NO WARNING

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Everything’s fucked up

NO WARNING aus Toronto wurden 1998 noch als AS ONCE WE WERE von Sänger Ben Cook und Gitarrist Matt DeLong gegründet. Bald änderte die Band den Namen in NO WARNING und 2001 kam eine erste 7“, 2002 das erste Album „Ill Blood“ via Bridge 9 (das 2013 neu aufgelegt wurde). Ab da geriet die Band in etwas komisches Fahrwasser, Touren mit SUM 41 (deren Manager nahm sie für sein Label unter Vertrag), PAPA ROACH, THE USED und anderen schlimmen Bands deuten das an. 2004 kam das zweite Albums „Suffer, Survive“ auf dem von LINKIN PARK gegründeten Machine Shop-Label. Offensichtlich war das ein Irrweg, denn die Band löste sich 2005 auf und Frontmann Ben Cook wechselte zu FUCKED UP, Gitarrist Jordan Posner ging zu TERROR. Cook verkündete schließlich 2013 die Reunion, DeLong und Posner waren auch wieder dabei, eine erste 7“ erschien, und 2014 spielten NO WARNING beim Ieperfest ihre erste Europashow. Im Oktober 2017 kam mit „Torture Culture“ das neue Album, in Kanada auf Cooks Bad Actors Inc.-Label, in Europa auf SPV, produziert von Cook, der offensichtlich der unumstrittene Boss der Operation ist. „Torture Culture“ nimmt einen mit auf eine Reise ins New York der späten Achtziger, als Hardcore gerade den Metal entdeckt hatte, und ich wollte von Ben wissen, wie das alles kam.

Ben, lass uns das Thema FUCKED UP doch gleich zu Beginn hinter uns bringen: Ich schätze, da für dich gerade NO WARNING Priorität haben, wird da nicht viel passieren, oder?


Doch, tatsächlich tut sich da was: FUCKED UP arbeiten gerade im Stillen an einem neuen Album. In der FUCKED UP-Welt wird immer irgendwo irgendwas Neues geschaffen. Wir hatten aber tatsächlich eine Art Pause, weil Damian mittlerweile drei Kinder hat und gerade an einer Show für den TV-Sender Viceland arbeitet. Aber Mike und Jonah sind an einem neuen Album dran und ich helfe da natürlich auch aus, im Rahmen meiner Beteiligung an FUCKED UP. Es sieht zwar gerade nicht so aus, als ob da viel läuft, aber es passiert schon was.

Hat die Wiederbelebung von NO WARNING etwas damit zu tun, dass da bei FUCKED UP gerade nicht viel los war?

Wenn FUCKED UP richtig laufen, dann ist das auf jeden Fall ein Vollzeitjob. Das war es auf jeden Fall die letzten zehn Jahre für mich. Dass NO WARNING wieder aktiv wurden, hatte nicht direkt was mit der Inaktivität von FUCKED UP zu tun, das hat sich einfach so ergeben. So ist das eben mit Musik in meinem Leben, das eine führt zum anderen – just go with the flow. Ich folge einfach meinen Instinkten. Richtig los ging es mit NO WARNING 2014, als wir eingeladen wurden, auf dem Ieperfest zu spielen. Seitdem spielen wir immer wieder mal Konzerte. Dann kam die eine oder andere 7“ dazu, und die ganzen Bandmitglieder hatten über die Jahre sowieso immer Kontakt, haben hin und wieder zusammen Musik gemacht. Das hat sich alles ganz natürlich ergeben.

Heilt die Zeit alle Wunden? Oder wie kommt es, dass man eine Band zuerst auflösen muss, um dann nach ein paar Jahren wieder weitermachen zu können?

Also dass die Zeit alle Wunden heilt, das war auf jeden Fall ein Faktor. Wobei wir uns der Wunden durchaus noch bewusst sind. Wir sind mit der Band aufgewachsen, wir haben mit der Band bestimmte Entscheidungen getroffen. Wir kamen aus der Hardcore-Szene und endeten zum Schluss mit all diesen großen, seltsamen Touren, nachdem wir bei einem großen Label unterschrieben hatten. Für uns als Hardcore-Band war das wohl nicht die beste Entscheidung, aber wir waren Kids, wir wussten einfach nicht genau, was wir taten – jeder macht mal einen Fehler, wobei wir aus unseren hoffentlich gelernt haben. Irgendwann war es dann einfach lahm geworden, es machte keinen Spaß mehr. NO WARNING hat viel mit Instinkten, mit Gefühlen zu tun, und es passte nicht mehr. Wir haben damals nicht mal ein Abschiedskonzert gegeben, wir hörten einfach auf. In den Jahren danach sind wir erwachsen geworden, aber wir sind der Punk- und Hardcore-Szene auch immer verbunden geblieben. Und irgendwann fühlte es sich dann richtig an, wieder was zusammen zu machen, es gab keinen bestimmten Grund. Und jetzt ist es ein gutes Gefühl.

In einem YouTube-Kommentar wird euer „Ill Blood“-Album von 2002 als „eines der einflussreichsten Hardcore-Alben der letzten zwanzig Jahre“ gepriesen, vor einer Weile kam via Bridge 9 eine Neuauflage. Über den Nachfolger „Suffer Survive“ von 2004 wird das wohl kaum gesagt werden ... und entsprechend ist euer neues Album auch eher ein Nachfolger von „Ill Blood“. Was ist damals schief gelaufen ...?

Auch „Suffer Survive“ wurde auf Vinyl neu aufgelegt zehn Jahre später, von unseren Freunden bei Six Feet Under Records, wobei das nicht so ganz offiziell war ... Es gab einige Leute, die mochten das Album, aber wir mögen es auch nicht besonders. Wir waren ja sehr jung, gerade mal Anfang zwanzig, wir hatten erstmals mit einen richtigen Produzenten zu tun, mit Managern und all so was. Wir waren permanent mit den Ansichten anderer Leute konfrontiert. Von unserer Mentalität her sind wir Vorschlägen von anderen und einer Zusammenarbeit gegenüber immer offen. Doch irgendwann waren am Entstehen dieses Albums so viele Leute beteiligt, dass wohl einfach kein gutes Hardcore-Album mehr dabei herauskommen konnte. Die besten Hardcore-Platten entstehen doch, wenn eine Band ungestört das macht, was sie will – irgendwo in einem Keller, in einem Studio auf sich alleine gestellt. Sobald du da andere Leute mitmischen lässt, die eigentlich keine Ahnung haben von dem, was du willst, geht es schief. Wir ließen uns beim zweiten Album auf viele Kompromisse ein, und wenn ich mir die Songs heute anhöre, dann sind da zwar ein paar gute dabei, aber ich muss eben ständig daran denken, wer sich wo mit seinen Vorstellungen eingemischt hat.

Neu ist so eine Geschichte nicht, immer wieder geraten junge Bands in die Hände von Managern und Ratgebern, die versuchen, sie nach ihren Vorstellungen zu formen. Muss man als Band stark sein und genau wissen, was man will?

Heutzutage haben Bands größere Macht. Damals gab es die alte Musikindustrie noch, die liegt jetzt weitgehend in Trümmern. Kaum jemand weiß noch, wie man mit Musik Geld verdienen kann, was für die Leute aus dem Musikbusiness und die Bands ziemlich mies ist. Gleichzeitig hat sich die Machtbalance klar zu den Bands hin verlagert. Wir waren damals nur ein paar Kids, die nichts anderes wollten, als Musik zu machen. Man präsentierte uns all die tollen Möglichkeiten, und wie hätten wir da widerstehen sollen? Man gab uns die Gelegenheit, um die ganze Welt zu touren, zu einer Zeit vor Social Media, bevor jeder die Chance hatte, sich mit der ganzen Welt zu vernetzen. Damals war das nicht so einfach, und wir haben uns auf unbekanntes Terrain begeben, sind ein paar Risiken eingegangen ... und bedauern heute nichts. Das war wie ein Studium, ohne zur Uni zu gehen, wir haben enorm viel gelernt. Man liest natürlich auch eine ganze Menge Scheiß darüber, was Bands so erleben, Drogen, Business, und all so was, und wir machten all das mit, es war eine seltsame Reise, und heute ist das auf jeden Fall eine interessante Erinnerung an eine Episode unseres Lebens. Wir sind heute froh, dass sich noch Menschen für unsere Musik interessieren, dass wir wieder eine Platte machen konnten und dass wir wieder so herzlich in der Hardcore-Szene aufgenommen wurden.

Beim Hören eures neuen Albums „Torture Culture“ kamen mir Hardcore-Klassiker der späten Achtziger in den Sinn wie CRO-MAGS, LEEWAY, CRUMBSUCKERS, BAD BRAINS oder SICK OF IT ALL. Damals wart ihr wohl gerade im Kindergarten – treffen die Vergleiche trotzdem zu?

Ja. All diese Bands haben unseren Musikgeschmack geprägt, die haben wir auf der Highschool gehört. Sie sind das Rückgrat unserer Musik. Was nun das neue Album betrifft, so haben wir alle viele Jahre mehr musikalische Erfahrung in den verschiedensten Genres, ich habe viel Erfahrung im Studio, und so stand von Anfang an fest, dass wir ein Album machen werden, dass nach NO WARNING klingt, mit Wurzeln bei all den Bands, die du erwähnt hast. Zum anderen sollte es wie eine Kombination klingen, aus all der Musik, die uns in unserem Leben bislang etwas bedeutet hat. Also nicht nur Hardcore, sondern auch Achtziger-Thrash, Seventies-Heavy-Metal, JUDAS PRIEST, SCORPIONS, MOTÖRHEAD. Oder auch Punk-Metal-Zeugs wie spätere THE EXPLOITED, und mit einer langsamen Power-Ballade zollen wir auch ALICE IN CHAINS und STONE TEMPLE PILOTS Tribut. Das war unsere Musik, als wir als Kids wie gebannt auf den Fernseher starrten, und die Musik, die da lief ... man musste lange aufbleiben, bis endlich die Heavy-Metal-Sendung kam und wir PANTERA sehen konnten. All das wollten wir in ein Album packen, das klingen sollte, als ob es schon Anfang der Neunziger auf Roadrunner erschienen wäre. Wir haben viel Energie in die Platte gesteckt und ich glaube, sie ist uns geglückt. Wir haben uns Zeit gelassen, wir haben nichts überstürzt, haben ohne Produzent gearbeitet, nur mir Freunden, und das war zwar bisweilen anstrengend, aber es war uns wichtig, alles selbst zu machen, statt jemanden zu bezahlen – damit es allein unser Album wird.

Wie wichtig ist deine Rolle in der Band? Du bist der Sänger, Produzent, Labelmacher, gibst die Interviews ...

Hm ... ja, ich bin wohl der Typ, der sich um alles kümmert. Aber ich bin ein eher kooperativer Typ, und ich habe keinen Spaß daran alles selbst zu machen, also sorge ich dafür, dass jeder in der Band was zu tun hat – der eine kreativer Hinsicht, der andere in Sachen Business. Ich sehe meine Rolle als Produzent, ich halte die Fäden zusammen, koordiniere. Was die Musik betrifft, so stammen die Riffs von Matt und Jordan – ich fasse keine Gitarre an. Ich helfe dann beim Arrangieren, setze die Einzelteile zusammen, so dass sich alles zusammenfügt, wie Farben bei einem Gemälde. Jordan sprudelt nur so vor Ideen und Riffs, Matt und ich filtern daraus, was nach unserer Band klingt. Jordan macht den ganzen Tag nichts anderes als sich neue Riffs ausdenken, unglaublich!

Jordan ist ja auch bei TERROR, ist da von Anfang an klar, was für NO WARNING und was für TERROR ist?

Ja, NO WARNING haben einen ganz anderen Sound, das ist klar getrennt. Und auch ich trenne ganz klar zwischen FUCKED UP und NO WARNING, das sind verschiedene Welten. NO WARNING und TERROR sind aber eine Familie, ohne Scott Vogel gäbe es NO WARNING nicht, und ohne NO WARNING existierten TERROR nicht, sagt Scott. Wir haben großen Respekt voreinander, ich half Scott auch bei der Produktion des letzten TERROR-Albums bei den Vocals. Musikalisch hingegen haben beide Bands ihren ganz eigenen Sound, auch wenn das für die Ohren eines Außenseiters gar nicht so deutlich wird. Für uns als Insider ist aber immer klar erkennbar, was nach einem TERROR-Song klingt und was nach einem von NO WARNING. Jordan kennt den Unterschied ganz genau.

Der Unterschied zwischen FUCKED UP und NO WARNING ist krass, fast schon schizophren: Dort die intellektualisierte Band, fast schon sophisticated, hier simpler Hardcore direkt in die Fresse. Wie geht das zusammen für dich?

Ich habe darüber hinaus auch noch in ein paar Bands gespielt, und alle sind verschieden, und mein Soloprojekt gibt es ja auch noch, das ist Powerpop gemischt mit seltsamer Computermusik. Es ist eine geniale Erfahrung bei FUCKED UP zu sein, mit diesen Typen eine Musik zu machen, die so intellektuell und konzeptionalisiert ist. Ich finde das sehr inspirierend. Ich habe aber meinen ganz klaren Platz in dieser Band, die Konzepte und Texte kommen von Mike und Damian. Ich habe großen Respekt vor deren Arbeitsansatz, wie die an ein Album herangehen. Das machen die, als ginge es um ein neues „Herr der Ringe“-Epos. Beide Bands haben ihren ganz eigenen Reiz: NO WARNING sind gerade heraus, wütend, hart, fast schon ignorant. Es macht mir großen Spaß, solche Musik zu machen, sie exakt auf den Punkt zu produzieren. Wenn ich mit NO WARNING auf Tour gehe, muss ich das Leben eines Sportlers führen, ich trinke und rauche dann nicht, trainiere, denn ich renne da die ganze Zeit auf der Bühne herum, das Publikum ist wild, ich bekomme auch mal einen Schlag ab. Bei FUCKED UP ist das anders, das ist nicht so extrem, das Publikum ist ruhiger, eigenwilliger, ich spiele da einfach entspannt Gitarre. Ich bin dankbar, in beiden Bands sein zu können.

Wie seid ihr mit eurem Comeback-Album in Europa bei SPV gelandet, die sich gleich mächtig für euch ins Zeug gelegt haben?

Weil es uns wichtig war, dass was geht in Europa. Mann, ich will echt in Europa touren mit NO WARNING. Bisher haben wir nur zwei Konzerte in Europa gespielt! Ich weiß ja durch FUCKED UP, wie cool es ist, bei euch zu touren, wie krass die Leute bei Shows abgehen, in Deutschland und anderswo. Verrückt, dass wir damals zu jung und unorganisiert waren und so nie bei euch gespielt haben. Heute sind wir organisierter, haben das Geld für die Tickets, und so arbeiten wir gerade an einer Tour für April 2018.

Seltsam, wie es euch Nordamerikaner immer nach Europa zieht, wo kaum ein Club eine Klimaanlage hat und man sich schon beim Rumstehen totschwitzt.

Ey, ich komme aus Kanada, ich hasse die Kälte! Alles ist besser als frieren! Wir waren im Herbst während einer Hitzewelle in den USA unterwegs, das hat mir nichts ausgemacht. Im April sollte es bei euch aber wohl ja noch ganz angenehm sein. Sobald es in Kanada kalt wird, bin ich weg. Ich gehe, wohin der Wind mich trägt. Einmal habe ich den Winter über in Brasilien in einer Favela gelebt, ich war mal in der Karibik ... Ich habe Freunde überall auf der Welt und komme immer irgendwo unter und arbeite dann eben von dort aus. Hauptsache kein Schnee, ich hasse den Schnee!

Was machst du derzeit sonst so?

Ich stelle gerade mein Soloalbum fertig und kümmere mich darum, dass mit NO WARNING alles läuft. Und die letzten Tage war ich mit Gesangsaufnahmen für so einen Nebenrelease zum neuen FUCKED UP-Album beschäftigt. Irgendwas passiert immer in meinem musikalischen Universum, ich achte darauf, dass es für mich spannend bleibt.

Und was interessiert dich jenseits von Musik?

Menschen! Ich bin einerseits ein offener, freundlicher Typ, andererseits habe ich auch etwas von einem Einsiedler. Ich treffe gerne neue Leute, Musiker, Künstler, und ich kann den ganzen Tag damit verbringen Leute zu beobachten. Das motiviert mich, Kunst zu machen, zu sehen, wie die Welt so fließt, wie Menschen interagieren. Ich beobachte, nehme auf und spucke aus, in Form meiner Musik. Ansonsten esse ich gerne, laufe rum, mag Hunde und Katzen. Mein Alltagsleben ist nicht besonders spannend. Ich trinke viel Kaffee und rauche eine Menge Weed.