Munster Records aus Madrid, Spanien, ist mit Sicherheit eines der profiliertesten und besten europäischen Punk-Labels. Der Katalog ist nicht nur mengenmässig beeindruckend, sondern auch qualitativ ´ne Wucht: Munster haben nicht nur aktuelle spanische, US-amerikanische und australische Bands im Programm, sondern widmen sich seit geraumer Zeit auch dem Wiederveröffentlichen - gerade auch auf Vinyl - von Klassikern aus der Punk-Frühphase: Ich empfehle einen Blick in die Katalogliste am Ende des Interviews. Ich traf Iñigo Munster im August auf der PopKomm in Köln und unterhielt mich mit ihm über sein Label sowie die Geschichte der spanischen Punkszene.
Bitte stelle dich kurz vor.
"Ich bin Iñigo Munster und bin hier, um einen guten Vertrieb für mein Label in Deutschland und dem Rest von Europa zu finden. Deutschland ist aber besonders wichtig für mich, weil es das grösste Land in Europa ist und eine sehr grosse Szene für Punk und Rock´n´Roll hat - und das ist die Musik, die wir machen. Leider hatten wir bislang nie einen richtigen Vertrieb in Deutschland, so dass unsere Platten schwer zu finden sind. Derzeit findet man sie nur bei coolen Mailorders, aber in kaum einem Plattenladen."
Spanien hat, wie man angesichts der Veröffentlichungen auf Munster, aber auch auf Labels wie No Tomorrow, Punch oder Safety Pin sieht und wie man es von tourenden Bands hört, eine sehr gute und aktive Punkrockszene, aber gleichzeitig haben spanische Bands hierzulande nur eine Exotenstellung, werden höchstens mal am Rande wahrgenommen, und das auch nur, wenn sie auf Englisch singen. Aus eigener Erfahrung kann ich dazu aber nicht viel sagen, ich kenne nur Mallorca.
"Du hast recht, Spanien hat eine sehr gute Szene, und das hat auch was mit dem leidenschaftlichen, temperamentvollen Charakter der Spanier zu tun. Und das schlägt sich auch in der Musik nieder, im Rock, und die Musik wie die Szene sind sehr intensiv. Du warst auf Mallorca, und aus Palma kommt eine der besten spanischen Punkbands überhaupt, nämlich CEREBROS EXPRIMIDOS..."
...die ich damals kennengelernt habe.
"Ja, und als ich sie das erste Mal besucht habe, konnte ich überhaupt nicht glauben, was die Jungs für eine unglaublich grosse und gute Plattensammlung haben. Gerade der Sänger, der ein grosser Fan von US-Punk und -Hardcore ist, hat wirklich alles, was man sich wünschen würde, selbst in der Sammlung zu haben. Aber um auf die spanische Punkszene generell zurückzukommen: die Szene war schon immer recht gross und aktiv. Die erste bekannte Band war BANDA TRAPERA DEL RIO, die man aber auch als "Prä-Punk" bezeichnen könnte. Die haben sich in der Rockszene der Siebziger zusammengefunden, hingen in Bars rum, hörten AC/DC, MOTT THE HOOPLE und solche Sachen, waren auf Drogen, und als dann der spanische Diktator Franco starb und die Gesellschaft offener wurde, konnten sie plötzlich anfangen selbst Musik zu machen und waren Punks. Später, so ´80, ´81, gab es dann ein paar bekanntere, trendy Punkbands, die aber eigentlich ein Produkt der Plattenindustrie waren und aus ein paar reichen Kindern aus Barcelona und Madrid bestanden. Dann gab es aber auch Bands, die spielten genau das, was englische Bands zu dieser Zeit spielten, deren Platten aber in Spanien absolut nicht zu bekommen waren. Das waren Bands wie LA UVI oder ULTIMA RESORTE, und vor allem natürlich ESKORBUTO, DIE spanische Punkband schlechthin. Die wurden 1979 gegründet, und sie waren gegen alles - vor allem gegen sich selbst, was darin endete, dass die Bandmitglieder sich gegenseitig oder selbst umbrachten, begeleitet von massivem Drogenkonsum. Danach kam dann der "Rock Radical Basquo" auf, ein Musikstil, der in enger Verbindung zur baskischen Unabhängigkeitsbewegung stand. Eine gute Sache, zu der ich auch einen persönlichen Draht habe, weil ich Baske bin und zu dieser Zeit in den frühen Achtzigern auch politisch und sozial das alles mitbekommen habe. Es war eine gute Zeit, gerade auch für die Punk-Szene. Plötzlich gab es überall Squats, besetzte Häuser, und es war kein Problem einen Proberaum zu finden. Aus dieser Zeit gingen sehr viele Bands hervor, etwa LA POLLA RECORDS, CIKATRIZ oder KORTATU. Die Bands wurden teilweise sehr gross, konnten in jeder Stadt jeden Abend spielen."
Und wie ging es weiter?
"In der Folgezeit "degenerierten" viele Bands der ersten Stunde: sie bekamen ihren Drogenkonsum nicht unter Kontrolle, spielten nur noch des Geldes wegen, und wurden so für viele Leute, mich eingeschlossen, uninteressant. Was nichts daran ändert, dass manche von ihnen, etwa LA POLLA RECORDS oder MCD, bis heute sehr gut verkaufende Bands sind: die bringen eine neue Scheibe raus und werden davon eben mal 20.000 Stück los. Richtig interessant wurde es dann nach dieser Punk-Welle, denn es fanden immer Leute Gefallen am amerikanischen Punkrock, an Bands wie BLACK FLAG oder DEAD BOYS, und daraus entwickelten sich einheimische Gruppen wie LA PERRERA und CEREBROS EXPRIMIDOS. Und um den Bogen zu heute zu schlagen: Heute gibt es in fast jeder Stadt eine coole Rock´n´Roll-Band, die schnellen klassischen Punk spielt. Die Szene dafür ist zwar nicht riesig, aber gut. Natürlich gibt es auch eine ganz gut, wenn auch kleine Garage-Szene, die heute das Überbleibsel der Garage-Explosion der Achtziger ist. Du kannst echt in Kneipen gehen, die über und über mit Garage-Punk-Postern aus den Achtzigern dekoriert sind."
Das klingt beinahe besser als das, was in Deutschland so existiert.
"Ich habe da keine wirkliche Vergleichsmöglichkeit, aber es ist schon alles sehr getrennt: Wenn eine Band von Lookout Records oder Bands wie die QUEERS auf Tour kommen, spielen sie fast immer in Läden und ziehen ein Publikum, das mit der "richtigen" Punkszene nicht viel zu tun hat. Weisst du, die ganzen Hardcore-Bands, die spielen in den Squats, das ist eine ganz andere Szene. "Echte" Punks, die haben nicht das Geld, um richtig was dafür hinzulegen die GROOVIE GHOULIES in einem coolen Club spielen zu sehen. Aber ich denke, das ist in Deutschland auch nicht anders. Aber solche coolen Clubs, das ist Mangelware, das ist nicht wie in Deutschland: ich war mit meiner Band vor ein paar Jahren in Deutschland auf Tour für ein paar Termine, und da fiel mir auf, dass es in Köln oder Münster oder Dresden eben immer einen guten Club gibt, wo fast alle Bands spielen. So ein Netzwerk gibt es in Spanien nicht, und dass das so ist, hat, denke ich, auch was mit der Persönlichkeit der Leute zu tun."
Welche Rolle spielte denn der Tod des faschistischen Diktators Franco und Spaniens Entwicklung zu einer Demokratie bei der Entwicklung der Punk-Szene?
"Bis zum Tode Francos 1975 war Rockmusik natürlich verpönt in Spanien, und es gab in den folgenden Jahren noch keine richtige Schallplattenindustrie, das musste sich erst entwickeln. Die erste mir bekannte spanische Punkplatte von einer Band namens LOS PUNKROCKERS stammt dann auch erst von 1978, und es sind auch nur ein paar Typen, die die SEX PISTOLS nachspielen - schrecklich! Was nun eine konkrete Punkszene anbelangt, so gab es dann in der Folgezeit in den grossen Städten wie Madrid oder Barcelona zwar Punkbands, aber das waren eher reiche Kids, die das Geld hatten nach London zu reisen, Platten zu kaufen und dann zu Hause auch solche Musik zu spielen. Die spielten in den schicken Clubs in Madrid, aber wer nicht zur High Society gehörte, hatte da keinen Zutritt. Und politische war die ganze Sache sowieso nicht. "Richtiger" Punk entstand dann erst mit den zunehmenden Spannungen im Baskenland, will heissen, dass die Entwicklung der Punkszene in Spanien eng mit der Geschichte des Baskenlandes verknüpft ist. Ich habe bis 1983 selbst dort gewohnt, es selber erlebt. Die Squats, die Bands, all das entwickelte sich dort. Und ausländische Bands wie B.G.K. oder MDC, die spielten in ganz Spanien nur im Baskenland. Dort existierten die Netzwerke, die es brauchte, um sowas zu organisieren."
Wo liegen die Ursprünge von Munster Records, auch in musikalischer Hinsicht?
"Ich habe mit einem Fanzine angefangen, 1983 war das. Ich war und bin ein grosser Garage-Fan, und vor allem australische Bands wie die SCIENTISTS, NEW CHRISTS, CELIBATE RIFLES oder die HARD-ONS hatten es mir angetan. Aber auch US-Bands wie HÜSKER DÜ und die ganzen Sachen auf Frontier Records, etwa die CIRCLE JERKS, begeisterten mich. Ausserdem hatte ich schon immer eine Schwäche für sehr poppige Musik, wobei ich das jetzt nicht in kommerzieller Hinsicht meine, sondern, wie man an diversen Munster-Releases sieht, eher so Sachen wie die FASTBACKS, aber auch akustische Sachen, die einfach durch gutes Songwriting bestechen. Ich habe letztes Jahr zum Beispiel das Album eines Typen namens ROSS veröffentlicht: das ist kein Punk, sondern eine Mischung aus Rock und Pop, sowas wie die BEATLES mit Distortion. Aber parallel dazu liebe ich auch Sachen wie den Hardcore der CEREBROS EXPRIMIDOS. Seit drei oder vier Jahren bin ich aber generell eher auf dem Punkrock- und Rock´n´Roll-Trip, da bin ich einfach zu Hause. Ausserdem hat sich in diesem Bereich in den letzten paar Jahren sehr viel getan, viele Bands sind härter als man das noch vor ein paar Jahren kannte. Das schlägt sich auch im Munster-Katalog nieder, der in den letzten Jahren sicher unkommerzieller geworden ist, in der Hinsicht, dass heute sicher weniger Sachen radioatauglich sind als noch vor ein paar Jahren. In Spanien ist es eben wie überall: es gibt nur wenige gute, kleine Radiosender, und im öffentlichen landesweiten Radio hast du keine Chance, wenn du nicht bereit bist, den wichtigen Leuten auf den richtigen Partys in den Arsch zu kriechen. Darauf habe ich keine Lust, mit dem Resultat, das andere Labels mit weit weniger Releases mehr Erfolg haben, aber das stört mich nicht, und ehrlich gesagt läuft es bei Munster auch nicht so schlecht."
Wie hat sich seinerzeit das Label aus dem Fanzine entwickelt, was ist aus dem Zine geworden?
"Puh, meine Erinnerung an die frühen Jahre ist natürlich nicht mehr sonderlich frisch, aber wir haben damals 13 Ausgaben des Fanzines gemacht, und die letzten hatten eine 7"-Beilage. Bei der Gelegenheit habe ich festgestellt, dass das Plattenmachen zwar auch viel Arbeit bedeutet, aber nicht so viel wie ein Fanzine zu machen. Aber das brauche ich dir ja nicht zu erzählen, oder? Eine Weile lang liefen dann Fanzine und Label noch parallel, aber 1987 dann habe ich das Fanzine völlig eingestellt und mich voll auf das Label konzentriert. 1994 allerdings hatte ich einen kleinen Rückfall und half ein paar Freunden bei ihrem Zine "Beat Generation". Es gab vier Ausgaben, war eigentlich sehr gut, aber letztendlich war es doch wieder zu viel Arbeit. So ganz lässt mich die Idee ein Fanzine zu machen aber auch heute nicht los, und ich habe eigentlich vor, ein kleines Heft zu machen, sehr schön gestaltet und so, und selbst wenn es nur einmal im Jahr kommt, wäre das o.k. Ausserdem besteht in Spanien wirklich Bedarf an einem coolen Fanzine, sowas wie das Ox gibt´s in Spanien nicht."
Ich denke mal, dass das Fanzine und dann auch das Label nicht von Anfang deinen Lebensunterhalt sichern konnten. Was hast du also früher gemacht?
"Ich bin drei Jahre, nachdem ich das Fanzine angefangen hatte, nach Madrid umgezogen und habe dann erstmal in einem Club gearbeitet, "Rock Club" hiess der. Der Name wird vielleicht ein paar Leuten was sagen, denn zu der Zeit war es DER Club in Madrid, wo alle grossen Bands spielten. Ich machte das drei Jahre lang, und es hat mir im Hinblick auf das, was ich heute mache, sehr viel geholfen, denn ich habe dort unglaublich viele Leute getroffen und mich mit ihnen unterhalten, von THE DAMNED über VIOLENT FEMMES, THE CHURCH und GUN CLUB bis zu Alex Chilton - fast alle Bands eben, die in den Achtzigern in unseren Kreisen angesagt waren."
Du hast damals also Kontakte geknüpft, die sich erst Jahre später als für dich bzw. das Label nützlich erwiesen haben.
"Ja klar. Damals lernte ich sehr viele Leute von Bands und Labels über das Fanzine und den Club kennen, mit denen ich bis heute in Kontakt stehe. Dadurch sind Beziehungen entstanden, die über das rein Geschäftliche hinausgehen."
Und was hat dann letztendlich den Ausschlag gegeben, das Label als Vollzeitsache in Angriff zu nehmen?
"Ganz einfach: ich bin von dem Club gefeuert worden, habe vom Staat ´ne Menge Geld bekommen, noch einen Kredit aufgenommen und das Label professionell aufgebaut. Das war für mich ein Traum, ich hoffte, dass es klappen würde, und ja, es hat geklappt und ich mache Munster jetzt seit über zehn Jahren in dieses Form."
Wer steckt ausser dir noch hinter Munster?
"Munster besteht aus zwei Teilen: der eine ist das Label, der andere der Mailorder. Der Mailorder sitzt allerdings in Bilbao, nicht in Madrid, und wird von meinem Bruder geführt, der übrigens auch der Sänger von LA SECTA ist. Der Mailorder läuft auch ganz gut, was auch viel damit zu tun hat, dass wir bei Munster von Anfang an alle Adressen aufbewahrt haben, und diese 15.000 Adressen sind ein sehr guter Grundstock. Das Label sitzt, wie du weisst, in Madrid. Wir sind zu viert im Büro, plus eine Aushilfe. Ich kümmere mich um den ganzen Papierkram, einer macht den Verkauf und packt die Lieferungen, Francesco ist für die Presse zuständig und sowas wie mein Assistent, und dann haben wir noch jemand für die Promotion und das Booking unserer Bands in Spanien. In Zukunft wollen wir uns aber auch noch als Vertrieb, als Grosshändler versuchen."
Sprechen wir über deine Labelpolitik. Ihr macht zum einen neue Platten von spanischen, aber auch internationalen Bands, zum anderen erscheinen aber auch viele Wiederveröffentlichungen bzw. Erstveröffentlichungen unveröffentlichter Aufnahmen alter Punkbands.
"Wir haben von Anfang an aktuelle Bands veröffentlicht, sowohl aus Spanien wie auch aus Australien und den USA. Plötzlich ergab sich dann aber die Möglichkeit, diese ganzen alten Sachen herauszubringen, und da ich ein richtiger Rock´n´Roll-Fanatiker bin, hat mich diese Idee sofort begeistert. Nach den ersten Releases stellte ich dann fest, wie einfach und unkompliziert solche Rereleases in der Handhabung sind - im Gegensatz zu einer neuen Band, die du erst ins Studio schicken musst und die immer nur kostet. Und mit dem Verkaufen ist es auch was anderes, wenn du MC5, STOOGES oder GENERATION X anbieten kannst statt SAFETY PINS oder PUSSYCATS. Aber beides hat seine Berechtigung, und es macht einfach Spass, diese grossartigen alten Bands auf dem Label zu haben. Ich bin da wirklich stolz drauf, wir werden in dieser Hinsicht noch einiges machen, denn es bringt uns als Label wirklich weiter und hilft auch, weiterhin Platten unbekannter spanischer Bands herauszubringen."
Wie schwer ist es an die Rechte dieser alten Aufnahmen heranzukommen?
"Viel hängt mir alten Kontakten zusammen, aber auch damit, dass wir schon so lange dabei sind und uns einen Namen gemacht haben. Wenn du dann Leute ansprichst, kennen sie Munster, wissen, was sie davon zu halten haben und geben uns die Rechte. Das sind eigentlich immer ziemlich einfache Deals: du bietest etwas Geld und Verlässlichkeit, und kannst du dafür diese Sachen veröffentlichen. In Zukunft wird da noch eine ganze Menge kommen. Ich arbeite etwa an MIDDLE CLASS aus Los Angeles, aber auch an den SMALL FACES."
Machst du diese Rereleases auch für dich selbst?
"Absolut! Ich war früher ja auch mal ein ganz normaler Plattenkäufer und es war immer ein Abenteuer, sich auf die Suche etwa von JOHNNY THUNDERS & THE HEARTBREAKERS-Platten zu begeben. Damals, in den Achtzigern, hatte man da noch eine Chance, aber wenn du heute in einen Plattenladen gehst und nach Johnny Thunders auf Vinyl suchst, hast du keine Chance. Selbst Platten, die gerade mal zehn Jahre alt sind, kriegst du nicht mehr. Ich glaube aber, dass die heutige Generation der Punk- und Rock´n´Roll-Fans daran interessiert ist, diese alten Sachen zu kaufen, und unsere bisherigen Erfahrungen bestätigen das."
Wie kommst du mit den Rechte-Inhabern etwa der "Metallic 2x ´KO"-Doppel-LP bzw. -CD von IGGY AND THE STOOGES in Kontakt?
"Das ist in diesem Falle Skydog Records. Die waren seinerzeit das erste New Wave-Label überhaupt. Schau dir mal die Diskographien irgendwelcher alter Bands an, und du wirst feststellen, dass die ersten paar Platten vieler Bands auf Skydog erschienen sind. Von Skydog stammt die STOOGES-Platte, die du erwähnt hast, aber auch Kim Fowley oder THE DAMNED. Deren erste Single ist dort erschienen. Der Typ, der damals dieses Label gemacht hat, er heisst Marc Zermati, lebt heute in Barcelona und er führt, glaube ich, ein sehr gutes Leben mit seinen alten Rechten. Wir kamen vor ein paar Jahren mit ihm in Kontakt, er fand Munster gut, und so kamen wir ins Geschäft."
Sind diese Deals denn "sauber", also bezahlt er die Künstler?
"Ich denke doch! Im Falle der STOOGES etwa steht er ständig in Kontakt mit Iggy Pop, ist sein Repräsentant für Japan und hat die Rechte der neuen Platte für Spanien. Er steht auch in Kontakt mit dem "Johnny Thunders Estate", die die Rechte der Aufnahmen von Johnny Thunders verwalten und die Royalties an Johnnys Familie ausschütten. Und soweit ich weiss, war er auch mal Manager von THE CLASH. Er hat definitiv eine Menge für die Szene getan, und auch heute noch hat er Kontakte zu all den wichtigen Leuten, gerade in England."
Aber das ist nicht deine einzige Quelle, oder?
"Nein, ich stehe auch in Kontakt mit Patric Mathe, der New Rose, dieses Label aus Paris gegründet hat. Er hat leider nicht seinen ganzen Katalog behalten, aber auch der Rest umfasst unglaubliche Sachen und ich habe und werde Sachen von ihm lizensieren. Dann sind da noch Last Call Records und Red Star, die auch sehr gute Sachen gemacht haben. Red Star, das ist bzw. war das Label von Marty Thau, dem einstigen Manager der NEW YORK DOLLS. Wie du siehst, habe ich die unterschiedlichsten Quellen und es macht Spass mit diesen Leuten zu arbeiten, die ich seit langem bewundere. Dabei können die sich untereinander überhaupt nicht leiden: Marc Zermati, Greg Shaw und Marty Thau hassen sich... Weisst du, die Bands sind die eine Sache, die Leute, die dahinter standen, die andere. Ich finde es manchmal genauso interessant, wenn nicht sogar interessanter, sich mit den Leuten im Hintergrund zu beschäftigen, denn über die Bands weiss man meist schon alles. Dabei waren es ja oft Manager und Labelmacher, die an eine Band glaubten und sie pushten, sie dahin brachten, wo sie bis heute stehen. Nimm zum Beispiel SUICIDE: die sind eine meiner absoluten Lieblingsbands, aber was muss es damals für einen Mut gebraucht haben, sowas Radikales zu veröffentlichen. Ich weiss nicht, ob es heute ein Label gibt, das so eine Band veröffentlichen würde. Persönlich stehe ich nicht besonders auf aktuelle Musik, manche Sachen erinnern mich an alte Bands, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich an viel davon in ein paar Jahren noch erinnern wird. Und deshalb schätze ich auch Bands wie DOO RAG: die sind roh, lo-fi, basic, intensiv und echt, die werden über die Jahre Bestand haben."
Viele der Sachen, die ihr macht, kommen sowohl auf CD wie auf Vinyl, und wenn ihr Vinyl macht, dann viel in Farbe, als 10" oder in besonders schwerer Qualität.
"Das Hauptargument für Vinyl ist, dass ich die Sachen gerne auf Vinyl haben möchte, und es ist auch jedes Mal ein grossartiger Augenblick, wenn die Sachen geliefert werden und ich die Plattte erstmals in den Händen halte. Ich muss die dann erstmal ein paar Stunden lang anschauen und höre sie mir zu Hause mehrmals an. CDs sind ok, aber ich kann für sie keine Leidenschaft entwickeln. Man kann zwar auch bei einer CD von der Verpackung her viel machen, aber lange nicht so viel wie mit Vinyl. Auf jeden Fall gibt´s alles, was wir auf CD machen, auch auf Vinyl, plus noch eine ganze Menge Singles."
Viele eurer Sachen sind auch limitiert.
"Ja, das hat bei den Rereleases auch was mit dem Lizenzdeal zu tun, der teilweise nur Vinyl erlaubt und dann auch nur 1.000 Stück. Die Grundidee war eben auch, dass die Sachen etwa via Skydog als CD erhältlich waren, die aber selbst kein Interesse an Vinyl hatten und zudem die Ausstattung auch nicht so war, wie ich das gerne hätte. So kam´s auch dazu, dass ich die CDs für Spanien lizenzieren konnte - mit vernünftigen Fotos, Linernotes, und so weiter."
Damit kommen wir zu einem weiteren interessanten Punkt: Viele Rereleases sind sehr simpel aufgemacht, ohne vernünftige Hintergrund-Informationen zur Band und so weiter. Eure Sache dagegen sind in dieser Hinsicht vorbildlich.
"Ja, daran liegt mir persönlich sehr viel. Ich habe viele alte Fanzines und Bücher, und da bietet es sich an, Informationen zum Hintergrund und den Umständen der Aufnahmen und Entstehung einer Platte zusammenzutragen und dann zusammen mit schönen Fotos ordentlich Linernotes zu schreiben. Ich habe kein Interesse daran, dass meine Platten aussehen wie solche, die man an der Tankstelle kaufen kann, du weisst schon, diese üblichen "Best of..."-Sachen. In dieser Hinsicht besteht da schon noch viel Potential, nicht unbedingt was grosse Namen wie MC5 anbelangt - da ist mittlerweile alles verwertet -, aber es gibt noch genug guten Rock´n´Roll, der vernünftige Präsentation verdient hat."
Das Problem vieler Rereleases ist aber auch, dass es oftmals nicht mal eine Wiederveröffentlichung ist, sondern irgendwer beim Aufräumen Demo-Aufnahmen oder einen Livemitschnitt gefunden hat, der seinerzeit aus gutem Grund keine Verwendung fand, der jetzt aber mal eben auf CD gepackt wird, nach dem Motto: die Band hat einen guten Namen, irgendwer wird das schon kaufen.
"Das alles ist offensichtlich: es gibt eben genug Leute im Plattenbusiness, die das des Geldes wegen machen und die bei so eine Veröffentlichung jede unnötige Ausgabe scheuen. Ich dagegen verdiene zwar meinen Lebensunterhalt damit, aber ich mache es aus Liebe zur Musik und mit dem Ziel, mit dem verdienten Geld weitere Sachen finanzieren zu können. Viele Leute, die Platten veröffentlichen, sind aber absolute Ignoranten, die zum einen nicht verstehen, wen oder was sie da überhaupt veröffentlichen, und die dann auch noch jede zusätzliche Ausgabe für ein paar Seiten mehr Booklet, für das Schreiben von Linernotes oder für Fotos scheuen. Unsere Sachen dagegen sind schön layoutet und alles, und ja, im Falle des Vinyls, etwa der STOOGES-Doppel-LP, schlägt sich das in einem höheren Preis nieder, aber die Ausstattung kostet einfach."
Du machst auch viele Ten-Inches. Warum die Vorliebe für dieses Format?
"Ich habe zu Hause eine ganze Menge alter Tango-Platten aus den Sechzigern, alle im 10"-Format, die meinem Vater gehörten. Die haben zwar überhaupt nichts mit Rock´n´Roll zu tun, aber mir gefällt seitdem das Format."
Du hast vorhin erwähnt, dass du auch selbst mal Musik gemacht hast.
"Ja, ich war in einer dummen Band namens LOS KENNY HARPERS. Wir haben nur ein paar Konzerte in Spanien gespielt, eine 10" auf veröffentlicht und eine Deutschland-Tour gemacht. Das war im Frühjahr 1997. Wir haben die Band nie ernst genommen, wir waren eine Fun-Band und hatten nicht mal einen Gitarristen. Für die Tour haben wir dann eine Woche vorher jemanden rekrutiert, und der hat sich dadurch qualifiziert, dass er der einzige war, den wir kannten, der Gitarre spielen konnte. Wir hatten ´ne Menge Spass! Ach ja, die Platte ist auf einem Label namens Electro Harmonix erschienen, mit dem ich auch was zu tun habe. Da erscheinen nur spanischsprachige Bands, etwa die SAICOS, eine Band aus Peru von 1965, oder die SHAINS oder LOCOS DEL RITMO, eine mexikanische Rock´n´Roll-Band aus den Fünfzigern. Und die nächste Platte ist von den ULTRASONICAS aus Mexiko. Hinter dem Label stecken ich und ein Freund: wir machen nur Singles und 10"s, nur Vinyl. Wir pressen jeweils 500 Stück, und die Platten sind auch alle beinahe ausverkauft."
Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #37 IV 1999 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #78 Juni/Juli 2008 und Joachim Hiller