MOLOTOW SODA

MOLOTOW SODA, ein Name, viele Geschichten - die spätestens seit 1980 mit Punk zu tun haben. Zwar plätscherte die letzte EP "Kordsofa" des reformierten Bonner Urgestein ein wenig lustlos dahin. Mit Blick auf die neuen Aufnahmen keimt aber wieder Hoffnung. Power, wohl dosierte Metalsoli und Singalongs glänzen wie zu "Keine Träume"-Zeiten. Der Titelsong "Eigen Urin" oder der Smasher "Meine Mutti ist ein Hool" strotzen wieder vor Ironie, und "Stammtisch-Hitler" ist mehr als nur ein Hit: Für Deutschpunk-Fans könnte es eine Hymne werden.

Alleine schon die Textzeile "Stammtisch-Hitler, du regierst bei Bier und Korn" ist in ihrer Einfachheit denkbar gut geeignet, sogar den Schutzbefohlenen der CristlichenStammtischUnion klarzumachen, dass komplexes Weltgeschehen nicht durch das Lehrgeld einer Lokalrunde zu begleichen ist: "Du hast bestimmt sofort eine Vorstellung, welche Art Typ hier gemeint ist. Du kennst bestimmt ´ne Kneipe und den Moment, wenn dich dieser Typ anspricht und dir diese ganze Scheiße an die Backe labert. Und von den Typen gibt´s so viele..." so Volker, der nicht nur die Texte von MOLOTOW SODA geschrieben hat, sondern auch an Gründertagen tief blicken lässt. Denn spätestens seitdem Dominik sich im Zuge der letzten Wiederbelebung hinzugesellte, könnte man von der Erneuerung des Mythos CANAL TERROR reden. Denn Tommy, Volker und Dominik waren diejenigen, die der Deutschpunk-Gemeinde 1982 die LP "Zu spät" bescherten. Dieses wegweisende Album gehört auch heute noch bei Liebhabern des Genre zum guten Ton. Was liegt da näher, als nach alten Zeiten zu fragen?

"Unser erstes Konzert - mit Schlagzeuger - spielten wir Anfang ´81 im Bonner Beethoven-Gymnasium. Es war eine Schulveranstaltung, wo das Schulorchester, ´ne Blaskapelle, der Chor und ´ne Experimentalband spielte. Da wir niemals zugelassen worden wären und nix mit der Schule zu tun hatten, war ausgemacht, dass die Experimentalfritzen uns nach 15 Minuten Bühne wie Instrumente überlassen sollten. Wir stürmten also mit 50 Punks die Aula und spielten dreieinhalb Songs, bis uns der Strom abgestellt wurde. Dass derweil vor der Bühne voll der Pogo abging, schien den übrigen Anwesenden nicht sonderlich zu schmecken. Eltern, Lehrer und Schüler stimmten markerschütternde "Punker raus!"-Sprechchöre an, bis die Bullen kamen und uns des Saales verwiesen." Soweit Dominik. Und Tommy?

"Wir haben 1983 im Kölner Stollwerk einen Auftritt vor BLACK FLAG gehabt. Zu der Zeit hatte ich eine Tolle und war auch sonst im Ted-Outfit gekleidet. Als ich ins Stollwerk wollte, haben mich die Ordner nicht durchgelassen, weil sie mir nicht geglaubt haben, dass ich der Sänger von CANAL TERROR bin." Anzumerken wäre hier, dass sich Teds und Punks in Köln eine zeitlang nicht eben gut leiden konnten. Aber wie wird man vom Punk nur zum Ted?

"Etwa 1983 war mir die Punkszene zu stumpf geworden, jede Menge Penner in Nietenjacke. Mit dem Outfit konnte man auch keinen mehr wirklich schocken. Also haben wir uns mit einigen Leuten wie Teds angezogen, zumal ich Rock´n´Roll und Rockabilly auch schon immer gehört habe. Wie man sieht ist es so gelungen, Leute zu irritieren. Später wandten wir uns dann dem Psychobilly zu, bis sich dort irgendwann zu viele Rechte in der Szene breit machten. Die Teds sind ja größtenteils eher konservative oder ganz unpolitische Leute, ich habe mich zu denen immer nur modisch und musikalisch hingezogen gefühlt."

Und Volker fügt hinzu: "Wobei man sagen muss, dass wir in Bonn eine prima Psychogang hatten, die meisten kamen vom Punkrock. In anderen Städten war das anders. Wenn wir auf Konzerte gefahren sind, traf man immer mehr auf rechte Skins, die sich einen kleinen Alibi-Flattop zulegten und so auch wieder in die Läden reinkamen, wo sie bisher Hausverbot hatten. Da hatten wir dann keinen Bock mehr drauf."

Nach dem Split von CANAL TERROR wechselte Dominik ans Schlagzeug und hatte maßgeblich Anteil an der Band FFF: eine Mischung aus Punk, italienischem HC, begleitet von Geige und kreischender Frauenstimme, irgendwann verlustig gegangen zwischen dem heimatlichen Eckpunkt Chile (Gitarrist Vladi), dem Reiseziel Kanada (Sängerin Dolly) und neuerlichen Bands aus dem Bonner Umfeld. Tommy und Volker hingegen gründeten MOLOTOW SODA und "debütierten" ´89 mit "Keine Träume". Dank Tommys prägnanter Stimme witterten CANAL TERROR-Junkies Neues von ihren Helden. Zu einer Zeit, als Deutschpunk längst abgeschrieben schien und mit der Wiedervereinigung aus dem Osten ein Völkchen loslegte, welches wohl mit aller Gewalt und Stumpfness das nachholen wollte, was Mitte der 80er zum absoluten Verblöden der Westszene geführt hatte, weckten MOLOTOW SODA ergo neue Hoffnung. Zumal ihre Erlebnisse in der noch-Ostzone wohl um einiges angenehmer waren als die vieler anderer: "Wir haben noch vor der Währungsunion in Rostock und in Freiberg gespielt," so Tommy. "In Rostock traten wir in einem ehemaligen FDJ-Club mit Stühlen und Tischen auf. Der Veranstalter ist von Tisch zu Tisch gewandert und hat die Leute aufgefordert, doch mal zu tanzen. Daraufhin haben einige vor der Bühne paarweise "Pogo" getanzt." Und Volker ergänzt: "Damals hatten ´ne Menge Wessi-Bands Schiss, in den Osten zu fahren, wegen Naziterror und so. Das fand ich schon arm, den harten Punk mimen und dann nicht nach Ostdeutschland fahren wollen..."

1991 folgte der zweite Longplayer "Die Todgeweihten grüßen euch", wo über Rockstars gelästert wurde, sie seien "Sechzig oder älter und sie machen sich zum Clown". Neun Jahre sind seitdem vergangen...ein Schelm, wer böses dazu fragt!

"Sind wir jetzt 60, oder was? "Spielen immer noch den Popstar, money makes the world go round" ist das Ende der Strophe. Mit den Mollis das dicke Geld?!?" mosert Tommy. "Und zum Clown machst du dich eigentlich nur, wenn du Dinge tust, zu denen du überhaupt nicht mehr stehst. Das ist bei uns nicht der Fall." - "Ich bin 35 und Punkrock ist mein Leben. Na und? Soll ich jetzt aufhören zu existieren?" Da hat Dominik auch wieder Recht, und Tommy ergänzt: "Manche "Altrocker" machen künstlich einen auf jugendlich, tragen einen Hut um die Glatze zu verbergen oder umgeben sich mit 20-jährigen Groupies. Lächerlich! Wenn allerdings den Musikern anzumerken ist, dass sie es nicht nur wegen der Kohle machen, ist nichts dagegen einzuwenden. Bestes Beispiel ist Charly Harper, der war ja 1980 schon über 40..." Obwohl der auch schon so manchen schwachen Moment hatte. Aber lässt das Bild den Vergleich mit der "Kordsofa" zu?

"Ich fand die Songs auch nicht alle gelungen, vor allem die Aufnahmequalität ist durchgehend lausig. Die Lieder "Kordsofa" und "Kauf den Punkrock" gefallen mir aber immer noch ganz gut," resümiert Tommy, und Dominik meint: "Ich finde die EP nach wie vor geil, insbesondere im Vergleich zu vielem, was im Deutschpunk so rauskommt. Was ich scheiße fand, war, dass die EP auch auf CD rausgekommen ist, und dass der Studiofritze sich als extrem armes Würstchen entpuppt hat..." Lehrgeld für "Eigen Urin", bei der man klüger war. Die Scheibe brodelt förmlich im CD-Player, wenn es auch manchmal klingt, als hätten die Bonner alte Smasher umgemodelt...

"Wir spielen Punkrock, Zwei- bis Vier-Minuten-Songs aus zwei bis vier Akkorden, meistens so schnell, wie wir gerade können und so gut es eben geht. Wir sind nicht gerade die Pfeilspitze des Progressivrock, ich habe schon immer lieber G.B.H. oder die RAMONES als NO MEANS NO oder EMERSON, LAGE & PALMER gehört," so Volker. "Innerhalb eines bestimmten Rahmens haben wir uns weiterentwickelt, einige Texte oder Riffs hätten wir früher nicht so hingekriegt. Aber Mittwochs spielen wir immer Freejazz - zu Texten von Camus und Schopenhauer..." Scheinbar ohne Dominik: "Ist doch geil, wenn eine Band ihren eigenen Stil hat und jeder direkt hört: "Hey, dat is MOLOTOW!" Abgesehen davon ist für mich die "Eigen Urin" die beste Scheibe, die MOLOTOW je gemacht hat, vom Spielerischen, vom Sound, und von der Power sowieso. In anderen Bands haben wir auch schon so ziemlich jede Variante des Punk/HC durchgespielt, teilweise ziemlich ungewöhnlichen und frickeligen Kram gemacht und dabei vielleicht gedacht: "Mann, sind wir kreativ". Aber was bringt´s, wenn die Songs vielleicht gar nicht rüberkommen?"

Von diesen Sideprojekten gab und gibt es nicht eben wenige. Dominik, Volker und der neue Drummer Hille spielen noch bei der kultigen Covercombo THE PUKE, die derzeit einen neuen Sänger suchen. Tommy sang einige Lieder auf den Scheiben von KELLERGEISTER und DADDY MEMPHIS ein. Dominik spielte bei COMBAT FLEUR (übrigens die düstere Band in meinem "Forensik rockt!"-Artikel, tbc) und macht nun auch 1982, ein Coverprojekt, das alte Deutschpunk-Klassiker aus den Jahren ´80 bis ´85 ´runtergedrischt. Volker und Hille haben schon als LUNCHBOX serviert, und Ex-Drummer Tommes spielt seit langer Zeit mit Leuten aus dem HEITER BIS WOLKIG-Umfeld Kindertheater: beim Kleinen Vampir mimte er etwa den Geiermeier, bei Pipi Langstrumpf deren Vater und gerade spielt er drei Charaktere in einer Elvis-Revue. Ein begnadetes Team von Kreativbestien!

Seine ihm ganz eigene Kreativität lässt Volker denn auch in fast allen Texten gekonnt von der Leine: "Ironie steckt doch im Leben, der reinste Slapstick, den ich von morgens bis abends zu sehen kriege. Gespräche in der U-Bahn, die Tagesschau, Talkshows - manchmal schreiend komisch, manchmal hysterisch oder wahnsinnig. Viele unserer Songs haben eine wahre Begebenheit zum Ursprung und ich spinne dann eine Story drum herum. "Maßlos" ist ein gutes Beispiel!" Und eine der Hymen auf dem Debüt! "Ich hab damals beim Zivildienst Sani bei Veranstaltungen von Parteien gemacht, und so, wie die ans Büfett gestürmt sind, kannst du dir gut vorstellen, wie die sich nach zuviel Alkohol aufführen... Mich interessiert dabei der Moment, in dem die Leute ihre guten Manieren vergessen und die Kontrolle verlieren. Umso feiner sie tun, umso größere Abgründe können sich auftun. "Eigen Urin" ist ja immer mal wieder als Heilmittel in den Medien, finde ich echt abgefahren. So wie abgepackte Jungfrauenscheiße als japanischer Verkaufsschlager..."

Leider aber klappt diese Art von auf dem ersten Blick humorloser Ironie mit auf dem zweiten Blick mächtig viel Biss nicht immer. Auf allen Platten von MOLOTOW SODA findet sich ein Ausrutscher der übel in die Funpunk-Ecke hinein schimmelt, auf "Eigen Urin" etwa "Lecker Bier". Was Dominik "an eine alte Weisheit vom Abzocker Karl Walterbach," dem Chef von Aggressive Rockproduktionen erinnert, "als wir mit CANAL TERROR die "Zu spät" aufnahmen: "Sauflieder bringen schlechte Kritiken!" Ham wir wohl immer noch nix dazugelernt." Könnte man so sagen, wobei auch das wieder relativ ist, wie Volker mit auf den Weg gibt: "Ich glaube, jemand anderes hat einen ganz anderen Favoriten bezüglich der Peinlichkeit unserer Songs.." Ob allerdings Tommys Argument stichhaltig ist, dass es überhaupt zu wenig gute Punkrock-Trinklieder gibt, mag dahingestellt sein. Und ob MOLOTOW SODA hier einen Fingernagel voll Abhilfe geschafft haben, versuchte ich schon zu eruieren...