MDC alias MILLIONS OF DEAD COPS begleiten mich seit den frühesten Ox-Tagen, ich bin ein Fan all ihrer Platten, sowohl der Klassiker wie der Spätwerke - und natürlich ist ihr Überhit "John Wayne was a Nazi" einer der frühen US-Hardcore-Hits schlechthin. Gegründet wurde die Band von Dave Dictor und Ron Posner 1979 in Austin, Texas, später zog man nach San Francisco und Dave Dictor, der offen schwule Frontmann der mit dem Ärger mit den Autoritäten geradezu herausfordernden Bandnamen ausgestatteten Band, veröffentlichte 1984 auf seinem Label R Radical Records die legendäre "Peace"-Compilation-Doppel-LP, die eines der eindrucksvollsten Zeugnisse der weltweiten Hardcore-Szene darstellt. Im Laufe der Neunziger wurde es dann etwas ruhiger um Dave. Der regelmäßige Maximum RocknRoll-Leser bekam auf diesem Wege etwas von ihm mit, aber Drogenkonsum und dessen staatliche Sanktionierung forderten ihren Preis, und so richtig Fuß fassen konnten Dictor und MDC dann erst wieder vor rund zwei Jahren mit dem Album "Corpse Of The Ultimate Dictators". In den letzten Jahren ist die Band auch wieder regelmäßiger Gast auf europäischen Bühnen, tingelt wie einst in den Achtzigern durch AZs und kleine Punk-Clubs und ist doch kein Stück leiser geworden - musikalisch wie textlich. Dave Dictor, der dieses Jahr 50 geworden ist, feuert textlich nach wie vor aus allen Rohren gegen die verhasste bigotte US-Gesellschaft, aber vor und nach den Konzerten ist er ein sehr freundlicher und extrem gesprächiger Mensch, der eigentlich nur ein Stichwort braucht, um seine Geschichten und Anekdoten zu erzählen.
Dave, ihr seid erst seit ein paar Jahren wieder auf Tour, die zweite Hälfte der Neunziger hindurch war es sehr ruhig um dich.
Ja, ich war ja auch sechs Jahre lang mit meinem Drogenentzug beschäftigt. Von 1994 an lag das originale Line-up auf Eis, ich zog nach Portland, Al hatte Probleme mit der Justiz, und in der Zeit gab es dann die SUBMISSIVES, die 1997 eine Platte veröffentlichen und die ich zusammen mit Tom Roberts alias Pig Champion von POISON IDEA gegründet hatte. Alle von uns hatten ihre eigenen Sachen am Laufen. Die Drogen hatten Anfang der Neunziger alle von uns böse erwischt, wir machten dann eben noch bis 1994 weiter, aber dann war die Luft raus. Ich selbst bin jetzt seit acht Jahren drogenfrei, aber das heißt nicht, dass wir Alkohol etwa grundsätzlich ablehnen, nur halte ich selbst mich einfach davon fern. Obwohl das hier in Deutschland echt schwer ist, überall bekommst du Freibier angeboten, und entsprechend besoffen sind die Leute auch immer. Na ja, ich brauche das nicht, ich habe kürzlich meinen guten Freund Tom Roberts verloren, ich vermisse ihn echt. Death is forever ... Ich hätte ihn gerne auf meiner Unplugged-Platte dabeigehabt, die so gut wie fertig ist.
Punk hat nun mal auch eine starken selbstzerstörerische Komponente: Einerseits kämpfen die Leute gegen den Staat, gegen das System, gegen die Verhältnisse, andererseits sind sie oft selbst die ersten Opfer durch ihren exzessiven Lebensstil.
Das hat für mich ganz klar was mit den Punk-Ursprüngen in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern zu tun. Da war "No future for you!" nicht nur ein Slogan, sondern ein Lebensgefühl. Die Leute von den NEW YORK DOLLS, die gestorben waren, Darby Crash von den GERMS, GG Allins exzessives Verhalten, das hat einen starken Eindruck hinterlassen. "Live fast, die young" war ein Slogan, der positiv wahrgenommen wurde, denn was sollte das alles denn auch? Wofür war es denn wert zu leben? Die Reagan-Jahre würden uns ja sowieso den Garaus machen, wenn uns nicht die Russen vorher bombardieren, davon waren wir überzeugt, es gab keine Hoffnung. Ich selbst gab mich diesem Glauben völlig hin, kämpfte ständig mit meinen verschiedenen Abhängigkeiten, wechselte von einer Droge zur nächsten und ging von Zeit zu Zeit auf Tour, um wieder klar zu werden, mal ein paar Wochen ohne Drogen zu sein. Na ja, bei den letzten Touren 1992 und 1994 klappte auch das nicht mehr, da brachten wir die Drogen gleich mit auf Tour. Als ich danach wieder nach Hause kam, war alles nur noch schlimmer, und als mein Sohn dann nicht mal mehr bei mir wohnen wollte, war mir klar, dass ich etwas ändern muss. Ich hatte so ein echtes Erweckungserlebnis, mir wurde klar, dass ich nicht mit Anfang vierzig sterben will, sondern dass ich Lust darauf habe, siebzig oder achtzig zu werden. Aber das Selbstzerstörerische gehörte eben immer zu Punk dazu. Dann allerdings kam Anfang der Achtziger auch diese Straight Edge-Ding auf, Ian MacKaye wurde zur Ikone dieser Bewegung, und Henry Rollins mit seiner Fitness-Besessenheit. Ich selbst bin heute nicht völlig gegen Drogen und Alkohol, aber ich kann nur jedem raten, vorsichtig damit umzugehen: Zuerst ist es Spaß, doch dann nimmt es mehr und mehr Platz in deinem Leben ein. Wenn man siebzehn, achtzehn, neunzehn ist, ist Straight Edge auf jeden Fall eine coole Sache, da ist das ein Statement gegen die ganzen verpeilten, besoffen in der Gegend rumkotzenden Altersgenossen.
Würdest du sagen, dass die Message von MDC sich über die Jahre verändert hat?
Nur minimal. Wir waren und sind eine sehr politische Band, und daran hat sich nichts geändert, wie man ja den Texten unseres letzten Albums entnehmen kann. Allerdings gibt es da auch ein Lied wie "Going nowhere fast", in dem es um meinen früheren Lebensstil geht und wie schwer es war, mich davon zu lösen. In anderen, etwa in "Founding fathers", geht es um die Ermordung der amerikanischen Ureinwohner, um George W. Bush, um den Umgang mit Aids in Afrika. Grundsätzlich ist also die Ausrichtung der Texte gleich geblieben, es geht darum, bestimmte Themen mit einem sehr scharfen Humor anzusprechen und nicht in "Fuck war, fuck Bush"-Klischees zu verfallen, indem man einen guten Ansatz findet und eine gute Story. Und damit stehen MDC auch heute noch in der Tradition von "John Wayne was a Nazi" oder "Church and State". Trotzdem hatten MDC aber auch immer so einen nihilistischen Touch, siehe etwa "American achievements" oder "Kill the light". Klar, wenn man Anfang zwanzig ist, ist es ein ganzes Stück glamouröser, so was zu singen, als mit fünfzig, da habe ich heute eher den Wunsch, den Leuten zu sagen, dass nicht alles ganz schwarz ist, dass sie in dieser dunklen, einsamen Welt nach etwas Licht suchen sollen.
Steven Blush stellt in "American Hardcore" die These auf, dass es mit Hardcore 1986 vorbei war. Wie siehst du das?
Na ja, nach Hardcore kam Post-Hardcore, haha. Die Periode zwischen 1981 und 1986 war einfach die Hochzeit des Genres. Und die Aussage von Steven bedeutet ja auch nicht, dass eine Hardcore-Platte von 1995 keine Bedeutung hat. Ich werde natürlich oft nach der damaligen Zeit gefragt, es war eine coole Zeit, nur haben Ron und ich neulich festgestellt, wie wenig Fotos und Filmmaterial es von damals gibt. Wir haben da selbst nur sehr wenige Bilder, aber wenn du zu sechst wochenlang in einen Van eingepfercht warst, hatte eben kaum jemand Lust, das auch noch aufwendig zu dokumentieren. Murray Bowles, der damals viel für das MRR fotografiert hat, hat aber diverse Bilder von uns. Ich habe ihn mal besucht und er zeigte mir unendlich viele schöne Fotos von damals. Ich finde auf jeden Fall, dass Steven mit dem Film einen guten Job gemacht hat, auch wenn meine Erinnerung im Detail mal eine andere ist als seine. Ich habe jedenfalls Lust bekommen, auch mal ein Buch zu schreiben, über die Musikszene von Austin, Texas und San Francisco, so wie ich sie bis 1985 erlebt habe. Speziell über die Szene in Texas und da wiederum Austin findet man kaum etwas, dabei hat sie mit den DICKS, OFFENDERS, BUTTHOLE SURFERS und den BIG BOYS doch sehr wichtige Bands hervorgebracht. Dass die Szene dort so gut war und ist, hat etwas damit zu tun, dass Austin eine Universitätsstadt ist und sich das musikalische Leben eines Staates mit 40 Millionen Einwohnern, sowie das der Staaten darum herum dort konzentriert. Und in Austin wiederum spielt sich alles in einem eng umgrenzten Innenstadtbereich ab, alles drumherum ist dann gleich typisch Texas. Zumindest ist das meine Theorie.
Berlin hatte für Deutschland diese Funktion, zumindest bis 1989.
Oh ja, das spürte man. Wir waren 1982 erstmals da, und es war ein seltsames Gefühl, quasi in Sichtweise der Russen wilde Partys in den besetzten Häusern am Mariannenplatz zu feiern. Es gab damals übrigens eine große Kolonie von Amerikanern in Berlin, und das waren nicht nur Soldaten. Es gab da nämlich eine kuriose Regel, dass man dort als amerikanischer Staatsbürger ein Recht auf Sozialhilfe seitens des deutschen Staates hatte, und so gab es im amerikanischen Sektor eine ganze Menge Freaks und Hipster, die offiziell Deutsch studierten oder so und von 900 Mark deutscher Sozialhilfe in besetzten Häusern ein schönes Leben führen konnten.
Hardcore entstand ja unter ganz bestimmten politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in einem exakt umgrenzten Zeitfenster.
Für mich hatte Hardcore immer auch das Ziel, in Sachen Intensität das absolute Maximum zu sein. Das führte dazu, dass die Bands dann wirklich so hyperschnell spielten, etwa MIDDLE CLASS, MINOR THREAT oder BLACK FLAG. MDC standen da beinahe schon außen vor, weil wir etwa bei "John Wayne was a Nazi" ja richtig melodiös loslegen. Wir unterschieden uns aber klar von den Bands der Generation vor uns, etwa den DILS, den AVENGERS, SEX PISTOLS, RAMONES, 999 ... wir hatten mit den Punks der Generation von 1979 nichts gemeinsam, und plötzlich stellten wir fest, dass wir in Boston, in Chicago, in Los Angeles, in DC Gleichgesinnte hatten. Die Musik hatte sich da in kürzester Zeit ein großes Stück weiterentwickelt: Wir kannten die DEAD BOYS, aber uns war klar, dass wir so nicht klingen, sondern den Druck ein ganzes Stück erhöhen wollen. 1979 war es auch, dass Ron und ich erstmals zusammen Musik machten, einfach nur so für uns. Wir mochten DEVO, die TALKING HEADS, irgendwie diesen politischen New Wave, und gleichzeitig hingen wir mit den DICKS ab, lernten die Punkszene von Austin kennen - ich komme ja ursprünglich aus Long Island. Die New Wave-Szene von Austin war nichts für uns, das waren alles Studenten, die irgendwas mit Medien und Film machten, die waren uns zu arty, zu planvoll, zu cool. Die Punks dagegen waren wütend, politisch, spontan, das machte viel mehr Spaß, und statt in schicken Clubs spielten wir bei irgendwem im Hinterhof, und so entstand eine eigene kleine Szene, nachdem man zuvor noch die gleichen Konzerte besucht hatte. Und wo zuerst noch TALKING HEADS und SEX PISTOLS gleichauf lagen in ihrer Beliebtheit, trennte sich das dann immer weiter. Dabei mag ich die frühen TALKING HEADS immer noch, und als dann GANG OF FOUR kamen, BAUHAUS und THE SMITHS, verfolgte ich auch die immer noch, weil mich das einfach musikalisch interessierte, doch diese Bands waren ganz klar nicht Teil unserer Szene.
Und wieso ist Hardcore dennoch heute unter veränderten Bedingungen immer noch relevant?
Weil es so eine leidenschaftliche Musik ist, weil die D.I.Y.-Idee bis heute funktioniert. Wir warteten damals nicht, bis eine Plattenfirma "John Wayne was a Nazi" veröffentlichten wollte, wir warteten nicht, dass jemand eine Tour für uns bucht, sondern wir setzten uns in einen Van, riefen Biafra, Dukowski und MacKaye an und fuhren los, Hauptsache einer im Auto hatte eine Kreditkarte, und egal, dass wir für drei Konzerte 3.000 Meilen fahren mussten. Wir kümmerten uns nicht um die Leute, die Bands wie den SEX PISTOLS oder DEAD BOYS die Gnade eines Plattenvertrages erwiesen hatten, wir machten es einfach selbst. Die Chance, vom Blitz getroffen oder einem Hai gefressen zu werden. war für uns größer als die, dass ein Label eine Platte mit uns machen will. Und plötzlich war eine Bewegung daraus geworden, gab es mit DISORDER in England und BGK in den Niederlanden sogar in Europa Gleichgesinnte. Der Traum so vieler Bands, dass da draußen ein Label nur auf sie gewartet hat und sie groß rausbringt, das war für uns nie ein Thema, das wurde von Anfang an als große Lüge erkannt. Das wurde dann später alles schön theoretisch als D.I.Y.-Ideologie beschrieben, doch zu Beginn hatte das keinen Namen. Und vor allem war alles ja ganz klein, zu den Konzerten kamen mit etwas Glück gerade mal 200 bis 300 Leute, und erst in L.A. erlebte ich dann mal 3, 4, 5.000 Kids auf einem Haufen, was schon wieder beängstigend war mit all den Gangs, die die da hatten, SUICIDAL TENDENCIES, LADS, FFF und so weiter. Jeder Teil des Landes hatte damals seine eigene Art von Hardcore, wobei L.A. damals auch schon wieder in verschiedene Szene unterteilt war: die CIRCLE JERKS hatten ihre Leute, BLACK FLAG ihre, TSOL ganz andere, und die trafen dann alle in Läden wie dem Whiskey A Go-Go zusammen. Und ich glaube, die Spontaneität, die Kraft, die Getriebenheit von damals ist immer noch spürbar, und das macht den Reiz von Hardcore bis heute aus.
Wie ging es dann für euch weiter?
Wir brachten dann bald unser erstes Album raus, "Millions Of Dead Cops", und dann kam 1983, nachdem wir CRASS getroffen hatten, die "Multi-Death Corporations"-EP auf Crass Records. 1984 kamen dann die "Chicken Squawk"-EP und auch die "Peace"-Compilation. Dann kam 1984 die "Rock against Reagan"-Tour, und das war dann schon ein Erlebnis. Wir spielten da glaube ich 37 Shows, und der Höhepunkt war in Washington D.C. vor ein paar tausend Leuten in der Nähe des Lincoln Memorials. D.R.I. und die DEAD KENNEDYS spielten da ebenfalls, und während Biafra da seine Ansagen machte, kreiste ein Hubschrauber über der Menge, tastete sie mit seinem Suchscheinwerfer ab, und passender hätte das Timing nicht sein können. Nach dieser Tour verließ Ron, mit dem ich die Band gegründet hatte, MDC, und die nächsten zwei Jahre lag die Band auf Eis. 1986 kam dann das "Smoke Signals"-Album, und 1987 "This Blood's For You". Zu der Zeit besuchte dann der Papst San Francisco, seine Route führte durch unsere Straße, und wir hatten natürlich nichts Besseres zu tun als auf dem Dach unseres Hauses ein paar Songs für ihn zu spielen, etwa "Multi-Death Corporations" und "This blood's for you". Und kaum hatten wir angefangen, kamen natürlich die Bullen: Hubschrauber über dem Haus, Polizeiautos überall, sie scheuchten uns vom Dach, brachten uns in mein Apartment - und da hingen natürlich überall MDC-Poster, "Millions of dead cops" und so, hahaha. Da hatten die natürlich sehr viel Spaß, und dann kam auch noch der Secret Service dazu, die wollten alleine mit mir sprechen und schickten die Cops aus dem Zimmer. Die Bullen schauten sich in der Wohnung um, und die waren natürlich total angepisst, dass diese Geheimdiensttypen ihnen da Konkurrenz machten, hehe. Aber es blieb ihnen nichts anderes übrig als zu gehen, und dann unterhielt ich mich mit den Secret Service-Typen, erzählte ihnen, dass wir nur ein paar Punks seien, die etwas Lärm machen wollten, zu Ehren des Papstes. Ich erzählte denen, dass ich ja selbst mal Ministrant gewesen sei und all so einen Scheiß, und schließlich waren sie überzeugt, dass wir ungefährlich sind und sie gingen wieder. Aber dann kamen die Bullen wieder rein, und die fingen an, unser Equipment vom Dach zu tragen, was uns natürlich eine Menge Arbeit ersparte, haha. Das merkten die dann aber auch, und so verpissten sie sich wieder, nachdem sie meine Personalien aufgenommen und sich bei mir über die Bastarde vom Secret Service beklagt hatten, hahaha. Für uns war das ein kleiner Sieg, aus der Sache ohne Stress rausgekommen zu sein, und seit diesem Zwischenfall kannte mich natürlich jeder Bulle in der Stadt. Die hupten und winkten, wenn sie mich auf der Straße sahen, unglaublich! Das ging sogar soweit, dass da mal zwei bei mir vor der Wohnung standen, um sich ein Album von uns signieren zu lassen.
Wie, die fanden euren Namen MILLIONS OF DEAD COPS gar nicht so schlimm?
Nee, ein paar zumindest nicht, manche Bullen haben ja auch einen ganz schön schrägen Humor. Die kamen auch immer wieder mal auf Konzerte von uns, um sich ein T-Shirt von uns zu kaufen, ließen sich sogar darauf ein Autogramm darauf geben.
Heute könnte das nicht mehr passieren, oder?
Hm, ich habe meine Zweifel. Damals war Punk noch recht neu, wir standen am Rand der Gesellschaft, und es gab eben auch Cops, die sich genauso am Rande der Gesellschaft sahen, und da war dann plötzlich eine Verbindung. Damals konnte es dir noch passieren, dass dich als Punk die Bullen im Auto stoppten und dann nur ein Foto mit dir haben wollten. Einmal nahmen sie mir meinen MILLIONS OF DEAD COPS-Button ab, strichen mit einem Edding das "DEAD" durch und steckten mir den mit einem Grinsen wieder an die Jacke. Aber klar, die fiesen Bullen gibt es auch, die uns drohten, sie könnten einfach mit uns irgendwo hin fahren, uns killen und vergraben und keiner würde jemals wieder was von uns hören. In solchen Momenten wurde ich dann schon mal ganz schnell vom Sänger zum Roadie meiner Band, der von nichts eine Ahnung hatte, hahaha. Das klappte, weil ich konsequent dafür Sorge getragen hatte, dass mein Foto nicht auf einem Plattencover auftaucht. Wir haben auch kaum mal im Süden der USA gespielt, aus gutem Grunde, also in Alabama, Mississippi, Florida ... Wir wussten schon, die Cops da bringen uns um. Dafür spielten wir umso mehr in den "Szene"-Städten, also in Chicago, Akron, Portland, Seattle, Washington - und auch in Kanada. In Calgary etwa gab es das Royal Albert Hotel, da haben die immer wieder mal eine Band für 2.000 kanadische Dollar für eine Woche angeheuert, und da mussten wir dann jeden Abend drei Shows spielen, nicht nur Punk, sondern eben lauter Coversongs, Johnny Cash und so. Da gab es dann extrem billiges Bier, und die ganzen Außenseiter kamen zusammen, Biker, Punks, Nutten, Ölarbeiter, und alle tranken friedlich zusammen. Mit dem Geld, das man in dieser Woche verdiente, hat man es dann geschafft, sich den Rest der Tour über Wasser zu halten, wenn es für ein Konzert gerade mal 50 Dollar gab. Sowieso haben wir damals kaum mal irgendwo mehr als 100 Dollar für ein Konzert bekommen - im Gegensatz zu DEAD KENNEDYS oder BLACK FLAG, die teils schon ganz gute Gagen bekamen. Und trotzdem waren wir ständig unterwegs, wir hielten es kaum aus, wenn wir in San Francisco waren.
Was hat euch damals angetrieben, was treibt euch heute an?
Da hat jeder seine eigenen Gründe, denke ich. Für mich ist es schön, wenn andere meine Musik, meine Kunst, mein Handwerk zu schätzen wissen, und so lange es noch ein Publikum dafür gibt, werde ich mich auch auf eine Bühne stellen. Und es ist auch ganz schön Sucht erzeugend, ein Mikrofon in der Hand zu haben, es macht Spaß, mit den Leuten zu kommunizieren. Dazu kommt, dass ich seit frühester Jugend auf der Bühne stehe, so was gibt man nicht so ohne weiteres auf. Jeder versuchte damals, mich davon abzubringen Musik zu machen, alle wollten, dass ich einen ordentlichen Beruf lerne, und das prägt natürlich. Mag sein, dass ich allmählich was von einem alten Schauspieler habe, der auch mit achtzig noch nicht von der Bühne lassen kann, aber wenn dann mal wieder Kids von fünfzehn, sechzehn vor der Bühne stehen und ich den Eindruck habe, dass unser Auftritt denen echt was bedeutet, dann wüsste ich nicht, warum ich aufhören sollte. So lange unser Tun für die Szene eine Bedeutung hat, Leute ermutigt, jemandem zum Nachdenken bringt über Politik, Vegetarismus, ihr Leben, hat es auch einen Sinn. Und dann sagen sie vielleicht ihrem Berufsberater, dass sie statt Versicherungen zu verkaufen lieber in einer Band spielen wollen. So war es bei mir: Ich wusste damals, als ich meine erste akustische Gitarre in den Händen hielt, dass ich lieber Bob Dylan-Songs spiele als einen Job als Versicherungsvertreter anzustreben. Und so machen wir heute eben das, was wir schon immer gemacht haben, und keiner kann uns sagen, dass wir das nicht auch für den Rest unseres Lebens tun können.
Gab es denn mal einen Punkt, wo du aufgeben wolltest?
Klar, wenn du eine harte Tour hinter dir hast, als alle Originalmitglieder außer mir die Band verlassen hatten, wenn du dich fragst, wer du eigentlich bist, aber das geht vorüber. Oder wenn ein Veranstalter sieben Erwachsene in einen kleinen Raum pfercht und seine großen Hunde noch mit dazu und da sollst du dann schlafen, da werde ich dann schon auch mal wütend und bekomme Zweifel. Da muss man dann aber trotzdem ruhig bleiben, es bringt ja nichts, sich aufzuregen. Und natürlich freut man sich bei einer langen Tour wie dieser, dass es bald wieder nach Hause geht.
Wie gehst du damit um, dass heute Leute christlich, konservativ und homophob sind und trotzdem behaupten, das sei Hardcore?
Die nennen das vielleicht Hardcore, aber die haben keine Ahnung, was das wirklich ist. Mir fehlen in Bezug auf die Weiterentwicklung der Szene aber auch einfach ein paar Jahre, denn zwischen 1994 und 2000 war ich ziemlich weg vom Fenster, da gab es außer den SUBMISSIVES und mal einer MDC-Single kein Lebenszeichen von mir. Ich bekam da nur am Rande mit, dass es etwa auf Long Island eine große christliche Hardcore-Szene mit expliziten Anti-Abtreibungs-Statements gibt oder gab, mit heftig tätowierten Bands, deren Sänger über ungeborene Babys singen. Aber solche Züge gab es immer schon im Hardcore, ich erinnere nur an Jerry Only von den MISFITS, der sich schon immer damit gebrüstet hat, die Republikaner zu wählen. Und dabei ist Jerry eigentlich ein ganz netter Typ. Ich denke, auf solche rechten Bands gibt es auch immer eine Gegenreaktion, so ist das eben. Und wo die Hardcore-Szene 1987 in vielleicht zwölf verschiedene Subgenres aufgesplittet war, sind es heute eben 144. Trotzdem finde ich es traurig, dass Menschen mit so einem Denken aufwachsen, da mangelt es einfach an Information und Lebenserfahrung, denke ich. Was weiß denn ein Neunzehnjähriger über das Leben, dass er sich erheben dürfte, einer Frau eine Abtreibung zu verbieten? Weiß der, dass in den zwanzig Jahren seit der Legalisierung von Abtreibungen in den USA die Verbrechensrate signifikant gesunken ist, einfach weil weniger ungewollte Kinder in miserable Familiensituationen geboren wurden? Aber solche Argumente interessieren diese Typen ja nicht, die heulen dir nur was von ungeborenen Babys vor. Es ist schon sehr hart, derzeit in den USA leben zu müssen, zwei Amtszeiten George W. Bush ertragen zu müssen, zu sehen, wie die christliche Rechte immer mehr Macht erlangt. Und da draußen gibt es immer mehr christliche "Punks", immer mehr christliche Metalbands, zu deren Konzerten tausende Besucher kommen. Die Konzerte werden von den Kirchen gesponsort, die bekommen da umsonst zu essen, und so weiter. Und du schaust dir die Bands an, fragst dich, ob du da nicht gerade GREEN DAY vor dir hast, doch nein, die heißen THE LORD IS RIGHT, THE STRAIGHT PATH oder so und klingen genauso. Die haben echt immer Namen, die irgendwie in die christliche Begriffswelt passen, THE CLEAR VISION oder so, was du aber nicht erkennst, wenn du in dieser Szene nicht drinsteckst. Die sehen cool aus, die klingen cool - sind es aber nicht.
Eben. Und deshalb sehe ich es auch nicht ein, Bands wie NORMA JEAN, UNDEROATH und Co. Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das Problem ist jedoch, dass viele der großen Musikmagazine, Labels, Konzertagenturen und Promoter keinerlei Problem damit haben, solche Bands zu unterstützen. Die reagieren auf Kritik auch noch mit völligem Unverständnis.
Ich weiß, was du meinst: Das ist der irrige Glaube, jeder verdient es respektiert zu werden. Und da sage ich ganz klar nein: Nein, du verdienst keinen Respekt, wenn du schwulenfeindlich bist, wenn du Frauen das Recht absprichst, über ihr Leben selbst zu entscheiden, auch wenn ich natürlich für das Recht auf freie Meinungsäußerung bin. Aber ich muss solche Aussagen nicht auf einem MDC-Konzert dulden, du musst so was nicht in deinem Heft abdrucken.
Dave, vielen Dank für das Interview.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #69 Dezember 2006/Januar 2007 und Joachim Hiller