Ob NOTDURFT jetzt wirklich die erste Bielefelder Punkband waren, sei mal dahingestellt. Sie sind auf jeden Fall der bekannteste Export der ostwestfälischen Stadt in Sachen Punkrock. 1978 gegründet, kamen sie 1982 auf Aggressive Rockproduktionen zu Vinyl-Ehren, zum einem auf ihrem selbstbetitelten Debüt als auch mit zwei Songs auf dem zweiten „Soundtracks zum Untergang“-Sampler. Ich selbst sah NOTDURFT 1983 zum ersten Mal zusammen mit ACKERBAU UND VIEHZUCHT im KuKoZ in Paderborn live. 1985 lösten NOTDURFT sich zum ersten Mal auf, um sich 1994 wieder neu zu formieren. Der Tod des Sängers 1997 führte schließlich zum Ende der Band. Seit 2012 sind NOTDURFT in neuer Besetzung wieder aktiv. Wir sprechen mit dem Gitarristen Bernd – neben Bassist Jones das einzige verbliebene Mitglied der Urbesetzung – über Punk in den Achtzigern und wie es danach weiterging.
Wie bist du damals auf Punk aufmerksam geworden und wann hat dich das Virus selbst erfasst?
Ich bin 1977 durch die Bravo auf Punk aufmerksam geworden, und durch Radio-Sendungen. Meine erste Platte war die „Gary Gilmore’s Eyes“-7“ von ADVERTS, dann das zweite THE DAMNED-Album und schließlich auch deren erste LP. 1978 habe ich angefangen, mir die Haare hochzustellen, zu färben und so weiter.
Was bedeutete Punk damals für dich – und wie ist das heute?
Punk bedeutete Lifestyle, sich nichts gefallen lassen, dann cooles Aussehen – die Haare schwarz färben. Und vor allem gute Musik. Ich habe mir 1977 vom Lehrgeld meine erste Gitarre gekauft und dann 1978 gleich meine erste Band gegründet, die ANIMAL FUCKS. Geschrieben haben wir uns ÄNI(X)VAX. Die Idee hat dann später eine Band aus Münster übernommen, die haben sich aber ÄNI(X)VÄX geschrieben mit zweimal Ä. Heute höre ich immer noch viel Punk, aber auch andere Musik wie Blues, ROLLING STONES und so weiter. Es muss gitarrenbetont sein. Punk ist Lebensstil, kreativ sein, Musik machen. Da hat sich nichts geändert. Nur dass man jetzt nichts mehr trinkt und keine Drogen mehr nimmt. Man ist vernünftiger geworden, um zu überleben sozusagen.
Wann und warum habt ihr mit NOTDURFT angefangen?
NOTDURFT gab es schon seit 1978/79, und ich war wie gesagt bei den ÄNI(X)VAX. Wir haben ein paar Mal zusammengespielt, und da fragten sie mich, ob ich als zweiter Gitarrist einsteigen wollte. Was ich gerne gemacht habe, da NOTDURFT sehr viel bessere Musiker waren als ÄNI(X)VAX. Warum sie NOTDURFT gegründet haben, kann ich dir nur so beantworten, dass sie gerne Musik machen wollten, genau wie ich auch, und dass sie Punks waren.
Wer hatte die Idee zum Namen NOTDURFT?
Laut Jones hatte unser Sänger Thomas die Idee, erst wollte er sie NOTRUF110 nennen, daraus ist dann NOTDURFT110 entstanden und dann eben NOTDURFT. Der Begriff ist eben sehr bekannt und hat einen punkigen Klang. Ich finde ihn den Namen gut
Welche Einflüsse hattet ihr?
NOTDURFT waren geschmacklich immer sehr breit gefächert. Die Lyrics kamen zum großen Teil von Thomas dem Sänger. Außer bei „Was dann“, den Text habe ich zusammen mit einem Freund geschrieben. Musikalisch waren wir von Bands wie RUTS und THE SAINTS beeinflusst, aber auch von New Wave wie Joe Jackson, POLICE und so weiter. Ich war ein großer Fan von DAMNED, DEAD BOYS und ADOLESCENTS. Die Nachfolgeband von NOTDURFT, MIND OVERBOARD, hatte mehr diese Einflüsse. Und auch das zweite NOTDURFT-Album, „Junge Liebe in Gefahr“ von 1996, ist punkiger als die erste Platte.
Wo habt ihr geprobt – und wie oft?
Der erste Proberaum war in den Kellerräumen vom AJZ in Bielefeld. Dann in irgendwelchen Kellern, die wir mit Dämmmaterial abgedichtet haben. Oder als wir ein Haus gemietet hatten, dort im Keller. Wenn es gut lief, haben wir zweimal die Woche geprobt.
Wie sah die Punk-Szene in Bielefeld aus? Welche Zentren gab es neben dem AJZ, gab es die Möglichkeit, selbst Konzerte zu organisieren?
Eine Punk-Szene gab es seit 1978. Ich war einer der ersten Punks in Bielefeld, mit den Jungs von ÄNI(X)VÄX. Wir waren mehr so Lehrlinge. Neben dem AJZ gab es ein bis zwei Discos, die ab und an Punk gespielt haben, wie die Badewanne oder Die Gurke, die sonntags einen Punk-Tag machten. Da durften wir unsere Platten mitbringen und dazu pogen. Dann gab es natürlich das Forum in Enger. Da habe ich meinen ersten Gig gespielt mit ÄNI(X)VAX. Konzerte selbst organisiert habe ich eigentlich eher seltener. Aber ab und zu habe ich immer wieder mal welche veranstaltet und manchmal auch andere Bands eingeladen.
Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum – gab es denn bei euch und in eurer Szene?
Das war schon ein Thema in der Punk-Welt und in unserer Band auch. Von der ersten NOTDURFT-Besetzung leben ja auch nur noch Jones und ich. Das hat auch teilweise damit zu tun. Vor den Gigs wurde gerne viel getrunken und gekifft. Jetzt im Alter ändert sich aber der Lebenswandel.
Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind dir in besonderer Erinnerung geblieben?
In sehr guter Erinnerung ist mir das Schädelfestival geblieben. Das haben ACKERBAU UND VIEHZUCHT veranstaltet. Da haben die MIMMI’S, GROBER UNFUG und wir gespielt. Da war eine tolle Atmosphäre – mit viel Alkohol und guter Stimmung. Und der erste Auftritt mit NOTDURFT nach der ersten Pause im AJZ Bielefeld. Auch die Tournee, die ich mit Jeff Dahl in den Neunzigern gespielt habe, war eine tolle Aktion.
Habt ihr oft in anderen Städten gespielt?
Ab und an schon, etwa in Paderborn im KuKoZ, öfter auch in Berlin. Seit 2012 haben wir drei oder vier Mal in Berlin gespielt, gern als Vorband von englischen Bands wie ANGELIC UPSTARTS oder PETER AND THE TEST TUBE BABIES.
Ihr habt in „Hitlers Geist“ die wachsende Gefahr von rechts thematisiert. Gab es in den frühen Achtzigern schon Probleme mit Neonazis oder Naziglatzen?
Das hat man ja damals sehr oft mitbekommen, dass viele auch aus der Punk-Szene auf einmal rechts wurden, da wurden auch schon mal Leute von den Nazis vermöbelt. Das AJZ wurde von Nazis gestürmt. Das war uns immer bewusst, ich begreife NOTDURFT als linke Band.
Bei „Staatsschutz“ singt ihr über staatliche Überwachung. Hattet ihr selbst Probleme mit der Staatsgewalt, etwa wegen Texten wie „Amis“?
Die hatte eher Karl Walterbach von Aggressive Rockproduktionen, unserem Label. Ich glaube, es gab mal eine Anzeige gegen uns aufgrund des Songs. Da weiß Walterbach aber mehr drüber.
Hast du das Gefühl, dass eure Texte immer noch aktuell sind? Und wenn ja, wie fühlt sich das für dich an?
Manche Texte sind immer noch aktuell, wie „Hitlers Geist“. Ich fand die Texte von Thomas immer klasse, das zweite Album finde ich noch besser, inhaltlich und musikalisch. Aber „Absoluter Stillstand“ hat ja auch einen tollen Text. Oder „Eskimos“. Wir haben 2019 ja noch einen neuen Song aufgenommen zu einem alten Text von Thomas, „Der Schrei“, auch ein tiefgehendes Stück.
Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die du so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdest?
Eigentlich nicht ... Aber wir haben seit 1983, als wir die erste Umbesetzung hatten nach dem Tod von Uli und dem Ausstieg von Lutz, „Meine Angelika“ nicht mehr gespielt, weil uns das etwas schlagermäßig vorkam. Jetzt wird das öfter vom Publikum gewünscht, aber gespielt haben wir es noch nicht. Da die ganze Band verstreut lebt, fehlt einfach die Zeit, es vernünftig zu proben. Ich habe also meinen Frieden mit „Meine Angelika“ gemacht.
Wie ist der Kontakt zu Aggressive Rockproduktionen zustande gekommen? Wie hast du die Aufnahmen für eure LP in Erinnerung?
Das kam durch die AHEADS aus Herford zustande, die auf dem ersten „Soundtracks zum Untergang“-Sampler waren. Walterbach hatte sie gefragt sie, ob sie gute Bands kennen würden, und die sagten ihm: „Ja, NOTDURFT aus Bielefeld.“ Wir haben ja oft mit den AHEADS zusammengespielt. Das war eine tolle Band damals. Die Aufnahmen für „Soundtracks zum Untergang Vol. 2“ haben wir in Berlin gemacht, in einem kleinen Kellerstudio direkt an der Mauer. Und das Album entstand in einem Studio in einem Hochhaus in der Nähe vom Axel-Springer-Gebäude. Das waren 16-Spur-Aufnahmen. Der Sound auf der ersten LP klingt für meinen Geschmack etwas zu harmlos, so haben wir uns live nicht angehört. Aber auf das Album bin ich trotzdem stolz, da sind viele verschiedene Richtungen drauf, Punk, Rock’n’Roll, New Wave, Ska. Das war auch das Gute an NOTDURFT, wir waren keine Uffta-uffta-Band.
Ihr habt mit euren Songs ein weites Spektrum abgedeckt, musikalisch war es mehr als Pogo-Punk, aber auch mit Texten wie etwa „Ein guter Freund“. Hat man euch damals in die Fun-Punk-Ecke gestellt oder gar der Neuen Deutschen Welle zugerechnet?
Da haben wir uns nie dazugehörig gefühlt, und das sehe ich auch nicht so. Wir waren nie die besonders beliebte Band bei den Uffta-uffta-Fans, weil wir einfach unsere Instrumente beherrscht haben. Wir wollten musikalisch vielseitig sein, von Punk, Hardcore und Rock’n’Roll bis Reggae und Ska. Auf „Junge Liebe in Gefahr“, dem zweiten Album, klingen wir auch etwas rockiger und härter als auf dem ersten, mir persönlich gefällt das besser.
Was waren die Gründe für eure Auflösung? Und warum gab es die Reunion in den Neunzigern?
Wir haben uns das erste Mal Ende 1985 aufgelöst, weil unser Sänger Thomas zu tief im Drogensumpf versackt war. Er kam nicht mehr zu den Proben, zu spät zu den Gigs, das ging nicht mehr. Wir haben uns einen englischen Sänger geholt und so entstand eine neue Band, MIND OVERBOARD. Wir haben auch zwei Alben aufgenommen und viel gespielt, zum Beispiel mit BAD RELIGION, NAKED RAYGUN und BAD BRAINS. Dann waren wir mit Jeff Dahl unterwegs, der hat mich dann auf einer Tour in Deutschland als Gastgitarrist mitgenommen. Das war toll, ich bin immer noch mit ihm befreundet. 1994 haben wir mit MIND OVERBOARD Schluss gemacht. Wir haben einen Abschiedsgig im AJZ Bielefeld gespielt und als Überraschung haben wir noch mit NOTDURFT gespielt. Es gab gleich einige Angebote für Gigs und Platten, unter anderem auch schon von Höhnie. Aber wir haben uns für Impact entschieden. Dort ist auch das zweite Album „Junge Liebe in Gefahr“ auf Vinyl und CD erschienen wie auch der Rerelease der ersten Platte auf CD. Die AGR-LP wurde ja damals schon hoch gehandelt. Das ging dann drei Jahre mit NOTDURFT weiter. Dann ist Thomas leider gestorben.
Es gibt einige Rereleases eurer ersten LP. Wie sind die zustande gekommen?
Das letzte Rerelease hat Höhnie gemacht. Zum dreißigjährigen Jubiläum des ersten Albums hat er eine neue Vinylpressung mit Beiblatt und Fotos gemacht, plus eine kleine Auflage auf blauem Vinyl. Zu dem Release-Termin haben wir 2013 bei ihm auf seinem Festival gespielt mit der alten Besetzung des zweiten Albums, plus Lahs von den COMMANDANTES, FLUGS VONSTATTEN und Vanessa, eine Freundin aus dem ZZZ.HACKER-Umfeld, als Sängerin. Am Bass ist Jones Stolte, Drummer ist Ollie Bettenorz, Rhythmusgitarre ist Albert Klose und Leadgitarre spiele ich. In dieser Besetzung treten wir auf, wenn es zeitlich stimmt für alle. Wir hatten bisher so jedes Jahr ein bis zwei Gigs, wie in Peine auf dem Festival, im Schokoladen in Berlin oder im Forum in Enger. Dieses Jahr war geplant, wieder auf dem Höhnie Festival in Peine aufzutreten. Das ist ja flachgefallen, aber wir wollen das nächstes Jahr nachholen. Es ist keine professionelle Reunion, denn es muss Spaß machen und der richtige Ort und Zeitpunkt sein.
Ihr seid also neben NOTDURFT weiterhin in anderen Bands aktiv?
Wir spielen fast alle noch in anderen Bands. Jones hat bei den COMMANDANTES gespielt. Er ist jetzt noch bei den CAMINOS und HUMAN HAIR PEOPLE. Ollie spielt bei den Berliner Bandes H.A.F. und SHEEF. Ich habe wie alle von NOTDURFT, abgesehen von Thomas und Rollie, bei MIND OVERBOARD gespielt. In den Achtzigern war ich außerdem bei CLUB X und bei KEINE GNADE, wir waren 1983 mit EA80 und anderen auf dem „8-EP-Sampler“ vertreten. 2003 bis 2010 war ich bei den NYMPHOMANIACS, danach bis letztes Jahr bei USCHI OBERMAIER EXPERIENCE. Jetzt starte ich gerade eine neue Band.
Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen?
Es gab ein paar Punketten damals, wie man sie nannte. NOTDURFT hatten eine Sängerin, aber Frauen waren damals in der Minderheit in der Punk-Szene. Macker-Typen gab es natürlich auch.
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