Eigentlich hatte ich mich nur verwählt. Ich wollte nämlich Dave Schmidt von LIQUID VISIONS anrufen und wählte dafür die Telefonnummer, welche ich auf der CD fand. An den Apparat ging allerdings jemand anderes, nämlich Hans-Georg Bier. Ich hatte versehentlich die Nummer des Plattenlabels gewählt. Irgendwie kamen wir aber ins Gespräch und ich erzählte ihm, warum ich Dave anrufen wollte, dass ich nämlich fürs Ox schreibe und blablabla und er erzählte mir, wie er die LIQUID VISIONS-Platte herausbrachte und etwas über das Label, welches er zusammen mit seiner Frau Waltraud betreibt. Schliesslich landete unser Gespräch allgemein bei Musik und unseren Vorlieben. Die Folge war, dass mir ein paar Tage später der Postmann ein dickes Plattenpaket brachte, mit fast allen Platten von Nasoni Records.
Verwunderlich war für mich, dass ich die meisten Bands, deren Platten ich nun vor mir liegen hatte überhaupt nicht kannte, teilweise sogar noch nie etwas von ihnen gehört hatte. Gerade mal zwei Bands waren dabei, von denen ich selbst etwas im Plattenschrank stehen hatte, BURNING RAIN und THE UNDERNEATH. Bei den ersten Platten die ich mir anhörte, nämlich DOSE AFTER DOSE und WELTRAUMSTAUNEN, ging ich noch davon aus, dass ich hier ein paar gute Plattenreviews schreiben konnte, um auch andere Leute in den Genuss dieser Musik zu bringen. Doch als ich die Platten der ZENDIK FARM BAND bzw. ZENDIK FARM ORGAZTRA anhörte, war mir schnell klar, dass ich hier etwas mehr Arbeit investieren muss, als nur Plattenkritiken zu schreiben. Denn, mal ganz ehrlich, liest sich wirklich der Grossteil von euch Kritiken von Bands durch, die er gar nicht kennt? Ich würd´ mich freuen, zweifle es aber an.
Das Label Nasoni, welches sich nach einem ausgerotteten Stamm der Caddo-Indianer aus dem Raum Dallas, Texas benannt hat, gibt es noch gar nicht so sehr lange. Am Anfang stand ein Besuch in Austin, Texas, wo sich der Plattensammler Hans-Georg Bier in einem Plattenladen eine Cassette der ZENDIK FARM BAND kaufte, "Danze of the Cosmic Warriors" , die dann, wie er erzählt "lange im Regal stand und von Zeit zu Zeit gehört wurde. "Die ZFB ist ein musikalisches Projekt der gleichnamigen Zendik Farm in North Carolina. Bei der Farm handelt es sich um eine Kommune, die wirklich und tatsächlich unabhängig lebt und arbeitet und dieses Leben, welches sich jedoch nicht in sektenähnlicher Enthaltsamkeit äussert, durch ein eigenes Magazin, Livekonzerte, Platten, organischem Anbau von Lebensmitteln und dem Zusammenleben in einer starken Gemeinschaft ermöglicht." Beim Lesen des Zendik Farm-Magazins kamen mir ständig Assoziationen zu dem Standpunkt, den die Band CRASS in den Siebzigern vertreten hatte. Musikalisch hingegen ist der Sound von ZENDIK jedoch eher psychedelischer Natur. Der im positivsten Sinne kräftige monotone und schleppende, aber stets vorwärts treibende Sound wird teils getragen, teils untermalt von der knartzigen Stimme Wulf Zendiks, Gründer der Kommune und Sänger, Philosoph und Poet in einer Person, der jedoch leider letztes Jahr, im Alter von 78 Jahren, gestorben ist.
Die gleiche Begeisterung, die mich bei der Musik packte, war es auch, die Hans-Georg Bier veranlasste, 1995 die Farm zu besuchen, in der Absicht, dieser grossartigen Musik einen breiteren Rahmen zu geben. Er erhielt die Erlaubnis, "Danze of the Cosmic Warriors" in Deutschland zu veröffentlichen. Zu dem Zeitpunkt war ihm noch nicht klar, dass aus dieser Veröffentlichung mal ein eigenständiges Label werden würde, und so veröffentlichte er diese und drei weitere ZENDIK-Platten unter dem Namen "Kidnez". Wie daraus mehr wurde, schildert er folgendermassen.
"Es ist eine Folge meiner ca. 30jährigen Sammelleidenschaft und der Umstand, dass ich in Dallas den Machern des Sammler-Labels Rockadelic Records begegnete, woraus sich eine Freundschaft, mit gleichen Interessen entwickelte, 1995 bot man mir den Vertrieb des Labels für Europa an. Darüber hinaus ergaben sich Kontakte zu jungen Bands der Dallas-Szene, wie BURNING RAIN, MODERN WHIGS oder THE UNDERNEATH. Ausserdem gab mir Drew Wallace, der Gründer des Lost Records-Labels, sein Material zum Vertrieb. Hinzu kam, dass man meine Kenntnis und Verlässlichkeit in Berlin erkannte und somit kamen lokale Bands auf mich zu, wie JOHNSON NOISE, LEO oder LIQUID VISIONS, deren Platten ich schliesslich veröffentlichte."
Die musikalischen Stile, die Nasoni veröffentlicht unter einen Hut zu bringen, kann und vor allem will nicht gelingen. Wie Mr. Bier selbst sagt, "Schwerpunkte gibt es keine", er versteht sich vielmehr selbst als "ein Sammler guter Musik" und seine Veröffentlichungen als "stimmungsbedingt". Das spiegelt auch sein Musikgeschmack wieder. "Mit 12 Jahren hörte ich Johnnie Cash, mit 15 die YARDBYRDS, mit 21 BLACK SABBATH, mit 25 Marlene Dietrich, mit 35 SEX PISTOLS, mit 45 ZENDIK und heute, mit 55, JOHN SPENCER BLUES EXPLOSION, aber immer noch nicht Peter Maffay."
Ich persönlich würde als Oberbegriff für die musikalische Bandbreite stark gitarrenorientierte Musik wählen, teils mit stark psychedelischem Einschlag, teils folkig ruhig, teils fuzzmässig krachend. Eines aber hat alles gemeinsam: Die Platten sind alle etwas ganz besonderes und es gibt immer nur eine ganz kleine Anzahl (300er bis 500er Auflagen) von jeder. Wohlgemerkt, ich rede die ganze Zeit von Platten, Vinyl, hier wird noch gepresst und nicht gebrannt! Natürlich kann man von so etwas nicht leben, eher ist das Gegenteil der Fall, für die notwendige Kohle sorgt ein Vollzeit Job.
"Es ist reiner Idealismus, aber auch ein gewisser Egoismus, nämlich das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Es geht um meine eigene Leidenschaft zu sammeln und anderen Musikliebhabern etwas Neues, Interessantes zukommen zu lassen." Andererseits befindet man sich in einer solchen Nische wenigstens vollkommen abseits von jeglichem kommerziellen Marktgeschehen. "Unter den Kleinlabels wie Swamp Room Records oder September Gurls und Nasoni gibt es keine Konkurrenz, nur Zusammenwirken, weil sie wie ich die Situation als Kleinlabel sicher zu verstehen gelernt haben. Andere Labels will ich nicht beurteilen, da bei mir ein Eindruck entstanden ist, es geht dabei nur um Profit und darum, andere klein zu kriegen. Die stören mich nur bei meiner Leidenschaft zu sammeln."
Aus dieser Sammelleidenschaft sind mittlerweile 17 Platten hervorgegangen, gerade veröffentlicht die UNITED EMPIRE LOYALISTS, und in wenigen Wochen erscheinen die neue ZENDIK FARM BAND und eine Platte der grossartigen Berliner Band MR. WILLEY´S ANGEL (siehe Reviews).
Hinzu kommen die Platten von Lost Records und Rockadelic Records, die sich ausschliesslich der Texas-Szene widmen. Darunter befinden sich massenhaft grossartige Scheiben, wie z.B. die geniale MILLRUN BAND, die den BUTTHOLE SURFERS nicht unähnlichen MAZINGA PHASER, ein ausgegrabenes Sixties-Juwel namens WHITEWOOD, IRON BONG, J.BONE CRO, MODERN WHIGS, BURNIN´ RAIN und reichlich andere klasse Bands. Mehr hierzu findet ihr bei den Plattenbesprechungen, einige jedoch erst im nächsten Heft.
Nebenbei die Liste mit allen Nasoni LP-Veröffentlichungen, trotzdem lohnt es sich die Gesamtliste anzufordern, weil hier auch sämtliche Rockadelic- und Lost Records-Scheiben aufgeführt sind und über das Eigenangebot hinaus noch eine Vielzahl grossartiger und ansonsten teils schwer erhältlicher Platten aufgelistet werden. Eine Briefmarke fürs Rückporto legt ihr wohl hoffentlich dabei, das bringt euch nicht um.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #39 Juni/Juli/August 2000 und Claus Wittwer