Durch Zufall hat mich vor Jahren der Facebook-Algorithmus auf eine fröhliche junge Frau namens Émilie Plamondon aufmerksam gemacht, die sich dabei filmte, wie sie einfach nur Punk-Platten auflegte, irgendetwas auf Französisch sagte und ab und an den Refrain mitsang. Nun tauchte sie mit einem neuen Podcast „The Punk Roquette Show“ auf, den ich mir sogleich anhörte. Die Corona-Depression war wie weggeblasen – Émilie ließ mich den ganzen Mist vergessen, indem sie so positiv auftrat, viel lachte und straighten Skatepunk spielte. Ein Segen in diesen Zeiten. Meine Fragen dazu stellte ich der Frankokanadierin per Video-Chat.
Ich sah dich vor Jahren zufällig auf Facebook Punkrock-Platten auflegen. Wie und wann bist du auf Punkrock gekommen?
Es war zum Ende der Highschool. Ich habe da ein paar Leute Punkrock hören sehen und fand das cooler als die SPICE GIRLS oder BACKSTREET BOYS, die ich vorher gehört habe. Dann hat ein Freund noch eine Band gegründet und ich durfte den Coversong „Stand by me“ mitsingen, den PENNYWISE so gut gespielt hatten. Ich habe von einem Typen dann eine selbst gebrannte Mix-CD bekommen mit Bands wie BAD RELIGION, NO USE FOR A NAME, RANCID, MILLENCOLIN ... Das Interesse ging wieder etwas zurück, als ich aufs College ging und wir uns in Nachtclubs trafen. Ein oder zwei Jahre später war ich aber wieder zurück beim Punkrock, was auch damit zu tun hatte, dass ich viel über Philosophie gelesen habe und mein Leben zu oberflächlich fand. Seitdem bin ich dem Punkrock nicht mehr untreu geworden.
Warum und wie hast du mit Radiomachen angefangen?
„Punk Détente“ ist eine Radioshow unseres Universitätssenders. Es ist ein richtiger Sender, den du im Radio hören kannst. Es geht zurück auf mein erstes College-Jahr. Ich war in so etwas wie einer Radio-Community, hatte eine kleine Sendung, in der von Pop bis Punk alles lief. Mich haben dann ein paar Leute aus Quebec zu ihrer Punkrock-Show eingeladen – eine Woche später startete ich meine eigene. Durch sie habe ich mir mein Punkrock-Wissen angeeignet, anfangs kannte ich von jeder Band nur ein paar Lieder.
Warum hast du nun mit dem Podcast „The Punk Roquette Show“ angefangen?
Weil ich gemerkt habe, dass ich Hörer:innen aus der ganzen Welt habe, und extra ein Format komplett auf Englisch wollte. Dazu wollte ich Interviews mit größeren internationalen Bands machen. Letztens hatte ich CHASER zu Gast, ein anderes Mal Jesse Michaels von OPERATION IVY. Mit meiner Radiosendung „Punk Détente“ beziehe ich mich mehr auf die lokale Szene, was der Grundgedanke war. Ich hatte nie die Zeit, mich mit größeren Bands richtig intensiv zu beschäftigen, viel über sie zu lesen und zu recherchieren. Für mich ist es allerdings wichtig, beides zu haben. Die lokale Szene mit den kleinen Bands braucht jede Unterstützung. Außerdem wollte ich eine neue Herausforderung.
Wie findest du deine Interviewpartner?
Jesse Michaels und ich folgen uns zum Beispiel auf Social Media. Wir haben angefangen, uns über Katzen zu unterhalten, haha. Dann über seine Klamottenfirma und schließlich kam es zu dem Interview. Ryan Greene war auch sehr interessant, der hat viele der tollen Platten von Fat Wreck produziert. Ich hoffe, ich kann irgendwann einmal Joey Cape von LAGWAGON und Shawna Potter von WAR ON WOMEN interviewen. Ich möchte generell mehr Frauen haben, wie zum Beispiel BAD COP/BAD COP.
Machst du selbst auch Musik?
Ja, mit einem guten Freund starteten wir nach dem Tod von Tony Sly von NO USE FOR A NAME als Akustik-Duo mit dem Namen FIFTY SHADES OF PUNKROCK. Zu der Zeit hat jeder dieses beschissene Buch „Fifty Shades of Grey“ gelesen, daher der Name. Wir haben über 300 Coversongs in petto. Dazu fragen mich immer mal wieder Bands wegen Features, was mir auch sehr viel Spaß macht. Ich hätte gerne eine schnelle Punkband, es ist aber verdammt schwer, Musiker:innen zu finden.
In Deutschland haben wir gerade eine ziemlich lebendige Diskussion über Sexismus im Punk. Fat Mike von NOFX hat in unserem vorletzten Heft gesagt, dass es das für ihn im Punk nicht gebe. Es sei nun mal so, dass Frauen nicht groß im Punk vertreten seien, in der Pop- oder Countrymusik sei es das Gegenteil. Außerdem wäre es nicht verboten, als Frau eine Band zu gründen. Ist das so einfach?
Ich mag ihn, hier widerspreche ich ihm aber. Es ist nicht verboten, nur haben wir kaum Vorbilder wie heute BAD COP/BAD COP. Es werden mehr, sind aber noch zu wenig. Grundsätzlich haben wir erst mal viele Freiheiten. Aber es gibt Dinge, die passieren männlichen Musikern grundsätzlich nie. Als Frau wirst du oft mit anderen Frauen verglichen. Einfach nur mal ein Beispiel, einmal war ich bei einer Show und es war eine Frau, die sang und Gitarre spielte. Sie war unglaublich gut. Ein Kerl kam zu mir und sagte: „Diese Frau ist so hübsch und begabt. Bist du ein bisschen eifersüchtig?“ Ich meine, warum sollten Frauen eifersüchtig auf andere sein? Warum können wir uns nicht einfach an den Shows anderer Frauen erfreuen und von ihren Fähigkeiten beeindruckt sein, so wie es Männer bei anderen Männer tun? Warum die körperliche Erscheinung vergleichen? Es sind kleine Dinge wie diese, die mir bewusst machen, dass Sexismus immer noch da ist, auch wenn Frauen mehr Platz haben als je zuvor und wir uns in der Szene willkommener fühlen. In meiner Show kommt manchmal die Aufforderung, ich solle meine Brüste zeigen oder ihnen meine Telefonnummer geben, um ein Date auszumachen. Hier schreiten aber sofort die anderen Hörer ein, zu 95% Männer, und schreiben, derjenige solle seine Klappe halten. Es kommt nicht permanent vor, aber es kommt vor. Die BOMBPOPS veröffentlichen regelmäßig Videos über solche Kommentare. Ich bin froh, dass ich viele Freundinnen im Punkrock habe. Wir reden viel über Musik und wir unterstützen und ermutigen uns gegenseitig sehr.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #156 Juni/Juli 2021 und Roman Eisner