Hang zu „Lebe wild und gefährlich“! Und was gab es damals denn Wilderes als Punkrock?! Vielleicht erinnern sich ja ein paar Leute noch an das „Revolution“ – so hieß der Laden, glaube ich – in Königsbronn. Dort und eben durch meinen Freund Jessi kam ich eben auch zum Punk. Damals machte auch das 33 1/3 in Heidenheim auf, dieser Plattenladen war auch wichtig in der Entwicklung. Irgendwie verlor ich dann doch etwas den Kontakt und kam dann erst wieder ein paar Jahre später über die Grufti-Szene mit meiner Freudin Claudi zurück zu Punk und Hardcore. Wenn man so darüber nachdenkt, war das schon eine recht erfreuliche Szene für so ein Provinzkaff wie Heidenheim. Wir hatten immer eine Kneipe, wo wir hingehen konnten, die Indie-Disco „Klappe“ zum Abhängen und eigentlich auch immer Konzerte in erreichbarer Nähe.
Was machst du, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen, wie war der Weg dorthin?
Ich arbeite als Koordinatorin auf dem Rangierbahnhof Maschen, dort bin ich verantwortlich für einen reibungslosen Ablauf des Zugbildungsbetriebes. Alle Unregelmäßigkeiten laufen über meinen Schreibtisch und ich bin für die Problemlösung und Umsetzung verantwortlich. Und natürlich für die Statistiken. Also viel Organisationskram, was mir aber viel Spaß macht. Begonnen habe ich diesen Berufsweg bei der Bahn 1992, als ich meine Ausbildung zur Lokomotivführerin aufnahm, Voraussetzung war damals ein technischer Beruf. Also ohne die Siemens-Ausbildung hätte ich keine Chance gehabt. War damals als Frau eine echte Exotin, heute rennen da ja ein paar mehr rum. Doch damals war es die Ausnahme und dann auch noch mit Dreadlocks. Lok gefahren bin ich dann insgesamt sieben Jahre, zuerst im Personenverkehr und dann im Güterverkehr, mit einer einjährigen Unterbrechung im Erziehungsurlaub. Und während der Schwangerschaft durfte ich auch nicht fahren. In dieser Zeit fing ich dann an mit Lokleitung, also Diensteinteilung und so weiter. Und so bin ich seit 1998 in Maschen eben als Koordinatorin – Fahren ist eben schlecht wegen der Kinder. Wenn du sagst, du bist um 15 Uhr am Kindergarten, dann musst du auch da sein, und das geht im Fahrdienst halt nicht. Als anstrengend empfinde ich langsam den Schichtdienst und manchmal eben auch die ganzen Kerle, die es nur schwer akzeptieren können, wenn eine Frau das Sagen hat.
Wie „punkrock“ ist dein Job, wo gibt es Berührungspunkte zu deinen privaten Interessen bzw. zu Punk-Idealen, sind die überhaupt noch vorhanden, worin liegen die „Inkompatibilitäten“?
Gute Frage, ob das Punkrock ist ... Im Prinzip bin ich für die Problemlösungen zuständig, es schreibt mir keiner direkt was vor, ich muss es halt verantworten können. Meine politische Einstellung hat sich seit meiner Punker-Zeit nicht geändert, ich bin eben immer noch das, was man eine „linke Zecke“ nennt. Mit meinem Job kollidiert das sehr wenig, bin ich auch froh darüber. Auf Dauer könnte ich mich nicht verbiegen und Sachen durchziehen müssen, die ich nicht gut finde, was weiß ich, zum Beispiel Schließer im Knast machen, da müsste ich jeden Tag kotzen, das könnte ich nicht.
Wie war das eigentlich damals, wie kamen wir auf die Idee mit dem Ox? Wann und wo war das, wer war dabei?
Uff, ich denke, damals war so eine Spaltung im Gange, einerseits die ewig saufenden bunthaarigen Penner und andererseits die Hardcore-Szene mit ihren politischen Aussagen und der Anti-Kommerz-Philosophie bis hin zu Straight Edge. Saufen, Kiffen und so ist ja auch recht lustig gewesen, aber als alleiniger Daseinszweck einfach definitiv zu wenig. Und man selbst war ja auch Nutznießer des Anti-Kommerzes. Kannst du dich noch erinnern? Auf den Kassetten stand „Zahl nicht mehr als 5 DM“, und auch die Konzerte waren alles andere als teuer. Ich weiß ja nicht, wie es heute ist, aber wenn ich mal in den Hamburger Zeitungen schaue, was Konzerte heute so kosten, unter 30 Euro ist schon selten, oder? Ich glaube, auf die Idee sind wir bei mir in der Schleifestraße gekommen, oder war das schon früher? Namensgeber und Cover der ersten Ausgabe war aber mein Kater Ox, und den Namen hatte er von Roger, der sich darüber beschwerte, dass ihm das Katervieh, „Der Ochse, der Blöde“, als ich ihn frisch geholt habe, die Flöhe ins Bett geschleppt hat.
Was hat uns inspiriert? Was war die Idee hinter dem Ox?
Eben dieses „auch was machen“ zu wollen. Das war ja alles schwer verzahnt und davon hat die Szene ja gelebt, von dem Willen der Leute, etwas zu machen.
Warum haben wir das durchgezogen und nicht nur darüber geredet?
Ironie: Weil ich nicht soviel Geld hatte, mir alle Platten zu kaufen, und echt voll scharf auf die Testpressungen war ...
Wir nannten das damals explizit „Hardcore-Fanzine“ – warum eigentlich?
Weil es Hardcore war? Was ist HC heute?
Ich hab keine Ahnung, sag’s mir.
Wie kam dein Umfeld mit dem ganzen Punk-Ding klar?
Na, in der Pubertät will man natürlich anecken. Und jetzt – wie auch früher – ist mir die Meinung von anderen Leuten ziemlich egal. Ich finde es nicht wirklich wichtig, was andere von mir denken, und ich habe auch keine Lust, mich dem anzupassen, sonst würde ich auch eher Pudel oder Labradore züchten und nicht American Staffordshire-Terrier. Ganz im Gegenteil, wenn man mir etwas verbieten will, nur weil es gesellschaftlich nicht akzeptiert ist oder irgendwelche Politiker meinen, das müsste so sein, dann werde ich erst recht bockig. Was ich tue, muss ich verantworten, und solange ich niemanden verletze und beeinträchtige, lasse ich mir das auch nicht verbieten. Und dann ist es mir egal, was andere Leute denken oder ob ihnen mein Tun gefällt.
Du hast damals bei Siemens gearbeitet, in einem technischen Beruf, warst in der Hinsicht ziemlich straight, hast aber dennoch einen ziemlich wilden Lebensstil gepflegt. Wie hast du das unter einen Hut gebracht?
Eigentlich ganz einfach: Ohne Knete keine Fete! Es gab zu dieser Zeit gewiss andere Berufe, die einfacher gewesen wären oder die ich lieber gemacht hätte, aber ich denke, wenn man seine Zeit schon mit Arbeit verplempert, sollte sich das wenigstens finanziell lohnen. Und als ich bei Siemens anfing, war die Auswahl auf dem Ausbildungsmarkt ziemlich dürftig, viel stand nicht zur Auswahl, und ich in so einem klassischen und schlecht bezahlten Frauenberuf, nee danke. So hab ich eben meine Ausbildung zur Informationselektronikerin durchgezogen. Ich dachte mir, mal sehen, für was es gut ist. Als ich allerdings fertig war und eben dieses jeden Morgen In-die-Fabrik-Gerenne anfing, da war mir schon klar, dass ich darauf auf ewig auch keinen Bock habe. Aber zu der Zeit war mir auch klar, dass ich eben auch von Heidenheim weg will. Diese Provinz mit ihrer schwäbischen Gemütlichkeit und Engstirnigkeit habe ich damals einfach nicht mehr ausgehalten. Und ich könnte es auch heute nicht mehr dort aushalten.
Welche Bands/Platten und Genres haben dich früher beeindruckt und beeinflusst, welche sind es heute?
Ganz am Anfang mehr der Punk-Kram, dann erweiterte sich der Horizont aber mit der Zeit. Beeindruckt haben mich damals auf jeden Fall Jingo De Lunch, die höre ich immer noch gerne. Und kannst du dich an das Interview mit Bad Brains erinnern? Ich hab nie wieder jemand soviel kiffen sehen. Ach, ich habe so viele Bands gesehen und wieder vergessen, so viele geile Konzerte, unsere Aktionen im Konzerthaus HDH, weißt du noch: Spermbirds und Hells Kitchen. Wer die absolute Megashow hatte, waren ja wohl GWAR. Die waren echt witzig, allerdings wenn man sich das heute so anguckt, ich hab noch ein Video davon, tja, man ist eben doch älter. Heute höre ich meist Radio, da gibt es einen Sender in Schleswig-Holstein, der geht so einigermaßen. Delta Radio heißen die. Kann man hören, ohne dass es einem gleich schlecht wird. Und ich habe es in den letzten drei Jahren sogar auf zwei Konzerte geschafft. Dead Moon und Henry Rollins in der Fabrik. Ist halt immer schwierig ohne Babysitter.
Was ist heute das größte Ärgernis in Zusammenhang mit Musik?
Oh je, so was wie DSDS. Ätzend. Manchmal auch der Musikgeschmack meiner Kinder. Nee, der geht eigentlich so einigermaßen. Es gibt Schlimmeres als Peter Fox, Pink oder peinliche Gangsta Rappa. Wie soll man denn auch pubertär rebellieren bei solchen Eltern.?
Wie wichtig waren dir früher Äußerlichkeiten ... Wie sieht das heute aus?
Tja, wie beantwortet man diese Frage ehrlich? Also cool musste man ja früher schon sein, Chucks, Band-T-Shirts und so gehörten schon zwingend dazu. Aber als uniformiert oder kostümiert habe ich uns nie empfunden. Irgendwie hatte ich als Kind immer gedacht, wenn ich mal 40 bin, laufe ich in solchen Klamotten rum wie meine Mutter. Das tue ich immer noch nicht. Ist schon lustig, wenn man da so drüber nachdenkt.
Wie groß/klein ist deine Plattensammlung, wie wichtig ist sie dir, welche Formate bevorzugst du?
Meine Plattensammlung ist auf dem Stand von 1994 eingefroren, seither hat sich eigentlich nichts mehr geändert. Ein paar CDs sind dazu gekommen, das war’s. Man könnte jetzt meinen, die Plattensammlung sei mir völlig unwichtig, und eigentlich höre ich auch eher selten Platten daraus – der Zeitfaktor. Ich habe auch schon ein paar Versuche unternommen, sie mal zu verkaufen. Aber meist bin ich schon daran gescheitert, eine komplette Aufstellung zu machen. Ich weiß auch gar nicht, ob ich sie wirklich verkaufen könnte. Zwar spielt sie keine große Rolle mehr in meinem Leben und fristet eher ein Schattendasein, aber verkaufen? Bis jetzt bringe ich es nicht übers Herz. Vielleicht, wenn mal der Richtige dafür kommt, sind ja einige Sahneschnittchen dabei.
Wie steht es um dein Konsumverhalten? Wie viel Geld hast du früher für Platten ausgegeben, wie viel heute?
Früher hab ich natürlich mehr Geld für Platten und vor allem Konzerte und Genussmittel ausgegeben. Das gebe ich heute eben für Hundeausstellungen aus. Dafür düse ich jetzt durch ganz Deutschland und Europa. Und ich rauche seit sieben Jahren nicht mehr.
Gibt es heute Wichtigeres in deinem Leben als Punkrock, wie gehst du mit eventuellen Interessenkonflikten um?
Na klar, seit 1994, als wir dann „aufs Land“ gezogen sind, halte ich mir diese ach so bösen American Staffordshire-Terrier. Mit denen gehe ich nun auch schon geraume Zeit auf Hundeausstellungen und züchte auch. Diese ganze Züchterszene ist ein recht bunter Haufen und sehr international. Ist ganz lustig, wenn man Bekanntschaften rund um den ganzen Erdball hat. Die Familie einschließlich der Kinder, Fulltimejob und die Hunde mit Haus und Garten, inklusive Schafe, Ziege und Hühner: eigentlich habe ich keine freie Minute und ich weiß manchmal auch nicht, wie ich das alles schaffe.
Sonst noch was?
Ich finde es total cool, dass du immer noch das Ox machst. Dafür hast du meinen Respekt. Zwar habe ich das Ox mit angeschoben, aber heute ist es dein Baby. Mach weiter so.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #83 April/Mai 2009 und Joachim Hiller