NEUROEMPIRE RECORDS

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From Russia With Love

Wer sich die Mühe gemacht und das Ox ein bisschen intensiver studiert hat, wird sich sicher irgendwann mal gefragt haben, warum eigentlich in meiner Kolumne „From Russia With Love“ neben den wenigen bandeigenen CDs fast immer nur Veröffentlichungen von Neuroempire Records aus Moskau besprochen werden? Das hat einen ganz einfachen Grund: Dmitriy hat seinen Arsch hochbekommen, die Wodkaflasche rechtzeitig weggestellt und ist von sich aus aktiv geworden. Anstatt zu weinen, nur zu meckern oder gar ganz zu verzweifeln, hat er den Kampf aufgenommen und arbeitet wie ein Besessener daran, seine Ideen und Ideale zu verbreiten. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die weltweite Produktion, Veröffentlichung und Verbreitung von Musik, sondern ist auch im Film- und Videobereich, sowie als Konzertveranstalter tätig. Er sitzt mit Neuroempire Records also mitten im Herzen der russischen Punkszene und ist nebenbei gesagt sehr sympathisch, offen und extrem auskunftsfreudig. Deshalb will ich jetzt auch nicht zuviel verraten! Schnallt euch gut an und macht euch bereit für eine wirklich aufregende Achterbahnfahrt quer durch die Geschichte der russischen Gesellschaft und Subkulturen. 3 ... 2 ... 1 ... Durchstarten!

Was bedeutet „Punk“ für dich persönlich?

Ehrliche Antwort? Ich habe mich selber nie einen „Punk“ genannt und mich eigentlich auch nie damit identifiziert. Für mich persönlich haben alle antisozialen, destruktiven, musikalischen Kräfte und Bewegungen die gleiche Bedeutung. Separat betrachtet ist „Punk“ nur eine Jugendkultur unter vielen. Erst im Zusammenhang und -spiel mit den anderen antimaterialistischen, -sozialen und -staatlichen Strömungen, wird daraus eine wirkliche, ernst zu nehmende Subkultur. Die meisten Strömungen kommen und gehen, das besondere am Punk aber vielleicht ist, dass er immer sein kreatives Potenzial behalten hat und sich ständig weiterentwickeln will. Punk hat sozusagen einen sehr hohen, eigenständigen Wiederbelebungsfaktor, der auf tief verwurzelte Traditionen einer Szene aufbaut. Für mich ist „Punk“ ein Teil der Konfrontation mit und Widerstand gegen die modernen Kulturen, Staatsformen und Gesellschaften. Ich werde solche Aktivitäten immer unterstützen und fördern, aber immer nur soweit, wie ich es für notwendig halte. Vorgefertigte Schablonen, die uns z. B. solche angepassten Zines wie das MRR oder O’Hara in seinem Buch „Philosophy Of Punk“ verkaufen wollen, interessieren mich absolut nicht.

Neuroempire Records wurde Ende der 90er gegründet und entwickelte sich konstant zu einer der wichtigsten Schnittstellen des Punk/Metal-Undergrounds in Russland. Kannst du die Gründungsgeschichte bitte ausführlicher beschreiben?
In den frühen 90ern arbeitete meine Frau Tatyana als Produzentin der Jugendprogramme für die staatliche Irkutsk-Fernsehngesellschaft. Sie entwickelte ein Musikprogramm, das sich „Rock-Timer“ nannte und ich war der Moderator. Die Verantwortlichen redeten uns aber immer rein und verdonnerten uns dazu, mehr Folk- und Popmusik zu spielen. Wir wollten aber immer nur Metal, Punk und Hardcore vorstellen. Irgendwann hatten sie genug von uns und verboten uns, das Programm auszustrahlen. Also fingen wir an, Live-Auftritte von lokalen Bands zu filmen und daraus so etwas wie Videoclips zu machen. Da es sich um lokale Gruppen handelte, egal wie brutal sie waren, erlaubten die Programmchefs komischerweise wieder eine Ausstrahlung. Später, als wir nach Moskau umgezogen waren, studierte ich an der VGIK-Filmhochschule und Tatyana an der Universität für Fernsehen. Wir hofften, so die Möglichkeit zu bekommen, Musikvideos zu drehen. Zu dieser Zeit kaufte ich viel Merchandise bei Hobgoblin, um es dann in unserem Musikladen und Versand in Irkutsk weiterzuverkaufen. Ich besprach meine Label-Ideen mit Kostya, dem Besitzer von Hobgoblin, der auch mehr wollte, als nur T-Shirts und andere Fanartikel zu verkaufen. Also entschieden wir uns, gemeinsame Sache zu machen und Musik auf Kassetten und Video zu veröffentlichen und zu vertreiben. Dazu muss man wissen, dass ab ca. ’96 der Staat anfing, Raubkopierer konsequenter zu verfolgen. Vorher konnte man mit ausländischen Produktionen eigentlich machen, was man wollte, und niemand störte sich daran. Uns war es aber von Anfang an wichtig, dass alles korrekt abläuft, alleine schon aus unserem Selbstverständnis und der Einstellung zu den Gruppen heraus. Das lief dann auch ganz gut und wir veröffentlichten 55 Kassetten und drei VHS-Videos. Dann kam bekanntermaßen ’98 die große ökonomische Krise. Wir verkauften die Restbestände und bezahlten unsere Schulden. Ich gründete Neuroempire Records und Kostya ist jetzt Vertriebsleiter von Alchemy Gothic in Russland, wo er wieder Merchandise verkauft und scheinbar auch glücklich damit ist. Wir hatten ja eine Menge Videos gedreht, die leider bis auf wenige Ausnahmen nie auf MTV-Russia oder im Fernsehen liefen. Wir realisierten, dass unsere Musik und kranken Phantasien einfach nicht dafür geeignet waren, und so veröffentlichten wir sie selber, aus eigener Kraft und mit unseren Möglichkeiten. Bekannt wurden wir mit der Video-Compilation „Russian Punk Cannonade Vol.1“, die auch viele unserer selbstgedrehten Videoarbeiten enthält und einer breiteren Masse erstmalig zugänglich machte. Seitdem verbreiteten wir unsere Vorstellungen, Ideen und Musik unter den Namen Neuroempire Records.

Wie muss man sich die tägliche Arbeit von Neuroempire Records vorstellen?
Meine Aufgabe ist es, neue Bands zu finden und unsere alten in allen Belangen zu unterstützen. Ich mache die Cover, kümmere mich um das Merchandise, organisiere ihre Konzerte und auch die jährliche „Russian Punk Cannonade“-Festivaltour. Ich bin verantwortlich für die Lizenzen und Vereinbarungen mit ausländischen Bands und Labels. Außerdem versuche ich, unsere Produkte im Ausland zu verkaufen oder zu tauschen. Unterstützt werde ich dabei von Alex aus Bryansk. Mein anderer Partner V.M. sitzt in seinem so genannten Büro eine Tür weiter und ist verantwortlich für den Vertrieb und hält Kontakt zu den Wiederverkäufern innerhalb Russlands. Wir stecken eine Menge Arbeit und Energie in das Label und ich denke, wir sind die unangefochtene Nummer Eins für brutalen Punk in Russland. Natürlich gibt es noch ein paar reiche Pop-Punk-Label und einige Majors versuchen auch damit Geld zu verdienen, aber ich spreche hier vom ‚wahren‘ Punk. Zurzeit sind wir das einzige Label, das seriös mit ausländischen Gruppen und Labels arbeitet. Die ganzen kleinen Labels, die nebenbei ein oder zwei selbstkopierte Kassetten rausbringen und zwanzig Stück verkaufen, zähle ich hier nicht mit. Wir sind nebenbei immer bereit, ein Konzert in Russland professionell zu filmen und eine DVD davon herzustellen. In Europa und den USA ist so etwas sehr teuer, hier dagegen sind die Kosten dafür ein Witz! Meine Frau und ich wollen dafür auch kein Geld, wir machen das, um die Leute zu unterstützen. Wir würden gerne mehr ausländische Bands und Musik vertreiben und produzieren. Da die Preise für Tonträger in Russland sehr niedrig sind, können wir einfach auch nicht großartig Tantiemen bezahlen. Aber wir bezahlen wenigstens das, was den Menschen zusteht, denn auch noch heute gibt es hier sehr viele Raubkopierer. Wir sind immer an einer Zusammenarbeit mit ausländischen Bands und Labels interessiert, sie sollen sich ruhig mal mit uns in Verbindung setzten. Ich denke, eine Russland-Tour dürfte für jede Band sehr aufregend sein und für die Labels dürfte es auch eine interessante Möglichkeit sein, ihre Musik zu vertreiben.

Inwieweit nutzt du das Internet für deine Aktivitäten?
In unserem Büro haben wir Standleitungen und zu Hause benutze ich noch ein Modem, weil ich es einfach nicht geregelt bekomme, auch dort eine Standleitung installieren zu lassen. Genauso wie ich es immer noch nicht geschafft habe, eine eigene Neuroempire-Seite einzurichten. Hier dauert alles halt wie immer ein wenig länger. In den großen Städten ist es kein Problem, es gibt überall Internet-Cafés. Wie es auf den Dörfern aussieht, kann ich dir leider nicht sagen.

Wie kommst und hältst du den Kontakt mit den weltweit verstreuten und interessierten Menschen aufrecht?
Ich fing ca. 2001 mit unserer ersten CD „Russian Punk Cannonade Vol. 2“ an, Auslandskontakte zu knüpfen. Ich fand ein paar alte Plastic Bomb- und Ox-Hefte und schrieb Briefe bzw. neuerdings E-Mails, an alle Adressen, die ich darin fand, was hervorragend funktioniert. Heute versende ich 40 bis 50 von jeder unserer Veröffentlichungen in unterschiedliche Länder. Ich biete auch weiterhin jedem an, mit uns zu tauschen. Wir suchen auch ständig neue Bands, die wir für Russland lizensieren können. Wir benötigen auch viele CDs von ausländischen Bands und Labels, besonders aus den USA, um sie dann in unseren Läden weiterzuverkaufen. Leider bekommen wir von dort meistens keine Antwort oder sie schreiben uns, dass dort niemand ein Interesse an russischer Punkmusik hat. Ich kann das einfach nicht glauben. Die Menschen, die ein Interesse an unserer Musik haben, stehen eigentlich auch mit uns in direkten Kontakt. Aber jeder, der Interesse an unserer Musik hat, soll sich bitte bei uns melden. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Bands und Partnern.

Russian Punk vs. The World. In vielen Ländern wird russische Punkmusik immer noch als extrem exotisch eingestuft. Wie ist deine Sicht als Labelbetreiber?
Ich denke, dass russischer Punk gar nichts Exotisches an sich hat, denn schätzungsweise 99 Prozent aller Bands sind vom amerikanischen oder britischen Punk beeinflusst. Vielleicht liegt es nur daran, dass der größte Teil der Bands russisch singt und es ist in den anderen Ländern einfach nicht populär ist, eine fremde Sprache zu hören. Ich denke, Russen sind keine Untermenschen, also können sie jede Art von Musik spielen, genauso wie jeder andere Mensch einer anderen Nation auch. Russischer Punk ist keine Modeerscheinung, und nur weil die Menschen hier ärmer sind, ist es für sie umso härter, in Europa oder Amerika bekannt zu werden, als für eine Band aus diesen Ländern. Die russische Punk-History ist noch nicht so alt, aber wenn du den Willen und das Talent hast, kannst du hier sehr schnell „Kult“ oder populär werden. Man muss immer bedenken, dass hier über 150 Millionen Menschen leben und man sehr schnell 10.000 bis 100.000 CDs verkaufen und zehn bis zwanzig Auftritte pro Monat absolvieren kann. Man braucht also nicht unbedingt richtig arbeiten zu gehen, um gut zu leben. Ich denke, in ein paar Jahren wird die russische Szene in die europäische integriert und ist dann nicht mehr „exotisch“. Russischer Punk kann der Welt nur russischen Punk bieten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger! Einige Punkbands touren ja schon durch Europa. Man sollte sie sich anhören und dann entscheiden, ob man sie wegen ihrer Musik mag oder nicht, aber nicht anstarren wie wilde Tiere aus einem Zoo.

Was kannst du uns über die aktuelle soziale- und politische Lage in deinem Land berichten?
Die politische Lage ist zurzeit relativ stabil. Die ehemaligen Kommunisten sind alle fette Kapitalisten geworden. Sie haben alle Schätze der UdSSR gestohlen, unter sich aufgeteilt und sitzen immer noch fest an der Macht. Sie haben aus den Fehlern früherer Machthaber gelernt. Sie werden 2008 ihren neuen Präsidenten einsetzen und dann ist alles wieder okay ... Ich kann nur hoffen, dass sie irgendwann mal damit aufhören, so einen Müll wie „der spezielle russische Weg“ oder „die schicksalhafte, große historische Bedeutung Russlands bei der Rettung des Universums“ vergessen und Russland zu einem relativ normalen Land wie Deutschland, Frankreich oder England machen. Jetzt kannst du sagen, dass es doch toll und cool wäre, einen „speziellen Weg“ einzuschlagen, aber diese verrückten Typen finden immer einen sicheren Weg, andere Menschen dabei zu unterdrücken. Das hat nichts Großes oder Stolzes an sich. Im sozialen Bereich ist der größte Teil der Bevölkerung wirklich arm und absolut passiv eingestellt. Sie warten immer noch aus der Erinnerung an die alte UdSSR heraus darauf, dass der Staat sich endlich um sie alle kümmert, leben von einer mickerigen Pension, und eigentlich wollen sie auch nicht selbstständig werden. Ich habe nie für jemanden anders außer für mich selber gearbeitet. Ich habe meine Ideen und den Willen, sie umzusetzen. Ich denke, wenn man etwas wirklich will, dann bekommt man es auch! Der Staat hier unterstützt seine Bürger in keinster Weise, stört ihn aber auch nicht besonders bei seinen Aktivitäten, und die Qualität zwischen dem Stadt- und Landleben ist unglaublich. Natürlich wollen die Polizei und so manche Staatsdiener, wie eigentlich überall, dir das Leben schwer machen, aber wenn man das Ganze als großes Spiel sieht, ist es eine ewige Herausforderung.

Was denkst du über die Pläne der EU, sich weiter ostwärts zu orientieren?
Ich denke, dass es prinzipiell gut ist, aber in den nächsten Jahren nicht realisierbar sein wird. Persönlich bin ich mehr als glücklich darüber. Dabei denke ich nicht an den ganzen Scheiß wie Preissteigerung, Währungen oder Lebensstandard. Es ist wie das Erwachen aus einer jahrzehntelangen Lethargie. Endlich habe ich ein bisschen Geld in der Tasche und kann reisen, wohin ich will, ohne dass mich gegenüber der Polizei oder irgendeinem korrupten Beamten rechtfertigen muss. Ohne dass ich irgendwelche sinnlosen Papiere zusammenbekommen muss. Ohne dass mich jeder für einen Kriminellen hält. Aber ich denke, dass Russland in der Vergangenheit zu viele Länder und Nationen erobert und sich einverleibt hat. Gerade unsere südlichen und weit östlich liegenden Grenzen sind absolut nicht sicher. Und ich denke auch, dass diese Länder gar kein Interesse an der EU haben, genauso wie die EU kein Interesse daran hat, dass diese Menschen dann die EU überrennen. Wenn sich Russland, das immer ein Teil von Europa war und nicht von Asien, sich wieder auf seinen ursprünglich europäischen Teil beschränken würde, dann ist ein Beitritt zur EU vielleicht möglich. Was will die EU denn mit all den Menschen aus den weit entfernten Provinzen anfangen? Ich denke, es ist in naher Zukunft unmöglich.

Kommen wir zurück zur Musik. Was kannst du uns über die russische Punk-History erzählen? Wann und wie hat alles angefangen? Bitte erzähl uns auch mehr über die Zeiten und Bedingungen während des so genannten „Kalten Krieges“!
Die ersten Punkbands in der UdSSR war A.U. – AUTOMATIC SATISFYERS – aus St. Petersburg, D.K. aus Moskau und später GrOb aus Omsk. Aber das war weniger eine Szene, sondern eher ein Haufen Enthusiasten in einzelnen Städten. Musikalisch waren sie, außer GrOb, mehr Wave als brutaler Punk. Ende der 80er tauchten mehr Bands auf, zum Beispiel PUTTI, INSTRUCTION TO SURVIVE, NOL, AUKTZYON, NAIVE, CHOODO-YOUDO, NOGU SVELO, SEKTOR GAZA. Die meisten dieser Bands waren wieder eher dem Wave oder „Rock mit schmutzigen Texten“ zuzuordnen. Ich denke, richtige, harte Punkbands entstanden erst in den frühen 90ern. PURGEN, DISTEMPER, VIBRATOR, BEER-O-CEPHALS, MARRAUDERY, TARAKANY, LATER - F.P.G., ORGASM NOSTRADAMUSA, MAUSOLEUM. Der größte Teil dieser Bands spielten stark EXPLOITED-beeinflussten Hardcore-Punk. Eine Band, die die Menschen hier über alles lieben und bedingungslos verehren! Danach wurden die ersten RAMONES-beeinflussten Gruppen gegründet, einige Punks begannen, für sich Ska zu entdecken und Psychobilly hielt Einzug. Ab Mitte der 90er gründeten sich immer mehr nichts sagende Pop-Punk-Bands und die Szene begann sich zu spalten. Im Großen und Ganzen ist die russische Punk-History wenig glorreich, es ist die Geschichte einiger, einzelner, großartiger Bands. Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs gab es einfach keine Punks mit gefärbten Haaren auf den Straßen. Nur vereinzelt in den Zentren saßen ein paar Kinder zu Hause und hörten SEX PISTOLS-Platten. Der Großteil der Subkultur waren Metals oder jedenfalls dachten sie, es zu sein. Meistens kauften sich ein paar Freunde zusammen eine Platte und kopierten die dann für alle und verkauften oder tauschten die Kopien danach weiter. Eine Schallplatte kostete damals soviel, wie ein Fabrikarbeiter im Monat verdiente. Es war der Tanz auf dem Vulkan, denn wenn sie dich erwischten, sperrten sie dich ein und konfiszierten deine Sammlung. Der KGB kam meistens unangekündigt und immer nachts. Schlägereien waren an der Tagesordnung, alle zeigten mit dem Finger auf uns und die glorreichen Afghanistan-Helden raubten uns aus. Wirklich düstere Zeiten, ich will sie echt nicht zurück. Es war wie ein Experiment. Du hast dir selber beigebracht, in dieser brutalen Welt zu überleben, und nutztest deinen Hass als treibende Kraft.

Was hältst du von den alten russischen Punkbands wie YANKA oder GrOb? Diese beiden Bands, verkörpern für mich so etwas wie die „Seele“ des russischen Punks.
Erstmalig hab ich Igor Letov von GrOb circa 1989/90 bei einem Akustikkonzert in Irkutsk gesehen. Zu dieser Zeit war ich vollkommen auf Metal und dachte: „Was für ein dreckiger Hippie weint denn da?“. 1990 war ich beinahe mal bei einem YANKA-Konzert in der Lenin-Halle, aber nicht um mir die Band anzusehen, sondern weil wir in unserer kindlichen Naivität hofften, dort ein paar Feinde zu treffen, aber niemand tauchte auf. Pech! Wir waren aber so aggressiv, dass der Veranstalter die Polizei rief, und da zogen wir es dann doch vor, in der Dunkelheit zu verschwinden. Dann, 1995, spielte Letov wieder ein Konzert in Irkutsk vor mehr als 1.500 Menschen. Manche kamen sogar extra mit dem Flugzeug aus entfernteren sibirischen Städten angereist. Der Organisator war schockiert, so viele betrunkene, bekiffte und mit Klebstoff angetörnte Menschen zu sehen. Zuerst gingen nur ein paar Stühle zu Bruch. Der Typ hat sich wohl gedacht: „Ach, da spielt nur einer ein paar nette Liedchen auf seiner Gitarre, da kann nichts passieren, dafür brauche ich keine extra Security!“ Hunderte von Personen tanzten auf der Bühne, saßen oder lagen um Letov herum, der ganz normal seine Songs weiterspielte, und der Rest zerstörte in aller Ruhe die Halle. Als sie sich dann endlich bewusst wurden, was da abging, fragten sie mich, ob unsere „Gang“, natürlich nur gegen Bezahlung, für Ordnung sorgen könnte. Wir verprügelten ein paar, aber was willst du mit 40 Leuten gegen diese Menschenmenge ausrichten? Die waren einfach alle voll drauf und merkten die Tritte und Schläge gar nicht. Außerdem konnten wir ja nicht alle totschlagen. Die Hallenbesitzer haben dann die Polizei gerufen, aber als die ankam, wussten sie auch nicht richtig, was sie eigentlich machen sollten. Sie stoppten das Konzert, nahmen einige mit und als das Konzert wieder anfing, begann das ganze Chaos von neuem. Das Einzige, an das ich mich noch erinnern kann, ist, dass wir so viel Geld bekamen, dass wir drei bis vier Tage durchsaufen konnten. Irgendwann war ich auch mal in Moskau auf einem GrOb-Gig und diesen Sommer sind sie Headliner auf dem größten Rockfestival, das im ehemaligen Olympiastadion stattfindet. Wirklich jeder hier kennt Letov und YANKA. Glaube niemanden, der sagt, er würde seit seiner frühsten Kindheit nur amerikanischen Punk hören! Vor zehn Jahren liefen sie alle noch mit GrOb-T-Shirts herum und grölten seine Songs. Gib ihnen nur genug Alkohol und sie fangen damit wieder ganz automatisch an. In den frühen 90ern nahm er dann radikale, teilweise auch national-politische Positionen ein. Mit Eduard Limonoff gründete er zum Beispiel die Nationale Bolschewistische Partei, die ziemlich wirre Ideen verbreiten. Das ist auch der Grund, warum viele Letov als einen „braunen Kommunisten“ bezeichnen. Ich mag seine Ideen und Musik auch nicht, aber ich denke, er ist kein Arschloch. Er ist einfach nicht mit anderen Leuten vergleichbar! Er denkt einfach in anderen Kategorien. Schwer beschreibbare und abgrenzbare Sachen wie „Schicksal“, Mystik, Magie sind ihm wesentlich näher als irgendwelche konkreten politischen Richtungen oder sozialen Gedanken. Ich glaube nicht, dass Letov wirklich politisch motiviert ist und seine neuen Veröffentlichungen sind sicher nicht mehr für Punks und Skins gedacht, sondern eher für Menschen, die nicht an die Pop-Kultur glauben und eher semi-revolutionäre Ideen vertreten. Yanka mochte ich noch nie, ich denke sie war einfach nur ein depressives Hippiemädchen ohne Wut im Bauch. Ich bin nicht einverstanden damit, dass ihre Art von Musik die russische Seele charakterisiert oder repräsentiert. Sie war ein hysterisches, labiles und versoffenes Weib und starb auf absolut dumme Weise. Sie interessiert mich absolut nicht. Wenn du Letov und Yanka vergleichen möchtest, sie lebten ja zusammen und nahmen ein paar Platten gemeinsam auf, dann ist Letov ein Gigant und Yanka eine Null.

Was ist mit der neuen, aktuellen russischen Punkszene?
Nun, wenn du mit „neuer Szene“ dieses Pack von Bands meinst, die von 2000 bis 2005 aufgetaucht sind, dann gibt es da nichts Besonderes zu berichten. Das ist dieselbe Geschichte wie in Europa und den USA. 90 Prozent spielen gesichtslosen Melody-Punk oder Ska. Sie machen ein bisschen Musik, nehmen eine Platte auf und so weiter. Wenn du nach meiner persönlichen Meinung dazu fragst: Ich finde, dass sie nicht radikal und krank genug sind. Sie haben einfach nichts zu sagen, außer einigen langweiligen Ideen, die sie von „Rock Against Bush“ oder der Vans Warped-Tour gestohlen haben. Sie reißen einfach nicht radikal alle Brücken hinter sich ab, sie halten sich immer noch ein Hintertürchen offen, um in ein „normales“, langweiliges Leben zurückzukehren. Sie sind einfach keine richtigen Psychopathen – und das ist gar nicht gut! Sie gehen nicht wirklich mit der Gesellschaft auf Konfrontationskurs, sie sind nicht im Kulturkrieg und Straßenkampf. Sie kündigen eine Menge in ihren Fanzines an, aber machen dann nicht wirklich was. Sie sind reine Maulhelden. Feiglinge, die einfach nicht selbstzerstörerisch genug sind. Natürlich gibt es dann da noch diesen entscheidenden, kleinen Prozentsatz von Bands wie zum Beispiel DISTRESS, CONTRABAND, SHOOTKIE, URBAN CHAOS, PARTY OF ANARCHY usw. Denen sollte man sein ganzes Interesse schenken. Ich glaube, an der „Neuen Szene“ ist nichts mehr speziell russisch, sie ist wie überall durchsetzt mit amerikanischer und englischer Musik und Ideen.

Sind Punks in Russland politisch motiviert?
Ich denke, der größte Teil der Jugendlichen ist damit beschäftigt, sich selber zu zerstören. Der andere Teil ist schlicht gesagt faul, nur an der Mode und jeglicher Art von Drogen interessiert. Die Minderheit, die ihre politischen Ansichten bekannt gibt, besteht aus Kopien. Sie entwickeln keine eigenen Ideen und plappern nur das nach, was sie in westlichen Zines und Zeitungen zu lesen bekommen. Die kann ich einfach nicht ernst nehmen. Für mich gilt: Hast du eine politische Idee oder Absicht, dann musst du auch bereit sein, dafür zu sterben oder ins Gefängnis zu gehen. Einfach bereit sein, diesen Weg bis zum bitteren Ende zu gehen. Für die Jungendlichen ist es wie ein Spiel. Ich denke, der Staat hat das auch verstanden und seine Diener sind nicht mehr besorgt darüber, dass die heutigen Punks ihnen gefährlich werden könnten. Es gibt zwar einige radikal-politische Vereinigungen und Terroristen, aber die haben nichts mit den Punks zu tun. Die ganzen kleinere Aktionen, bunte Flyer zu verteilen, Demonstrationen oder Ansprachen von der Bühne sind für diesen Staat, der sich nebenbei gesagt, wieder in eine Diktatur verwandelt, in keiner Weise eine Bedrohung. Dieser Staat spuckt auf die Punks und ihre selbstgefälligen, so genannten politischen Aktivitäten.

Gibt es eine Zusammenarbeit der verschieden Punk-, Skin- oder Metal-Subkulturen?
Mit jedem Jahr, das vergeht, entfernen sie sich immer weiter voneinander und werden immer unterschiedlicher. Speziell in Moskau und St. Petersburg schreitet diese Trennung rasend schnell voran. Früher gingen alle Subkulturen zu einem Konzert, aber das ist heutzutage nur noch in der Provinz möglich, wo es dann immer ein wirklich wichtiges Ereignis ist. Eine Art von Anti-Popkultur-Allianz. Heute identifizieren sich die Leute mit einer, ihrer Subkultur und grenzen sich strikt von den anderen ab. Sie fragen sich halt, was sie als Ska-Fan auf einem dreckigen Punkkonzert sollen. Und natürlich denkt jeder von sich, dass er der Beste ist und alle anderen Arschlöcher sind. Die Skinheads, 99 Prozent sind Nazis, tauchen auf allen Gigs auf. Ich glaube, es gibt kein anderes Land wo Hardcore-Nazis unbeschwert zu Ska tanzen können.

Zum Abschluss noch die obligatorischen Reise-/Insidertipps für einen netten und aufregenden Tag in Moskau. In was für Clubs geht man aktuell und was brauche ich alles für meinen Trip in die russische Punk-Szene?
Ich würde sagen, zurzeit ist Moskau die größte Stadt der Welt. Gleichzeitig ist sie auch die reichste Stadt in Russland. Ich denke, es ist auch der beste Platz für an jeder Art subkulturell interessierte Menschen. Jedes Jahr ziehen massenweise kreative und unkonventionelle Menschen hierher. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Manche bleiben, andere ziehen dann weiter westwärts und manche sogar aufs Land zurück. Die Leute im Zentrum, im Norden und Westen sind relativ tolerant gegenüber verrückt aussehenden Leuten, jedenfalls erheblich mehr als in anderen russischen Städten. Im Süden und Osten lebt der meiste Abschaum, dort sollte man nachts nicht mit Iro und Nieten unterwegs sein. Die Polizei ist sehr brutal, aber sie lieben das Geld. Also es ist immer besser, das nötige Kleingeld dabei zu haben, wenn man zum Gespräch ins nächste Polizeirevier gebeten wird. Wenn du was Essen möchtest, hast du hier die freie Auswahl, es gibt einfach alles, von ganz billig bis exklusiv und teuer. Dementsprechend viele Clubs gibt es auch, die alle hier aufzuzählen, würde wohl den Rahmen sprengen. Es gibt jeden Tag tonnenweise Live-Konzerte. Ich bevorzuge den Tochka-Club im Stadtzentrum nahe dem Kaluzhskaya-Platz. Es ist ein Privatclub, also teuer, aber dafür hat man dort auch als Konzertveranstalter und Besucher seine Ruhe vor der Polizei, weil die Besitzer das dann auf ihre Art regeln. Dort passen mehr als 1.500 Menschen hinein. Das russische Bier kostet umgerechnet zwei Euro, ausländisches natürlich mehr. Dort kann man bei guter Musik an verschiedenen Bars entspannen, etwas Essen gehen und auch Billard spielen. Wenn du einen Schallplattenladen suchst, dann kann ich dir den bekannten Zig-Zague in der Nähe der Metrostation Arbatskaya – Linie: Arbatsko-Pokrovskaya – empfehlen. Da gibt es massenweise russische und internationale Musik für jeden Geschmack. Genauso gut sind aber auch U dyadi Bori, Rock-Arsenal, Mystique, Hobgoblin, Zhelesny March. Keines dieser Geschäfte ist nur auf Punk spezialisiert, sie verkaufen alle Arten von Underground-Musik. Wenn du Rares und exotische Platten suchst, die auch nicht zu teuer sind, dann versuche es im legendären Gorbushka an der Bagrationovskaya-Metrostation.

Was machst du eigentlich privat, wenn du dich nicht gerade mit Musik beschäftigst?
Nun, den Hauptteil meiner Freizeit verbringe ich mit schlafen! Ich habe nicht noch irgendein zusätzliches Hobby, das ist was für Menschen, die ihre Arbeit hassen. Ich verbringe die meiste Zeit mit meiner Musik und laufe den Leuten hinterher, die mir noch Geld schulden. Ich bin auch nicht gerade der „lustige“ Typ, aber ich denke es gibt schlimmere Schicksale in dieser beschissenen Welt für einen sterblichen Mann, als ein Label zu führen und dabei zu helfen, das zu verbreiten, an das man glaubt.

Was planst du für die Zukunft und wie denkst du über die Zukunft von Russland?
Es ist nicht unsere Tradition, sich wirklich ernsthaft Gedanken über die Zukunft zu machen. Natürlich hoffe ich, noch tonnenweise exzellente Musik zu veröffentlichen. Nebenbei will ich noch ein berühmter Filmemacher werden und ganz nebenbei Hollywood zerstören. Wenn ich 100 Jahre alt würde, wäre das auch nicht schlecht! Aber wenn die Götter und Dämonen andere Pläne mit mir haben ... Ich weiß es nicht. Ich könnte auch morgen sterben. Es ist nicht sehr hilfreich, über die Zukunft zu philosophieren. Natürlich stehen derzeit wieder viele neue Veröffentlichungen an wie zum Beispiel von ABORT MOZGA, eine Band aus Ulan-Ude oder die erste CD von 3, einer neuen Hardcore-Band aus Bryansk im Stile von AGNOSTIC FRONT. Ich werde auch wieder viele ausländische Alben und Bands auf Lizenzbasis hier in Russland wiederveröffentlichen. Wir arbeiten auch fieberhaft daran, dass diesen Sommer endlich der fünfte Teil der „Russian Punk Cannonade“ auf DVD erscheint. Dafür haben wir uns wieder einige Besonderheiten ausgedacht, es wird nicht nur Musikclips geben, sondern auch eine Rahmenhandlung mit geisteskranken Moderatoren, die eine Menge derber Scherze nebenher treiben werden. Natürlich sind auch noch einige Konzerte in Moskau geplant. Wenn alles klappt, bekomme ich auch endlich meinen Reisepass zurück, und dann werde ich bei euch mal vorbeischauen! Für unser Land wünsche ich mir, dass es nicht zu einem größeren Krieg kommt und die kriminelle Aktivitäten mancher Geschäftsleute uns nicht zu sehr bei der Arbeit behindern.


Mein Lebensweg
Bis zu meinem 14. Lebensjahr war ich ein einfacher, zwar schon leicht destruktiver und geisteskranker Schuljunge. Zu dieser Zeit lebte ich in Irkutsk, einer Millionenstadt im tiefsten Sibirien nahe des Baikalsees. Dann las ich 1986 in der Vostochno-Sibirskaya Prawda, der regionalen Parteizeitung, einen Artikel, wie schrecklich und grauenhaft Heavy Metal und seine Anhänger seien. Die kommunistische Propaganda war leider erfolglos und ich beschloss, dass es für mich essentiell sei, genau das zu werden, was in den Augen der Kommunisten das Schrecklichste ist!
Die ersten Bands, die ich hörte, waren MANOWAR, IRON MAIDEN und SAXON. Aber schon ein paar Monate später bemerkte ich, dass ihre Musik und Texte nicht radikal genug für mich waren, also wandte ich mich den härteren Bands zu. Ich wurde süchtig nach Black & Thrash Metal-Bands wie SODOM, CELTIC FROST, VENOM oder BATHORY. Ich entschied, dass das genau das ist, was ich brauche: Hass, Blasphemie, Wahnsinn und die totale Opposition gegen die gesamte Welt. Diese Bands liebe ich heute immer noch! Zur gleichen Zeit hörte ich mit meinen Freunden auch solche Musik wie S.O.D., AGNOSTIC FRONT, D.R.I., E.N.T. oder NAPALM DEATH. Wir glaubten wirklich, das sei alles „richtiger“ Heavy Metal, denn die Punks hörten SIOUXSIE, CLASH oder DAMNED. Wir nannten das „Fucking Wave“, diese Musik war einfach nicht aggressiv und verrückt genug für uns. Wir spuckten auf ihre Musik und sie hielten uns ebenfalls für hirnlose Idioten. Brainless thrashing for brainless metals!
Unser Aussehen und Auftreten war sehr aggressiv. Patronengürtel, Stachel, schwere Stiefel und die obligatorische Lederjacke mit Aufnähern und Ansteckern. Alles selbstgemacht. Heute würde man das wahrscheinlich „handmade“ oder „D.I.Y.“ nennen. Wir prügelten uns ständig – in den Straßen, in den Kneipen. Es herrschte fast Krieg und wir benutzten Messer, Rasierklingen, Schlagringe, Zaunlatten oder schwere Eisenrohre. Einfach überall, zu jeder Zeit und mit jedem hatten wir Ärger. Als ich Barneys Nasenring auf der NAPALM DEATH-Mini-LP „Mass Appeal Madness“ sah, musste ich einfach auch so Piercing haben. Von da an hatte ich eigentlich Ruhe, denn jetzt hatte ich einen Freifahrtschein. Ich war so eine Art „Heiliger“, „Dorftrottel“ oder „Madman“, such dir was aus. Zu dieser Zeit war es einfach für alle unverständlich, ihre kleinen Hirne konnten das nicht mehr verarbeiten, dass sich jemand freiwillig einen Nasenring machen ließ. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, heute ist so was normal und ich brauche solche Sachen auch nicht mehr. Damals war es mein Ausdruck des absoluten Widerstandes. So konnte ich ihnen zeigen, wie sehr ich sie hasste und verachtete. Es war ein ständiger Kampf in den Straßen mit immer denselben Leuten.
Irgendwann respektierte man sich dann gegenseitig, weil jeder sein eigenes Ding konsequent bis zum Tod und auf Kosten seiner Gesundheit durchziehen würde. Also hörte man auf sich zu prügeln und trank lieber zusammen. Das funktionierte in deiner Heimatstadt hervorragend, aber wenn du dann in eine andere Stadt kamst, fing der ganze Ärger mit diesem menschlichen Abschaum wieder von vorne an. Viele meiner besten Freunde wurden ermordet, nur weil sie nicht wie alle aussahen oder andere Ansichten hatten. Die Punks zu dieser Zeit waren einfach nur dreckig und nicht aggressiv. Wir waren Säufer, sie waren nichts, nur Drogensüchtige. Wir respektierten uns gegenseitig nicht und jede Seite dachte von der anderen dasselbe: Nur Idioten!
Später, so 1990 bis ’92 hörten wir viel Death Metal und Grindcore. CARCASS, DEICIDE, GORILLA BISCUITS, AGNOSTIC FRONT etc. In dieser Zeit kam ich auch das erste Mal mit Deutschpunkbands wie DAILY TERROR, DÖDELHAIE, ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN in Berührung und ich liebte diese Musik sofort, denn es war „pure alcoholic music“ Darüber lernte ich dann auch Oi! und Psychobilly kennen. Wir entwickelten uns ständig weiter und suchten nach neuer Musik und Ideen für unser Leben. Dabei reisten wir ständig umher und gingen auf Konzerte. Natürlich tranken wir dabei immer bis zum Exzess. Zu dieser Zeit hörten die älteren Punks in Irkutsk weiterhin nur ihre armen SEX PISTOLS, rauchten russisches Gras, das hier überall wie Unkraut wuchert, oder schnüffelten Klebstoff.
Wie in allen Ländern kam dann der Bruch mit dem Hype um NIRVANA und Massen von dummen Teenagern nannten sich auf einmal Punks. Zuerst sahen sie einfach nur lächerlich und kindisch aus. Später aber verwandelte sich der Teil von ihnen, der genug Gehirn hatte, in wirkliche anti-soziale Menschen. Heute organisieren sie Konzerte oder spielen in den angesagten Bands. Die alten Punks, denke ich, hören immer noch SEX PISTOLS, wenn sie nicht schon längst verfault sind. Die nächsten Jahre bis 1995 waren wirklich hart geprägt von Alkoholismus, Verbrechen und einer daraus resultierenden schlechten Gesundheit. Eine Menge Freunde von mir sind verreckt und ich selber verbrachte einen Teil meiner Freizeit im Knast.
Die moderne Metal-Musik hat sich meiner Ansicht nach in sinnlosen Mist verwandelt. Gothic Metal und das ganze andere depressive Rumgeheule von MY DYING BRIDE etc. kann ich mir echt nicht anhören. In Interviews behaupten diese Musiker dann, dass sie sich endlich selbst verwirklichen konnten und weiterentwickelten. Ja, sie entwickelten sich weiter, nämlich in ungefährliche Hobbymusiker und nette Menschen, die täglich brav zur Arbeit gehen! Die ursprünglichen Ideen und Ideale von „konstanter Betrunkenheit“, ständiger Bereitschaft zu sterben und antisoziale Kriminalität sind komplett ausgeblendet worden. Mit meinen Vorstellungen, mit langen Haaren und dem extremen Metal-Outfit hat das überhaupt nichts mehr zu tun. Ich wollte damit absolut nichts mehr zu tun haben.
Ich sammelte meine ganze innere Kraft, spuckte auf Irkutsk und zog nach Moskau um, wo ich bis heute lebe. Um ’96/97 gründeten wir Hobgoblin Records, um die noch wirklich harten und aggressiven russischen Bands, wie PURGEN, THE PAUKI, MAUSOLEUM oder MARRADEURY herauszubringen. Natürlich bekamen wir auch wieder tonnenweise Demos von dummen Metalbands, aber ich persönlich zog jetzt diesen Punkbands vor, die noch den ursprünglichen, revolutionären Geist verbreiteten. Metals sind heute doch nur nette Gebrauchsmenschen, die Schallplatten sammeln und sich darauf auch noch was einbilden. Zu dieser Zeit hörte ich auch erstmalig Sachen wie DISCHARGE oder DRILLER KILLER. Diese Musik beeindruckte mich wirklich sehr und ich konnte diese ganzen Keyboard-Metals endlich vergessen.
1998 trennten ich mich dann von meinem Partner und gründete Neuroempire Records. Es war am Anfang nicht als ein reines Punklabel geplant, dass entwickelte sich einfach so. Ich veröffentliche ja auch noch ab und zu einige wenige Metalbands, aber es gibt einfach keine guten Bands, die meinen Ansprüchen gerecht werden. Also muss ich Punk-, Ska-, Hardcore- und Oi!-Bands produzieren. Das ist einfach mein Schicksal. Deshalb meinen auch die meisten Leute, die mich nicht persönlich oder von früher kennen, dass der Kopf eines Punklabels auch ein Punk sein muss. Vielleicht kommt es auch daher, dass ich teilweise meine Harre so rasiert habe, dass es wie ein Iro aussieht, der nicht aufgestellt ist. Das ist aber falsch, ich habe schon immer meine langen Haare abgeschnitten und bearbeitet. Nun ja, die Frisuren passierten meistens eher zufällig. So ist das eben, wenn deine zitterige Hand nicht so will wie du oder das Rasiermesser rostig ist. Jetzt könnte man denken, dass ich nur ein habgieriger Geschäftsmann bin, das stimmt aber nicht, ich bin der Mann, der die ganze Arbeit hat, die Musik veröffentlicht und den kompletten Vertrieb organisiert. Alleine würden manche Bands es überhaupt nicht hinbekommen.
Ich mag es überhaupt nicht, in irgendeine Schublade gesteckt zu werden. Ich kann von mir nur sagen, dass ich in meinen tiefsten Herzen ein antisozialer, geisteskranker und manchmal krimineller Mensch bin, aber ein Materialist bin ich garantiert nicht. Ich unterstütze eine Menge Bands bei ihren Aktivitäten, aber ich kann mich nicht ernsthaft mit solchen Nebensächlichkeiten wie: „Es ist schlecht Coca-Cola zu trinken!“ oder „Wer bei McDonalds essen geht, ist verdammt!“ aufhalten. Alle diese Probleme interessieren mich einfach nicht, damit sollen sich die kleinkarierten Teilzeitrevolutionäre rumschlagen. Ich habe auch keine Lust mein Gehirn mit angeblich „wichtigen“ gesellschaftlichen Problemen voll zu stopfen. Natürlich versuchen sich diese Jugendlichen auch über solche Sachen, wie ihre Kleidung und Aussehen, von der Gesellschaft abzugrenzen. Das muss so sein. Es muss nur alles zusammenpassen, ehrlich sein und darf nicht zu einer Freizeitbeschäftigung verkümmern. Wenn das alles nicht übereinstimmt, dann sollten sie zum Fernsehen gehen und das Wetter ankündigen! Mir geht es darum, einzelne Kunstwerke zu erschaffen. Spezielle Aussagen und Einstellungen zu transportieren ist mir immer wichtiger als kommerzielle Verwertbarkeit. Mir ist es einfach egal, ob das nun Punk ist oder nicht. Ich brauche dafür keine Bezeichnung, Namen oder Etikett.