Anfang der 90er entwickelten sich in der englischen Musiklandschaft junge Indierrock-Bands wie PEEPSHOW, ELASTICA, MENSWEAR, S*M*A*S*H, SHED 7 und viele, viele andere, und sie bescherten der Presse und den Labels eine neue Gitarrenrock-Ära, die sie einen Atemzug später mit dem Masterplan "Britpop" zum (Aus)Verkauf brachten. Aber Pop ist für die meisten Bands bekanntlich ein kurzer Traum. Kontinuität und Unnachgiebigkeit, jenseits des industriellen Hypes, ist dagegen für uns, neben der Musik als solche, ein Qualitätsmerkmal. Und tatsächlich touren und veröffentlichen einige dieser damaligen "Hoffnungen von der Insel" bis heute im Schatten ihrer selbst. "Don't believe the hype!"
THESE ANIMAL MEN, vier junge Kerle aus Brighton im Süden Englands, etablierten sich mit ihrem ersten Album, "Join The High Society" (1994, HUT-Records) sehr zügig im britischen Underground, spielten mit Bands wie S*M*A*S*H, CARTER USM, SULTANS OF PING F.C., SENSELESS THINGS, und ihre Fangemeinde wuchs stetig. Die Presse verpasste ihnen nach absurd-lustigen Interviews das Genre "New Wave Of The New Wave. Und das war nicht ganz daneben, denn die Jungs hatten Mascara, Haarspray und eine gehörige Ladung Wut im Bauch gegenüber UKs konservativen Politikern und das Spießbürgertum. Schlagworte waren "Taboo is a dirty word" oder "Love is good, but not as good as a wank".
Mehrere Single- und EP-Veröffentlichungen und Europatourneen erschlossen die erste eingeschworene Fangemeinschaft, die einmal verliebt, nicht mehr von diesen "Rockstars" abließen. Doch dann verschwanden sie spurlos. Die Band löste sich kurz nach ihrem 97er Indie-Gitarren-Glamrock-Album "Accident & Emergency" (HUT Records) auf. Coole Frisuren, röhrende Gitarren und große Gesten waren plötzlich Geschichte. Gerüchte gab es dafür genug. Von kommerziellem Bankrott, Streitigkeiten in der Band und Drogenexzessen ist einiges an Ideen vertreten - bis heute allerdings ein Staatsgeheimnis der Band. Tatsache ist, dass die zwei Frontmänner Julian "Hooligan" Jewings und Alexander Boag anstelle eines dritten Albums, 2001 zurückkehrten unter dem Namen MO SOLID GOLD. Ein Rock-Soul-Projekt mit alten Bekannten: Am Schlagzeug Rob Hauge (damals und heute wieder Schlagzeuger der Gruppe S*M*A*S*H) und Sänger K. Ein Album. Eine Rolling-Stone-Europatour, Festivals und aus! Glaubwürdigstes Gerücht war, es sei noch ein drittes Album beim Major-Vater EMI fällig, aber zu solchen Fragen mehr in unserem anstehenden Interview mit Julian aka Jonny Orphan und Boag.
Denn 2007 ist das dynamische Duo ein Trio und zurück mit dem mehr als passenden Namen THE ORPHANS, (übersetzt: "Waisenkinder"). Ihre Einflüsse sind nach wie vor Bands wie MC5 und THE WHO. Jonny sieht aus wie Marc Bolan vor dem Frühstück, Boag ist vom Mikro und der Gitarre zum schwingenden Bass gewechselt und Professor Orphan aka Mr. Pick schlägt die Trommeln so derb, dass wir uns jetzt schon mal von etwaigen Genrebezeichnungen wie New-Noise-Rock'n'Roll distanzieren. All dressed in black! THE ORPHANS sind eine bemerkenswerte Rockband. Instrumental auf das Minimalste reduziert, und Songs von Punk bis zu hochmütigen Balladen, die den Eklektizismus und das Talent dieser Ausnahmestars offenbaren.
Zu erwarten ist eine erste EP-Veröffentlichung im April dieses Jahres, mit dem Titel "For Queen And Country". Darauf wird unter anderem eine Version des Titelsongs "(Everybody's bent) For queen and country" und der hier als Vorgeschmack auf der Ox-CD veröffentlichte Track "Darlene (Why don't we do it by the ATM machine?)" zu hören sein. Produzent ist niemand anderes als Tim Howarth, in England bislang bekannt als Komponist von Filmsoundtracks. Unter anderem arbeitete Howarth für die britische Fernsehserie "Audrey & Friends" (2000), "Bury It" (2002) und aktuell an dem Film "The Penalty King", auf dessen Soundtrack THE ORPHANS neben den legendären BUZZCOCKS sowie den STIFF LITTLE FINGERS ebenfalls vertreten sind.
"For Queen And Country" verbindet englische Patrioten- und Heldenbilder wie Lord Nelson und seiner große Liebe Lady Hamilton mit dem klassischen New Wave-Look. THE ORPHANS dürfen das! Jonny, Boag und Professor Orphan repräsentieren den englischen (oder etwa auch europäischen?!) Zwiespalt und reagieren mit Unverständnis, Faszination und seriöser Arroganz gegenüber staatstragendem Heldentum. Sänger und Gitarrist Jonny Orphan stellt damit unmittelbar die Frage, warum Menschen jemandem in eine Schlacht folgen sollten, der aussehe wie Adam Ant?! Wir sehen darin in gewisser Weise eine Hommage an Mr. Goddard aka Adam Ant.
Eine Tournee ist in Planung; vorerst aber wird die Band Shows im Vereinigten Königreich und Festivals in Europa ansteuern. Einzige Chance, diese "Newcomer" in Deutschland exklusiv live zu sehen, ist das in Frankfurt am Main stattfindende New*Glam*Underground-Indie-Festival. THE ORPHANS headlinen den Abend und teilen sich die Bühne übrigens mit nicht weniger interessanten Bands aus Frankreich und Schweden. Mehr Infos zum Festival via ngu.electricboogie.net.
Das komplette Debütalbum wird Mitte/Ende 2007 veröffentlicht. Mehr Infos werden folgen. Das verspricht uns Mr. Jonny Orphan, wenn er sagt: "I live for music, I walk down the street and plan everything, I think about music all the time. I'm obsessed with the stuff."
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #71 April/Mai 2007 und Plastix