MEGATON

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Die letzten Überlebenden

Vor sechs Jahren gründete sich das Heidelberger Punk-Trio, das nach „Einfach da!“ von 2017 nun mit „Spielball“ sein zweites Album veröffentlicht. Unverkennbar ist wieder die tolle, einprägsame Stimme von Sänger und Gitarrist Joe Ibrahim, mit der er sich auch vor Jahren als festes Bandmitglied der Ska-Legende THE BUSTERS qualifizierte. Über seine eigentliche Band ist aber noch viel zu wenig bekannt. Was lag da näher als ein Gespräch über die nicht mehr so neuen „Newcomer“, zumal das neue Werk mächtig gut gelungen ist.

Es ist nicht immer so leicht, Mitglieder für eine Band zu finden. Wie kamt ihr drei zusammen?

Wir drei haben schon vor MEGATON zusammen in einer anderen Band gespielt und unseren Drummer Joe kenne ich sogar noch länger, da wir auf derselben Schule waren. Musikalisch sind wir drei also schon seit 2008 gemeinsam unterwegs. Wir sind auch abseits der Bühne sehr gut befreundet und verbringen viel Zeit miteinander.

Das Genre heißt sicher wieder „Punk“, aber ist Gitarrenmusik mit Verstärker und politischen Aussagen schon automatisch Punk?
Nicht unbedingt. Ich finde die Frage „Was ist Punk?“ immer etwas schwierig zu beantworten. Klar ist der Punk von heute ein anderer als der „Ur-Punk“, aber ich finde, es ist immer das, was man daraus macht. Nämlich sich die Freiheit zu nehmen und sein Ding durchzuziehen, egal was die anderen sagen. Und das ist genau das, was wir schon immer machen. Wir spielen einfach drauflos und machen das, was sich für uns gut anfühlt und worauf wir gerade Lust haben.

Der Albumtitel lautet herrlich vielsagend „Spielball“. Was genau ist damit gemeint?
Der Spielball ist in diesem Fall ja unser Planet Erde. Und jede:r Einzelne, also wir alle sind dafür verantwortlich. Und damit ist nicht nur unsere Umwelt gemeint, sondern auch das friedliche Zusammenleben aller Lebewesen. Wenn wir mit allem sorgfältig, nachsichtig und respektvoll umgehen würden, würde vieles meiner Meinung nach besser laufen.

Gelungen ist auch die bedrohliche und zugleich freundliche Coverzeichnung, so wie das gesamte Artwork.
Mathias Haze, ein guter Freund von uns und der Designer des Artworks, und ich sind unglaublich große Dinosaurier-Nerds und „Jurassic Park“-Fans, daher musste bei einem gemeinsamen Projekt einfach ein Dino mit rein. Und zu der freundlich-bedrohlichen Apokalypse-Stimmung des Covers fanden wir unseren „Rexbert“ ganz passend.

Der Sound ist weich und ziemlich poppig. Wie kann ich mir das live vorstellen, wesentlich schneller, rauher und aggressiver, oder versucht ihr auch „on stage“ nah am Sound der LP zu bleiben?
Bei uns entstehen die Stücke zu 95% im Proberaum und dadurch haben wir die Songs schon sehr oft bei den Proben live gespielt, daher ist es bei uns eher umgekehrt: Wir bringen unsere Live-Energie und den Live-Sound auf Platte. Trotzdem ist es bei Konzerten wieder etwas ganz anderes. Durch das Adrenalin und die Euphorie wirken die Songs bestimmt noch mal anders, vor allem jetzt, nachdem wir fast anderthalb Jahre lang kein Konzert gegeben haben. Da hat sich einiges an Energie aufgestaut.

Bei „30000 Mädchen“ hat beim Text dein BUSTERS-Buddy Rob mitgeholfen.
Ja, beim Text von „ 30000 Mädchen“ hat mein lieber BUSTERS-Kollege Rob mitgeschrieben. Ich fand es schon immer interessant und sehr aufschlussreich, mit „Externen“ an Songs zu arbeiten. Man entwickelt beim Schreiben ja immer seine Muster und Vorgehensweisen, deshalb finde ich es immer spannend zu sehen, wie andere arbeiten.

Im Song „Disco“ regt ihr euch über einen Ex-Punk auf, der sich früher Straßenschlachten mit der Polizei lieferte und nun in die Disco geht. Aber mal ehrlich, ist nicht beides unterm Strich recht sinnlos?
Doch, definitiv. Kurz zur Story: Wir hingen früher immer im Loch Ness in Wiesloch ab. Das war ein Kultur- und Kommunikationszentrum, wo es früher viele Punk- und andere Konzerte gab und wo auch wir unsere ersten Live-Erfahrungen gesammelt haben. Auf jeden Fall gab es dort einige Leute, von denen wir uns damals schon anhören mussten, dass wir ja gar keine echten Punks wären, die sich aber selbst für die Superpunks hielten. Genau die haben von heute auf morgen ihren Style geändert und sind im Spießerlook rumgerannt, und anstatt auf Punk-Shows gingen sie lieber in die Disco. Für uns damals wie heute unverständlich. Gefühlt sind wir mit ein paar wenigen anderen die letzten Überlebenden dieser „Gang“, die das noch bis heute durchziehen.

Ich frage das auch, weil ich bei euch ebenfalls etliche Disco-Anklänge wahrnehme. Was ja nicht so ungewöhnlich ist in unserem musikalischen Bereich. Es gefällt und verschafft einem auch mehr Zuhörer:innen.
Schwierig zu sagen, ob uns das mehr Zuhörer:innen verschafft. Wie schon beschrieben, machen wir immer das, was gerade „aus uns rauskommt“, und wenn es sich gut anfühlt, bleiben wir dran. Da kann dann auch gerne mal das eine oder andere Disco-Element mit durchrutschen.

Das Lied „Influenza“ spricht mir direkt aus der Seele. Wenn aber schon die Befindlichkeiten von Personen ohne Funktion die Menschen in Atem halten, ist das Kind dann nicht schon in den Brunnen gefallen?
Ich hoffe doch nicht! Ich finde es einfach erschreckend, wie viel „Influence“ diese Personen doch haben, und mittlerweile sind es nicht nur die ganz jungen Leute, die diesen zum Opfer fallen, sondern Menschen aus allen Altersgruppen. Es geht darum, sich zu positionieren, und viele spielen einem auf Instagram und Co. ein falsches Leben vor. Nur um Likes zu angeln und besser als die anderen zu sein. So kommt es mir zumindest vor und ich finde es lächerlich, stundenlang an einem Bild rumzumachen und sein Essen mit dem Geodreieck auf dem Teller zu platzieren. Viele halten diese Fantasiewelt für das echte Leben und das ist das Beängstigende an der Sache.

Beim Anhören des Albums fällt auf, dass du dir Zeit für die gesanglichen Arrangements lässt. Die Zeiten der 2:20-Punkrock-Songs sind offenbar vorbei.
Wenn man sich länger mit Musik beschäftigt, kommt man wohl oder übel auch mal zu anderen Genres. Ein Leben lang nur Punk funktioniert bei uns zumindest nicht. Punk ist zwar immer die Basis, aber wir himmeln auch Bands wie die FOO FIGHTERS oder BIFFY CLYRO an. Da kann und will man auch nichts dagegen tun, wenn die Stücke hier und da mal ein wenig „aufwändiger“ werden.

Was trifft eher auf dich zu: Bist du ein guter Sänger, der auch Gitarre spielen kann, oder ein guter Gitarrist, der es einfach liebt, dazu zu singen?
Also das Gitarrespielen war zuerst da, irgendwann habe ich dann angefangen, dazu zu singen. Zuerst nur zu Hause, aber meine Mutter gab mir dann den nötigen Arschtritt, auch mal in der Öffentlichkeit zu singen. Zum Glück! Beides habe ich zum größten Teil autodidaktisch erlernt, nur für die Gitarre hatte ich mal ungefähr ein, zwei Jahre Unterricht. Aber wie das bei mir schon immer war: Wenn Druck dahinter ist, macht es keinen Spaß mehr. Und als ich damals drei Akkorde kannte und meine Lieblingssongs spielen konnte, gab es für mich sowieso keinen Grund mehr, noch andere Sachen zu lernen. Leider! Ich könnte viel weiter sein, aber ich bin einfach übungsfaul ...

Gerade kam die Nachricht, dass die Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes von 2017 inzwischen auch vom Bundesrat gebilligt wurde. Unsere Regierung nimmt richtig Kohle in die Hand, um „Hatespeech“ im nun nicht mehr „rechtsfreien Raum“ des Internets zu ahnden. Das gefällt euch sicherlich, da ihr ja auch zu recht massiv gegen den Hass im Netz wettert ...
Ja, das finden wir sehr gut und es ist auch allerhöchste Zeit! Es ist einfach ekelhaft, was manche Menschen so im Netz ablassen, die sich aufgrund der Anonymität stark und sicher fühlen. Zudem macht es mich unfassbar traurig und wütend, wenn ich mitbekomme, dass wieder Menschen im Mittelmeer gestorben sind und es tatsächlich Leute gibt, die bei so einer Meldung mit einem Lachsmiley reagieren.

Und wenn Annalena Baerbock Kanzlerin werden sollte, verursacht das bei euch eher Magengrummeln oder sagt ihr, es ist gut, dass sich die Politik noch bewegt?
Also ich würde mich sehr freuen, wenn wir eine junge, unverbrauchte Frau als Kanzlerin bekommen würden. Auf einen langweiligen alten Laschet oder Scholz und Co. habe ich absolut keine Lust.