Das neue Album der Schweden dreht sich um das Streben nach immer neuen Kicks und damit einhergehende Suchtgefahren. NORMANDIE nehmen sich auf „Dopamine“ abermals ein heftiges Thema vor. Stilistisch bleibt es bei einem Mix aus Rock, Post-Hardcore und Pop – inklusive starker Riffs und monströser Chöre.
Wir haben uns in eine Position gebracht, in der wir tun können, was wir wollen“, erwidert Frontmann Philip Strand, angesprochen auf das abenteuerlustige, wagemutige Vorgehen der Band. „Unsere Fans wissen, dass es für sie unmöglich ist, unseren nächsten Song zu erraten. Ich habe schon immer alle Musikrichtungen geliebt. Daher bin ich stolz darauf, dass ich meine vielen Einflüsse nutzen und unter einen Hut bringen kann. Dafür gelobt zu werden, ist ein Bonus.“ Auf der Suche nach einem perfekten Song befinden sich NORMANDIE dabei nicht: „Musik ist kein Sport“, stellt Philip klar. „Perfektion ist nichts, was man anstreben sollte. Wenn du denkst, dass du Perfektion erreicht hast, bedeutet das nur, dass du auf dem Höhepunkt deiner Entwicklung angekommen bist und aufgeben kannst. Alles, was ich schreibe, hat einen Zeitstempel und spricht etwas an, das ich zu diesem Zeitpunkt im Leben gefühlt habe. Die beste Vorstellung, die ich von einem perfekten Stück habe, ist ein Song, der die Zeit überwinden kann und sich von allen aktuellen Trends abkoppelt, um sicherzustellen, dass er ewig existieren kann, ohne zu altern.“
Das Trio aus Schweden fällt kreativ in jedem Fall dadurch auf, dass es die Dinge immer wieder anders angeht: „Zu sagen, dass wir uns freiwillig in eine bestimmte Richtung bewegen, wäre eine Lüge“, ordnet der Frontmann ein. „Wir treffen uns, erstellen 20 bis vierzig Demos in verschiedenen Genres und versuchen, sie alle unter unserem Namen zum Laufen zu bringen. An den Demos, die uns am besten gefallen, arbeiten wir weiter. Ob sie nun Einflüsse aus Jazz, Dance oder Funk haben, ist dabei egal, solange es keine Kopie unserer früheren Musik ist. ‚Dopamine‘ ist ein breit aufgestelltes Album mit vielen verschiedenen Welten.“ Die Musiker achten einzig und allein darauf, dass ihre Band erkennbar bleibt: „Originalität in Form von Melodien oder Texten ist heute unmöglich“, weiß Philip. „In der Kunst ging es aber noch nie darum, Farben zu verwenden, die noch niemand zuvor genutzt hat. Es geht um die wahre Freiheit der Kreativität und darum, sich von seinen Fans zu lösen und zu fragen: ‚Was ist das, was am weitesten von unserem Kern entfernt ist, aber immer noch nach NORMANDIE klingt?‘ Das ist dieser gemeinsame Nenner, der NORMANDIE ausmacht. Nimm unseren Song ,Holy Water‘ vom dritten Album und stelle ihn neben ,Sorry‘ vom vierten. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Fans sagen werden, dass beide gleichermaßen NORMANDIE repräsentieren.“
Die Schweden sind sowohl für ihre Musik als auch ihre Texte und Konzepte bekannt: „Mit unserer Band wollte ich von Beginn an etwas Substanzielles sagen, den Leuten jedoch nicht predigen“, sagt der Sänger. „Deshalb spreche ich einfach aus Erfahrung und frage die Zuhörer: ‚Habt ihr das auch schon einmal gefühlt?‘ Ich bin Schwede und durchstöbere das englische Vokabular kontinuierlich, um neue Wege zu finden, mich auszudrücken, ohne zu poetisch zu werden. In unseren Songs ging es schon immer um persönliche Entwicklungen und darum, die bestmögliche Version von sich selbst zu werden. Unsere Zeit auf diesem Planeten soll einen Sinn haben, ohne damit zu sagen, dass jeder die Welt retten muss. Bei ‚Inguz‘ ging es um Erleuchtung, bei ‚White Flag‘ um Hingabe, bei ‚Dark & Beautiful Secrets‘ um Therapie und bei „Dopamine“ jetzt um Sucht. Wir versuchen, den Menschen zu helfen, sich daran zu erinnern, dass sie nicht nur Teil einer Bevölkerung sind, sondern jeder selbst dafür verantwortlich ist, sich eine eigene Identität aufzubauen und zu sagen: Das bin ich und daran glaube ich. Da unser letztes Album zu hundert Prozent persönlich war, wollte ich dieses Mal in die entgegengesetzte Richtung gehen. Wir diskutierten das fiktive Thema einer dystopischen Stadt, in der Glück auf der Straße verkauft wird. Daraus wurde die Geschichte von ‚Dopamine‘ und die Idee, dass es in fünfzig Jahren vielleicht so normal sein wird wie Koffein am Morgen. Wenn es Glück in Lebensmittelgeschäften geben würde, würden wir es dann nicht kaufen? Das Album folgt diesem roten Faden über verschiedene Neurotransmitter und wie sich unsere Beziehung zu ihnen heute darstellt.“
Entgegen der Vermutung studiert Philip keine Fach- oder Science Fiction-Literatur: „Ich lese überhaupt nicht, aber ich interessiere mich durchaus für moderne Psychologie und Philosophie“, so der Frontmann. „Nachzuvollziehen, wie und warum Menschen handeln, ist ein Schlüssel zum Verständnis unserer Welt und der Richtung, in die wir uns bewegen. ‚Verletzte Menschen verletzen Menschen‘ ist dabei eine wichtige Erkenntnis. Man kann den Rüpel nicht einfach als Arschloch bezeichnen, ohne die Frage zu stellen, wer oder was ihn oder sie dazu gemacht hat und welcher Schmerz diese Wut verursacht. Viele Leute sind sich nicht der Tatsache bewusst, dass sie von Neurotransmittern wie Adrenalin, Serotonin und Dopamin abhängig sind. Ich werde niemandem vorschreiben, was er mit seiner Sucht anfangen soll, möchte aber jeden ermutigen, sich selbst zu verbessern. ‚Dopamine‘ ist eine Beobachtung unserer Welt, die Leute dazu animieren soll, über ihren Platz darin nachzudenken.“ NORMANDIE ermöglichen die Auseinandersetzung auch dadurch, dass die Tracks bewusster und klarer arrangiert sind: „Für mich stellt jeder Song auf diesem Album eine Welt für sich dar“, greift Philip den Gedanken auf. „Wir haben das Album zuerst instrumental geschrieben und darauf geachtet, dass die Musik genauso zu uns spricht wie jeder Text, der folgen würde. Nicht jeder Hörer interessiert sich für Texte, also sollte auch die Musik eine Sprache haben. Wir sind eine Mainstream-Band, die sicherstellen will, dass ihre Musik von allen musikalischen Niveaus verstanden wird. Daher ist es für mich wichtig, unsere Songs nicht mit komplexen Polyrhythmen oder Arrangements zu überfrachten. Mein Ziel beim Schreiben ist es, die Leute aufzuklären und ihr Interesse an der Selbsterforschung zu wecken. Das kann ich nicht tun, wenn ich gleichzeitig versuche, über ihre Köpfe hinweg zu reden.“
© by Fuze - Ausgabe #86 Februar/März 2021 und Rodney Fuchs
© by Fuze - Ausgabe #104 Februar/März 2024 und Arne Kupetz