Für den einen mag D.I.Y. bedeuten, dass er sich sein Butterbrot mal selber schmiert, für viele steht es für die Veröffentlichung von Platten, Zines oder Klamotten aus eigenem Antrieb ohne irgendeine Firma im Rücken. D.I.Y. kann aber noch mehr. Irgendwo im tiefsten Lettland hat sich eine Hand voll Leute ihr eigenes, autonomes Zentrum selbst aufgebaut. Und zwar mit allem. Und wenn ich hier "mit allem" schreibe, dann meine ich das auch so. Alles inklusive selbst gebauten Bassdrumpedalen und einer gemütlichen Konzertatmosphäre, die von Bands aus ganz Europa schon fast als legendär bezeichnet wird.
Als Erstes würde ich euch bitten, euch mal kurz vorzustellen.
Edgars: Mein Name ist Edgars, ich bin 26 und freiberuflicher Übersetzer.
Edzh: Ich bin Edzh, 35 und arbeite unter der Woche als Telekommunikationstechniker ... Wir sind zwei Typen, die ein Kulturzentrum namens Zabadaks in der kleinen Stadt Kuldiga im Westen Lettlands betreiben. Wir leben in diesem Zentrum und widmen unsere Zeit der Organisation von Konzerten, Schreibprojekten und vielen anderen Sachen.
Ich bin ein wenig verwirrt wegen der zwei Namen eures Kulturzentrums. Auf der einen Seite gibt es den Namen Nekac,
andererseits taucht der Begriff Zabadaks immer auf. Könnt ihr kurz erklären, worin der Unterschied besteht und woher die beiden Namen kommen?
Edzh: Es ist tatsächlich sehr einfach. Nekac ist auf Lettisch die Abkürzung für "Entwicklungszentrum für nichtkommerzielle Kultur". Das ist unsere legale Fassade - eine eingetragene NGO. Für ungefähr acht Jahre haben wir ziemlich regelmäßig Underground-Konzerte und Festivals in Kuldiga organisiert. Aber nach einer Weile, als diese Dinge größer wurden, haben wir begriffen, dass es viel einfacher sein würde, einen legalen Status zu haben und als offizielle Instanz zu handeln. Es hat sich bei der Arbeit mit offiziellen Stellen und Förderern bewährt, weil sie dich dann nicht als Gruppe verrückter Leute sehen, die irgendein Festival machen wollen, sondern als ernsthafte, wenn auch verrückte Unternehmerschaft. Wenn du ein Papier hast mit einem offiziellen Stempel drauf, wirst du ernst genommen. Egal, jedenfalls ist diese Organisationsform nur eine Fassade, um sich für Finanzmittel zu bewerben und mit offiziellen Einrichtungen zu arbeiten.
Edgars: Vielleicht erinnern sich noch welche von euch an den Hit "Zabadak" der deutschen 80er-Jahre-Gruppe SARAGOSSA BAND, da kommt das her.
Gebt doch mal einen kurzen Überblick über die Geschichte vom Zabadaks.
Edgars: Wir haben dieses Gebäude von der örtlichen Stadtverwaltung 1999 bekommen, ein Jahr nach der Gründung unserer Organisation. Es war eine baufällige Scheune aus den 20ern. Während der Sowjetzeit war es ein Betriebsgebäude eines lokalen Holzverarbeitungskomplexes. In den 90ern ist der Betrieb Bankrott gegangen und stand leer, bis wir 1999 reingekommen sind. Wir haben Elektrizität installiert und angefangen, Konzerte zu veranstalten. Während der Wochenenden haben wir dann Haufen von Industriemüll aller Art von dem Gelände entfernt. Dann, 2001, haben wir Fördermittel einer Stiftung aus den Niederlanden bekommen und mit den Renovierungsarbeiten angefangen.
Wie viele Leute sind eigentlich in die Arbeit des Nekac involviert und was machen die da?
Edzh: Von den Leuten, die die Nekac-Organisation gegründet haben und das Zabadaks mit aufgebaut haben, sind nur noch wir beide dabei. Wir machen alles, vom Holzfällen übers Konzerte organisieren bis zur Buchhaltung. Viele der alten Aktivisten sind mit ihrem eigenen Leben hier in Lettland oder anderswo beschäftigt. Menschen werden nun mal älter und die Prioritäten ändern sich.
Edgars: Ich denke, wir stecken einfach zu tief in unserer Liebe zu Underground-Musik drin, um ein konventionelles Leben zu führen. Andererseits haben wir keine andere Wahl, jemand muss das hier am Laufen halten, darum sind wir hier. Wir kriegen einige Hilfe von den alten Kumpels, die Kuldiga am Wochenende besuchen. Es gibt auch ungefähr zehn jüngere Freaks, die uns soweit helfen, wie sie können. Wir machen oft alle möglichen Arten von praktischen Arbeiten. In diesem Sommer wollen wir ein kleines Fußballfeld anlegen und ein weiteres Haus renovieren, das auf unserem Gelände steht, um einen Proberaum und ein Aufnahmestudio einzurichten. Und das bedeutet verdammt viel Arbeit.
Soweit ich weiß, habt ihr alles beim Zabadaks selbst aus den Ruinen der alten Scheune aufgebaut, sogar die Leitungen für die Kanalisation. Könnt ihr ein bisschen mehr über die Rekonstruktion des Gebäudes erzählen? Wann und warum ihr die Idee hattet, es wieder aufzubauen?
Edzh: Ja, das stimmt, wir haben es praktisch aus den Ruinen aufgebaut. Als wir es gefunden haben und die Stadtverwaltung uns erlaubt hat, unsere Aktivitäten dort zu veranstalten, haben wir sofort angefangen, das Gelände aufzuräumen und das alte Haus zu entrümpeln. Es war für alle klar, dass das alte Haus ausführliche Reparaturarbeiten benötigt und dass dafür enorme finanzielle Mittel nötig wären, die wir alle nicht hatten. Was wir aber besaßen, war der Wille und die Kraft - wir waren jung, stark und vereint damals, haha. Wir haben angefangen, Konzerte in einer recht extremen Situation zu veranstalten und mit der winzigen Summe Geld, die wir von diesen Konzerten hatten, haben wir die meisten der dringendsten Arbeiten erledigt. Aber wir konnten nichts Ernsthaftes machen - welche Art von Arbeiten willst du erledigen, wenn du von dem Geld, das bei einem Konzert reinkommt, gerade mal fünf Säcke Zement kaufen kannst? Dann haben wir begriffen, dass es keine andere Möglichkeit gibt, als einen Projektplan zu schreiben, um Fördermittel zu kriegen. Seltsamerweise hat unser Projekt die finanziellen Mittel für die Renovierung erhalten, auch wenn es nur für generelle Reparaturen und Installationen gereicht hat. Die Renovierung hat sechs Monate gedauert, wir haben das Fundament neu zementiert, die verfaulten Holzkonstruktionen gewechselt, ein neues Dach gedeckt, neue Wärmedämmungen gebaut, Wasser- und Abwasserleitungen installiert und so weiter. Wir haben fast alle Arbeiten selbst gemacht und keiner von uns hatte wirklich Erfahrungen in Bauarbeiten, sodass der Schaffensprozess manchmal wirklich interessant und innovativ war. Natürlich gab es viele Fehler, aber wenn wir demnächst das andere Haus in der Nähe renovieren, wissen wir es besser.
Da ihr alles selbst gemacht habt, denke ich mal, dass die D.I.Y.-Idee ziemlich wichtig war/ist für das ganze Projekt ...
Edzh: Es war nicht die Hauptsache, die Idee des D.I.Y. zu manifestieren. Auch wenn wir alles selber machen wollten, hatten wir auch keine wirkliche Wahl, denn das Geld hat nicht gereicht, um eine Baufirma zu beauftragen. Wir sind die Art Menschen, die denken, dass du, wenn du etwas für dich selber machst, es besser machen kannst, wenn du es selber tust. Natürlich spielt der Schaffensprozess eine wichtige Rolle. Jeder, der an der Renovierung des Zabdaks teilgenommen hat, hat viele Dinge gelernt. Als Ergebnis kannst du es D.I.Y. nennen.
Edgars: Wir machen hier unsere eigene Musik, produzieren Aufnahmen, machen das Layout der Flyer und so weiter. Es ist einfach eine interessante Art zu leben - weniger zu konsumieren und mehr zu schaffen. Aber für viele junge Leute der hippen und gestyleten "Underground"-Kultur mit all ihren Emo-Screamo-Stars ist D.I.Y. nur eine Haltung zusammen mit ihren Piercings und Skaterschuhen. Hier kann man den Unterschied sehen, den D.I.Y. macht. Meine Kindheit war in der Sowjetzeit und der Mangel an Ressourcen und Information hat die Menschen dazu veranlasst, ihre Möglichkeiten selber zu schaffen, zu erfinden und aktiv zu sein. Ich denke, es war ziemlich interessant für Edzh, als er Anfang der 90er ein handgemachtes Kick-Pedal für die Bassdrum gebaut hat, obwohl er nie gesehen hat, wie die Dinger konstruiert werden. Heutzutage töten die Möglichkeiten zu konsumieren alle Bedürfnisse für Kreativität. Es ist klar zu sehen, dass bei den jungen Typen, die zu uns kommen, um uns zu helfen, kreatives Denken und praktische Fähigkeiten praktisch nicht existieren. Häufig warten sie nur auf irgendeine Art von Anweisung und sind nicht bereit, sich selber mal umzuschauen, um zu sehen, was gemacht werden müsste.
Viele Squats und Non-Profit-Zentren haben oft Probleme mit den Behörden ihrer Stadt, wie ist denn euer Verhältnis zur Verwaltung in Kuldiga?
Edzh: Schwer zu sagen, wie es wäre, wenn das Zabadaks ein besetztes Haus wäre - wir haben jetzt einen Langzeitmietvertrag mit der Stadtverwaltung -, ich glaube nicht, dass es sich lange halten würde. Am Anfang waren wir nur ein Kollektiv von Underground-Musikern, wir wurden mit allen möglichen unbegründeten und dummen Vorwürfen der Leute hier konfrontiert. Kuldiga ist eine kleine Stadt mit 13.000 Einwohnern und da ist es logisch, dass alles Neue als zerstörerisch behandelt wird - seltsame Leute, die verrückte Musik hören und verdächtige Happenings machen -, die lokale Bourgeoisie ist alarmiert wegen der möglichen Gefahr für ihre Nester. Aber die Zeit hat ihre Arbeit getan. Wir haben heute ein sehr gutes Verhältnis mit der Stadtverwaltung, sie unterstützen uns dahingehend, dass sie nicht die Pacht für das Haus eintreiben, oder uns manchmal Geld für Festivals geben. Im armen Kulturleben dieser winzigen Stadt haben wir eine starke Position und die Stadt nimmt es auf ihr Konto.
Edgars: Ich stimme zu, dass sich ein besetztes Haus nicht lang halten würde. Tatsache ist, dass wir nie dieses "Squat the world"- oder "Destroy the capitalism"-Gefühl hatten, also gab's auch keine Probleme mit den Behörden. Es ist besser, formal ein gutes Verhältnis mit der Verwaltung zu haben und dein eigenes Leben so zu kreieren, wie du willst. Die Leute von der Stiftung waren nie hier und die Vertreter der örtlichen Behörden behandeln uns wie etwas, das nicht bösartig ist, aber was sie auch nicht wirklich verstehen.
Warum habt ihr das Nekac eigentlich in Kuldiga aufgebaut, einer recht kleinen Stadt, und nicht in einer größeren wie zum Beispiel Riga?
Edgars: Erstmal sind wir alle in Kuldiga geboren und wir mögen das Leben hier, von daher ist es recht nachvollziehbar, warum wir es hier gemacht haben. Ein weiterer Aspekt, der während der Jahre klar wurde, als wir sahen, wie andere Leute um eine ähnliche Autonomie in größeren Städten kämpften, war die Tatsache, dass es in der Provinz, in der wirtschaftlichen Peripherie, viel einfacher ist, unsere Aktivitäten durchzuziehen. Du musst nicht mit einer gierigen Stadtverwaltung kämpfen, die in dem Haus, das du gepachtet hast, ein Büro oder einen Supermarkt haben will, und wir haben die Freiheit, unsere eigene Underground-Kultur und -Musik in der Art zu machen, wie wir es mögen. Es ist auch einfacher mit dem Publikum, wir müssen uns nicht um enorme Menschenmassen kümmern, die ihren Scheiß zurücklassen. Der einzige Nachteil ist, dass Leute wegen der Jobaussichten aus Kuldiga weggehen. Und dass auch die jüngeren Leute, die unsere Gigs besucht haben und uns geholfen haben, weggehen. Es bleibt zu hoffen, dass sie zurückkommen, wenn sie mit der Uni fertig sind.
Welche Art von Bands/Künstlern treten denn normalerweise im Zabadaks auf und wo kommen die her? Ist es auch für Bands aus Deutschland möglich, im Nekac zu spielen?
Edzh: Konzerte veranstalten ist die einzige Möglichkeit, diesen Platz am Leben zu halten. Wir haben einen Eintrittspreis von circa 70 Cent bis drei Euro und das gesamte Geld wird dafür verwendet, das hier aufrechtzuerhalten. Im Zabadaks machen wir Theateraufführungen, Ausstellungen und Workshops, aber meistens kleine Konzerte mit zwei bis drei Bands. Das ist die Hauptquelle aus der sich das Haus finanziert. Wir können freitags und samstags Konzerte machen und normalerweise entscheiden wir, wer spielen kann und wer nicht. Bands fragen von sich aus nach Auftrittsgelegenheiten, und wir müssen vielen absagen, weil es nicht so viele Wochenenden im Jahr gibt, dass alle spielen könnten. Man kann eine Liste von früheren Gigs auf unserer Homepage sehen - auf die englische Flagge klicken und dann zu den Zabadaks-Gigs navigieren - und dort wirst du sehen, dass das musikalische Spektrum sehr weit ist, von Akustik-Folk bis zu Grindcore. Wir wollen den Leuten alle möglichen Arten von Underground-Musik von verschiedenen Orten vorzustellen. Natürlich sind die meisten Bands, die wir haben, aus Lettland, aber es gibt regelmäßig Gigs mit ausländischen Bands, meistens aus Europa. Natürlich freuen wir uns über Angebote von deutschen Bands, wenn sie durch Lettland touren und in einem gemütlichen Small-Budget-Veranstaltungsort spielen wollen.
Viele Bands aus den baltischen Ländern sind begeistert von euch und viele Musiker haben mir erzählt, dass das Nekac für sie ein sehr gemütlicher Ort ist, einige haben sogar gesagt, es ist wie ein Zuhause. Habt ihr eine Erklärung, warum die Leute das Nekac so lieben?
Edzh: Ich denke, die Frage sollte den Bands gestellt werden, die so was erzählen, und ich denke, nicht nur die baltischen Bands denken das, hehe. Als wir das Zabadaks gebaut haben, wussten wir, was wir brauchen - von den Toiletten über die Duschen bis zu den Schlafplätzen. Wir leben in diesem Haus und kümmern uns so gut wir können darum. Natürlich ist das kein Fünf-Sterne-Hotel mit allen Extras, aber es ist gemütlich hier und das ist viel wichtiger. Es ist auch wichtig zu betonen, dass Auftritte im Zabadaks nicht profitabel sind und auch die Anlage nicht die beste ist, weil vieles mit unseren eigenen Händen gebaut wurde. Trotzdem kommen viele Bands wieder und wieder hierher.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #74 Oktober/November 2007 und Gary Flanell