MODERN LIFE IS WAR

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Supermodels in schwarzen Jeans?

In den USA sind sie auf Deathwish, in Europa erscheinen ihre Platten auf Reflections. „Witness“ ist das neue Album der Band aus dem provinziellen Iowa, die sich auf ganz eigene Art Wut und Frust aus dem Leibe schreit und prügelt. Ihre Konzerte sind intensive Erfahrungen, und doch hatte ich nach ein paar Erlebnissen backstage eine vorgefasste Meinung von MODERN LIFE IS WAR: Den Sänger hielt ich für arrogant, auch die erste Platte mochte ich anfangs nicht sonderlich. Was mich beeindruckte, war die Energie, die die Band live erzeugte. Also wollte ich meine Annahme überprüfen, ob ich recht hatte und Jeff, seines Zeichens Sänger, wirklich ein überhebliches Arschloch ist. Es stellte sich raus, dass ich ziemlich falsch lag, aber lest selbst ...

Ihr habt letztes Jahr bereits in Münster gespielt. Und um ehrlich zu sein, war ich zu dem Zeitpunkt kein sehr großer Fan. Ihr habt vor sehr wenigen Leuten gespielt und seid trotzdem total ausgeflippt ...

„Ja, wir stecken nicht mehr oder weniger in eine Show rein, je nach dem wie viele Leute im Publikum sind. Wir versuchen jeden Abend die gleiche Energie zu erzeugen. Oftmals ist es so, dass gerade in den Clubs, in denen wir beim ersten Mal vor zwanzig Kids gespielt haben, die einfach nur da standen, beim nächsten Mal dreimal so viele kommen, und die zwanzig vom ersten Mal stehen nun an der Bühne und gehen mit.“

Vorhin auf der Bühne hast du auch kurz Iowa erwähnt. Kannst du ein bisschen beschreiben, wo, wie, was Iowa ist?

„Iowa ist ein Staat in der Mitte der USA. Er besteht praktisch aus kleinen Städten und Kornfeldern. Wir kommen aus Marshalltown, eine Stadt mit 25.000 Einwohnern. Die meisten dort kommen aus der Mittelklasse oder sind Arbeiter. Mein Vater zum Beispiel arbeitet in einer Fabrik, die Klimaanlagen herstellt. Es ist eine Kleinstadt, die von der Industrie lebt.“

Ich denke, dass es wichtig ist, wo man aufwächst und wie man dann auf Hardcore reagiert.

„Absolut. In Marshalltown sind wir die einzige Band plus zwanzig andere Kids, die die erste Punkrock-Generation bilden. Es gab niemand, zu dem wir aufschauen konnten und uns sagten: ‚Oh, der ist aber Punk! Was hört der bloß?‘. Es gibt nur uns, die zufällig zusammengefunden haben, und irgendwie da rein kommen wollten. Es gab keine Bands, keine Shows, nichts. Wir haben damals nicht über D.I.Y. nachgedacht, wir wollten einfach Punkshows in unserer Stadt haben. Wir wollten Punkrocker sein. Also haben wir Bands gegründet, haben unsere eigenen Shows gemacht, unsere eigenen Shirts und unsere eigenen Zines. Wir haben alles gemacht. Meine erste Show habe ich mitorganisiert und habe auch bei den Flyern geholfen. Ich habe Punkrock/Hardcore nie nur als Entertainment verstanden. Das war schon
immer unser Ansatz und wir versuchen, ihm treu zu bleiben.“

Ihr habt D.I.Y.-Wurzeln und nun seid ihr auf Labels wie Deathwish und Reflections. Ist das nicht etwas komplett anderes?

„Nein, ich denke nicht. Die Leute bei Deathwish und Reflections können auch niemals aus dem Ganzen herauswachsen. Das sind keine Businessmenschen.“

Ich glaube, das liegt daran, dass die Leute Probleme haben, sich in der Gesellschaft einzugliedern und sich deswegen einen eigenen Raum schaffen.

„Ja, ich schaue wirklich zu den Leuten auf, die ein Label machen. Sie leisten einen eigenen Beitrag, sie tun etwas Konstruktives, sie helfen jungen Menschen, und sie haben keine üblen Bosse über sich oder irgendwelche hierarchischen Strukturen. Die beiden Labels sind sehr familiär, wir können immer anrufen, wir können bei den Leuten übernachten, sie bekochen uns und wir bleiben in Kontakt.“

Mir kam es in den Interviews, die du gegeben hast, so vor, als hättest du gerade „die beste Zeit deines Lebens“. Du wolltest immer raus aus Iowa und nun passiert all das ...

„Als ich jünger war und auf Konzerte gegangen bin und Bands gesehen habe, die ausgebrannt waren vom Tourleben, geradezu undankbar waren, habe ich mir geschworen: Wenn ich jemals in eure Fußstapfen trete, werde ich dankbar sein, werde jedes Mal mein Bestes geben. Und nicht nur, weil ich dafür bezahlt werde. Das ist wichtig für jeden von uns.“

Auf der Bühne hast du von Cliquen und Klischees geredet, kannst du das noch ein bisschen genauer erläutern?

„Ich glaube, in größeren Städten ist es oft so, dass du nur das eine oder das andere sein kannst. Vielleicht ein SXE-Hardcore-Kid oder ein Crust-Punker. Ich mache diesen Leuten keinen Vorwurf daraus, dass sie jung sind und nach einer Identität suchen. Aber es braucht mehr normale Bands, die sagen: ‚Hey, wir sind wie ihr, wir waren da, wo ihr jetzt seid, und ihr braucht keine bestimmte Persönlichkeit sein, um in einer Band zu spielen.‘ Wir versuchen, die Menschen zu inspirieren, sie selbst zu sein. Ich weiß, es ist schwer, aber das ist unser Ziel.“

Du denkst, ihr habt Einfluss auf eure Fans und somit auch Verantwortung?

„Ja, absolut. Ich glaube, zu wenige übernehmen für den Scheiß, den sie von sich geben, die Verantwortung. Manche sind sehr unehrlich, sie verleiben sich etwas ein, um etwas darzustellen, was sie nicht sind. Anstatt einfach hinzuschreiben, wie sie sich fühlen. Mich haben die Texte auf meinen Lieblingsplatten sehr beeinflusst.“

Welche waren das für dich?

„Eine Menge. Ich kam zum Punkrock in der 8. Klasse. Ich war ein normales Kind, kein Psychopath. Aber ich habe immer nach irgendetwas gesucht. Und dann habe ich eines Nachts auf MTV das RANCID-Video zu ‚Salvation‘ gesehen. Ich wusste nicht, was das war, aber mir gefiel, was die Jungs da machten. Ich wollte einfach ein Teil davon sein. Noch heute stehen die Jungs irgendwie über mir ... Und dann hab ich Chris auf der Highschool getroffen, der ist auch irgendwie da reingerutscht: GREEN DAY, RANCID, OPERATION IVY, MINOR THREAT ... all diese Bands. Dann siehst du eine Band, die du magst, die ein T-Shirt von einer anderen Band trägt, und kaufst eben auch deren Platte ...“

Kommen wir mal zu euren Lyrics. Ein Song handelt davon, dass zu oft über Selbstmord geredet wird und man zu jung sei, um sich solche Gedanken zu machen ...

„Ich hab es so empfunden, dass Depressionen und Selbstverstümmelung als etwas Glamouröses stilisiert wird, um es kurz zusammen zu fassen. Es wurde verherrlicht und dadurch zu einem Trend. Ich kenne Menschen, die sich selber geschnitten haben, aber nicht, weil es trendy war. Es war nichts, worüber man Witze machen sollte. Auf der einen Seite kann es kathartische Wirkung besitzen, wenn jemand so was macht. Zum Beispiel die erste AMERICAN NIGHTMARE-7“, die Leute haben die Lyrics gelesen und es gab nichts Vergleichbares. Ich fand es wirklich gut, es zeugte von Mut, denn es hat eine Verletzlichkeit gezeigt, die im Hardcore normalerweise nicht so vorkommt. Es ist nicht ohne Grund, warum sich so viele Kids von diesen Lyrics derart angesprochen fühlen. Das war unglaublich, es war eine kleine Revolution. Aber ich wollte es nicht noch weiter verherrlichen. Was ich versucht habe zu sagen, ist, dass so etwas existiert und wir alle da durch müssen.“

Okay, wenn du von selbstzerstörerischen Zügen sprichst, von Depressionen, wie wichtig ist es für dich, dann auf der Bühne zu stehen und alles raus zu lassen?

„Wenn wir ein paar Monate nicht gespielt haben, baut sich in mir eine innere Spannung auf. Es ist ja so, dass ich mich auf der Bühne bewegen kann, wie ich mag, schreien kann, wie ich will, und man hört mir zu. Dadurch kann ich eine Menge rauslassen. Es ist befreiend, über Selbstverstümmelung zu sprechen. Es ist aber auch notwendig, dass es Bands gibt, die hinter so etwas schauen.“

Manchmal habe ich den Eindruck, dass die ganze Szene aus Menschen besteht, die nicht in die Gesellschaft reinpassen, weil sie nicht wissen, was sie werden wollen, weil sie ein wenig „verrückt“ sind ...

„Nachdem ‚My Love. My Way.‘ rausgekommen ist, haben mich eine Menge Leute gefragt, worüber ich als nächstes schreiben will, ob nun alles schön und gut sei? Ich musste lange darüber nachdenken ... Ich habe die neue Platte ‚Witness‘ genannt, weil ich mich so gefühlt habe, als ob ich nun alle Stadien von Punkrock durchlebt hätte. Und zehn Jahre später bin ich in Deutschland und sehe Menschen, die Lyrics tätowiert haben, die ich mal geschrieben habe. Das ist überwältigend. Ich habe viele Dinge von vielen verschiedenen Standpunkten aus gesehen. Vom Jugendlichen, der alleine in seinem Zimmer sitzt und Platten hört, bis zu demjenigen, der mit einem Haufen Kumpels durch die Stadt rennt, der seinen Freundeskreis auseinanderbrechen sieht, weil alle älter werden. Wenn es auf der neuen Platte ein Oberthema gibt, dann drückt sich das gut in dem ersten Song der Platte aus, ‚Hell is for heroes‘: ‚Throwing out anchor against the fear‘. So denke ich heute über unsere Band. Wir haben so viel Zeit damit verbracht, wir haben soviel dafür geopfert, es muss einen Zweck haben. Die Textzeile bedeutet, dass es für Kids, die Probleme haben, die nicht in die Gesellschaft passen, irgendwas gibt, das ihnen das Gefühl gibt, sie sind okay. Sie sollen die Tatsachen akzeptieren. Dass sie kaputt, verrückt, vielleicht hässlich sind, dass sie eine kaputte Kindheit hatten oder was auch immer. Ich weiß nicht, wie ich anderer Leute Probleme lösen soll oder gar meine eigenen. Sie werden auch nicht gelöst dadurch, dass ich eine Platte wie ‚My Love. My Way.‘ schreibe. Aber wir brauchen immer noch etwas, das uns das Gefühl gibt, es ist okay. Die Texte auf der neuen Platte handeln davon, ein Außenseiter zu sein, zu sehen, was für ein Scheiß passiert, und zu akzeptieren, nicht Teil der Mainstream-Gesellschaft zu sein und wahrscheinlich auch niemals zu werden. Und auch, wenn es sich manchmal komisch anfühlt, ist es doch in Ordnung.“

Wo du die neue Platte erwähnst, in welche Richtung habt ihr euch entwickelt? Was sind die Unterschiede zu ‚My Love. My Way.‘?

„Ich denke, ‚Witness‘ ist besser ... Wir haben anderthalb Jahre gebraucht, die Songs dieser Platte zu schreiben. Es sind neun Songs und sie dauert 27 Minuten. Jede Note, jede Zeile war sehr schwer. Wir saßen nicht da und haben gedacht, lass uns mal eine Platte rausbringen, weil wir müssen. Es war eine harte Erfahrung, die Platte zu schreiben, sie aufzunehmen ... Ich war die ganze Zeit mental ziemlich fertig. Wir haben versucht, nicht noch einmal ‚My Love. My Way.‘ zu schreiben und keinen angesagten Stil zu kopieren. Ich denke, da draußen gibt es keine andere Platte, die so klingt.“

In den Reviews zu eurem ersten Album wurdet ihr ziemlich oft mit AMERICAN NIGHTMARE oder HOPE CONSPIRACY verglichen. Ist da was dran?

„Ich würde sagen, diese Einflüsse waren nicht so groß, wie manche es dargestellt haben. Wir haben die Platte im Atomic Studio in Brooklyn aufgenommen. Wir wollten einen kraftvollen Sound haben und das Zeug, das dort aufgenommen wurde, hat das. Wir waren eine selbständige Band, wir müssen nicht befürchten, mit anderen Bands verglichen zu werden. Natürlich hatten Bands einen Einfluss auf uns. Denn diese Bands waren schon groß, als wir anfingen. Aber ich sehe auch einen starken Einfluss von TRAGEDY, BLACK FLAG und verschiedenen melodischen Punkbands wie den DESCENDENTS oder HÜSKER DÜ.“