Tom Castro Molina Crowe und Lars Derrenger Gyllenhaal – die beiden Musiker aus Berlin und Essen mit den wohlklingenden Namen kennen sich bereits seit den Neunziger Jahren und beäugten sich lange gegenseitig aus der Distanz. Beide immer mit dem Gedanken im Kopf: „Mit dem würde ich gerne mal was machen.“ 2010 setzten sie sich dann selbst eine Deadline von sechs Monaten, um endlich gemeinsam an Songs zu arbeiten. Seitdem kommen NERD SCHOOL ziemlich gut zu zweit klar, haben ihren Rock fest im Griff und veröffentlichten nach dem Debütalbum „Ready – Set – Go!“ von 2012 nun den Nachfolger „Blue Sky For White Lies“.
Eure Zusammenarbeit fand schon immer unter erschwerten Bedingungen statt, denn der eine von euch lebte in Berlin und der andere in Essen.
Tom: Ja, und die Deadline für das neue Album hatte den Druck noch deutlich erhöht und uns den notwendigen Tritt in den eigenen Arsch verpasst. Es gab nicht viele Freunde, die Bass spielen, charakterlich zu uns passen, dieselbe Musik mögen und dann noch bereit sind, alle zwei Wochen einen Ritt von Berlin nach Essen oder umgekehrt hinzulegen. Ich habe mir Gedanken gemacht, ob man das Problem auch technisch lösen kann. Aber nachdem wir das erste Mal geprobt hatten, dachten wir beide nur: Fett, das könnte auch so funktionieren! Nach dem ersten Konzert, auf der Ladefläche eines Transporters bei der Fête de la Musique in Berlin, haben wir uns angeguckt und uns gefragt: Wie konnten wir so lange damit warten?
Euer Sound ist trotz der begrenzten Anzahl an Musikern alles andere als flach. Seid ihr technikbegeistert und habt monstermäßig bestückte Amp-Bretter?
Tom: Ja, aber nur als Mittel zum Zweck. Es soll sich maximal so anhören, wie es gedacht ist. Alles andere ist unwichtig.
Was soll man mit dem Albumtitel „Blue Sky For White Lies“ assoziieren?
Tom: „Blue Sky For White Lies“ ist im übertragenen Sinne als „Schönwetter machen im Angesicht von Notlügen“ zu verstehen und bezieht sich auf die Perversion von „Fake News“ und „Alternative Facts“. Solche Begriffe waren vor ein paar Jahren undenkbar, werden aber leider immer mehr Teil unseres medialen Alltags. Das Thema der Platte lehnt sich daran an. Es geht um Hintergründe, um den schönen Schein und ein ernüchterndes oder erschreckendes Sein. Vieles davon ist uns nicht bewusst. Wirklich erschreckend ist, wenn wir Fakten und Konsequenzen klar kennen und trotzdem nicht „das Richtige“ tun, als Masse oder als Einzelner. Es ist uns egal, dass wir vergiftet, verkauft und verarscht werden, solange wir WiFi und Handyempfang haben. Das ist unglaublich.
Lars: Das Aufkommen und die Etablierung rechter Parolen durch erzkonservative Hetzer und Mitläufer, die unter dem Deckmantel konservativer Normen und Werte mit offensiver Deutschtümelei nach Anhängern fischen, machen es notwendig, die Stimme zu erheben und ein Gegengewicht zu bilden. Weniger mit einem plakativem „Fuck the system“, eher mit sarkastischen und zynischen Texten, die das eigene Denken, Haltungen und Empfindlichkeiten in Frage stellen.
Schreibt ihr die Texte zusammen?
Tom: Zum Teil. Manchmal, wenn ich mit einem Text nicht weiterkomme, hole ich mir Feedback von Lars. Ich brauche den Druck eines anstehenden Aufnahmetermins, um effizient schreiben zu können.
Was muss ein Song haben, damit er zu NERD SCHOOL passt?
Tom: Er muss uns einfach aus der Seele quellen. Ich habe mich immer schwergetan, Songs zu spielen, bei deren Textentstehung ich nicht beteiligt war, weil es dabei um Authentizität geht. Es muss uns Spaß machen, das Stück live zu spielen. Wonach das dann klingt oder wie das instrumentiert ist, ist erst mal zweitrangig. Das geht dann über das Musikalische hinaus und lässt sich zu zweit sicher schneller gleichschalten.
Lars: Technische Finessen und kompliziertes Songwriting ist – bei aller Wertschätzung und Faszination für spielerische Fähigkeiten anderer – eher was für Prog-Rocker, Jazzer oder Musikstudenten. Da wir generell mit vier Händen und Füßen plus zwei Mal Gesang schon eingeschränkt sind, versuchen wir aus der Limitierung das Maximum herauszuholen. Dabei passiert vieles intuitiv und aus dem Bauch heraus. Ein guter Maßstab dafür, ob ein Song funktioniert, ist, wenn ein Fuß im Takt wippt oder jemand als Kopfnicker-Luftgitarrist-Breitbein-Tänzer verschwitzt vor der Bühne steht.
Das Video zum Song „Cave“ wurde in der Wüste von Kalifornien gedreht. Das ist nicht unbedingt üblich für eine Band wie eure, wie kam es dazu?
Tom: Ja, darüber sind wir auch sehr glücklich, weil sich eigentlich alles über Freunde von Freunden entwickelt hat. Nach und nach haben sich immer mehr Leute mit dem Projekt identifiziert und für ultra wenig Geld mitgemacht. Das liegt auch daran, dass wir keine komplett vorgefertigte Idee zum Video hatten. Es gab nur die Intention des Songs, so konnten sich mehr Leute mit ihrer Kreativität einklinken und es ein Stück weit zu ihrem Projekt machen. Der Regisseur Tomasz Thomson wohnt dort in der Gegend, unweit des Rancho de la Luna-Studios in Joshua Tree, und ich hatte dort in der Nähe vor einiger Zeit die Fotos für unser Cover geschossen. Es lag nahe, das erste Video dann auch in diesem Umfeld zu realisieren. Er hat es geschafft, namenhafte Schauspieler wie Morten Holst für das Video zu begeistern und diesen für fast kein Geld von Hollywood aus 300 km in die Wüste zu karren, um sich mit ihm die Nacht um die Ohren zu schlagen. Das Ergebnis ist eher ein richtiger Kurzfilm als ein Musikvideo und mehr, als wir uns erhofft hätten.
Lars: Das Video nimmt in seiner Ästhetik genau die Stimmung und Aussage des Songs auf. Außerdem findet sich in dieser Wüstenstimmung wunderbar das Albumcover wieder und es reflektiert unsere Gedanken zur Albumgestaltung, inhaltlichen Aussagen und künstlerischem Ausdruck der Platte.
Woher kommt eure Liebe zur Musik?
Tom: Zu einem meiner ersten Konzerte hat mich mein Vater bei THE WHO damals im Rockpalast mitgenommen. Ich stand nah vor Pete Townshend und er ließ seinen Arm windmühlenartig auf seine Les Paul dreschen. In dem Moment habe ich gedacht: Wie geil ist das denn? Das will ich auch! Und habe mich sofort in der Gitarren-AG angemeldet.
Lars: Ich musste als Knirps die harte Schule der Blockflöte durchlaufen. Obwohl ich schon als Kind mit Kochlöffeln auf Töpfen, Kartons und Sesseln rumgehauen habe und meinen Eltern unmissverständliche Hinweise auf mein Lieblingsinstrument gegeben hatte. Musik spielte in meiner Familie schon immer eine große Rolle, da meine Oma als Klavierlehrerin unterrichtet hat und meine Eltern leidenschaftliche Musikkonsumenten sind. Als ich zwölf Jahre alt war, hatten meine Eltern endlich ein Einsehen, sie waren wohl das Betteln leid und ich durfte an der Folkwang-Musikschule in Essen Schlagzeugunterricht nehmen. Mit 16 fing ich dann an, in diversen Schülerbands zu spielen. Meistens hatte ich mehrere Gruppen gleichzeitig am Start, weil ich es einfach geliebt habe, mit einer Band auf der Bühne zu stehen. Daran hat sich auch bis heute nichts geändert! Ich war als Zuschauer schon immer von der Energie bei Konzerten fasziniert, von der physischen Leistung und den musikalischen Fähigkeiten. Egal, ob bei einem Punk-Hardcore-Festival in der Zeche Carl oder bei einer klassischen Dvořák-Aufführung in der Philharmonie. Aktuell arbeite ich als Sozialpädagoge an einer Berliner Schule und leite dort mit viel Spaß die Band-AG.
Die Motivation, Musik zu machen, ist sicher für jeden Künstler eine andere. Manche wollen sich mitteilen, einige Party machen und wieder andere wollen die Welt verändern und den Rockolymp stürmen. Was ist euer Antrieb?
Lars: Es ist mir immer ein Fest, wenn wir andere mit unseren eigenen Songs auf den NERD SCHOOL-Roadtrip mitnehmen können – live und mit dem Album. Für mich ist es bei Konzerten immer ein Ansporn – egal, wie viele Besucher da sind –, das Maximum an Energie und Spielfreude abzurufen. Wenn sich Stimmung und Energie übertragen und manche durch die Texte zum Nachdenken angeregt werden, dann ist für mich schon sehr viel erreicht und die eigene kleine Welt sogar ein wenig verändert. Den Rockolymp stürmen ...? Lassen wir die Kirche im Dorf, aber größere Festivals, Club-Shows oder interessante Vorgruppen-Jobs nehmen wir gerne mit.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #138 Juni/Juli 2018 und Nadine Schmidt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #137 April/Mai 2018 und Nadine Schmidt