Treffen sich ein Armenier, ein Türke und ein Deutscher in Berlin ... Was klingt, wie ein schlechter Witz aus den Achtzigern, ist der Beginn einer neuen Indie-Supergroup. Aren Emirze (ex-HARMFUL, EMIRSIAN), Aydo Abay (ex-BLACKMAIL, ABAY) und Thomas Götz (BEATSTEAKS) haben eine Band gegründet, die auf den Namen MUSA DAGH hört. Während der Corona-Pandemie haben sie gemeinsam zehn Songs entwickelt und aufgenommen, die jetzt das Licht der Welt erblicken. Musik, die die Wucht von HARMFUL, den Groove der BEATSTEAKS und die Geschmeidigkeit von Abays Stimme vereint. Im Interview erzählt Aren Emirze, warum er MUSA DAGH nicht missen möchte.
Wie ist die Idee für das Projekt entstanden?
Nach dieser langen, harten Abstinenz und den vielen akustischen Jahren mit EMERISIAN hatte ich das große Bedürfnis, wieder eine laute Rockgitarre in die Hand zu nehmen. Dann habe ich zuerst mit meinem Freund Flo Weber von SPORTFREUNDE STILLER die Band TASKETE! gegründet. Nach unserer Tour war das aber auch schnell vorbei, denn es war klar, dass Flo wieder mit seiner alten Band zusammenkommt. Ich wollte aber weitermachen mit den lauten Gitarren, deshalb wollte ich in der Pandemie unbedingt ein neues Projekt starten. Dazu kam, dass ich mit Aydo Abay schon immer eine ganze Platte aufnehmen wollte. Bisher gab es nur einzelne Songs, wie auf dem letzten EMIRSIAN-Album. Ich hatte tierisch Bock, mit ihm etwas Lautes zu machen, was mich wieder an die alten Zeiten erinnert und gefühlsmäßig abholt. Moses Schneider und ich sind sowieso sehr gut befreundet, deshalb war klar, dass ich ihn auch ins Boot hole. Dann gab es zuerst die Idee mit einem armenischen Drummer in New York. Den habe ich auch besucht und wollte mit ihm eine Session spielen. Dann bin ich angekommen und alles ging schief. Es gab keinen Proberaum und es war überhaupt nicht das, was ich erwartet hatte. Wir haben eine Session in einem bezahlten Proberaum zusammen gespielt. Da ist auch ein Riff entstanden, das später im Song „Superhuman gift shop“ gelandet ist, aber ich bin enttäuscht wieder abgereist. Zurück in Deutschland habe ich mit Aydo gesprochen, denn er hatte eine Connection zu Thomas Götz, dem Drummer der BEATSTEAKS. Da kam dann die Idee auf, ihn zu fragen, ob er nicht Lust hätte, was Verrücktes zu machen. Ich dachte mir, vielleicht ist er durch die Pandemie auch ausgehungert, und trockenes Holz brennt schnell. Am Ende war es auch so. Wir sind in den Proberaum von BEATSTEAKS gegangen und haben losgelegt. Drei Tage lang war ich dort alleine mit Thomas und das war wie eine kreative Explosion. Es hat einfach sehr gut gepasst, in diesen Tagen ist sehr viel passiert. Der Plan war zu diesem Zeitpunkt, unser Album dann in den Hansa Studios aufzunehmen.
Du hast also mit Thomas zusammen die Musik geschrieben und Aydo hat die Gesangmelodien und die Texte beigesteuert?
Genau, so war es. Ich hatte auch noch ein paar Riffs von TASKETE! übrig, die ich nicht verwenden konnte. Der Opener „Coin bank“ zum Beispiel war ein TASKETE!-Song mit komplett anderem Gesang. Ursprünglich wollten wir uns dann FLINCHER nennen, das war meine erste Idee. Dann waren wir in einer Pause bei einem Italiener essen und ich habe Thomas gefragt: Findest du den Namen geil? Er sagte: Er ist gut, aber geil ist er nicht. Irgendwie kamen wir dann auf das Thema Armenien zu sprechen und dann meinte er, er habe das Buch „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ von Franz Werfel gelesen. Dann sagte er: Wenn ich in Berlin wäre und da spielte eine Band namens MUSA DAGH, dann würde ich auf jeden Fall hingehen. Da war für mich sofort klar, dass unsere Band so heißen würde.
Musa Dagh ist der Name eines Bergs in der heutigen Türkei. Welche Bedeutung hat dieser Berg für einen Armenier wie dich?
In dieser Region haben früher sehr viele Armenier gelebt. Vor dem Genozid hat ein Großteil der Armenier in Anatolien gelebt. Und um den Musa Dagh rankt sich die Geschichte, dass dort rund 4.000 Armenier während des Völkermords einen Zufluchtsort gefunden haben und den Berg vor dem Angriff der türkischen Truppen verteidigt haben. Letztendlich wurden sie von der französischen Marine gerettet. Deshalb hat dieser Berg für uns eine große Wunde verursacht, aber wir sind auch stolz darauf, dass diese Männer überlebt haben. Heute gilt der Berg bei den Armeniern als Symbol der Stärke. Das ist natürlich auch ein bisschen patriotisch, aber es war eben auch ein Zeichen der Hoffnung in dunklen Zeiten. Und unsere Musik hat zu diesem Bild einfach gut gepasst.
US-Präsident Joe Biden hat ja erst dieses Jahr die Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges als Völkermord anerkannt. Was bedeutet das für die Armenier?
Ich diesem Moment habe ich das sehr gerne angenommen und war dankbar, dass Joe Biden diesen Schritt gemacht hat. Das hat mich sehr glücklich gemacht und viele andere Armenier auch. Ich hoffe, dass jetzt alle Länder, die noch nicht so weit sind, nachziehen werden. Damit wir nie wieder über diesen Völkermord sprechen müssen. Ob er stattgefunden hat oder nicht.
Ist die armenische Geschichte angesichts dieses bedeutungsschwangeren Bandnamens ein großes Thema in den Texten?
Nein, überhaupt nicht. Ich hatte zuvor mit EMIRSIAN schon so viel auf dieser armenischen Ebene agiert, deshalb wollte ich einfach nur eine kleine Brücke zu meiner neuen Band bauen, ohne die Thematik auf die Agenda zu setzen. Das mache ich mit EMIRSIAN und in all meinen Interviews schon genug. Außerdem ist Aydo Türke und das verstärkt aus meiner Sicht den Symbolcharakter, dass wir uns verbrüdern wollen und gemeinsam in einer Band spielen, die diesen geschichtsträchtigen Namen trägt. Dass wir gemeinsam harte Rockmusik machen wollen, die genauso schwer ist, wie das Gewicht des Namens.
Wie viel Folklore oder Multikulti steckt in einer Band, die aus einem Türken, einem Armenier und einem Deutschen besteht?
Wir haben ein paar Songs, in denen man deutlich orientalische Einflüsse hört, aber das ist nicht dominant. Vielleicht können wir ja mit der zweiten Platte diese Strömungen noch mehr forcieren, jetzt hätten nicht noch mehr solche Songs auf die Platte gepasst. Diese Melodiebögen kommen automatisch durch mein Songwriting. Wenn SYSTEM OF A DOWN Songs schreiben, ist da auch immer etwas Orientalisches dabei. Das hört man auch in meinen Harmonien. Zum Beispiel im Mittelteil von „Halo“ oder auch in „Life fucked balance“ erkennt man diese Einflüsse deutlich. Da singt sogar Aydo diesen orientalischen Melodiebogen mit. Aber das ist sehr punktiert. Wir wollten einfach eine geile Heavy-Alternative-Platte schreiben und aufnehmen.
Wie verteilen sich bei euch die Instrumente?
Bei MUSA DAGH benutze ich ein Pedal namens Octaver, das dem Ton eine Oktave unter diesem Ton hinzufügt. Das ist ein Effektgerät, das Jimi Hendrix zum ersten Mal verwendet hat und klingt wie eine Gitarre mit einem dicken Bauch dran. Ich finde, wenn man die Platte hört, merkt man nicht, dass kein Bass dabei ist. Sie klingt anders, weil wir gewisse Frequenzen einfach überdecken oder ergänzen mussten. Diese Wall of Sound war aber auch schon immer Teil der HARMFUL-Philosophie. Thomas spielt natürlich Schlagzeug und Aydo singt.
Wo habt ihr das Album aufgenommen und wie lange hat es gedauert?
Ursprünglich wollten wir in den Hansa Studios in Berlin aufnehmen, aber dann hat es mit der Kohle leider nicht hingehauen. Also sind wir ins Studio von Thomas in einer Gaswerksiedlung im Bezirk Lichtenberg ausgewichen. Anfangs war er natürlich enttäuscht, dass es mit Hansa nicht geklappt hat, aber die Songs waren so gut, dass wir das bei ihm durchgezogen haben. Dort hatten wir großen Spaß mit Moses beim Aufnehmen. Der hatte wirklich großen Anteil an der Motivation und dem Zusammenhalt der Band. Insgesamt haben wir dort drei Sessions gespielt und dann die Essenz von MUSA DAGH aufs Album gepackt. Dabei haben mich vor allem die Gesangsmelodien von Aydo umgehauen, denn es ist gar nicht so einfach, auf meine harten Riffs poppige Melodien zu singen. Und Thomas hat bei seinem Drumming immer ein gutes Gefühl für Songs, weil er ja auch bei BEATSTEAKS Songs schreibt. So konnte er viele Ideen in die richtige Richtung leiten. Das hat mir sehr imponiert. Was Thomas am Schlagzeug macht, ist einfach phänomenal. Seine Ergänzungen und die Lücken, die er findet. Das, was er da trommelt, macht er bei BEATSTEAKS so nicht. Da spielt er viel geradliniger und punkrockiger als bei uns. Für mich ist es die beste Platte, die ich seit langem gemacht habe.
Sind MUSA DAGH ein Studioprojekt oder eine Band, die auch auf der Bühne stehen wird?
Wir wollen damit auch auf die Bühne gehen, aber das muss natürlich passen. Es wird keine JUZ-Tournee geben, bei der wir jedes Dorf auf dem Weg abklappern. Wir wollen in den großen Städten ein paar Konzerte spielen und schauen, was geht. Wir haben auf jeden Fall alle Lust, dieses Werk auf die Bühne zu bringen.
Kurioserweise haben Aydo und Thomas Ende Juli das Debütalbum einer anderen Triobesetzung namens FREINDZ veröffentlicht. Wusstest du, dass das parallel läuft?
Ich wusste, dass die beiden in Köln an einem Indiepop-Album arbeiten. Das ist ja musikalisch etwas ganz anderes als MUSA DAGH. Das war mich eigentlich egal. Thomas bekennt sich auch mehr zu unserer Band als zu dem anderen Projekt. Das sieht man schon an den Promofotos. Wir sind ja als Musiker alle frei und können machen, was wir wollen. Mir war nur wichtig, dass die beiden unser Projekt durchziehen, und das haben die beiden auch gemacht. Ich finde es auch schön, dass man in dieser Dürrezeit kreativ ist und versucht, so viele Platten wie möglich zu machen.
Aydo hat ja neben MUSA DAGH und FREINDZ noch mehr Projekte laufen. Wie ein musikalischer Nomade, der immer weiter zieht. Sind MUSA DAGH nur als einmalige Sache angelegt?
Das weiß keiner von uns. Wir wissen aber, dass unser Zusammenspiel sehr gut funktioniert hat. Man wird sehen, wie die Konzerte laufen. Wenn diese Platte keinen interessiert, was ich nicht glaube, dann wird es auch nicht weitergehen. Ich finde, wir haben mit MUSA DAGH den brachialen Sound der Neunziger prima in unsere Zeit übertragen, ohne dabei alt zu klingen. Für mich ist es eine besondere Band, die jedem Einzelnen den Freiraum gibt, sich zu entfalten und nur das zu tun, was aus seinem Bauch herauskommt.
Wie sieht es aktuell mit deinen anderen Aktivitäten aus?
HARMFUL haben sich aufgelöst und das Projekt TASKETE! kann man als beerdigt betrachten. Aber ich glaube an ein Leben nach dem Tod, haha. Deshalb ist für mich eine Beerdigung auch kein Hindernis, um später nicht doch weiterzumachen. EMIRSIAN bin einfach ich, deshalb kann ich EMIRSIAN auch mit siebzig noch sein. MUSA DAGH kann ich nicht mit siebzig sein. Es wird immer wieder Pausen geben, um sich wieder zu sammeln und neue Ideen zu entwickeln, aber mit Freunden Musik zu machen ist und bleibt mir sehr wichtig. So dass ich immer wieder Leute, die ich abfeiere, frage, ob sie nicht Lust hätten, mit mir eine Platte zu machen oder ein Projekt zu starten. Das hat ja in der Vergangenheit immer ganz gut funktioniert, zum Beispiel mit Billy Gould von FAITH NO MORE bei HARMFUL. Ich muss ähnlich wie Aydo kein großes Publikum bedienen, wir können uns den „Luxus“ gönnen, Kunst zu machen. Das ist bei Thomas nicht so. Er muss mit BEATSTEAKS natürlich für eine Fanbase abliefern, die eine gewisse Erwartungshaltung hat.
© by - Ausgabe # und 2. Februar 2023
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #159 Dezember 2021 /Januar 2022 2021 und Wolfram Hanke
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #167 April/Mai 2023 und Wolfram Hanke
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #159 Dezember 2021 /Januar 2022 2021 und Wolfram Hanke