Die feministische Punkband MESSED UP kommt aus der weißrussischen Stadt Grodno nahe der polnischen und litauischen Grenze. Das Quartett gründete sich 2015, so die Selbstdarstellung, „mit dem Willen, der Lethargie der postsowjetischen Heimat zu entfliehen und den sozialen Erwartungen und Zwängen der eigenen Umgebung mit Selbstermächtigung und Kreativität entgegenzutreten.“ Kürzlich erschien via Audiolith das Album „Everything You Believe In“, gefolgt von einer Deutschland-Tour. Wir wollten von der Band mehr wissen über das (Über-)Leben in der kleinen und oft von Repression und Unverständnis betroffenen weißrussischen Punk-Subkultur. Stellvertretend für die Band antwortete Gitarristin Lizzie Skiba.
Die weißrussische Szene ist viel kleiner als die deutsche. Im westlichen Teil Europas ist es selbstverständlich, dass in jeder Stadt Menschen an vielen verschiedenen Arten von Aktivismus beteiligt sind. Die ganze weißrussische Szene verteilt sich auf zwei Zentren: die Hauptstadt Minsk und unsere Heimatstadt Grodno. In anderen Orten gibt es kaum Leute, die an der Szene beteiligt sind, also machen sie nur sporadisch einzelne Aktionen. Keine Squats, keine autonomen Zentren, kein Anzeichen von alternativen „Freiräumen“. Der weißrussische Präsident Aleksander Lukaschenko regiert das Land seit 1994. Er wird von den westlichen Medien als „letzter europäischer Diktator“ bezeichnet. Es gibt keine Pressefreiheit, keine Meinungsfreiheit, die Opposition wird von Lukaschenko unterdrückt, viele von ihnen sitzen im Gefängnis ...
Alles, was im Land geschieht, spiegelt sich auch in der Punkmusik wider. Viele Jahre lang bestand die Hauptaufgabe der weißrussischen Szene darin, Nazis zu bekämpfen, und deshalb war sie voll von „Tough Guys“, Straßenkämpfern und so weiter. Heute hat sich das ein wenig geändert, einige Bands verbreiten nun auch feministische Slogans. Sicherlich hat es Feminismus auch schon früher gegeben. So hatten CONTRA LA CONTRA aus Grodno schon in den frühen 2000er Jahren eine Leadsängerin und vertreten eine klare politische Botschaft in ihrer Musik und ihrer Bühnenperformance. Eine weitere großartige Band aus Grodno waren ANTIGLOBALIZATOR, bei der sich ein Mann und eine Frau den Gesang teilten. Aber es ist schon Jahre her. Der moderne Feminismus ist erst jetzt in unserem Land angekommen und es muss noch ein langer Weg zurückgelegt werden, um auch nur halb so weit zu kommen wie die westeuropäische Szene.
Die weißrussische Szene hat schon viele Wellen durchgemacht, die Leute kommen und gehen innerhalb weniger Jahre, dann kommt die nächste Generation, dann die nächste ... Leider können wir nicht sagen, dass es ein großartiges Vermächtnis gibt. Vor allem wenn es um Frauen in der Punkrock-Szene geht. Aber wir tun unser Bestes, um es zu ändern. Um ehrlich zu sein, das ist schon eine Herausforderung. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir nur noch eine weitere politische Band mit einer Frontfrau ein – KAINXVIII aus Minsk, um den Oldschool-Aktivisten Igor Konik. Es ist wohl so, dass die feministische Szene Weißrusslands am Ende dieses Jahrzehnts schlecht aufgestellt ist. Das ist traurig, aber wahr.
Jegliches Feedback ist wohl auch nur von der Underground-Szene zu erwarten – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die Mainstream-Medien in Weißrussland berichten aktuell über andere Probleme, Feminismus spielt in der öffentlichen Meinung keine Rolle – nur gelegentlich gehen einige Themen aufgrund irgendeines Hypes viral. Die feministische Agenda steht vor allem im Fokus feministischer/pro-feministischer Gruppen. Sicherlich sind die wichtigeren und radikaleren Gruppen auch Teil der Punk/Hardcore-Szene, die sich die Slogans von Antisexismus und LGBT+ auf die Fahne schreiben und diese auch leben. Aber wir sind immer noch in der Minderheit. Es ist ein großer Unterschied, die radikalen Forderungen vor fünfzig oder sechzig Menschen von der Bühne zu schreien, die die gleichen politischen Werte haben wie du, oder aber zu versuchen, Fernsehen, Zeitungen oder die Mainstream-Webportale zu erreichen. Von Zeit zu Zeit sieht es so aus, als wäre unsere Mission unmöglich zu realisieren. Und in der Tat, so ist es! Für die meisten Menschen in Weißrussland ist Feminismus etwas Seltsames. Die Propaganda sorgt dafür, dass sich die Menschen vor den Feministinnen fürchten, weil sie damit angeblich westliche Werte verbreiten, und das ist immer eine Bedrohung.
Es ist offensichtlich, bevor Weißrussland nicht ein demokratisches Land wird, wird Feminismus außer in der Punkrock-Szene, schlicht keine Rolle spielen. Aber wir sind eine ganz neue Generation und wir werden so hart wie möglich dafür kämpfen, nur ist unsere Stimme immer noch die einer Minderheit, die kaum gehört und von den Behörden und Mainstream-Medien weitgehend ignoriert wird. Egal, wie viele wir sind, es reicht immer noch nicht aus, die Behörden zu zwingen, uns anzuhören ... Egal, wie viele wir sind – es reicht immer noch nicht aus, um die normale Bevölkerung davon zu überzeugen, dass unsere Ansichten nicht schlechter oder besser sind als ihre, wir jedoch auch unsere Rechte haben und für sie kämpfen. Aber wir werden unseren Kampf fortsetzen. Auch wenn für manche alles, was wir tun, nichts weiter ist, als unverständliche Sätze schreien, zu Gitarrenlärm und lauten Drums.
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© by Ox-Fanzine - Ausgabe #147 Dezember/Januar 2019 und Lizzie Skiba
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