NAZI DOGS

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Das Fuck-Off-Alphabet

Die NAZI DOGS sind Punk. Diese Aussage allein könnte man so schon einmal unkommentiert stehen lassen. Weil allerdings Einleitungen zu einem Interview grundsätzlich auch etwas informativer sein dürfen und sich nun bei manchem möglicherweise auch die Frage stellt, was ist Punk überhaupt und was nicht, will ich hier freundlicherweise etwas mehr ins Detail gehen. Die seit 2002 aktiven alteingesessenen Aachener lassen definitiv keine Zweifel aufkommen bei dieser Frage: für sie bedeutet Punk vor allem Punk im althergebrachten Sinne, nicht der nett aufgestylete Modepüpperich. Während der Punkrock anderswo seine Selbstachtung für ein paar Scheinchen im Klo runterspült, zelebrieren die NAZI DOGS Exzess, Chaos, Zerstörung und Spaß zum Sound der DEAD BOYS, SEX PISTOLS, GERMS und natürlich auch der STITCHES, als deren europäischen Brüder im Geiste man die NAZI DOGS durchaus bezeichnen könnte. Den Ursprung dieses paramilitärischen Punkrock-Subkommandos erläuterte mir Frontmann Karsten.

Karsten, du warst früher ja auch selbst als Schreiber aktiv, für 3rd Generation Nation und Pezzey Youth, machst du heute noch was in der Richtung?

Leider nicht mehr besonders viel, mir fehlt, ehrlich gesagt, die Zeit. Ich habe diverse Bandprojekte am Laufen, unglücklicherweise noch einen festen Job, eine Freundin ... Ab und zu, recht selten allerdings, schreibe ich ein paar Berichte für ein Berliner Zine, aber das war’s auch.

Was vermisst du bei den heutigen Fanzines? Wirklich viele sind’s ja nicht mehr ...

Ich lese nicht mehr so viele Zines. Eigentlich fast gar keine. In den meisten Heften kommt der alte, geile Punk-Spirit überhaupt nicht mehr durch, und es werden meist für mich uninteressante Bands vorgestellt, leider.

Welchen Stellenwert haben Fanzines heute noch in der Szene?

Einen verdammt geringen. Gibt es heutzutage überhaupt noch viele kleine, chaotische A5-Hefte mit den neuesten Informationen über Treffpunkte und Konzerte? Das geht doch heutzutage fast alles übers Netz, jeder verbringt doch seine Freizeit bei Facebook oder Abgefuckt liebt Dich! Und so was wie eine „Szene“ ... gibt es die hier noch?

Von euch als Band weiß man, dass euch kommerzielle Verwertbarkeit nicht die Bohne interessiert und ihr einfach euer Ding durchzieht. Viele Bands scheinen das inzwischen anders zu sehen. Würdest du sagen, dass sich Punk als Subkultur da in zwei unterschiedliche Bereiche aufgeteilt hat?

Schwierige Frage. Ich denke, dass Bands, die sich anstrengen und mit der Zeit besser werden, unter Umständen aufgrund der Masse an Leuten, die heute Punkrock hören, automatisch „kommerziell verwertbar“ werden, ob sie es wollen oder nicht. Die Frage ist immer nur, wie man damit umgeht und wie weit man sich von seinen ursprünglichen Idealen entfernt – sofern man jemals welche besessen hat, natürlich.

Es herrscht ja inzwischen auch eine gewisse Meinungsdiktatur vor, die Leute lassen sich ihre Favoriten, was Bands angeht, gerne lauwarm servieren, Eigeninitiative gleich null.

Leider traurig, aber zumeist wahr. War aber früher nicht unbedingt anders. Eigeninitiative wird wohl für viele ein Fremdwort bleiben, es ist nun mal leichter, sich die Meinung und den Musikgeschmack vorschreiben zu lassen.

Ihr wart vor einiger Zeit auf Tour in China, wo man vielleicht ganz andere Probleme hat, wenn man als Punk unterwegs ist. Welche Erfahrungen habt ihr dort gemacht, was war der größte Kulturschock für verwöhnte Europäer?

Die NAZI DOGS-Chinatour war sehr anstrengend, aber rückblickend auch eine verdammt geile Sache. Anstrengend deshalb, weil wir die meiste Zeit mit der Bahn unterwegs waren, und die Entfernungen zwischen den jeweiligen Städten oft riesig sind. Auf den Zugfahrten ereilten uns auch die meisten Kulturschocks, denn dort sieht man Babys öffentlich ins Abteil scheißen, Menschen unkontrolliert durchs Fenster in die Abteile springen und dergleichen. Abgesehen davon, die meisten Shows dort drüben waren sehr cool und die Resonanz des chinesischen Publikums äußerst ansprechend!

China ist ja nicht gerade das alltäglichste Land für eine Tour, wie kam es dazu?

Das chinesische Punk Label Kids Union Records wollte unsere CD „Old Habits Die Hard“ als Lizenzpressung in China veröffentlichen und hat uns in diesem Zusammenhang eine Tour angeboten.

Gab es wegen eures Bandnamens nicht Probleme in einer kommunistischen Volksrepublik? Inwiefern waren Repressionen, die die Menschen dort täglich zu spüren bekommen, für euch offensichtlich?

Es gab keinerlei Stress wegen unseres Namens, im Gegenteil, es hingen teils riesige Plakate mit „NAZI DOGS“ in großen Lettern vor den Clubs. Ich konnte auch auf der Bühne unzensierte Ansagen machen. Wahrscheinlich ist die alltägliche Repression dort nur spürbar, wenn man sich politisch engagiert oder irgendwie anders subversiv agiert.

Hierzulande werfe ich dem geneigten Konzertgänger ja gerne völlige Übersättigung vor, wobei die Pose oft mehr zählt, als das, was dahintersteht. Wie seht ihr das und worin liegt in China, oder in anderen Ländern, in denen ihr euch bisher so rumgetrieben habt, da der Unterschied?

Teilweise hast du sicherlich Recht, wobei es allerdings immer darauf ankommt, wo man hier spielt. Von einer generellen Übersättigung würde ich nicht unbedingt sprechen ... obwohl, es gibt ja inzwischen so viele Bands. In China sind die Leute teils sieben bis acht Stunden zu unseren Shows unterwegs gewesen, das kenne ich, ehrlich gesagt, bei uns nur noch aus den Achtzigern! Es finden dort drüben extrem selten Shows statt, viele Clubs haben zudem große Probleme mit den lokalen Autoritäten, was aber andererseits die „Szene“ mehr zusammenschweißt und die Aktivisten zum D.I.Y. und oftmals unorthodoxen Strategien bei Konzertorganisation und dergleichen antreibt.

Punk will heute alles und jeder sein, der diesbezüglich vorgeschriebene Verhaltenskodex wird ständig aktualisiert und was heute noch die Schmalztolle war, ist morgen die Nassrasur. Ihr vertretet bezüglich solcher Modeerscheinungen einen recht eindeutigen Standpunkt, daher die abgegriffene wie intolerante Frage: Was ist Punk, was nicht?

Da kann ich natürlich nur für mich sprechen. Und du hast recht, es geht mir tierisch auf den Sack, dass heutzutage jeder durchschnittliche Normalo ungestraft behaupten darf, früher mal „Punk“ gewesen zu sein oder gar immer noch „dazuzugehören“. Falls sich noch jemand erinnern kann: Punk war doch viel zu gefährlich, radikal und teils auch zu brutal für die allermeisten, auch wenn viele die Musik gut fanden. Oder? Für mich persönlich bedeutet Punk immer noch das, was es immer bedeutete, ein riesiges Fuck Off an alle Normen und gesellschaftlich tolerierten, gar erwünschten Lebensentwürfe, und stattdessen ein möglichst wildes, abgefahrenes, aufrechtes und risikofreudiges Dasein, angetrieben von einem radikalen Soundtrack und inklusive eines coolen, schockierenden Outfits. Ich bin nun mal ein ewig Gestriger!

Was Punk ist, haben eure Freunde, die STITCHES, schon vor Jahren eindrucksvoll beantwortet und das hat bei einigen ziemlich sauer aufgestoßen. Inzwischen hat sich im Leben der Jungs einiges verändert, wie siehst du das als ein Freund?

Ich bin sehr froh über Mikes Entwicklung, denn hätte er so weitergemacht, wäre er wahrscheinlich nicht annähernd so aktiv und vor allem zufrieden wie heutzutage. Der übermäßige Konsum gewisser Substanzen führt nun mal dazu, dass einem das Leben entgleitet und man schlicht und ergreifend unglücklich wird. Nicht mehr und nicht weniger. Ich gebe mein Geld allerdings lieber für alte Punk-Singles aus, als für teure Drogen. Trotzdem gelingt es mir, ein Dasein als Mystiker und Ekstatiker zu führen, haha, und das soll auch so bleiben!

Kommen wir doch gleich einmal auf deine häufigen Besuche in California und dein Insiderwissen zu sprechen. Dort war einige Jahre ziemlich tote Hose, jetzt ist wieder der totale Punkrock-Wahnsinn ausgebrochen. Welche Bands zählen da für dich zu den aktuellen Höhepunkten?

Die Szene in Kalifornien profitiert natürlich von der Tatsache, dass Punk dort spätestens seit dem Revival zu Beginn der Neunziger Jahre ein schier unerschöpfliches Reservoir an guten Bands besitzt, SMOGTOWN, SMUT PEDDLERS, STITCHES, oder neue Acts wie DIME RUNNER, des weiteren sind sehr viele alte Recken von Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger nach wie vor musikalisch aktiv: THE CROWD, MAU MAUS, sogar CRIME spielen ab und zu wieder! Dinge, die hier in Deutschland leider nicht gegeben sind. Hier gibt es doch höchstens eine SLIME-Reunion für 35 Euro Eintritt.

Dieser Tage erscheint eure neue Mini-LP bei Wanda Records ...

Ja, sie heißt schlicht und einfach „NAZI DOGS“ und beinhaltet sechs neue Songs, fünf Originale und ein Cover. Der Sound ist räudiger und wilder Rock’n’Roll mit einer Punk Einstellung. Ich finde, es sind die besten Sachen, die wir jemals aufgenommen haben, aber das ist natürlich eine rein subjektive Einschätzung.

Zur Zukunft eurer Band: Kann man für den Fall, dass du mal 70 bist, mit ausufernden NAZI DOGS-Bühnenshows im Seniorenheim rechnen? Wie würdest du dir so eine Show vorstellen?

Also zunächst einmal: Ja, ich möchte, bei gegebenen gesundheitlichen Rahmenbedingungen, alt werden. Allerdings wäre es für mich eine ziemliche Horrorvorstellung, in einem derartigen Methusalem-Alter noch mit einer Punkband auf der Bühne zu stehen. Punk im Alter ist zwar keine Schande, aber irgendwie fände ich es sehr unpassend, mit 70 noch den „Wild Motherfucker“ rauszulassen. Ich denke, so mit spätestens Mitte 50 werde ich mich diesbezüglich zur Ruhe setzen, um dann mit 60 vielleicht fucking Germany den Rücken zu kehren und auszuwandern.

Mit welchen weisen Worten eines legendären Punkrockers wollt ihr die Leser abschließend in die freie Wildbahn schicken?

„Punk meant“, das ist einer unserer neuen Songs: „Punk meant freedom / Punk meant rights / Punk meant violence / Punk meant fights / Punk meant chaos / Punk meant life.“