MISS CHAIN & THE BROKEN HEELS

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West Coast Tour 2010

Drei Singles haben die italienischen Powerpopper bereits auf dem Buckel, kürzlich haben sie ihre LP auf Screaming Apple rausgebracht. Live stehen vorne Miss Astrid Dante („Leader of the gang, voice & guitar“) und daneben Disaster Silvia, die mit ihrer schmucken Silvertone den Lead-Jinglejangle vorklimpert, und hinter ihnen die begabten Barcella-Brüder (Fanz – Bass, Brown – Drums), und gemeinsam spielen sie nonchalanten, charmanten (Power-)Pop-Beat. Für das Ox führten sie auf ihrer US-Tour Tagebuch.

Dienstag, 17. August

Wir landen am späten Nachmittag nach einem anstrengenden 15-Stunden-Flug quer über den Atlantik in Los Angeles, wo uns schon Sean/Burger Records sowie THEE MAKEOUT PARTY erwartet, um uns zu Kathy von THE FEVERS und ihrem Ehemann Lowell zu bringen, nette Leute. Hundemüde gönnen wir uns ein bisschen Ruhe und ein paar Biere, kiloweise Donuts und lange Duschen. Für heute erst mal genug geschrieben. Gute Nacht!

Mittwoch, 18. August

Nach einem 900-Kalorien-Frühstück fahren wir zum Hollywood Boulevard, nach Beverly Hills und zum Haus von Glenn Danzig, wir besuchen die Gräber von Dee Dee Ramone und Johnny Ramone – die liegen auf einem Drive-in-Friedhof! –, kaufen die ersten Platten, shoppen hier und da. Gegen fünf treffen wir Cezar, unseren Chicano-Fahrer. Uns kommen erste Zweifel, als wir seinen Mini-Van mit den weichen Fleece-Sitzen und der kaputten Klimaanlage sehen ... Justin von den CLOROX GIRLS kommt dazu, der Tourmanager, wir besprechen alle Unklarheiten (der Zwergenvan geht in Ordnung, die Backline werden wir uns jeden Abend neu organisieren müssen – nie wieder!) und dann machen wir uns auf den Weg Richtung Fullerton, wo wir bei Burger Records spielen, dem Label, das unsere LP in den Staaten als MLP rausgebracht hat. Ein tolles Publikum, die Stimmung ist gut, aber wir sind nicht in Form, der Bass klingt mies, es gibt nur ein Mic mit Halleffekt. Nach dem Konzert schlägt uns Justin vor, in die Five Stars Bar nach Downtown zu fahren, wo wir gleich nach den Gentleman Jesse ein paar Stücke spielen könnten. Wir stimmen zu, eine gute Entscheidung, wie sich zeigen wird. Zwei Konzerte in drei Stunden, kein schlechter Tourstart!

Donnerstag, 19. August

Wir kommen nach sechs Stunden Fahrt in San Francisco an, der Stadt der Beat Generation, über der Golden Gate Bridge empfängt uns ein wunderschöner Sonnenuntergang. Der Pazifik ist eiskalt und leicht fröstelnd betreten wir das Three Parkside, wo wir im Rahmen des Total Trash Festivals spielen sollen. Ein geiler Abend, wohl einer der besten. Mir sei eine Bemerkung erlaubt (nicht aufregen, Mama): Was für gutes Gras! However ... Nobunny macht einen auf Tontechniker, die OKMONICS rocken, SHANNON AND THE CLAMS verzaubern uns, große Klasse sind HUNX AND HIS PUNX. Wir spielen ein gutes Konzert. Im Publikum: Costantino Della Gherardesca („Chiambretti Night-Radical Chic!“ und „Dispenser“, Rai Radio 2), der begeistert ist von diesen unbekannten Italienern.

Freitag, 20. August

Nach einem japanischen Brunch und stundenlangen Plattenkäufen bei Rasputi Records in Berkeley fahren wir zum berühmten 924 Gilman’s, wo Anfang 1988 Bands wie PRIMUS, YOUTH OF TODAY, RKL, MELVINS, ADOLESCENTS, MR T EXPERIENCE, NEUROSIS und DWARVES gespielt haben! Geben ein All-Ages-Konzert vor 20 Leuten, die gut mitgehen und danach eine Menge CDs und Shirts kaufen. Noch eine Überraschung: unser Auftritt wurde gefilmt, wir werden bei Gilman’s zu sehen sein. Die anderen beiden Bands haben eine Art SkaPunkMetal gespielt, ziemlich ätzend. Gleich danach sind wir zurück zum Three Parkside, um die großartigen GENTLEMAN JESSE AND HIS MEN zu sehen. Der Abend endet an der Bar mit unseren Freunden aus Bergamo (Cischi, John Terrible, Macio – ihr seid die Größten!), die uns zu einigen Konzerten begleiten, und unzähligen Rum-Shots ...

Samstag, 21. August

Die anstrengendste Etappe: elf Stunden im Van, von Frisco nach Portland, mit einem kurzen Zwischenstop im Flat Pollard, einem kleinen Restaurant mit unglaublich gutem Essen, aber leider auch offensichtlichen Sympathien für die Republikaner. Wir geben ein Konzert im East End, gemeinsam mit Cezar, der uns mit seiner engelsgleichen Stimme und seiner Akustikgitarre unter dem Pseudonym BAD MACHINE verzaubert. Es spielen die GENTLEMAN JESSE, die FLIP TOPS (wow) von Joel, der unser Kontakt in Oregon und auch Chef von Sonic Jett Records ist, dem Label, das unsere Platte als CD in den Staaten rausgebracht hat, dann noch die BARRACUDAS (wow) und eine mexikanische Mariachi-Rock-Band, die gar nicht übel ist. Portland gefällt uns, lebendig, lebenswert, direkt, unkompliziert. Schade, dass es neun Monate im Jahr regnet.

Sonntag, 22. August

Wir kommen nach einer kurzen Fahrt in Seattle, Washington an, schöne Stadt. Steve (CUTE LEPERS, BRIEFS) hat uns einen Auftritt im The Comet organisiert, ein netter Club mit roter Holzverkleidung und vielen menschlichen Problemfällen, Leute, wie sie uns gefallen. Vor uns spielt eine Band, die so mittelmäßig war, dass wir den Namen schon wieder vergessen haben, und die exzellenten THE FIRST TIMES, deren Schlagzeuger uns zur Aftershowparty in seine Villa in der Bucht von Seattle einlädt. Wir feiern bis morgens halb acht, Details werden hier besser nicht erwähnt ...

Montag, 23. August

Zurück in Portland, im The Agenda, einem kleinen Pub. Kein schlechtes Konzert, dafür, dass es ein Montag ist, nur wir leiden noch unter den Spätfolgen der Party vom Vorabend. Astrid sieht aus wie Sandra Milo, Silva wirkt mit seinen großen Augen wie Raffaello von den „Ninja Turtles“. Mit uns stehen die NEAT und die POLAROIDS auf der Bühne, ein Punk-Trio aus der Gegend, das gar nicht so schlecht ist. Total müde fallen wir nach dem üblichen Biergelage zu Hause bei Joel ins Bett.

Dienstag, 24. August

Knapp acht Stunden Fahrt bis nach Sacramento, der Hitzehauptstadt Kaliforniens. Wir spielen in einem veganen Restaurant, im Publikum etliche Punks und Crusties. Das ganze wurde organisiert von Kepi, dem Herz der GROOVIE GHOULIES, der hier als Schlagzeuger (natürlich stehend!) der LITTLE MEDUSAS ein super Konzert spielt mit ihrem ’94er Punkrock. Den Auftritt begleiten zwei Schwestern (neun und elf Jahre alt), die guten Grunge-Punk liefern, wir sind total beeindruckt. Bemerkenswert ist auch die Darbietung von Tommy, dem Gitarristen der RUBINOS. Nach der D.I.Y.-Party geht es weiter zum Saufen in einen Pub mit einer Jukebox, bei der man im Netz Songs auswählen kann, und wahnsinnig guten Shots. Mit von der Partie sind auch unsere wiedergefundenen bergamaskischen Freunde.

Mittwoch, 25. August

Ein Abschiedssandwich bei Subway und schmerzhafte Stunden bei The Beat, einem riesigen Plattenladen, dann verlassen wir das heiße Sacramento und erreichen nach drei Stunden Fahrt Reno, Nevada, auch genannt Klein-Las Vegas. Wir spielen in der Lincoln Lounge. Es ist das Konzert der technischen Schwierigkeiten – Astrid bekommt ständig Stromschläge am Mikro, sie steht fünf Minuten unter Schock. Die paar Leute, die da sind, gehen gut ab. Die Vorband hat ihren ersten Auftritt. Kein Kommentar. Unter ihnen ist auch Zac, ehemals Gitarrist von SCREECHING WEASEL (!), der uns in seinem Modellhaus aufnimmt, wo uns schon etliche Wodka Cranberrie erwarten und Astrid sich um zwei Uhr nachts von der betrunken Ehefrau die Haare schneiden lässt. Um drei Uhr haben wir das unglaublichste Erlebnis der Tour: Zac nimmt uns verbotenerweise mit zu seinem Arbeitsplatz, dem Planetarium von Reno. Keiner von uns kapiert, was da abgeht, ob nun wegen der Kommunikationsschwierigkeiten oder wegen des Alkohols ... Wie auch immer: über uns ist eine Kuppel mit 30 Metern Durchmesser, die zum Bildschirm wird, wir sitzen auf bequemen Sesseln und schauen uns das komplette Video von „The Dark Side Of The Moon“ von PINK FLOYD an! 50 psychedelische Minuten in 3D.

Donnerstag, 26 August

Von Zac aus fahren wir nach San Francisco, wo wir vielleicht bei einer Party in einem kleinen Hipster-Shop in Oakland spielen können. Todmüde kommen wir in dem Laden an, aber es gibt nichts, was nur annähernd aussieht wie ein Verstärker, außerdem scheinen die Besitzer nicht besonders daran interessiert zu sein, dass wir spielen. So kommen wir zu unserem ersten freien Tourtag. Gemeinsam mit Brian/THE FEVERS hauen wir uns ein paar Tacos in einer kleinen Bar rein und versacken später bei ihm zu Hause, inmitten von antiken Instrumenten und guten Gerüchen. Die aufblasbaren Isomatten verlieren von Nacht zu Nacht mehr Luft und Cezar, der mittlerweile zu einem guten Freund geworden ist, macht nachts Lärm wie zwei Kontinentalplatten, die sich verschieben.

Freitag, 27 August

Sechs Stunden Fahrt und wir sind wieder in L.A. Wir spielen wieder downtown, in der Five Stars Bar, gemeinsam mit den großartigen IMAGES, den CLOROX GIRLS und einer unbekannten Band, die stark verdächtig wird, etwas mit dem Verschwinden von Silvas Effektpedal zu tun zu haben. Das Konzert war jedenfalls gut, wir haben aber zum ersten Mal nichts verkauft. Wir treffen Manuela, ehemals Sängerin der CITY POPSTARS aus Vicenza, bei denen einige von uns gelegentlich mal gespielt haben. Sie wohnt seit sieben Jahren in L.A. und nimmt uns zu einer guten Party mit. Danach Afterparty auf Kathys Sofa mit unseren bergamaskischen Freunden ... Im Keller des Clubs wurden übrigens die Kampfszenen für „Fight Club“ gedreht.

Samstag, 28 August

Heute zwei Konzerte: Am Nachmittag spielen wir zum zweiten Mal bei Burger Records, zusammen mit JAIL. Die Atmosphäre ist wie immer großartig, entspannt und gleichzeitig geladen. Abends dann der Auftritt in der Mime School in Echopark. Es spielen DEATH HYMN #9, DANTE VS ZOMBIES, lokale Größen, über 30 und vielleicht ein bisschen zu „Indie“ (aber was heißt eigentlich Indie ...), mit einem Sänger zwischen Lux Interior und Ian Curtis, außerdem die IMAGES (mittlerweile schon gute Freunde) und wieder mal die CLOROX GIRLS. Ein guter Abend. Der Club ist eigentlich ein besetzter Saal mit wenigen Lichtern und Möbeln, viel selfmade. Das Konzert ist gut besucht, wir verkaufen eine Menge CDs und Shirts.

Sonntag, 29. August

San Pedro, Kalifornien, vielleicht der beste Tourtag. Am frühen Nachmittag sind baden und relaxen am Strand von Cabrillo Beach angesagt, danach BBQ im Haus von Kevin (CLOROX GIRLS), in dem es ein Aufnahmestudio und eine Druckwerkstatt für Shirts gibt, wenn er Konzerte veranstaltet, wird sein Haus Cali Mucho HQ genannt. Es fließt unglaublich viel Bier, das Essen ist ausgezeichnet (für die Glücklichen, die etwas davon abbekommen), die Menschen sind ausgelassen und wir in Höchstform. Gebt bei YouTube „Miss Chain Cali Mucho“ ein, da könnt ihr euch einen kleinen Eindruck verschaffen. Was für ein Tag! Was für eine Party! Bruno trinkt mindestens zwölf Wodka und gießt genauso viele den Herumstehenden in den Mund, nur als kleines Beispiel ... Die bergamaskische Abordnung ist auch gut dabei.

Montag, 30. August

Total verkatert geht es nach ... Disneyland. Wir haben drei Freikarten. Paul Rosales begleitet uns den ganzen Tag mit der Kamera, das Ergebnis findet ihr bei YouTube: „MISS CHAIN AND THE BROKEN HEELS – Rollercoaster“. Die Fahrt mit dem Space Mountain war verheerend... eine Achterbahn im Dunkeln, 70 km/h, um uns herum Planeten und Sterne, die explodieren! Panik. Heute, klar, day off...

Dienstag, 31. August

Nach einer kurzen Fahrt kommen wir in San Diego an. Fürchterlich! Der gute Ernie von THE SPITS nimmt uns auf. Wir geben ein Konzert praktisch nur für unsere Freunde aus Bergamo, bei dem Astrid und Silva antiklerikale Texte improvisieren. Bemerkenswert ist die Darbietung der P.R.O.B.L.E.M.S., einer Punk’n’Roll-D-Beat-Band aus Portland, die auch von uns ziemlich begeistert ist.

Mittwoch, 1. September

Relaxen in El Centro, Kalifornien, im Haus von Ernie, einem Meister der mexikanischen Küche. Am Abend spielen wir ohne andere Bands vor sechs Leuten in seinem ziemlich kahlen Skateshop. Schlagzeug und Verstärker organisieren wir uns selbst von einer Band, die an dem Tag zufällig in der Gegend ist und ihren freien Tag hat. Wir verkaufen immerhin eine CD... zum halben Preis. Okay, wir sind halt mitten in der Wüste, wo die Temperaturen am Tag auf über 44 Grad steigen und die Arbeitslosigkeit bei 20% liegt. Nachmittags geht’s zum Salvation Mountain und nach Slab City, beides Sets von „Into the Wild“. Salvation Mountain ist ein religiöses Monument, erbaut von Leonard Knight, Slab City ist so was wie eine Geisterstadt mitten in der Wüste, die aus Wohnwagen und Solarkollektoren besteht, ohne Steuern, dafür aber mit einer riesigen Skate-Anlage, einem Überbleibsel der Militärbasis, die in den Fünfzigern aufgegeben wurde (Silva und Astrid entdecken das Longboard), und einer Wohnwagenschule für die Kinder, die dort aufwachsen ...

Donnerstag, 2. September

Ein neuer Tag beginnt unter der erdrückenden Hitze von El Centro. Bei Franz und Bruno ist relaxen angesagt, während sich die beiden „Blutsbrüder“ Astrid und Silva im Black Lodge Studio von El Centro das gleiche Tattoo stechen lassen. Abends sind wir etwas nervös, da wir gleich hinter der Grenze in Mexicali, Mexiko spielen sollen. Auf dem Weg zum Konzert – wir gehen zu Fuß – werden wir von der äußerst korrupten Polizei, aber auch von Erpresserbanden als Dealer bezeichnet. Das Konzert ist, trotz der miesen Organisation, ein voller Erfolg, die Leute haben Spaß. Que viva Mexico, mit seinen leckeren Tacos! Mit jedem Tag wächst die Müdigkeit, aber auch die Freundschaft mit Cezar, den wir im Frühjahr für ein paar Konzerte nach Italien holen werden.

Freitag, 3. September

Das absolute Delirium: Wir geben ein Konzert auf einem Boot, mit den IMAGES, REPLACEMENTS und einer anderen Band, deren Name uns entfallen ist. Es ist eiskalt, die Drinks völlig überteuert und der Käpt’n total unentspannt, um uns herum ein Nebel wie in „Mad Max“. Astrid und Silva gehen fast über Bord, als sie sich etwas zu heftig dreht und ihn anrempelt. Das Publikum besteht fast nur aus den Bands, die gerade nicht spielen, was sich bei den Einnahmen bemerkbar macht. Am Nachmittag relaxen am Strand mit Vim, der auch für Warner Bros. arbeitet; das Video dazu kommt bald.

Samstag, 4. September

Wo sollte unser letztes Konzert sein, wenn nicht bei ... Burger Records? Wir spielen mit den IMPEDIMENTS und den WONDER WHEEL von Paul Rosales. Gutes Konzerte, viel verkauft. Danach noch mal ausspannen mit Vim, aber mittlerweile macht sich die Erschöpfung bemerkbar, wir sind nervös und ungeduldig. Diese Tour war große Klasse, und es war nicht die erste, die wir gemacht haben, aber nach drei Wochen ohne Privatsphäre und richtige Duschmöglichkeiten, anstrengenden Reisen ... nee, langsam reicht es. Am Abend erwarten uns Kathy und Lowell mit einem leckeren Abschiedsgrillen, das nur dadurch etwas getrübt wird, dass Justin Geld haben will. Wir betrinken uns, wie es sich gehört, und fallen ins Bett.

Sonntag, 5. September

Abreisestress, schade, dass die Tour schon vorbei ist, wir verabschieden uns von Astrid, die noch einen Monat bleibt, um noch mehr von Kalifornien zu sehen. Wie viele Menschen, gute Musik, gutes Essen, geile Partys und Platten! Wir hatten echt Glück, kann man sagen. Das Flugzeug hebt ab und damit beginnt der lange Prozess des Verarbeitens, das Erlebte verschwimmt, wird zu einer Erinnerung, daraus werden Geschichten und irgendwann Mythen ...

Keep laughing,