Angesichts der Tatsache, dass im Großraum Oslo gerade mal eine knappe Million Menschen lebt, in ganz Norwegen nur fünf Millionen, ist die Dichte an guten, auch international präsenten Bands recht hoch. Mit Fysisk Format und Indie Recordings gibt es in der Hauptstadt zudem zwei Labels, die in letzter Zeit jede Menge spannender Platten veröffentlicht haben. Aktuell kann man das von OSLO ESS und „Verden På Nakken, Venner I Ryggen“ behaupten, deren Charteinstieg auf Platz 1 in Norwegen in absoluten Zahlen gerechnet nicht übermäßig beeindruckend sein mag, aber doch freudig stimmt, denn wann hat hierzulande zuletzt eine Punkband (...) das behaupten können? OSLO ESS sind Åsmund Lande (Gesang, Gitarre), Peter Larsson (Gitarre), Knut-Oscar Nymo (Bass) und Einar Stenseng (Keyboard).
Wenn ein Deutscher einen Bandnamen mit einem doppelten S sieht, wird er misstrauisch ... und als Punk-Fan denke ich da an LONDON SS. Also, was steckt dahinter.
Oscar: Hahaha, also wir haben nie wirklich darüber nachgedacht, wir hatten auch nie Ambitionen, mit unserer Musik auch außerhalb von Norwegen erfolgreich zu sein, als wir die Band damals in 2007 gründeten. Auf Norwegisch bedeutet „Ess“ so viel wie Ass, aber wenn man OSLO ESS ausspricht, dann denken die meisten Leute an Oslo S, den Hauptbahnhof von Oslo, der auch ein Sammelbecken für die seltsamsten Dinge und Leute ist. Unsere Texte und Musik sind von unseren Leben und dem alltäglichen Trott in den Straßen Oslos inspiriert und daher wollten wir „Oslo“ auch in unserem Bandnamen haben. Viel mehr steckt nicht dahinter, das ist nur ein kleines Wortspiel und hat nichts mit der SS oder ähnlich Bescheuertem zu tun.
Norwegischer Albumtitel, norwegische Texte – ist das für den Rest von Europa nicht etwas zu kompliziert? Habt ihr jemals über englische Versionen nachgedacht?
Åsmund: Wir hatten nie vor, über die Grenze Norwegens hinaus bekannt zu werden. Am Anfang gründeten wir die Band einfach nur, um ein bisschen zusammen abzuhängen, Bier zu trinken und Punkrock zu spielen. Wir alle spielen schon lange Punkrock und waren in Bands, die nur englische Texte hatten, aber mit dieser Band wollten wir uns direkter ausdrücken, was wesentlich einfacher ist, wenn du in deiner Muttersprache schreibst. Texte zu hören, die in deiner eigenen Sprache sind, betreffen dich eher. Traurige Sachen werden trauriger, lustige werden noch viel lustiger. Wir möchten uns gerne ganz öffnen, wenn wir schreiben, und auf Norwegisch funktioniert das. Dann triffst du den richtigen Nerv mit deiner Musik! Wir merken mittlerweile aber trotzdem, dass wir es uns etwas schwerer machen, wenn wir eine neue Platte rausbringen und durch Europa touren, vor allem wenn wir damit nach Deutschland kommen, haha ... Alles, was wir dann tun können, ist uns die Daumen zu drücken und zu hoffen, dass unsere Melodien die Arbeit für uns erledigen! Melodien sind glücklicherweise international verständlich.
Seit 2007 gibt es OSLO ESS schon, aber außerhalb des Landes bekam niemand was von euch mit. Was habt ihr so getrieben in der Zeit?
Oscar: Wir haben unser erstes gemeinsames Konzert 2007 gespielt, als der Bassist der UPSTROKES, Åsmunds und Peters Band, ihre Tour mit den BACKYARD BABIES absagen musste, weil seine Freundin ein Baby erwartete. Oscar sprang als Bassist ein und nach ein paar Tagen auf Achse stellten wir fest, dass die Chemie zwischen uns so gut war, dass wir irgendwas gemeinsam machen mussten.Wir hatten uns überlegt, etwas auf Norwegisch zu machen, und fingen auch gleich an, Songs zu schreiben. Anfangs wollten wir einfach nur Punkrock spielen und Spaß haben, aber nach einer Weile entschieden wir uns dazu, ein Demo aufzunehmen. Wir haben die Lieder im Internet veröffentlicht und die Leute mochten sie. Wir wurden für ein Konzert in Oslo gebucht, und als das vorbei war, wurden wir zum Øya-Festival eingeladen, das größte Festival in Norwegen, und wir waren verdammt aufgeregt. Seitdem touren wir regelmäßig durch Norwegen, haben zwei Alben aufgenommen, wurden für den norwegischen Grammy nominiert, unser neues Album landete an der Spitze der Billboard-Charts und wir haben mit einem Haufen Wahnsinnsbands wie SOCIAL DISTORTION und GØTTEMANIA gespielt. Im Sommer 2011 waren wir die meistgebuchte Band für die norwegischen Sommerfestivals und dieses Jahr spielen wir 200 Shows, so viele wie noch nie eine norwegische Rockband jemals zuvor. Norwegen ist ein kleines Land mit wenigen Großstädten und Spielstätten und daher freuen wir uns wirklich auf etwas Abwechslung, wenn wir im November durch Europa touren.
Stilistisch habt ihr viele Vorbilder, von CLASH/MESCALEROS-ähnlichem Punkrock bis zu rockigen Melodien, die mich an THE GASLIGHT ANTHEM erinnern. Was sind eure Einflüsse?
Oscar: Wir sind mit RANCID, NOFX, BAD RELIGION, SOCIAL DISTORTION, HANOI ROCKS und anderen Bands aus dem Neunziger-Punkrock aufgewachsen. Unser Gitarrist Peter ist aus Schweden und daher kennen wir auch einige schwedische Bands wie EBBA GRÖN, DIE PSALMA und BRODER DANIEL. Wir haben Anfang dieses Sommers zusammen mit THE GASLIGHT ANTHEM gespielt und ich glaube, man macht keinen Fehler, wenn man sagt, dass wir dieselbe Leidenschaft für Bruce Springsteen und die E STREET BAND haben. Unsere Springsteen-Einflüsse sind bei dem Song „Caroline“ auf unserem neuen Album leicht rauszuhören.
Und wie sieht es mit den Texten aus? Titel wie „Kakkerlakkene“, also „Kakerlaken“, „Over stokk, over stein“ oder „God Morgen“ sind ziemlich einfach zu übersetzen, aber der Rest?
Oscar: Unsere Texte sind sehr lebensnah. Wir konzentrieren uns auf die positiven Dinge des Lebens und versuchen, Politik oder ähnliche langweilige Dinge nicht mit einzubeziehen. Das überlassen wir den „Profis“. Wir feiern das Leben und die guten Dinge, die es mit sich bringt. „God Morgen“ handelt davon, morgens Sex zu haben, anstatt zur Arbeit zu gehen, und in „Fritt Fram“ geht es darum, nachts durch die Bars von Oslo zu ziehen. Beides gute Beispiele für Dinge, die uns Spaß machen. Die Themen unserer Songs sind sehr ehrlich und direkt, aber wir überdecken das gerne mit Metaphern und Wortverdrehungen in den Texten.
Es scheint, dass sich in den letzten paar Jahren dank Labels wie Indie Recordings und Fysisk Format eine ziemlich lebhafte Szene in Oslo entwickelt hat. Wie verbunden, wie vereint sind diese Bands, mit wem hängt ihr rum, welche sind die besten Clubs und Anlaufstellen für eure Szene?
Oscar: Die Musikszene in Oslo ist sehr klein, daher sind die Bands alle an den selben Plätzen anzutreffen. Unser Drummer hat bei Fysisk Format gearbeitet und spielt auch noch Bass bei ÅRABROT, die ihre EPs und CDs zum Teil auch auf Fysisk Format veröffentlicht haben. Wir treffen uns auf den Festivals im Sommer und sind verbringen gerne Zeit mit den Jungs von KVELERTAK, die haben uns sogar bei unserem neuen Album geholfen. Bjarte, der Gitarrist von KVELERTAK, war Co-Produzent während der Aufnahmen. Wir trinken unser Bier gerne im Bonanza und im Crossroad Club in Oslo, aber seitdem wir die ganze Zeit touren, müssen wir uns an die Kneipen jeweils vor Ort gewöhnen, egal, wo wir sind.
Nach den Morden von Breivik haben die norwegischen Politiker immer wieder hervorgehoben, wie stark die Gesellschaft und die Demokratie seien. Und außerhalb von Norwegen kann man den Eindruck gewinnen, dass euer Land sehr idyllisch und konfliktfrei ist. Da die Punks ja gewöhnlich diejenigen sind, die Salz in die gesellschaftlichen Wunden streuen: Ist Norwegen wirklich so ein Paradies?
Oscar: Norwegen ist wirklich ein schöner Ort zum Leben. Wir wurden vor Kurzem gefragt, was das Beste und was das Schlechteste daran ist, in einem Sozialstaat wie Norwegen zu leben. Wir antworteten mit einem Wort: Sicherheit. Wenn es um politische Angelegenheiten geht, dann könnten die Dinge immer besser sein, aber am Ende sollte man dankbar sein, in Norwegen aufzuwachsen. Norwegen ist ein wundervolles Land und wir genießen es, hier zu leben.
Übersetzung: Nico Bensing
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #104 Oktober/November 2012 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #104 Oktober/November 2012 und Christina Wenig