MR. WHEELCHAIR

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Hardcore for life

Das Ox-Fanzine ist ein Ort, an dem immer wieder Menschen zu Wort kommen, die eine Geschichte zu erzählen haben. Mr. Wheelchair ist auch so jemand. Er ist seit gut zehn Jahren nach einem Unfall auf einen Rollstuhl angewiesen und kann eigentlich nur noch den Kopf bewegen. Wie der Hardcore-Fan trotz seines Handicaps immer noch in der Szene mitmischt, auf Konzerte fährt und sogar ein eigenes Festival auf die Beine stellt, erfahrt ihr hier.

Klär uns doch erst mal über den ungewöhnlichen Namen auf und erzähl kurz ein paar Takte über dich.

Mein Name ist Gabor Schneider aka Mr. Wheelchair. Ich bin 37 Jahre alt und komme aus Susenburg, einem kleinen Dorf im wunderschönen Rübeland im Harz bei Wernigerode. Eigentlich bin ein ganz normaler Typ, der seit seiner Jugend Hardcore und Metal hört, nur dass ich seit dem 06.08.2010 vom Hals abwärts gelähmt bin. Das nennt man im medizinischen Sprachgebrauch Tetraplegie.

Was ist an diesem Tag 2010 passiert?
Im Urlaub auf der Insel Rügen habe ich mir beim Sprung ins Wasser das Genick gebrochen. Vollgas war immer mein Motto, aber seitdem musste ich an vielen Stellen natürlich runterfahren. Stagediven geht nicht mehr so gut, hahaha. Aber das mit der Behinderung ist okay für mich, ich habe gelernt, damit zu leben. Außerdem habe ich eine sehr geile Familie und Community hinter mir. Wenn ich das nicht hätte, wäre ich ganz schön aufgeschmissen. Das habe ich in den letzten Jahren gelernt: Wenn du alleine bist, hilft dir auch alles Geld der Welt nicht. All die tollen Menschen um mich zu haben, das macht mich sehr glücklich und stolz.

Wo du eben das Stagediven erwähnt hast, vor deinem Unfall hast du auch als Musiker auf der Bühne gestanden, oder?
Ja, das stimmt. Ich habe damals mit 12, 13 Jahren von meiner Omi eine Akustikgitarre und auch Unterricht geschenkt bekommen. Damit nahm es seinen Lauf mit mir und dem Mosh, hahaha. Hier auf dem Dorf hängen ja Jugendliche unterschiedlichen Alters zusammen. Es gab da die „Alten“, also Leute, die ein paar Jahre älter waren als wir. Sie waren musikalisch unsere Vorbilder und hatten auch ein bisschen das Sagen. Auf den Partys lief dann immer deren Musik und das war meist Hardcore. Dann kamen zwangsläufig die ersten Konzerte und Festivals wie „Der Bär groovt“ hier gleich um die Ecke. Da habe ich meine Erfahrungen hinsichtlich Mucke, Alkohol und dem anderen Geschlecht intensiviert. Später habe ich ein paar Kumpels zusammengesammelt, die ein Instrument halten konnten, und meine eigene Band gegründet: Das ultimative Mosh-Kommando MY OWN LIFE. Wir waren eher eine lokale Band, die viel hier in der Gegend gespielt hat. Das war vielleicht die beste Zeit meines Lebens – Shows mit vielen Freunden, ordentlich Saufen und Spaß ohne Ende. Das vermisse ich immer noch, aber ich habe mir andere Ziele im Leben gesetzt, soweit das noch möglich ist. MY OWN LIFE gab es dann auch bis zu meinem Unfall. Anschließend haben sie noch ein paar Shows ohne mich gespielt und sich dann aufgelöst.

Eines von deinen Zielen ist auch, Festivals barrierefreundlicher zu gestalten, indem du die Organisatoren dahingehend sensibler machst.
Ja, auch. Mit meiner Crew fahre ich im Sommer eigentlich auf jedes Hardcore-affine Festival wie das Endless Summer oder auch With Full Force. Das war und ist immer mein Leben gewesen. Die Musik und die Menschen in der Szene sind das, was mich am Leben hält. Natürlich ist es nun deutlich schwieriger geworden, früher hast du dir einen Rucksack mit Isomatte mitgenommen und eine Palette Bier eingepackt. Heute reise ich mit einem Bus an, der speziell für mich umgebaut wurde. Zum Glück hatte ich damals eine Unfallversicherung abgeschlossen, die die Umbaukosten von über 50.000 Euro übernommen hat. Leider ist er etwas in die Jahre gekommen und die ganzen Kleinigkeiten, die man machen muss, übersteigen oft meine knappe Rente. Obwohl ich gerne hier in Susenburg lebe, würde ein Verzicht auf die Mobilität die Abgeschiedenheit besiegeln. Das wäre mein Untergang. Vor knapp zwei Jahren kam der Supergau: Erst hatte ich die Karre reparieren lassen, als der Krümmer kaputtging. Wieder 3.000 Euro, die ich nicht hatte. Also musste ich an die Öffentlichkeit gehen und habe in den sozialen Medien mein Leid geklagt und um Unterstützung gebeten. Eigentlich ist das gar nicht mein Ding, aber ohne die Karre bin ich am Arsch. Keine 24 Stunden später war die Kohle übrigens zusammen, die Spendenaktion hat mich einfach nur umgehauen und auch an dieser Stelle nochmals vielen Dank an die ganzen Unterstützer da draußen. Ihr seid die Geilsten! Und seitdem war ich auch wieder viel unterwegs und schaue mir die Sache mit der Barrierefreiheit genau an. Ich bin ja nicht alleine und es gibt viele Leute mit Behinderungen, die nicht dahin fahren, weil sie Angst davor haben, an bestimmten Stellen nicht weiterzukommen. Vor Ort drehe ich auch Videos, die ich anschließend den Organisatoren zukommen lasse, um sie auf solche Probleme hinzuweisen.

Dein Festival ist dahingehend bestimmt fortschrittlich, oder?
Ja, sicher, das wäre auch ein Unding, wenn es nicht so wäre. Damit es bei uns im Harz nicht ganz tot ist mit Hardcore und Punk, veranstalte ich jedes Jahr mein eigenes Festival. Sozusagen als mein zweiter Geburtstag immer Anfang August. Es ist das OWOC-Festival, das steht für „One Wald, One Crew“. Warum solch ein blöder Name? Na, weil ich im Wald wohne und zudem mein Englisch alles andere als gut ist, also habe ich beide Sachen einfach vermischt, haha. Es ist ein kleines Ding bei mir im Garten, alles DIY mit Freunden, Familien und fünf oder sechs Bands. Von der Kapazität her ist mein Garten auch begrenzt, so dass das gar nicht ausufern darf.

Die Lokalmatadore ISOLATED aus dem Harz haben dort auch schon gespielt ...
Mit ISOLATED verbindet mich auch viel mehr als nur die Musik. Wir sind beste Freunde und sie unterstützen mich, wo sie nur können. Aber auch mit PUNISHABLE ACT aus Berlin oder RAWSIDE habe ich Bands gefunden, bei denen die Kontakte sehr eng geworden sind. ISOLATED habe ich unter anderem auch auf meinem YouTube-Kanal interviewt, checkt das gerne mal ab. Apropos Kanal: Mr. Wheelchair ist auch auf Facebook oder Instagram unterwegs und stellt viele Dinge aus der Welt der Behinderten für die Öffentlichkeit vor.

Was willst du den Menschen da draußen noch mitgeben?
Obwohl es abgedroschen klingt, aber seid froh, wenn ihr gesund seid. Das ist einfach das Wichtigste im Leben. Freut euch an den Sachen, die ihr habt, und guckt nicht immer auf andere. Das ganze Nörgeln geht mir so auf den Sack. Versucht, zufriedener zu sein, und helft Menschen, die es nicht so gut haben. Egoisten gibt es schon genug! Auch ich habe genügend Schwätzer und Dumpfbacken während der letzten zehn Jahre erlebt. Das braucht die Welt nicht. In diesem Sinne: Passt auf euch auf.