OLIVER EARNEST

Foto© by Ilkay Karakurt

Alles fließt

Oliver Hauber kommt aus dem Stuttgarter Musikkosmos und man ist ihm bislang mit seinen Bands KAUFMANN FRUST und REAL WAR begegnet. Dass in ihm songwriterisch und musikalisch auch ein Alter Ego steckt, beweist sein Soloalbum „The Water Goes The Other Way“, das nun endlich nach langer pandemiebedingter Verzögerung auf Glitterhouse erschienen ist.

Kannst du uns bitte was zu deiner musikalischen Sozialisation und deinem bisherigen Werdegang erzählen?

Meine musikalische Sozialisation ist eigentlich recht klassisch. Anfangs habe ich viel die Platten meines Vaters gehört, vor allem Lou Reed, QUEEN und CCR. Später habe ich dann Metal für mich entdeckt, kam dann aber durch den Einfluss meiner größeren Brüder auf den Indie/Folk-Bereich, der mich bis heute noch begleitet und mich auch als Songwriter bedeutend geprägt hat. Mit 16 habe ich in meiner ersten Band gespielt und besonders ab 2012 war ich sehr aktiv mit zwei sehr produktiven Bands in der Stuttgarter „Szene“, KAUFMANN FRUST und REAL WAR.

Und wieso gibt es nun ein Soloalbum als Oliver Earnest, das ja gar nicht so solo ist?
In den letzten drei Jahren habe ich über sechzig Lieder geschrieben, daher war für mich klar, dass ich nun auch ein Album mit diesen „Solo“-Songs machen möchte. Da habe ich mich an meinen Bandkollegen von KAUFMANN FRUST, Florian Stepper, gewandt, der als Produzent in Berlin arbeitet und im Funkhaus ein Studio betreibt. Wir haben gemeinsam Demos entwickelt und sehr viele verschiedene Instrumente eingespielt. Für die Drums hatten wir dann den wunderbaren Kevin Kuhn, sonst bei DIE NERVEN, WOLF MOUNTAINS, SCHARPING, aufgenommen wurde mit Unterstützung von Jan Urbiks. Zusätzliche Gäste sind Schauspielerin Esther Schwartz, Komponistin Victoria Hillestad sowie die beiden Musiker Indridi und Markus Nikolaus von LEA PORCELAIN. Mein großer Bruder Christoph hat auch einen kleinen Gesangspart beim Song „On the outside“, was mir wichtig war, da er wie bereits erwähnt sehr zu meiner musikalischen Sozialisation beigetragen hat. Gemischt wurde das Album dann von Phil Koch von HEISSKALT und gemastert von Enyang Urbiks.

Was hattest du für dein Soloalbum musikalisch für einen Plan, was für eine Idee?
Einen genauen Plan hatte ich nicht. Wir haben im Studio einfach zwölf Songs, die mir absolut wichtig sind, ausgesucht und an Demos gearbeitet. Tendenziell hätte ich mir aber bestimmt auch zwanzig Stücke, die ich unbedingt aufnehmen möchte, aussuchen können. Letztendlich haben wir jetzt zehn Songs aufgenommen und erst während der Produktion hat sich so ein Gesamtbild entwickelt, was den Sound und das übergreifende Thema des Albums betrifft. Das behandelt immer wieder Themen wie Mental Health und den negativen Einfluss des modernen Kapitalismus auf genau diese.

Schon von der Sprache her – Englisch, nicht Deutsch –, aber auch klanglich gehst du einen anderen Weg als noch mit KAUFMANN FRUST. Also was bedeutet der Wechsel der Gesangssprache, der in deinem Fall durchaus überzeugt, was ja nicht allen Künstler:innen mit deutscher Muttersprache gelingt? Wobei du in dieser Hinsicht wohl einen gewissen Startvorteil hattest ...
Da ich meine Jugend in Amerika verbracht habe, ist für mich Englisch eine Sprache, die mir sehr liegt und in gewissen Momenten auch näher ist als das Deutsche. Manche Gedankengänge laufen bei mir immer noch auf Englisch ab und das hilft dann wiederum sehr beim Schreiben. Im Englischen sind meine textlichen Einflüsse und Inspirationen wesentlich vielfältiger, daher glaube ich, dass ich auf Englisch etwas direkter, aber auch mit mehr Humor und Beobachtungsgabe schreibe.

Parallel zum Release von „The Water Goes The Other Way“ im Herbst hast du auch was zum Studioaufenthalt von KAUFMANN FRUST gepostet. Das eine bedeutet also nicht das Ende des anderen?
Nein, keineswegs, mit KAUFMANN FRUST sind wir momentan auch mit einem Album fertig geworden, das auch sehr schön geworden ist und voraussichtlich 2022 erscheinen wird.

Auf Fotos sieht man dich mit obskuren Instrumenten wie einer Säge und einem Omnichord hantieren. Was hat es damit auf sich, was hast du noch auf Lager?
Leider übersteigt mein Interesse an ausgefallenen Instrumenten meine Fertigkeit, mit diesen vernünftig zu hantieren, also bleibt es meist nur beim Experimentieren mit Klängen, was aber auch durchaus Spaß machen kann und manchmal auch reicht, um sie in einem Song zu verwenden.

Und woher kommt dieses Interesse an Tonerzeugern jenseits von Bass, Gitarre, Schlagzeug?
Einer meiner musikalischen Helden ist Sufjan Stevens, der über fünfzig Instrumente beherrscht. Daher habe ich eine Faszination für die Vielfalt, die es in dem Bereich gibt. Doch wie bereits erwähnt, bin ich in dieser Hinsicht nicht annähernd so begabt und ziehe es daher vor, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die durchaus talentierter sind als ich.

Auf deinem Album findet sich wie bei vielen anderen dieser Tage das Logo der Initiative Musik, die Albumreleases mit durchaus hilfreichen Geldsummen fördert. Kannst du erläutern, warum du dich dafür entschieden hast – und ist das noch DIY ...?
Die Initiative Musik macht besonders in Zeiten von Corona einen sehr guten Job, dafür zu sorgen, dass Musiker:innen an musikalischen Projekten arbeiten können, ohne die Privatinsolvenz befürchten zu müssen. Und in meiner Vergangenheit, die sehr vom Spirit des DIY geprägt war, war es viel zu häufig so, dass man Kollaborateure – Produzenten, Musikvideoregisseure, Gastmusiker – nicht anständig bezahlen konnte, aber das war mir bei diesem Album wichtig, dass alle gerecht bezahlt werden können. Und das wäre ohne eine Förderung nicht möglich gewesen, und darüber bin ich sehr froh, DIY hin oder her.

„Cancel therapy“ ist ein intensiver Text über Ängste. Kannst du dazu was sagen?
„Cancel therapy“ beschäftigt sich mit dem Auf und Ab von Euphorie und Depression, und dass man sich leicht einreden kann, wenn man sich in einem der Zustände befindet, dass das jetzt für immer so bleibt. Dieses Hin und Her wollte ich in dem Song verdeutlichen und habe die Inspiration dafür auf jeden Fall aus meinen eigenen Ängsten und Unsicherheiten gezogen, da sie mich und meine Persönlichkeit phasenweise sehr bestimmen.