John Robb ist ein Universaltalent in Sachen Punkrock. 1961 geboren, wuchs er in der Nähe von Blackpool und in Manchester auf und gründete 1977 THE MEMBRANES, die bis 1990 aktiv waren. 1994 entstanden GOLDBLADE, die sich anders als die oft sperrigen, noisigen MEMBRANES dem klassischen Punkrock verschrieben haben und bis heute aktiv sind. Seit 2009 gibt es auch THE MEMBRANES wieder, mit „Dark Matter/Dark Energy“ erschien kürzlich ein neues Album, über das ich mit John sprach. Wie auch über seine Arbeit als Produzent und Manager, als Musikjournalist und Buchautor – gerade „Punk Rock. An Oral History“ (auch auf Deutsch erschienen) ist ein Standardwerk.
John, England will raus aus EU und Europa. Wie sieht man diese politische Entwicklung als Musiker, der seit Jahrzehnten auf dem „Kontinent“ tourt?
Jede Band tourt gerne dort, gerade in Deutschland. Es gibt jede Menge Clubs, hier in UK sind es viel weniger. Außerdem haben wir da jede Menge Fans, die uns wirklich schätzen, wohingegen in England immer nur das Neueste gesehen wird. Besonders in den Achtzigern war das krass, da warst du an einen Tag noch angesagt und zwei Wochen später schon vergessen. Auf dem Kontinent sind die Leute loyaler, sofern eine Band weiterhin gut ist.
Dass die Musikfans offener sind für Neues kann auch ein Vorteil sein.
Beides hat seine Vorteile. Wenn mehr Neues gefragt ist, schaut man eher voraus, es wird mehr neue Musik geschaffen. Für Fans ist das gut, für Musiker anstrengend. Ohne diese Offenheit hätte es die Punk-Szene 1976/77 nicht gegeben, die sehr stark angetrieben wurde von dieser modebewussten Denkweise. Das war komplett anders als heute, wo es eine Underground-Szene ist, die wohl für immer Bestand hat. Punk war damals eine Sache, der man zwei Monate gab, sie war eine Reaktion auf die Entwicklungen direkt davor, und es gab bald darauf schon wieder eine Reaktion auf Punk. Manchmal hilft es, das Bisherige einfach wegzuwischen und etwas ganz Neues zu starten. Heute ist das alles ganz anders, da machen Musiker und Bands bessere Platten, einfach weil sie etwas älter sind. Das ist ganz anders als damals, als ich noch ein Teenager war. Da hat niemand mit fünfzig spannende Platten, ja, überhaupt niemand hat in dem Alter noch Musik gemacht. Punk war ein totales Teenager-Ding, doch jetzt sehen wir, dass viele, die damals loslegten, ihre beste Arbeit 30, 35, 40 Jahre später abliefern. Diese Leute haben von Punk gelernt, dass man sich seine Relevanz bewahren muss, knackig und spannend bleiben muss. Wer auf Autopilot schaltet, kommt nicht weit.
Punk in Deutschland war ganz anders als in UK: Zum einen kam Punk erst mit langer Verzögerung hier an, zum anderen war er weit weniger eine Modeerscheinung, sondern wurde von Menschen aufgegriffen, die das als Lebensstil sehr ernst nahmen.
Punk in England ist was ganz anderes als im Rest der Welt! In den USA und anderswo hatte sich bald Hardcore entwickelt, und die „Second Wave“ des britischen Punk war auch schon was ganz anderes. Bands wie SEX PISTOLS und THE CLASH wurden riesig groß, aber losgelöst von der Szene, aus der sie ursprünglich kamen. Diese ursprüngliche Kings Road-Szene war eben sehr modeorientiert, bestand aus vierzig, fünfzig Leuten und hatte diesen Kunstakademie-Hintergrund. Kunst, Mode und großartige Musik trafen da aufeinander. In Deutschland ist die Wahrnehmung von Punk stark von der US-Hardcore-Szene beeinflusst, die haben die „Regeln“ festgelegt. Wenn heute SICK OF IT ALL – eine Band, die ich schätze – vor 2.000 Leuten spielen, werden die als Vertreter des ursprünglichen Spirits angesehen, dabei war Punk in England seinerzeit extrem divers. BUZZCOCKS, CLASH, SEX PISTOL, STRANGLERS waren in jeder Hinsicht absolut verschieden, erst im Laufe der Jahre glich sich das alles etwas an, wurde „amerikanischer“. Damals hat keiner in der Punk-Szene Shorts getragen, hahaha. ’76/77 war es unvorstellbar, dass eine Band in Shorts auf der Bühne steht. Es war eben ein modeorientierte Szene, es war extrem wichtig, was man trägt. Kleidung war in England schon immer sehr wichtig.
Du warst damals als Teenager mit dabei, du bist dieser Musik bis heute treu geblieben, bist selbst Musiker, schreibst aber auch als Journalist darüber. Gibt es die eine Wahrheit über Punk – oder sind es tausende?
Ja, es gibt die eine Wahrheit – für jeden von uns, haha. Und alle Versionen sind anders. Von Anfang an gab es Diskussionen, was Punk ist und was nicht, was geht und was nicht. Ich finde es spannend, und es ist wohl die einzige Jugendbewegung, die sich selbst so verleugnet: Ich kenne so viele Leute aus der Szene, die sich niemals als Punks bezeichnen würden. Punk ist für die ein Begriff, mit dem sie nachträglich belegt wurden. Und überdies war Punk im Norden von England etwas ganz anderes als im Süden. In Manchester beispielsweise ging es eher darum, sich möglichst dezent und unauffällig zu kleiden, wohingegen man sich woanders möglichst auffällig zeigen wollte. Die BUZZCOCKS sind ein gutes Beispiel für Manchester-Punk: Die trugen Anoraks, absichtlich! Das war ihre Reaktion auf die Londoner Szene. Punk ist eigentlich sehr gut zu beschreiben mit dem Thema des neuen MEMBRANES-Albums, wo es um den Urknall geht: Es gab einen Ausgangspunkt, aber schon kurz danach ging alles in alle verschiedenen Richtungen. Wenn du also heute Menschen in meinem Alter nach ihrem Punkbezug fragst, findest du die deshalb wahrscheinlich an den unterschiedlichsten Positionen: der eine macht Freejazz, der andere hat einen ganz normalen Job und wieder ein anderer spielt ganz klassischen Punkrock. Der eine trägt Anzug, der andere sieht aus wie ein „typischer“ Punk – vielen von damals sieht man heute nicht an, dass sie mal dabei waren. Deshalb finde ich das Rebellion Festival in Blackpool so spannend, da sieht man all die verschiedensten Typen.
Warum ist für dich Punk heute immer noch so interessant?
Ich mag ja auch viel außerhalb von Punk, ich höre nicht ständig nur meine alten Punk-Platten. Psychedelic oder Klassik interessiert mich genauso. Punk ist mehr als nur Musik, es ist eine Einstellung, eine Idee. Punk hat das Potenzial, Menschen selbstbewusster zu machen: You can do anything you want! Wenn du eine Band gründen willst, aber kein Talent hast – mach es trotzdem! Diese Denkweise sowie der D.I.Y.-Spirit machen Punk für mich aus. Abgesehen davon begleitet einen das, wofür man sich mit 15, 16 interessiert, sowieso den Rest des Lebens. Und ich weiß jetzt, dass wir damals manches falsch verstanden haben, unsere Idee von Punk unterschied sich stark von dem, wie es wirklich war: Wir dachten damals, dass eine Band wie THE CLASH D.I.Y. wären. Dabei waren die im Grunde wie die Pop-Bands auf den großen Labels. Das ändert für mich zwar nichts daran, dass die fantastische Musik machten, aber ihre Art Musik zu machen war völlig anders als meine.
Wie hältst du die verschiedenen Rollen als Fan, Journalist und Musiker auseinander?
Das sind doch alles nur verschiedene Aspekte von einer Sache. Wenn du Fan bist, willst du dich mit anderen darüber austauschen. Als Musiker willst du deine eigene Version zu der Musik beitragen, die du magst. So war das bei den MEMBRANES. Wir wollten nicht wie die RAMONES klingen, sondern unser eigenes Ding machen. Für mich gehörte das Musikmachen, das Veranstalten von Konzerten, das Schreiben und Reden über Musik alles zusammen. Heute macht man eine Website, arbeitet an Fernsehbeiträgen über Punk, schreibt Bücher und so weiter. Das sind für mich alles Aspekte eines „Jobs“, so wie jeder andere Job aus verschiedenen Tätigkeiten besteht.
Ich stieß erstmals 1986 auf die MEMBRANES, als das dritte Album „Giant“ in Deutschland auf Phillip Boas Label Constrictor erschien. Ich fand interessant, dass das zwar irgendwie eigenwillige Musik war, aber eben kein „typischer“ Punk.
Wie ich vorhin schon sagte, ging eben jeder von Punk aus seinen eigenen Weg. Wir gehörten damals zu keiner Szene und waren doch in vielen verschiedenen. Wahrscheinlich waren wir Post-Punk. Wir standen auf laute Bassgitarre, auf basslastige Sounds, auf Noise, auf interessante Rhythmik. In Gesellschaft von Bands wie BIRTHDAY PARTY, THE FALL, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN und später dann BIG BLACK und SONIC YOUTH fühlten wir uns wohl. Die kamen ja auch alle aus dem Punk und redefinierten diesen dann nach ihrem Geschmack. Mein Vorbild in Sachen musikalischer Offenheit ist John Peel, der hatte kein Problem damit, direkt nacheinander COCKNEY REJECTS und THE FALL spielen. Bei mir ist das genauso, ich mag ganz simplen Punk genauso wie eher arty Punk. Phillip Boa veröffentlichte damals eine ganze Bandbreite an Bands, etwa die noisigen BIG FLAME, die eher verspielten PASTELS oder eben uns. Aber das waren alles Bands, die sich durchaus irgendwie als Punk verstanden, oder als Post-Punk. Es ging darum, mit der Energie des Punk etwas Neues zu schaffen. Deshalb sind manche unserer Platten auch besser als andere: bisweilen hatten wir gute Ideen, wussten aber nicht, wie wir das spielen sollen. Wenn man heute einen bestimmten Sound sucht, geht man ins Internet – damals hatte man keine Chance, man musste experimentieren, und das dauerte teilweise ewig. Aus genau dem Grund freut es mich auch, dass wir jetzt noch mal ein neues Album machen konnten – jetzt, da wir alt genug sind und genau wissen, wie man alles hinbekommt.
Wie kam es, dass die MEMBRANES 1990 einfach von der Bildfläche verschwanden?
Irgendwann hat sich keiner mehr für uns interessiert und wir hatten alle anderes zu tun. So eine Band ist harte Arbeit, ich bekam aber immer Jobs als Musikjournalist angeboten, und außerdem kamen zu jener Zeit immer mehr amerikanische Bands nach Europa, die die britischen Bands verdrängten. Mit Bands wie BOGSHED oder A WITNESS gab es hier zwar gute Bands, aber die Leute interessierten sich mehr für BIG BLACK und SONIC YOUTH. Die hatten einfach bessere Möglichkeiten. Und so war es dann irgendwann vorbei, bis wir 2009 von MY BLOODY VALENTINE gefragt wurden, ob wir beim All Tomorrow’s Parties Festival spielen wollen. Wir nahmen die Einladung an, erwarteten nicht viel, und waren vom positiven Feedback überrascht. Ja, und dann haben wir jetzt auch noch ein neues Album aufgenommen, voller dunkler, schwerer Sounds und vieler Klangexperimente. Wir haben die Platte nur für uns gemacht, ein Album, an das ich die Anforderung stellte, dass ich Spaß daran haben muss, es anzuhören. Wir haben lange daran gearbeitet, und die Reaktionen jetzt sind erstaunlich positiv, überall in Europa.
Nach den MEMBRANES hast du dich 1994 mit GOLDBLADE zurückgemeldet.
In der Zwischenzeit arbeitete ich viel für das Musikmagazin Sounds, das war praktisch ein Vollzeitjob. Ich schrieb über NIRVANA und all so was, wurde gut dafür bezahlt, was mal eine positive Abwechslung war. Ich flog um die ganze Welt und schrieb über die Musik, die ich liebte – perfekt. Das war eine großartige Zeit für Musikmagazine, die Auflagenzahlen waren hoch. Irgendwann begann ich aber das Musikmachen zu vermissen, und so suchte ich mir ein paar Leute und fing nur so zum Spaß mit GOLDBLADE an. Wir hatten dann einen guten Start, 1997 kam das erste Album.
GOLDBLADE sind eingängiger als die MEMBRANES, da ist eher klassischer Punkrock geboten.
Das reflektiert eben meine verschiedenen musikalischen Pole. Ich mag GENERATION X, THE CLASH, THE STRANGLERS, und so wollte ich damals eine Punkrock-Band gründen. Es macht Spaß, Songs nach einem simplen Vers-Refrain-Schema zu schreiben, die dazu taugen, einen Aufruhr anzustacheln. Und gleichzeitig liebe ich experimentelle Musik wie bei den MEMBRANES, wo die musikalischen Konventionen auch mal auf den Kopf gestellt werden. Die Verbindung zwischen beiden Bands besteht ja darin, dass mit mir, Peter Byrchmore und Rob Haynes drei GOLDBLADE-Mitglieder auch das MEMBRANES-Line-up stellen. Die Unterschiede sind klar: GOLDBLADE sind eher straight, und auf dem neuen MEMBRANES-Album findest du gerade mal zwei „normale“ Songs, haha.
In der Tat habt ihr es euch und den Zuhörern nicht gerade leicht gemacht und euch nach einem Vierteljahrhundert gleich mit einem Konzeptalbum zum Thema Ursprung des Universums zurückgemeldet.
Uns ging es noch nie darum, es uns leicht zu machen. Falls jemand sagen sollte, Punk müsse einfach Sinn ergeben, sähe ich mich automatisch in der Rolle, es genau andersrum zu machen. Und wenn jemand der Meinung ist, Punk-Texte müssten sich um Mädchen und Spaß drehen, dann machen wir eines über das Universum und den Tod. Ja, unser Album ist düster und heavy, aber ich mag das eben. KILLING JOKE, JOY DIVISION, das war die Art von Punk, die ich damals schon mochte. Oder „Metal Box“ von PiL.
Das Album-Thema, so heißt es, kam nach einem Gespräch mit dem Teilchenphysiker Joe Incandela vom Teilchenbeschleuniger-Zentrum CERN in Genf zustande.
Ich traf Joe bei einer Veranstaltung, bei der ich als Referent geladen war, um über das Thema D.I.Y. zu sprechen, und Joe redete über die Suche nach dem Higgs-Boson-Teilchen, das dabei hilft zu erklären, was das Universum zusammenhält. Beim anschließenden Essen saßen wir nebeneinander und es stellte sich heraus, dass er großer BUZZCOCKS-Fan ist. Er wollte mit mir über Punkrock sprechen und ich mit ihm über das Universum. Ich fand es schon immer faszinierend, wie er sagte, dass je mehr sie als Forscher herausfinden, desto mehr neue Fragen werden aufgeworfen. Wir unterhielten uns über Dunkle Materie und Dunkle Energie, und diese Worte schon faszinierten mich: Dark Matter ... Dark Energy ... da musste ich sofort an KILLING JOKE und JOY DIVISION denken. Das Dunkle, das Chaos, das Mysteriöse, das interessiert mich, und so hatte ich direkt den Gedanken, das zum Thema des Albums zu machen. Es passte, mein Vater starb, als wir gerade damit begonnen hatten, das Album zu machen. Und so geht es in den Songs um Dunkle Materie einerseits und das Chaos unseres modernen Lebens andererseits. Anstatt mich in klassischer Punkmanier über irgendwas aufzuregen, habe ich versucht, die Konfusion zu beschreiben, sowohl in emotionaler wie in physikalischer Hinsicht. Simple Punk-Platten finde ich super, aber man kann auch mal das Gegenteil machen.
Du sprichst die ganz großen, elementaren Fragen an: Ist da noch was, wo kommen wir her, wo gehen wir hin?
Das Interessante an Punk ist, dass der gut funktioniert, wenn er simpel ist. An anderer Stelle sind aber auch viele kluge Köpfe involviert, gerade in den USA. Ich finde es deshalb spannend, etwas zu schaffen, das einerseits simpel, andererseits sehr komplex ist. Wenn wir bei einem Song vier Minuten lang immer wieder den gleichen Akkord wiederholen, ist das einerseits sehr simpel, gleichzeitig geht es im Text um etwas Komplexes – solche Widersprüche mag ich. Und so ist das mit dem Universum auch: Eigentlich ist es nur eine unglaublich große Explosion, die ewig weitergeht, andererseits ist es enorm schwer zu verstehen, was da im Detail passiert. Dazu muss man nur mal nachts in den Sternenhimmel blicken und sich vergegenwärtigen, dass manche Sterne, deren Licht man da sieht, nicht mehr existieren – so lange braucht das Licht, um uns zu erreichen. Solche „Mindfuck“-Gedanken mag ich.
Bist du religiös?
Religion fasziniert mich, sie ist eine komplexe Art, die Geheimnisse unseres Lebens zu beschreiben. Aber grundsätzlich halte ich es eher mit der Wissenschaft. Über den Tod meines Vaters habe ich deshalb ein Stück geschrieben, es ist das letzte auf dem Album, „The hum of the universe“. Es ist in H-Moll geschrieben, das ist der Ton des Universums. Mir gefällt die Vorstellung, dass wir, wenn wir sterben, alle wieder Teil des Universums werden. Wir bestehen aus der Materie, die beim Urknall entstanden ist. Wenn wir sterben, kehren wir zum Ursprung zurück. Ich nenne das nicht „Himmel“, aber so etwas in der Art ist es schon. Es gibt etwas nach dem Leben, und das ist, dass wir wieder zu Materie werden. Die letzten zwei Wochen dämmerte mein Vater im Krankenhaus nur noch dem Tod entgehen, er konnte nicht mehr sprechen, aber man konnte seine Hand halten und er reagierte. Dieses friedvolle dem Tod Entgegengleiten habe ich versucht mit diesem Stück aufzugreifen. Und ich fand es auch reizvoll, über den Tod an sich was zu machen, denn Punk ist ja immer so eine auf Jugendlichkeit fixierte Bewegung. Es ist der Sound von Teenagern, aber ich bin jetzt Mitte fünfzig, und ich kann die „Ziellinie“ sehen ... sechzig, siebzig ist nicht mehr weit. Der Tod ist etwas, mit dem man sich beschäftigt, er verliert seinen Schrecken.
Also war es an der Zeit, darüber mal Texte zu schreiben?
Ich finde ja, dass die Popkultur sich mit dem Thema Tod und Alter nicht genug beschäftigt, dabei sind viele der Bands aus den Sechzigern mittlerweile siebzig und älter. Bob Dylan hat schon Songs über den Tod geschrieben, die finde ich interessant. Aber die meisten von den Bands tun immer noch so, als wären sie Teenager, schau dir doch mal die ROLLING STONES an. Die natürlich immer noch eine großartige Live-Band sind und ein großer Einfluss auf Punk. Wir sind selbst ja in einer ähnlichen Position: Wir können uns noch immer in Teenager hineinversetzen, wir können live auf der Bühne noch immer abgehen wie damals, aber ich finde es gut, sich auch als Band mit Themen zu beschäftigen, die über Teenager-Themen hinausgehen. Und ich denke, dass das jüngere Menschen nicht davon abhält, sich unsere Musik anzuhören. Wir fanden damals ja auch die STRANGLERS gut, obwohl die schon Ende zwanzig waren, Jet Black sogar vierzig. Textlich waren die ja sowieso anders als die anderen Bands jener Tage, bei denen steckte viel Dunkelheit und Niedergang in ihrem Sound. Als Teenager faszinierte einen das, wenn auch aus anderen Gründen. Man schaute einfach mit einer gewissen Bewunderung in Richtung dieser schon etwas älteren Typen, die über so komische Themen sangen. Wahrscheinlich haben wir heute diese Rolle übernommen –ich will ja nicht so tun, als sei ich ein ewiger Teenager. Punkrock geht eben über den Aspekt der Teenagermusik hinaus: wer jung ist, macht seine Art von Texten, und ich mache meine, unser Leben ist verschieden.
Wie hat Punk es deiner Meinung nach geschafft, auch 30, 35 Jahre später noch relevant zu bleiben.
Die alten Punk-Platten strahlen immer noch eine Menge Energie aus, sie sind zeitlos. Und sie sind anders produziert als viele der modernen Platten mit ihrer Click-Track-Arbeitsweise. Diese Platten dokumentieren einen wichtigen Zeitpunkt in der Musikgeschichte, sie zeichnet eine gewisse Verrücktheit aus. Das ist immer noch interessant, und auch die Inhalte, die Attitüde haben Bestand. Und natürlich gibt es auch heute noch gute Punk- und Hardcore-Platten, manche Bands haben es extrem drauf, ihre Energie rüberzubringen. Für mich klingt so was immer wie Musik gewordenes Bodybuilding. Die physische Präsenz etwa einer SICK OF IT ALL-Platte und auf deren Konzerten ist beeindruckend. Wobei ich ja finde, dass bei vielen heutigen Hardcore-Bands zu viele Gitarrensoli im Spiel sind und zu wenig Drei-Akkorde-Punk. Bei MINOR THREAT, BAD BRAINS und BLACK FLAG war das noch anders.
Du hast zig verschiedene „Jobs“. Mit was vertreibst du dir momentan die Zeit?
So etwas wie Routine gibt es nicht für mich. Ich schreibe viel über Musik, kümmere mich um meine Website, fahre nach London, um irgendwas zu erledigen. Dann wieder ein Buch schreiben, eine Tour spielen, irgendwas fürs Fernsehen machen. Aktuell arbeite übrigens an einem Buch über die eher düsteren Post-Punk-Bands wie KILLING JOKE, BAUHAUS und so weiter. Also das, was man immer als „Goth-Szene“ bezeichnet, wobei die nie existiert hat.
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