M.I.A. gründeten sich 1980 in Las Vegas, fanden sich aber bald im Großraum Los Angeles wieder. Erster Release von M.I.A., dem US-Armee-Terminus für im Kampf vermisste Soldaten („missing in action“) war 1982 die Split-LP mit GENOCIDE auf Smoke Seven Records, 1984 erschien auf Alternative Tentacles das erste Album „Murder In A Foreign Place“, dem 1985 „Notes From The Underground“ (National Trust) folgte und 1987, da war die Band schon am Endem, „After The Fact“ auf Flipside. Dieses Album wiederum wurde in Deutschland vom legendären Hamburger Label Weird System lizensiert und veröffentlicht und bescherte der Band hierzulande große Beliebhtheit – wegen ihrer Auflösung hatte sie davon aber nie was.
Mit „Lost Boys“ erschien dann 2001 auf Alternative Tentacles eine Diskografie-CD. Zudem waren M.I.A. seinerzeit auf den international weit verbreiteten Compilations „Not So Quiet On The Western Front“ (1982, MRR) und „American Youth Report“ (1982) vertreten, was ihnen weitere Bekanntheit verschaffte. Seit 2008 sind M.I.A. nun wieder aktiv, Modern City Records aus Frankreich legte die Alben neu auf, und im Herbst 2024 steht eine Europatour an. Meine Fragen beantwortete Nick Adams.
Seit 2023 hat Las Vegas dank Fat Mike ein Punkrock-Museum. Du wurdest Ende der 1970er Jahre in Las Vegas Punk und ich kann mir vorstellen, dass es damals eine ganz andere Nummer war, dort ein Punkrocker zu sein ... Welche Erinnerungen hast du daran, wie du von Punk erfahren hast, wie du zu Punk gekommen bist und wie du M.I.A. gegründet hast?
Wenn man das „Raw Power“-Album der STOOGES nicht mitzählt, habe ich das erste Mal von Punk gehört, als die SEX PISTOLS 1978 durch die USA tourten und es in den Abendnachrichten kam. Meine Mutter drehte sich zu mir um und sagte: „Es ist mir egal, was du machst, aber lass die Finger von dieser Punkmusik.“ Ich glaube, ich war gerade 16 geworden, also kam „Never Mind The Bollocks“ auf meine Wunschliste. Aber es dauerte eine Weile, bis ich es tatsächlich in einem Plattenladen in Las Vegas sah. Ein älterer Freund von mir hatte die Importversion gefunden und so hörte ich sie zum ersten Mal. Er spielte mir auch die RAMONES, RUNAWAYS und Suzi Quatro vor. Er war allerdings kein Punk. Es dauerte eine Weile, bis ich in Las Vegas Punks kennenlernte. Die kleine Szene entstand erst irgendwann Ende 1979, Anfang 1980.
Wie seid ihr eine Band geworden, wie habt ihr euch gefunden?
Paul, der jetzige Bassist von M.I.A., und ich, hatten schon seit der Highschool in verschiedenen Rockbands zusammen Musik gemacht. Wir waren aber immer etwas zu kantig und laut. Nach der Highschool gründeten wir eine neue Band, die sich an Punkmusik anlehnte. Es gab ein altes Bürogebäude, in dem wir probten – in der unteren Etage befanden sich Geschäftsräume, aber die obere Etage wurde an Bands vermietet, um dort nach den Geschäftszeiten zu proben. Zuerst waren es nur wir und eine Acid-Rock-Band, die gegenüber von uns spielte. Dann, eines Tages im Sommer 1980, zog eine Punkband namens THE SWELL den Flur hinunter ein. Mike, der damals Bassist bei THE SWELL war, hatte unsere Band beim Üben gehört und lud mich bald darauf zu einer SWELL-Probe ein. Ich erinnere mich, dass eine ganze Wand mit einem Union Jack bemalt war, und es gab Poster von THE WHO, THE CLASH, „The Decline of Western Civilization“ und so weiter. Es sah sehr cool aus. Mike Conley spielte Bass und schien die treibende Kraft zu sein; Sänger Todd Sampson war gerade mal 16 Jahre alt, sah aber aus und sang wie Johnny Rotten mit Stiefeln und Ketten und Sicherheitsnadeln und einem fiesen Grinsen, er spielte die Rolle gut. Chris Moon, der bereits in der ersten Punkband in Vegas, BAD HABITS, mitgespielt hatte, war aufgedreht und manisch am Schlagzeug und Jim Zyborg spielte Gitarre. Ich hörte mir ein paar Nummern an, es war aufregende Musik! Dann lotste Mike mich zurück auf den Flur, erzählte mir, dass sie einen Ersatz für Jim suchten, und fragte mich, ob ich bei ihnen einsteigen möchte. Da Paul sowieso bald aufs College gehen wollte, sagte ich zu. Wir waren bis zu einer Hinterhofparty Ende 1980 THE SWELL und änderten den Namen dann in M.I.A..
Ihr seid bald nach Orange County umgezogen. Weil es dort eine größere Szene gab?
Nachdem ich das College abgebrochen und mich einer Punkband angeschlossen hatte, lief es zu Hause nicht so gut für mich. Ein befreundeter Musiker aus Las Vegas war nach San Diego gegangen und brauchte einen Mitbewohner, also verließ ich die Band und zog Ende Januar 1981 zu ihm. Es war eine überstürzte Entscheidung, ich hatte nur ein paar Wochen Zeit. Als ich dort ankam, hatte ich Heimweh, und dann bekam mein Freund das Angebot, in einer Band im Valley nördlich von L.A. einzusteigen, und ließ mich allein zurück, ohne Freunde. Ich hatte Mühe, die Miete zu bezahlen, kannte niemanden und war im Grunde genommen unglücklich. Aber ich war hartnäckig und hielt durch. Eines Tages im Frühling bekam ich einen Anruf von Mike – er und Chris waren nach Orange County gezogen und sie luden mich ein, die Band dort neu zu gründen. Sie hatten schon eine Wohnung, also zog ich von San Diego nach Newport Beach. Das einzige Problem war, dass Todd erst 16 war und nicht hatte mitkommen können. Also mussten wir einen neuen Sänger finden. Das erwies sich als schwierig, also sagte Mike, er würde singen und wir sollten stattdessen nach einem Bassisten suchen. Zu diesem Zeitpunkt im Sommer 1981 hatte Paul gerade sein Studium abgebrochen, also überredete ich ihn, bei uns Bass zu spielen.
Was war eure Idee für die Musik von M.I.A.? In euren Songs gab es schon immer viele Melodien, Refrains und Harmonien, was euch von einigen eurer härter klingenden Zeitgenossen unterscheidet.
Ich glaube, der Sound oder die musikalische Ausrichtung einer Band hängt direkt mit der Kombination ihrer musikalischen Einflüsse, Erfahrungen und dem Umfeld zusammen, in dem die Band existiert und das sich ständig verändert und weiterentwickelt. Paul war mit Musik aufgewachsen, sein Vater war Musiklehrer, ich hatte immer eine Schwäche für Schallplatten und liebte die Musik meiner Kindheit in den 1960er und 1970er Jahren. Der Vater von Chris hatte einen Job als Musiker auf dem Las Vegas Strip. Und Mike besaß schon immer dieses besondere Gespür für Melodien. Musik war also etwas, das für uns alle unser ganzes Leben lang wichtig war, es war Teil unserer DNA. Melodisch war aber nicht nur unser Sound, sondern auch die Punkmusik, die wir 1980 mochten: THE CLASH, THE RAMONES, THE DAMNED, THE GEARS, die „Beach Blvd.“-Compilation ... Genau wie viele der New-Wave-Bands, die damals als „akzeptabel“ galten: THE SPECIALS, DEVO, THE ENGLISH BEAT, TELEVISION oder PATTI SMITH GROUP. Ich muss aber sagen, als wir nach Orange County zogen und dort im Cuckoo’s Nest D.O.A., T.S.O.L., BLACK FLAG und CIRCLE JERKS sahen, mussten wir uns spieltechnisch wirklich steigern, und wurden schneller und tighter, mit viel mehr Attacke im Sound. Mehr „Hardcore“.
Soweit ich weiß, steht euer Bandname M.I.A. für „Missing In Action“, eine militärische Bezeichnung für Soldaten, die nach einem Einsatz vermisst werden. Was war der Hintergrund? Auch weil der Titel eures Albums „Murder In A Foreign Place“ von 1984 auf Vietnam (?) anspielt und das Cover eine Kampfszene zeigt. Kannst du uns bitte ein paar Einblicke geben?
THE SWELL [Wellengang] war einfach ein so unpassender Name für eine Band aus der Wüste! Ich glaube, der hatte seinen Ursprung im Surfpunk, denn Mike und seine Freunde hatten hin und wieder einen Ausflug zum Strand gemacht, der fünf Autostunden von Vegas entfernt liegt. Eines Tages sagte Mike einfach, er wolle den Namen in M.I.A. ändern, und wir waren alle einverstanden. Vielleicht lag es daran, dass sich herausstellte, dass wir doch nicht so sehr vom Surfsound beeinflusst waren und wir einen Namen brauchten, der besser zu unserer musikalischen Ausrichtung passte. Durch die Nellis Air Force Base und das Atombomben-Testgelände gibt es rund um Las Vegas eine starke Militärpräsenz. Außerdem gibt es eine große Anzahl von Rüstungsunternehmen. Unser Song „Tomic bomb“ ist in dieser Hinsicht ein typischer Vegas-Song. Ich hatte einen Freund in der Familie, der Pilot in Nellis war und dann in den Vietnamkrieg geschickt wurde. Als er zurückkam, war er nicht mehr derselbe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Namen unserer Band und unsere Musik und Texte gehasst hat, aber ich habe ihn nie gefragt. Das Militär-Motiv hatte sich schon mit Ed Colvers großartigem Foto von einem Soldatenfriedhof auf dem Cover von „Last Rites“ angedeutet. Das Artwork von „Murder In A Foreign Place“ stammt von Gavin Ogelsby, und soweit ich weiß, war die Schlachtfeldszene seine Idee. Natürlich könnte auch der Albumtitel ein Grund gewesen sein.
Ich habe eure Texte immer besonders gemocht. Kannst du uns bitte ein paar Infos zu deren Hintergrund geben?
„Small man in a big world“: Das war ein Song, den Mike geschrieben hat, der 2008 verstorben ist. Ich glaube, der Text handelt von einem seiner Freunde, der ein bisschen eigenartig geworden war und glaubte, er sei irgendwie besser als alle anderen. Zumindest habe ich es so verstanden. Er hat nie verraten, um wen es in dem Lied ging, aber ich habe eine Ahnung.
„Boredom is the reason“: Der Text stammt von Matt Dudenake, der mit Mike in einer Band namens SELF ABUSE war, als er 1982/83 nach Vegas zurückkehrte. Darin kritisiert er die sinnlose Gewalt in der Punk-Szene. Matt schrieb den Text und Mike die Musik zu diesem Song.
„Used to know me“: Ein weiterer SELF ABUSE-Song, geschrieben von unserem ursprünglichen Sänger Todd Sampson. Sie waren eine großartige Band.
„I hate hippies“: Das ist ein wieder ein Text von Mike, der schon 1980 entstanden ist, als wir noch in Vegas waren. In jüngster Zeit wurden wir dafür kritisiert, dass der Song irgendwie als Aufruf zum Verprügeln von Hippies interpretiert wird. So war das Lied nie gemeint, es war eher ein Scherz, ein Weg, um Druck abzubauen. 1980 war es in Las Vegas und dann generell auch in Kalifornien durchaus gefährlich, als Punk herumzulaufen. Es gab Leute mit langen Haaren, die ihre Mainstream-Rockmusik und ihr Gras liebten und sich daran störten, wie wir Punks aussahen oder wofür wir standen. Also fingen irgendwelche Leute, die wir gar nicht kannten, Streit mit uns an, weil wir so aussahen, wie wir aussahen. Ob im Restaurant oder auf der Bowlingbahn, man wusste nie, wann so ein Idiot auftaucht und sich mit einem prügeln will. Das waren nicht die Hippies der 1960er Jahre, sondern einfach nur Rocker-Arschlöcher mit langen Haaren, für die wir keinen Namen hatten, also nannten wir sie Hippies. Und wir hassten sie dafür, dass sie uns nicht in Ruhe ließen.
Damals haben wir alle eure Version von „California dreaming“ geliebt, ein Cover des THE MAMAS & THE PAPAS-Klassikers im Stil der DICKIES. Warum habt ihr es ausgewählt, was war eure Botschaft?
Diese Frage kann ich nicht wirklich beantworten, da ich damals nicht in der Band war. Ich habe bei „Last Rites“, „Murder In A Foreign Place“ und „Notes From The Underground“ mitgespielt, danach löste sich die Band auf; Mike reformierte sie mit Mark Arnold an der Gitarre und Frank Daly am Bass und holte Chris Moon von der „Last Rites“-Platte zurück ans Schlagzeug. Ich kann dir nur sagen, dass es wahrscheinlich Frank Daly war, der bei diesem Song die Lead Vocals singt, und das Cover daher vermutlich eine Idee von ihm und Mark war. Nach dem, was ich von Chris gehört habe, wurde der größte Teil des „After The Fact“-Albums nie live gespielt, einschließlich „California dreaming“. In der aktuellen Band, die aus Teilen der „Murder In A Foreign Place“- und der „Notes From The Underground“-Besetzung besteht, versuchen wir jetzt, einige der „After The Fact“-Songs live zu spielen, da sie Teil des Vermächtnisses der Band sind. Aber keiner von uns hat auf diesem Album mitgespielt. Ich liebe einige der Songs wirklich, aber ich kann sie nicht so spielen wie der großartige Mark Arnold, also haben wir die Arrangements reduziert, damit sie in unserer Dreierbesetzung funktionieren.
Ihr habt euer erstes Album „Murder In A Foreign Place“ 1984 bei Alternative Tentacles herausgebracht, aber die nächsten Alben „Notes From The Underground“ 1985 bei National Trust und „After The Fact“ 1987 bei Flipside. Warum die wechselnden Labels?
Unser Vertrag mit Alternative Tentacles beschränkte sich rein auf den Vertrieb, das heißt wir mussten das Geld für die Aufnahme, das Mastering, das Pressen und den Druck der Cover selbst aufbringen. Aber unser guter Freund Jon Shines half uns bei den meisten dieser Investitionen. Langfristig gesehen war das eine gute Sache, da wir die Master besaßen, aber damals war es eine Menge Geld und wir konnten kaum die Kosten decken. Als es an der Zeit war, „Notes From the Underground“ zu produzieren, fanden wir ein befreundetes Label, National Trust, das bereit war, die Kosten für die Aufnahme und die Produktion zu übernehmen. Wie gesagt, war ich bei „After The Fact“ nicht dabei, aber die Macher vom Flipside-Fanzine hatten damals ihr eigenes Plattenlabel gegründet, und Flipside war der coolste Medienverbund im Punk in Sachen Print, Video, Audio. Und sie waren tolle Leute.
Vor allem mit eurem zweiten Album, das von Thom Wilson produziert wurde, und dem dritten hattet ihr einen ziemlich markanten Sound. Das war ziemlich „1980er“ und brachte euch damals einige Kritik ein.
Für mich waren 1982 und ’83 Jahre des musikalischen Wachstums. Ich bekam das Album „Strawberries“ von THE DAMNED, als es 1982 herauskam, umgeben von Erdbeerduft. Für mich ist es immer noch ein perfektes Album. Zu dieser Zeit sah ich auch BAUHAUS, als sie nach L.A. kamen. Und ich besann mich wieder auf andere Sachen, wie VELVET UNDERGROUND, den frühen Bowie, die STOOGES, Tom Waits oder Motown. Zu der Zeit gab es auch ein Soul-Revival unter anderem durch DEXYS MIDNIGHT RUNNERS. Da waren also viele unterschiedliche Elemente, die sich in unseren Sound einschlichen, dazu kamen einige lokale Einflüsse durch Szene-Bands wie MINUTEMEN oder T.S.O.L. in der „Change Today?“-Besetzung, 45 GRAVE, die frühen RED HOT CHILI PEPPERS und SOCIAL DISTORTION, CHRISTIAN DEATH und anderen wie THE REPLACEMENTS, die sich vom reinen Hardcore wegbewegten. Aber auch wenn sich meine Einflüsse weiterentwickelten, veränderte sich nicht jeder in der Band auf die gleiche Weise. Es hat also eine Weile gedauert. Als wir 1985 „Notes From The Underground“ aufnahmen, war die Szene in Kalifornien bereits gespalten. Ich hatte das Gefühl, dass die Leute wollten, dass wir weiterhin „I hate hippies“ und die Hardcore-Sachen spielen. Es war also schwer, diese neuen Sachen zu spielen. Damals wussten die Leute nicht, was sie davon halten sollten. Aber wir mussten es tun, wir waren einfach nicht mehr an dem früheren Hardcore-Sound interessiert. Mir wurde gesagt, dass die Band auf der Tour 1987 viel von „Notes From The Underground“ gespielt hat und es gut ankam, also hat es vielleicht einfach eine Weile gedauert, bis sich das durchsetzen konnte. Ich mochte die Produktion und den Stil von „Notes From The Underground“, aber ich hatte das Gefühl, dass wir von den Songs her nicht richtig vorbereitet waren. Das führte zu einigen internen Konflikten, die größtenteils auf Unsicherheiten beruhten, und wir trennten uns kurze Zeit später im Jahr 1985. Mike reformierte die Band 1986 und schrieb 1987 einige großartige Songs für „After The Fact“. Mir persönlich gefiel die Produktion des Albums nicht – ich pflege aus verschiedenen Gründen eine Hassliebe dazu –, aber ich finde, es enthält einige wirklich tolle Songs.
Damals spielten Compilations wie „Not So Quiet On The Western Front“ und „American Youth Report“ eine große Rolle dabei, M.I.A. in der ganzen Welt bekannt zu machen.
Wir hatten großes Glück, auf diesen Comps zu sein! Zu dieser Zeit war Rodney Bingenheimer sehr einflussreich im südkalifornischen Punk. Wir hörten jeden Sonntagabend seine Radioshow, wo die beste neue Punkmusik lief. Wir hörten, dass Rodney persönlich aufmacht, wenn man an der Studiotür klingelt. Eines Sonntags fuhren Mike und ich nach Pasadena, klopften an die Tür und übergaben Rodney eine miese Proberaumaufnahme, in der Hoffnung, dass er sie in der Sendung spielen würde. Das tat er nie. Uns wurde klar, dass wir ein besseres Demo brauchten. Ich fand ein örtliches Studio, rief an und sagte, dass wir 300 Dollar für ein Demo hätten. Der Tontechniker, mit dem ich sprach, Bill Trousdale, sagte, dass wir mit dem Geld einen Song fertigstellen könnten. Ich buchte also Studiozeit für uns und wir probten wie verrückt zwischen unseren Shows im Cuckoo’s Nest. Als der Tag kam, haben wir neun Songs durchgeballert und sieben davon abgemischt, bevor uns das Geld ausging. Aber jetzt hatten wir ein Demo, das Rodney verwenden konnte! Das Traurige daran ist, dass Mike im Frühjahr 1981 verhaftet worden war. Wir nahmen das Demo – aus dem „Last Rites“ und die beiden Samplerbeiträge wurden – also auf, während er auf seinen Prozess wartete. Unser Stück „Cold sweat“ bezieht sich auf seine damaligen rechtlichen Probleme. Nachdem wir das Demo aufgenommen hatten, verschaffte uns unser Kumpel Bad Otis Link eine Show in Reno mit 7 SECONDS. Wir gaben Kevin bei der Show ein Tape, und er gab es weiter, wodurch wir schließlich auf den beiden Comps und der Split-LP „Last Rites For Genocide And MIA“ mit GENOCIDE auf Smoke Seven Records landeten. Aber nach der Show in Reno musste Mike ins Gefängnis und kehrte anschließend für etwa anderthalb Jahre nach Vegas zurück. All diese Aufnahmen wurden 1982 veröffentlicht, als Mike im Gefängnis oder in Vegas war – und wir hatten keine Band, um sie zu live zu spielen. Mike kam im Sommer 1983 zurück nach OC und wir begannen wieder, zusammen zu arbeiten und Shows zu spielen. Ich bin zwar sehr stolz darauf, auf diesen großartigen Compilations vertreten zu sein, aber ich sehe darin auch als die verpasste Chance für uns, denn wir hätten viele tolle Shows spielen und weitere Platten machen können.
2001 seid ihr mit der „Lost Boys“-Diskografie-CD zu Alternative Tentacles zurückgekehrt und auch bei den aktuellen Rereleases ist AT wieder dabei. Was ist deine Verbindung zu Jello?
Biafra ist schon seit langem ein Freund der Band. Nach einer Show in Vegas Ende 1983, bei der wir mit den DEAD KENNEDYS spielten, bot er uns an, unser nächstes Album herauszubringen, das war dann „Murder In A Foreign Place“. Wir spielten einige tolle Konzerte mit den DEAD KENNEDYS, es machte immer Spaß, die ganze Band war großartig und sie waren wirklich gute Musiker. Wir haben zu ihnen aufgeschaut. Als Mike 2008 starb, kam Biafra zu Mikes Gedenkfeier. Ein paar Monate später nahm er an einer Gedenkveranstaltung für Mikes Familie teil, bei der er einige M.I.A.-Songs sang und wir ein paar DEAD KENNEDYS-Songs mit ihm spielten. Das war ziemlich beeindruckend. Das hat die Band wieder zusammengebracht, denn M.I.A. waren seit 1987 nicht mehr aktiv. AT wollte 2001 eine Retrospektive der Band rausbringen und so habe ich eng mit Biafra zusammengearbeitet, um „Lost Boys“ zusammenzustellen. Und nun ist es 40 Jahre her, dass „Murder In A Foreign Place“ erschienen ist – Zeit für eine Neuauflage! Wir hatten auch verschiedene Anfragen von anderen Labels, aber wir dachten, dass es am besten wäre, wenn Alternative Tentacles es herausbringen würde. Wir haben mit Remi von Modern City zusammengearbeitet, und er hat die Neuauflage für Modern City und Alternative Tentacles erstellt. Wir sind sehr gespannt darauf. Die Platte wurde neu gemastert und klingt besser als je zuvor. Außerdem enthält sie einige bisher unveröffentlichte Stücke aus dieser Zeit. Und noch ein paar andere Goodies.
Du erwähntest es eben, euer Sänger Mike Conley ist 2008 verstorben ... Wie schwer war es, ohne ihn weiterzumachen? Und dann starb 2010 auch noch Todd Sampson ...
Mike war immer die treibende Kraft in der Band, ich war sozusagen der Co-Pilot. Aber ich habe nicht das unfassbare Charisma, das Mike hatte. Ich war immer eher der ruhigere Part, hinter den Kulissen, habe mich mehr um technische und geschäftliche Dinge gekümmert und beim Songschreiben und Arrangieren geholfen. Wir waren ein gutes Team und ergänzten die Stärken und Schwächen des anderen. Nach Mikes Tod war es naheliegend, Todd, unseren ursprünglichen Sänger und einer von Mikes besten Freunden, wieder in die Band zu holen. Aber dann starb auch noch Todd. Wir haben ein paar Jahre lang nichts gemacht, aber wir wurden immer wieder für Konzerte angefragt. Wir haben kurz überlegt, einen neuen Sänger auszuprobieren, aber nach reiflicher Überlegung hielt ich das für einen Fehler. Mikes Stimme, sein Charisma und seine Präsenz waren einzigartig, und jeder, der versuchte, ihn zu ersetzen, würde immer mit ihm verglichen. Der einzige Weg, damit es funktioniert, war meiner Meinung nach, alles in der Band zu behalten. Also habe ich die Jungs gefragt, ob ich versuchen könnte, die Songs zu singen, während ich zugleich weiter Gitarre spiele. Irgendwie hat es geklappt, ich glaube, es lag daran, dass ich Mike so gut kannte, ich kannte seine Gefühlswelt und ich wusste, wie diese Lieder interpretiert werden müssen. Ich habe Mike diese Lieder bei unzähligen Shows, Proben und Schreibsessions singen gehört. Es ist mit Sicherheit nicht dasselbe – Mike war ein begnadeter Frontmann. Aber ich habe das Gefühl, dass wir der Musik gerecht werden und dass es eine tolle Hommage an Mike ist, wenn wir alles in der Familie behalten. Paul singt auch ein paar Stücke, er macht einen tollen Job und ist sowieso ein großartiger Bassist. Und Larz trommelt immer noch so hart wie eh und je. Wir haben eine solide Band, und wir hören immer wieder, dass wir verdammt tight klingen.
Wie bist du mit Remi von Modern City aus Frankreich wegen der Wiederveröffentlichung eurer Alben in Kontakt gekommen?
Remi ist für mich wie ein Einhorn. Ich habe ihn noch nie getroffen. Ich habe noch nie mit ihm gesprochen. Ich weiß nicht, wie er aussieht, oder überhaupt irgendetwas über ihn. Nach dem, was ich über ihn weiß, könnte er genauso gut eine Simulation sein. Er hat mich kurz nach Mikes Tod kontaktiert und wir haben uns über die Jahre hin und wieder geschrieben und uns angefreundet. Ich habe ein gutes Gespür für Menschen, und er schien mir ein solider Typ zu sein. Einer meiner ältesten Freunde, James Agren, hat ein sehr erfolgreiches Plattenlabel namens Darla Records und kontaktierte mich 2016, um etwas von unserer Musik zu veröffentlichen. Sowohl National Trust als auch Flipside Records gab es nicht mehr, und so gab es zwei Platten, die nicht mehr lieferbar waren. James brachte also 2017 die CD-Versionen von „Notes From The Underground“ und „After The Fact“ heraus. Das passierte genau an der Schwelle zwischen dem Niedergang der CDs und dem Wiederaufleben von Vinyl. Remi hat mich dann Ende 2022 kontaktiert und wollte eine Vinyl-Neuauflage dieser beiden Alben machen. Ich liebe Vinyl, ich sammle Platten, seit ich fünf Jahre alt bin. Wir arbeiteten mit Darla zusammen, um die Master zu lizenzieren, und Remi begann, mir seine Ideen zu schicken. Ich merkte bald, dass er ein begabter Designer war und die Art von Detailversessenheit und Enthusiasmus besaß, um es richtig zu machen. Er lieferte uns ein echtes Kunstwerk – handgesiebdruckte Cover, tolle Beilagen, ein ausführliches Booklet, farbiges Vinyl und das alles zu einem sehr günstigen Preis. Die Band war sehr beeindruckt. Jeder, mit dem ich gesprochen habe, der das Ergebnis in der Hand hielt, war super beeindruckt. Wie ich schon sagte, Remi ist ein Einhorn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand anderes das tut, was er getan hat. Als es an der Zeit war für die Neuauflage von „Murder In A Foreign Place“, entschieden wir, dass wir Remi dabei haben wollten. Und wieder hat er großartige Arbeit geleistet. Es ist ein würdiges Package, wir freuen uns sehr darauf, und wir sind Remi für seine Hilfe dankbar. Vielleicht gibt es noch ein oder zwei weitere Projekte mit ihm.
Wie aktiv seid ihr in den letzten Jahren gewesen, mit M.I.A. und anderen Projekten?
Ich war bis etwa 1990 in verschiedenen Bands, bis ich Vollzeit aufs College ging. Danach waren die Umstände, in denen ich mich befand, nicht gerade förderlich für das Musikmachen, und so habe ich erst nach Mikes Tod wieder richtig angefangen, als wir für eine Benefizshow für seine Familie wieder zusammenkamen. Seitdem habe ich erkannt, dass ein Fehler war, nicht weiterzumachen, und ich habe mich viel mehr dafür eingesetzt. Paul hingegen ging 1985 nach „Notes From The Underground“ nach Las Vegas zurück. Er war aber die ganze Zeit immer in irgendwelchen Bands, bei denen er hauptsächlich Gitarre spielt und singt, und hat sich damit in Vegas auch einen Namen gemacht. Er ist einfach ein großartiger und vielseitiger Musiker. Auch Larz und Chris haben im Laufe der Jahre weiter in Bands gespielt, allerdings eher nebenbei. Mike hatte nach M.I.A. einige großartige Bands. Eine hieß NAKED SOUL, mit Larz am Schlagzeug, die war in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren aktiv. Die andere hieß JIGSAW, die gab es Mitte der 1990er Jahre. Larz erzählte mir, dass Mike kurz vor seinem Tod 2008 die Idee hatte, M.I.A. zu reformieren. Es ist wirklich schade, dass wir dazu nicht mehr gekommen sind. Wir vermissen Mike sehr und sein Geist ist bei jeder Show bei uns.
Was habt ihr in den letzten Jahren im „richtigen Leben“ gemacht?
Paul ist Koch geworden, was über die Jahre neben der Musik seine Haupteinnahmequelle war. Chris hat als Fahrer gearbeitet und auch auf einem Golfplatz in Las Vegas. Larz hat für verschiedene Unternehmen gearbeitet, unter anderem in der Wasseraufbereitung und im Projektmanagement. Ich habe an der University of California in Berkeley Anthropologie studiert und bin dann zufällig Fotojournalist geworden. In letzter Zeit bin ich als Werbe- und Porträtfotograf tätig und unterrichte Fotografie an einem örtlichen College.
Im Herbst 2024 werdet ihr durch Europa touren. Was sind eure Erwartungen?
Wir waren noch nie in Europa, jedenfalls nicht als Band, also sind wir sehr aufgeregt. Das ist eine weitere Sache, bei der uns Remi geholfen hat, also werden wir ihn vielleicht endlich kennenlernen. Ich habe keine Ahnung, wie bekannt wir in Europa sind oder wie groß das Interesse ist, unser aktuelles Line-up live zu sehen. Wir werden mit einer Band aus Paris namens BLEAKNESS touren, die sehr gut ist. Das Leben hat mich gelehrt, die Erwartungen niedrig zu halten und mich lieber angenehm überraschen zu lassen. Ich hoffe, dass ein paar Leute kommen werden, um uns zu sehen. Wir waren damals in der Szene von Orange County und L.A. zu Hause und ich habe das Gefühl, dass wir immer noch die Punk-Energie und -Ästhetik dieser Zeit repräsentieren. Natürlich mit unserer eigenen Note. Und wie ich schon sagte, haben wir eine solide Band mit Originalmitgliedern. Kommt vorbei und sagt Hallo!
Sind irgendwelche neuen Aufnahmen geplant?
Zur Zeit nicht. Wir haben einige neue Stücke geschrieben. Aber wie ich schon sagte, ist Musik ein Produkt von Einflüssen, Erfahrungen und Milieu. Unsere Szene aus den 1980er Jahren ist schon lange Geschichte, und seitdem gab es so viele großartige Bands, die mich beeinflusst haben, und so viele verschiedene Erfahrungen. Bei den neuen Sachen fragen wir uns immer wieder: Ist das ein M.I.A.-Song? Ich weiß es nicht. Wir werden bei unseren Shows aber ein paar neue Stücke spielen, dann könnt ihr entscheiden.
---
Diskografie
„Last Rites For Genocide/MIA“ (LP, Split w/GENOCIDE, Smoke Seven, 1982) • „Murder In A Foreign Place“ (LP, Alternative Tentacles, 1984) • „Notes From The Underground“ (LP, National Trust, 1985) • „After The Fact“ (LP, Flipside, 1987) • „Lost Boys“ (LP Comp, Alternative Tentacles, 2001)
© by - Ausgabe # und 24. Juni 2024
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #175 August/September 2024 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #43 Juni/Juli/August 2001 und Jörkk Mechenbier
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #175 August/September 2024 und Joachim Hiller