Hinter dem Projekt ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO (ORE) aus Schweden verbergen sich Tomas Pettersson und seine langjährige Lebensgefährtin Rose-Marie Larsen. Mitte der Neunziger gegründet, waren es zu diesem Zeitpunkt speziell Neo-Folk und Martial Industrial, die zu den musikalischen Grundfesten der Band zählten, und sicherlich spielten anfangs DEATH IN JUNE, die frühen CHRISTIAN DEATH, NON und CURRENT 93 eine wichtige Rolle für die Band. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Projekt jedoch zu einer besonderen Art von Erotic Dark Cabaret und Apocalyptic Folk und lässt nur schwer musikalische Vergleiche zu. Etwas weniger explizit mag es hierzulande bei dem Berliner Projekt NOBLESSE OBLIGE seine Entsprechung haben und in Italien am ehesten mit ihrem Bruder im Geiste SPIRITUAL FRONT, mit denen sie bereits kollaborierten, obgleich die Schweden das Thema Erotik – in ihren Lyrics und insbesondere bei ihrer Bühnen-Performance – mit künstlerisch größerer Bedeutung in den Vordergrund rücken, mitunter plakativ und provozierend, oft aber in ästhetisch wunderbarer Art und Weise. Solche Konzepte sind immer geeignet schnell im Bereich trivialer Klischees zu versanden. Aber ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO, die musikalisch großes Melodrama bieten – und vermutlich hätte Marc Almond viel Spaß an dieser Band –, positionieren sich hier sehr speziell und Tomas zelebriert dies auch bis in alle Untiefen. Interessant wird es musikalisch dann, wenn Streicher in Moll mit tragenden und dunklen Soundscapes verwoben werden. Mit „Songs 4 Hate & Devotion“ ist 2010 auf dem Berliner Genre Label Out Of Line (unter anderem DIN [A] TOD, CLIENT, DIE FORM) ihr aktuelles Album erschienen. Tomas beantwortete einige Fragen.
Ich habe eine Beschreibung für ORE gefunden, die mit „crossing the borders between art, rebellion, passion, apocalypse and sex“ so ziemlich alle eure Grundfesten beschreibt, auch wenn ich Sex bei euch nicht als Letztes erwähnt hätte. Für mich hat es den Anschein, dass ihr Erotik per se als künstlerisches Element in eure Performance integriert, wie das früher Lydia Lunch oder Diamanda Galás getan haben, nur extremer. Was sind diesbezüglich in Kunst und Musik deine Einflüsse?
In der Tat, es ist uns nicht gerade fremd, wenn wir derartige Elemente auch für unsere Performance verwenden, um unsere Lyrics kontextuell und visuell zu verstärken. Wir haben bereits mehrfach mit der japanischen Bondage-Performance-Gruppe Kinbaku-Art auf der Bühne gestanden oder beispielsweise in Leipzig mit zwei Frauen, die sich zwischen den Songs gegenseitig ausgezogen haben. Das macht deutlich, dass ich die Vernetzung dieser Art von Erotik-Performance im Rahmen unserer Songs als extrem wichtig erachte. Letztlich geht es doch darum, künstlerisch verwandte Spielarten zu integrieren und als Einheit zu präsentieren. Ich könnte mir vorstellen, noch wesentlich weiter zu gehen und extremer zu werden, aber dann würde die Musik zu sehr in den Hintergrund treten, was nicht gewollt ist. Meine Einflüsse sind sehr vielfältig und reichen von Serge Gainsbourg, SPK, Johnny Cash und Brigitte Bardot bis hin zu COMBICHRIST, Nancy Sinatra, Lee Hazelwood und den VIRGIN PRUNES. Im Bereich Film sehe ich gerne die Arbeiten von Regisseuren wie Tinto Brass, Alejandro Jodorowsky, David Lynch oder Kim Ki-duk, Andrew Blake oder Kenneth Anger.
Ich habe den Eindruck, dass ihr euch in den letzten Jahren sehr stark von frühen und prägenden Einflüssen wie DEATH IN JUNE hin zu Apocalyptic Folk mit teilweise klassischen Einflüssen entwickelt habt. Ich denke, das erschließt euch neue Hörerkreise.
Dennoch stoße ich immer wieder auf verschlossene Türen, was unser Konzept anbelangt. Wir sind immer noch nicht konventionell genug oder zu konfliktfrei, als dass wir wirklich ein breites Publikum ansprechen könnten. Aber ich denke schon, dass uns eine sicherlich nicht unausweichliche Entwicklung musikalisch etwas zugänglicher gemacht hat, und nach unserem neuen Deal mit dem Berliner Label Out of Line, erreichen wir auch mehr Zuhörer und Interessierte, gerade in Deutschland.
Auf der Bühne hat eure Performance auch viel von Dark Cabaret. Offensichtlich schwingt da auch die Faszination für das Berlin der frühen 30er Jahre mit.
Wie gerade erwähnt, ich liebe das Drama in Verbindung mit Musik. Und ich liebe das Kabarett. In mir hat sich dieses Bild verinnerlicht, auf einer Bühne zu stehen bei einer dunklen burlesken Cocktailparty in einem verrauchten 30er-Jahre-Club mit schönen Menschen in smarten Anzügen und Cocktailkleidern. Und jeder von ihnen nippt genussvoll an Cocktails und verfolgt unsere Performance. Das ist eine Vorstellung, die mir wirklich gut gefällt. Ich habe eine Vision davon, in welchem Kontext ich ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO am wirkungsvollsten präsentieren könnte. Aber das würde sehr viel Aufwand erfordern und so wird es vermutlich eine Vision bleiben. Aber ich werde versuchen, sehr nahe an diese idealtypische Idee in der Umsetzung zu gelangen.
Ihr geht sehr offen mit Sexualität und euren Obsessionen um, sei es in den Texten, der Performance oder euren Videos, aber liegt darin nicht auch die Gefahr, dass es zur simplen plakativen Effekthascherei erodiert und das musikalische Konzept, wie du ja erwähnt hast, dann doch irgendwann in den Hintergrund tritt und beliebig wird?
Ich denke, Sexualität ist ein interessantes künstlerisches Konzept, das richtig zu adressieren nicht so einfach und offensichtlich ist. Ich mag es, in Konzepten zu arbeiten, sie zusammenzuführen, aber auch wieder auseinander fallen zu lassen. Fragen aufzuwerfen, die nicht notwendigerweise beantwortet werden müssen. Ich lasse den Leuten einen breiten Interpretationsspielraum, innerhalb dessen sie selbst über richtig oder falsch oder gar gut und böse entscheiden können. Ich bin der Auffassung, dass uns Sexualität bestimmt oder gar definiert. Wir sprechen darüber, wir sehnen uns danach, wir verfolgen es visuell sehr stark, wir träumen davon. Er erzeugt immer eine bestimmte Form von Reaktion, bei jedem: Sex ist der größte gemeinsame Nenner. Jeder hat doch irgendeine Beziehung dazu, eine ganz spezifische Meinung dazu. Das Gleichgewicht findet sich im Gegenüber von Gegensätzen. Das eine ist nicht komplett ohne das andere. Liebe und Hass sind keine Gegensätze, sie gehören zusammen. Schwarz wäre nicht so schön, wenn man es nicht mit Weiß kontrastieren könnte. Würde Frieden als konstante Hypothese existieren, gäbe es keinen Krieg? Das Leben wäre nicht halb so kostbar, gäbe es nicht die konstante Bedrohung durch den Tod. Ich arbeite gerne mit diesen Gegensätzen, um eine Art absurde Balance zu generieren, dass Ungleichgewicht wird zum Gleichgewicht, wenn es aus dem Kontext fällt. Was du sagst, stimmt natürlich. Erfährt dieses Thema als künstlerisches Element eine zu große Aufmerksamkeit, verliert es an Bedeutung, aber ich denke, wir haben es bisher ganz gut geschafft, diesbezüglich im Gleichgewicht zwischen Musik und Performance zu bleiben. ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO haben ja weitaus mehr zu bieten als dieses Thema. Aber ob wir wirklich den besten Weg gefunden haben, liegt natürlich im Auge des Betrachters und so muss jeder für sich selbst entscheiden.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #98 Oktober/November 2011 und Markus Kolodziej